Archiv


Weichenstellung

Als erste grüne Wirtschaftsministerin soll Eveline Lemke in Rheinland-Pfalz beweisen, dass die Grünen mehr können als Umweltschutz und Atomausstieg. Die 48-Jährige muss sich in ihrem Amt auf rauflustige Gegner aus der Großindustrie einstellen.

Von Ludger Fittkau |
    "Das ist ein Signal weit über Rheinland-Pfalz hinaus. Das ist ein politisches Signal gegenüber all den Wettbewerbern auf der politischen Szene, die uns zurückdrängen wollen auf ein, zwei Punkte."

    Natürlich können die Grünen Umweltschutz und Atomausstieg, sagt Jürgen Trittin. Der Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion ist an die rheinland-pfälzische Basis nach Neuwied gekommen, um dort mit seiner Partei zu feiern. Aber die Grünen können eben mehr – auch Wirtschaft. Eveline Lemke soll das beweisen. Als erste grüne Wirtschaftsministerin überhaupt. Sie wird es nicht leicht haben, das weiß sie – und das bekommt sie auch gleich zu spüren – aus den eigenen Reihen. Warum sie die Zuständigkeit für den Verkehr an die SPD abgetreten hat, will die Basis auf dem Parteitag wissen. Warum die Verantwortung für Infrastrukturprojekte aus der Hand gegeben? Immerhin war der Hochmoselübergang ein wesentliches grünes Wahlkampfthema. Die Sportlerin geht da gleich zur Vorwärtsverteidigung über: Weil man bis auf die Hochmoselbrücke ja alle anderen neuen Straßen und Brücken verhindert habe, könne die SPD künftig die Schlaglöcher auf den vorhandenen Straßen stopfen. Sie sei für die Zukunft zuständig. Für die Energiewende nämlich. Daniel Köbler, frisch gewählter Vorsitzender der grünen Landtagsfraktion in Mainz, springt ihr bei:

    "Eveline Lemke wird es auch noch dem letzten dunklen Anzugsträger in den IHKs erklären können, so charmant ist sie nämlich."

    Das ist ihr Lieblingsthema – der radikale Umbau der Energieversorgung im Land auf regenerative Energien. Damit will sie sich schnell profilieren. Ihr Wirtschaftsstudium an den Universitäten Hamburg und Hannover wird ihr sicher nicht schaden, wenn sie mit der Industrie verhandelt - etwa über Wege zu weniger Energieverbrauch:

    "Wir müssen jetzt die Weichen stellen, und davon gilt es jetzt, die Wirtschaft einfach noch mal zu überzeugen."

    Dafür wird sie sportlichen Ehrgeiz brauchen – und Ausdauer. Beides hat sie. Früher war sie Aerobic-Trainerin, heute spricht die Mutter vierer Kinder gerne vom "neuen Körpergefühl", das die Grünen in die Politik getragen hätten. Was auch immer sie genau damit meint: Robustheit gehört in Zukunft für Eveline Lemke wohl dazu. Denn die 48-Jährige könnte es mit rauflustigen Gegnern zu tun bekommen. Vor allem in der Großindustrie. Dass diese eine Grüne im Wirtschaftsressort besonders skeptisch beobachtet, weiß sie nur zu gut:

    "Ja klar wird man beobachtet. Wir haben ja auch hier die FDP vom Hof gejagt. Und insofern wollen wir hier nun auch ganz bewusst einen Schlussstrich setzten unter diese neoliberale Anspruchshaltung. Wir haben "Green New Deal", das ist ein Wirtschaftskonzept, das wollen wir auf den Weg bringen, und das wird schrittweise Überzeugungsarbeit brauchen."

    Überzeugen wollen, statt zu drohen, von Chancen statt von Risiken zu sprechen – der Politikstil der Eveline Lemke ist werbend. Doch auch in Rheinland-Pfalz mit seiner im Grunde gemäßigten und auf Harmonie ausgerichteten politischen Kultur wird es der grünen Ministerin nicht immer gelingen, Konflikte zu vermeiden. Die drohen etwa bei einem Thema, das die künftige rot-grüne Koalition in Mainz in ihren Vertrag geschrieben hat: die Gentechnik nämlich. Eveline Lemke will die Gentechnik in der Landwirtschaft stoppen – ausgerechnet in einem Bundesland, in dem bei der BASF mehrere Hundert Forscher an der Entwicklung neuer Gen-Kartoffeln und anderer Nutzpflanzen aus dem Labor arbeiten, die der Konzern irgendwann auch an die Bauern verkaufen will. Zoff ist vorprogrammiert:

    "Wir haben hier in Rheinland-Pfalz noch bäuerliche Strukturen, und die wollen wir erhalten. Es ist nicht einzusehen, warum große Saatgutproduzenten große Landflächen aufkaufen oder sich über das Saatgut nachher das Land zu eigen machen. Und das ist eine Frage der Machtverteilung und wir sagen: Das Land soll bei den Menschen bleiben und nicht in großstrukturelle, industrielle Hände gehen."

    Schon jetzt appelliert die CDU-Opposition in einer Presseerklärung an Kurt Beck, die Grüne im Zaum zu halten, damit sie den Chemiestandort Rheinland-Pfalz nicht gefährdet. Öffentlich reagiert hat Beck darauf bisher nicht. Dass der Gewerkschaftsfreund es aber sich nicht den Betriebsräten von BASF und Boehringer verscherzen will – da kann man sicher sein. Und auch Engelbert Günster, Manager des Pharmariesen Boehringer Ingelheim, warnt bei einer CDU-Veranstaltung vor einer neuen Technikverteufelung durch Grüne an den Schalthebeln der Wirtschaftspolitik:

    "Vor circa 25 Jahren begann die erste große Welle der Investitionen in die Biotechnologie. Zwei Unternehmen in Deutschland - Hoechst und Boehringer Ingelheim haben sich aufgemacht und wollten in diese Industrie investieren. Die Kollegen von Hoechst haben sich sieben Jahre mit einer rot-grünen Koalition in Frankfurt und in Wiesbaden herumgeschlagen. Das Ergebnis: Die gentechnische Produktion von Insulin in Marburg wurde nie gebaut."

    Auch wenn heute die Grünen die Gentechnik in der Pharmaforschung nicht mehr grundsätzlich ablehnen: Eveline Lemke weiß, dass auch beim Koalitionspartner SPD viele grünen Ideen immer noch misstrauen. Sie weiß auch, dass sie gerade für ihr Lieblingsprojekt viel werben muss: die Verfünffachung der Windenergie in Rheinland-Pfalz binnen eines Jahrzehnts. Dafür will sie von einem lokalen Windstromerzeuger ein aufwendiges Besucherwindrad bauen lassen. Dieser politische "Leuchtturm" soll mit einer Aussichtsplattform versehen werden und Besuchergruppen die Möglichkeiten der Windkraft in luftiger Höhe nahebringen:

    "Wenn ich mir jetzt überlege, wie ich zum Beispiel den deutschen Tourismusverband davon überzeuge, dass die Formulierungen, Windkraftanlagen in Rheinland-Pfalz seien hässlich und würden den Tourismus in Rheinland-Pfalz stören, herausbekommen, dann kriege ich das zum Beispiel mithilfe eines solchen Projektes hin. Ne Windkraftanlage zu bauen, die schön ist, die bestiegen werden kann von Touristen, die eine Attraktion darstellt."

    Vorerst ist Eveline Lemke selbst noch die Attraktion – als erste grüne Wirtschaftsministerin Deutschlands. Ob sie viel Wind um nichts macht oder grüne Wirtschaftspolitik insgesamt Erfolg haben kann – das zeigt sich in den nächsten fünf Jahren.