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Wegen Telekom-Affäre: FDP fordert Stopp der Vorratsdatenspeicherung

Die FDP hat vor dem Hintergrund der Bespitzelungs-Affäre bei der Telekom gefordert, die sogenannte Vorratsdatenspeicherung zu stoppen. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Max Stadler, sagte, Sammlungen großer Datenbestände verleiteten offensichtlich zum Missbrauch. Der Bundestag sollte das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung deshalb wieder aufheben. Er käme damit dem Bundesverfassungsgericht zuvor, das die Regelung vermutlich ohnehin für nichtig erklären werde.

Moderation: Christiane Kaess | 30.05.2008
    Christiane Kaess: Jetzt schaltet sich auch die Politik ein. Angesichts der Bespitzelungsaffäre um die Deutsche Telekom hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Vorstandschefs der Deutschen Telekom für Montag nach Berlin einbestellt, um zu diskutieren, wie der Datenschutz in Unternehmen wirksam realisiert werden kann und welche Maßnahmen dazu beitragen können. Damit soll offenbar verhindert werden, dass sich Fälle wie das illegale Ausspionieren von vertraulichen Verbindungsdaten wiederholen.
    Kurz vor der Sendung habe ich mit Max Stadler von der FDP gesprochen. Er ist Mitglied des Innenausschusses im Bundestag. Ich habe ihn zuerst gefragt, ob das Einschalten der Politik durch so ein Treffen, wie Bundesinnenminister Schäuble es jetzt anberaumt hat, das richtige Instrument ist, um solche Affären in Zukunft zu vermeiden.

    Max Stadler: Man hat ja nichts dagegen, wenn miteinander gesprochen wird, aber ich finde das Bundesinnenministerium sollte erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren. Es ist doch gerade die Politik, die dazu beigetragen hat, dass das Bewusstsein für den Wert des Datenschutzes in Deutschland gesunken ist. Und ich erinnere daran, dass es das Bundesinnenministerium gewesen ist, das seinerzeit eine Strafverfolgung gegen das Magazin "Cicero" veranlasst hat, wo es um ein ähnliches Problem ging, nämlich dass Journalisten eben Informationen bekommen haben, die zu kritischen Artikeln verwendet worden sind. Also ich glaube, dass erst einmal das Bundesinnenministerium selber dem Datenschutz in seiner gesamten Politik mehr Wert zumessen müsste, und dann wäre es glaubhafter, wenn sich Herr Schäuble um den Datenschutz bei einer Privatfirma kümmert.

    Kaess: Das hört sich fast an wie eine Entschuldigung für die Telekom zum Bruch des Fernmeldegeheimnisses.

    Stadler: Nein, überhaupt nicht. Das was bisher bekannt ist, ist ein skandalöser Vorgang. Das einzig Positive, was man allenfalls noch anmerken kann, ist, dass der jetzige Vorstandschef von sich aus die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hat. Ich entnehme daraus, dass die Bereitschaft besteht, den Vorgang rückhaltlos aufzuklären, und das ist auch notwendig, denn wir haben es, nachdem was bisher bekannt ist, mit einem Eingriff in die Privatsphäre, in den Datenschutz und in die Pressefreiheit zu tun, der wirklich unglaublich ist und was sich so niemand hat vorstellen können.

    Kaess: Herr Stadler, trotz Ihrer Kritik am Bundesinnenministerium; der Telekom müsste doch auch bewusst gewesen sein, dass sie keine geheimdienstlichen Befugnisse hat.

    Stadler: Ja. Ich glaube da braucht man weder Politiker zu sein noch Jurist, sondern das ist doch völlig selbstverständlich, dass diese Ausforschungen, die da offenkundig stattgefunden haben, rechtlich völlig unzulässig sind und vor allem auch das Vertrauen der Bevölkerung in den Datenschutz untergraben. Mir geht es jedenfalls so, dass ich seither noch misstrauischer bin, wenn irgendwo große Datenansammlungen existieren, und ich möchte daher dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar ausdrücklich zustimmen, der den Grundsatz der so genannten "Datensparsamkeit" angemahnt hat. Das ist auch für den Gesetzgeber künftig eine Leitlinie. Wir sollten darauf achten, dass Daten eben nur gespeichert werden, wenn das unabänderlich ist und dringend erforderlich ist, denn Datenbestände verleiten offenkundig immer zu Missbrauch. Aber noch einmal: Das ist keinerlei Entschuldigung für das, was hier geschehen ist. Man kann nur entsetzt sein über den Vorgang bei der Telekom.

    Kaess: Aber wenn die Sachlage eigentlich jetzt schon klar ist, was bleibt dann noch von Ihrer Kritik am Bundesinnenministerium?

    Stadler: Nein! Noch einmal: Ich habe nichts dagegen, dass Herr Schäuble mit dem Telekom-Vorstand ein Gespräch führt. Aber es ist doch die Linie der Politik, die dazu geführt hat, dass das Bewusstsein für den Wert der Privatsphäre in Deutschland gesunken ist. Es war der Bundestag mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der FDP - und zwar auf Veranlassung von Innenminister Schäuble und Justizministerin Zypries -, der ein Gesetz beschlossen hat, alle unsere Telekommunikationsdaten auf Vorrat zu speichern. Erstmals in der Bundesrepublik Deutschland hat der Gesetzgeber private Unternehmen verpflichtet, Millionen von Telekommunikationsdaten unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger zu speichern. Und wenn wir als Bundestag solche Gesetze erlassen, dann zeigt das eben eine Missachtung vor der Privatsphäre und da ist es die Politik, die sich an die eigene Nase fassen muss.

    Kaess: Das heißt Sie argumentieren dafür, dass offensichtlich neue Regeln zum Datenschutz nötig wären?

    Stadler: Zunächst einmal bin ich der Meinung, dieses unsinnige Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung sollte der Bundestag selber aufheben. Es läuft dagegen ja die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten und ich bin sicher, dass Karlsruhe das Gesetz aufheben wird. Aber darauf sollten wir nicht warten. Das sollte der Bundestag selber zurücknehmen. Zweitens fordert die FDP seit langem ein Datenschutz-Audit-Gesetz, mit dem diejenigen Wirtschaftsunternehmen prämiert werden, die im Datenschutz Vorbildliches leisten. Man muss diese jetzige fatale Krise dazu nutzen, solche Regelungen jetzt endlich voranzubringen.

    Kaess: Haben Sie den Eindruck, dass solche Fälle zunehmen? Wir hatten den Fall Lidl auf Unternehmensseite. Wir hatten auf der anderen Seite den BND mit dem Abhören von Journalisten.

    Stadler: Ja. Das ist leider die Tendenz, die man betrüblicherweise feststellen muss. Es ist ja verständlich, dass aus vertraulichen Sitzungen nichts an die Öffentlichkeit dringen soll. Aber sowohl staatliche Behörden als auch jetzt Privatunternehmen schießen dann bei dem Schutz gegen solche Indiskretionen über das Ziel hinaus und verwenden Methoden, die in einem Rechtsstaat eben nicht zulässig sind. Das hat in letzter Zeit zugenommen.

    Kaess: Sind da die Regeln zu unklar, denn auf der anderen Seite darf sich doch ein Unternehmen gegen so genannte Lecks wehren?

    Stadler: Die Regeln sind ja klar. Es ist das Bewusstsein dafür nicht mehr da, dass bestimmte Methoden in einem Rechtsstaat einfach nicht zulässig sind. Da muss man ansetzen, denn die Tendenz der letzten Jahre ist wirklich bedenklich.

    Kaess: Schauen wir noch auf den Fall Telekom. Es gibt neue Vorwürfe, dass neben telefonischen Verbindungen auch Bankdaten ausgespäht wurden und Bewegungsprofile erstellt wurden. Rechnen Sie damit, dass sich diese Vorwürfe bestätigen?

    Stadler: Das kann ich als Außenstehender nicht sagen. Dafür ist die Staatsanwaltschaft da, dies zu ermitteln. Schon das, was bisher ja zugegeben worden ist von dem Unternehmen, übersteigt alle Maßen, was man sich hat vorstellen können, was dort passiert. Wenn die neuen Vorwürfe sich auch bestätigen sollten, wäre der Skandal noch einmal eine Dimension größer. Aber das ist Sache der Justiz, dies zu klären. Ich kann nur dringend an den jetzigen Vorstand appellieren, seine Linie beizubehalten, selber zur Aufklärung alles beizutragen. Das ist auch der einzige Weg, wie man überhaupt Vertrauen zurückgewinnen kann.

    Kaess: Und von dem was bisher zugegeben wurde sind Sie der Meinung, dass der ehemalige Vorstand schuldig ist?

    Stadler: Ich kann noch nicht beurteilen, wer die Aufträge zu diesen Bespitzelungen gegeben hat. Da herrscht noch keine Klarheit. Da kann man eine Bewertung erst vornehmen, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen fortgeführt hat.

    Kaess: Abgesehen davon, welche Schuld trifft Telekom-Chef René Obermann, der schon viel früher von der Bespitzelung eines Journalisten wusste und damit aber nicht an die Öffentlichkeit gegangen ist?

    Stadler: Auch da steht es mir nicht zu, mich zum Richter aufzuschwingen, wenn ich die Einzelheiten nicht kenne. Tatsache ist: Herr Obermann hat die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Das ist anzuerkennen. Ob er schon früher hätte tätig werden müssen, wird sicher noch kritisch diskutiert werden. Das vermag ich aber jetzt nicht zu bewerten.

    Kaess: Max Stadler (FDP), Mitglied des Innenausschusses im Bundestag.