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Wege zum Heiligen Krieg

Warum wird jemand zum Gotteskrieger? Auch Jugendliche suchen eine Antwort auf diese Frage. Für diese jungen Menschen hat Martin Schäuble ein Buch geschrieben, das die Lebensgeschichte zweier Jugendlicher schildert, die zu Terroristen wurden.

Von Sandra Pfister | 09.05.2011
    Ein 21-jähriger Saarländer, Gymnasiast, aus gut situiertem Elternhaus, der zum Islam konvertiert und sich in arabischen Terrorcamps für Anschläge in Deutschland ausbilden lässt – und als Mitglied der Sauerland-Gruppe beim Bombenbauen festgenommen wird. Und ein sanftmütiger Palästinenser aus Nablus, der sich ein Zimmer mit acht Geschwistern teilt, die Schule abbricht und am Ende einige Israelis und sich selbst in die Luft sprengt. Was treibt sie an? Was haben sie gemeinsam? Der Autor sucht die Antworten im Gespräch mit Angehörigen, Freunden, Lehrern und Weggefährten. Daniel wird nach einer idyllisch wirkenden Kindheit zum Scheidungskind. Schäuble zeichnet das Bild eines ernsten und tiefgründigen Jungen nach, der als Jugendlicher aber keineswegs einsam vor dem Computer hängt, sondern fest in eine Basketballer-Clique eingebunden ist, in der teure Markenklamotten und Gangsta-Rap eine große Rolle spielen.

    Das beschäftigte ihn damals sehr. Es ging so weit, dass er sich dafür schämte, weiß zu sein. Daniel setzte sich mit der Geschichte Nordamerikas auseinander. An einen Satz aus dieser Zeit erinnern sich mehrere von Daniels ehemaligen Freunden: "Mein Herz ist schwarz". Das sagte er immer wieder.
    Nicht schwarz, aber arabischer Abstammung sind die beiden Kumpel, mit denen Daniel allmählich auf die viel beschworene "schiefe Bahn" rutscht. 2004 konvertiert Daniel zum Islam, später lernt er in Ägypten Arabisch und landet schließlich in der pakistanischen Bergregion Wasiristan. Der neue Gotteskrieger verlässt das dortige Ausbildungslager für Dschihadisten mit dem Auftrag, einen Anschlag in Deutschland zu verüben. Als sich Daniel mit seinen Komplizen in einer Ferienwohnung im Sauerland einquartiert, um ungestört Bomben bauen zu können, hört der Verfassungsschutz mit. Am 4. September 2007 stürmt die Polizei die Ferienwohnung. Daniels Anschlag wird vereitelt. 4000 Kilometer entfernt wohnt zur gleichen Zeit Sa'ed. Während Daniel Basketball spielt und sich teure Hip-Hop-Klamotten kauft, wächst Sa'ed in der Großstadt Nablus im Westjordanland nahe Jerusalem in weit bescheideneren Verhältnissen auf. Noch als Teenager teilen sich die neun Geschwister ein Zimmer mit den Eltern. Schäuble beschreibt Sa'ed als sanftmütigen Jungen, der im Haushalt hilft:

    All das brachte ihm immer wieder Spott ein, denn Hausarbeit und Kinderbetreuung ist in Nablus Frauensache. Statt Sa'ed nannten sie ihn Sa'eda – die weibliche Form seines Vornamens.
    Sa'eds Familie ist nicht religiös. Seine Mutter ist Hausfrau, der Vater Handwerker, der im Zuge der zweiten Intifada ab dem Jahr 2000 aber mehr und mehr Aufträge verliert. Sa'ed muss einspringen. Mit elf Jahren erscheint er nicht mehr beim Schulunterricht, denn in einem Land, in dem es kaum Aussicht auf Arbeit gebe, nützt die beste Ausbildung nichts. Der palästinensische Teenager erledigt Hilfsjobs, steigt schließlich in einer Süßwarenbäckerei vom Spüljungen zum Bäcker auf - die "glücklichste Zeit seines Lebens", wie sein Biograf schreibt. Doch sie ist schnell vorbei, weil sich mit Beginn der zweiten Intifada alles ändert, dem Beginn der Straßenkämpfe, mit den Protesten, den Anschlägen in Israel, dem Einmarsch israelischer Soldaten in Nablus und dem Zusammenbruch der örtlichen Wirtschaft.
    Während sein deutsches Pendant alle Freiheiten und Entwicklungschancen genießt und sie selbst verwirkt – Daniel schmeißt die Schule vor dem Abi hin – steckt Sa'ed fest, beruflich und privat. Doch erst, als israelische Soldaten unter noch ungeklärten Umständen einen engen Freund erschießen und israelische Bomber das Haus seiner Familie zerstören, sucht er Kontakt zu den Aqsa-Märtyrer-Brigaden.

    Bald hatte jede Familie ihren Märtyrer oder in israelischen Gefängnissen Inhaftierten. Es bedurfte für kaum jemanden in Nablus einer politischen Schulung durch einen radikalen Lehrer. Sa'ed lernte alles, was er über Politik wusste, auf der Straße.
    Am Ende zündet Sa'ed in Ostjerusalem einen Sprengstoffgürtel, der mit Nägeln und Metallstücken gespickt ist; er reißt sieben Menschen mit in den Tod, auch Kinder - drei Dutzend weitere werden verletzt. Während in Nablus fast jede Großfamilie ihren Märtyrer hat, ist der Dschihadist Daniel in Deutschland eine große Ausnahme. Sa'ed ist tot, Daniel sitzt für zwölf Jahre im Gefängnis.

    Daniel will im Gefängnis Abitur machen, später vielleicht studieren. Er könne sich vorstellen, nach der Entlassung als Übersetzer zu arbeiten, in Ländern, wo Arabisch gesprochen wird. Das werde gut entlohnt. Wie realistisch das angesichts seiner Biografie ist und was andere in seinem Alter tun müssen, um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, sagt ihm offenbar keiner.
    Das ist eine der wenigen Stellen, an denen Martin Schäuble seine Meinung durchschimmern lässt. Im Übrigen hält er sich mit Wertungen zurück – die Dichte der nüchtern und prägnant geschilderten Fakten genügt, um ein lebhaftes Bild der beiden Charaktere entstehen zu lassen. Dennoch bleiben Fragen offen: Dass ein Palästinenser, der die Demütigungen durch Israel ständig erlebt, anfällig wird für Radikalisierungen, erscheint durchaus nachvollziehbar, die Mutation eines gut situierten deutschen Mittelschichtkindes zum Gotteskrieger aber nicht. Es ist eine Qualität des Textes, dass Martin Schäuble weder interpretiert noch wertet; er hält die unbeantworteten – vielleicht unbeantwortbaren – Fragen aus. Dennoch liest Schäubles Geschichte sich wie ein packender Kriminalroman – und der reißt Erwachsene übrigens genau so mit wie Jugendliche.

    Sandra Pfister war das über: Martin Schäuble: Black Box Dschihad: Daniel und Sa'ed auf ihrem Weg ins Paradies, erschienen im Hanser Verlag, 224 Seiten gibt's für 14 Euro 90 Euro, ISBN: 978-3446236653.