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Weihnachten im Flüchtlingsheim
Knusperhäuschen, Lieder und Luftballons

Eine Flüchtlingsfamilie spielt die Hauptrolle in der Weihnachtsgeschichte - eine hoch aktuelle Thematik. Doch wie feiern die vielen Flüchtlinge in Deutschland Weihnachten? In einer Mainzer Unterkunft gestalten Ehrenamtliche das Fest. Das begeistert vor allem die Kinder - unabhängig von ihrer Religion.

Von Anke Petermann | 27.12.2014
    "Willkommen"-Schild an einem Weihnachtsbaum
    Seit 2008 haben Flüchtlingsräte die sogenannten Save-me-Kampagnen bundesweit ins Leben gerufen. (dpa/picture alliance/Friso Gentsch)
    "Kuchen!"
    Die Kinder aus Syrien, Afghanistan, Serbien und Mazedonien machen große Augen. Das Lebkuchenhaus, das Flüchtlingsbetreuer Mohamed Jabry von der gemeinnützigen Stiftung Juvente gemeinsam mit einer Helferin aus einem Transporter hievt, ist riesig. So riesig, dass es nicht durch die Tür des Aufenthaltsraums der Gemeinschaftsunterkunft passt.
    "Kann man hier aufmachen?"
    "Mohamed, hast du selber gemacht?"
    "Kuchen" rufen die Kleineren. Das Knusperhaus auf einer Fläche von einem Quadratmeter stammt "vom Zentrum für Baukultur", weiß Mohamed Jabry. Der Kinderhort einer Ingelheimer Grundschule hat das vom Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz preisgekrönte Knusperhaus gespendet. Im neonbeleuchteten Pavillon der Mainzer Gemeinschaftsunterkunft Zwerchallee vertiefen sich 20 Flüchtlingskinder in ihre eigene Knusperhäuschen-Baukultur. Mina Vorndran hilft den Kleinsten, Lakritz-Schornsteine auf ihre Mini-Lebkuchenhäuser zu setzen.
    "Also ich bin von Save-me in Mainz. Ich bin zu den Save-me-Stammtischen gegangen und hab' dort die Verantwortlichen kennengelernt, die einen dann vermitteln - wo, in welchen Wohnheimen was an Bedarf da ist, und deswegen bin ich so hierher gekommen."
    Kinder haben Eltern viel voraus
    Seit 2008 haben Flüchtlingsräte die sogenannten Save-me-Kampagnen bundesweit ins Leben gerufen. Inzwischen gehören fast 60 Städte und Regionen zu dem Netzwerk. In Mainz helfen neben den Ehrenamtlichen von Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen rund 300 Paten und Mentoren des Save-me-Netzwerks Flüchtlingen bei Wohnungssuche und Behördengängen. Sie unterstützen Kinder mit Nachhilfe und Freizeitprogrammen. Wie Mina Vorndran, im Hauptberuf Integrationshelferin. Gemeinsam mit einer Freundin kommt sie einmal wöchentlich als ehrenamtliche Mentorin für einen Spiel- oder Back-Nachmittag in die zwischen Autobahnzubringer und Eisenbahntrasse eingequetschte Mainzer Sammelunterkunft.
    "Also, seit einem knappen Jahr bin ich jetzt hier. Und hab' viele Kinder auch mitbekommen von Anfang an, mehr oder weniger, als sie nach Deutschland kamen. So - das Sprachliche - es ist unwahrscheinlich, wie schnell das gewachsen ist, wie gut sich die Kinder mittlerweile verständigen können. Am Anfang konnten sie einfach gar nichts."
    Jetzt haben die Kindergarten- und Schulkinder ihren Eltern meistens schon viel voraus. Sie sind integriert in Kita-Gruppen und Klassen, haben Deutsch im Handumdrehen gelernt, während die Eltern ohne Arbeit in den Wohnblocks der Sammelunterkunft ausharren. Die vierzehnköpfige christliche Großfamilie aus Ägypten lebt seit mehr als einem Jahr in Mainz, ganz oben im Flüchtlingsheim. Doch noch nicht mal das Interview im Rahmen des Asylverfahrens hat stattgefunden. Das Warten zermürbt, sagt Rami Shehata, der immerhin einen Deutschkurs bei der Caritas machen konnte. Bunte Luftballons schmücken eines der Wohn-Schlafzimmer. "Die preisgünstigste Weihnachtsdekoration", entschuldigt sich der junge Kopte.
    "Ja, wir warten - Zukunft - Futur - wir wollen das machen."
    Unten im Aufenthaltsraum kniet sich Mina Vorndran zu Emma. Mit Feuereifer arbeitet das Mädchen an ihrem Knusperhaus.
    "Guck mal, willst du hier so einen Stern drauf machen - Kleber, jetzt kannst du ihn dahin machen, wo du möchtest."
    Emma kleckst großzügig zähen Zuckerguss in die Fugen zwischen den Butterkeks-Wänden, pappt einen Zimtstern-Ziegel aufs Lebkuchendach.
    - "Wie alt bist du? - Vier. - Und woher kommst du? - Aus Syrien".
    "Eklig", murmelt die achtjährige Angela aus Serbien und deutet auf den klebrigen Zucker-See auf Emmas Pappteller. Emma stemmt die Hände in die Hüften und beschwert sich:
    - (Emma) "Die sagt, meins ist ekelig! Da: ekelig!"
    - (Angela) "Hab' ich nur Spaß gemacht."
    - (Emma) "Nein, hast du Spaß gemacht!"
    So schnell will sich die entrüstete Vierjährige aus einer muslimischen Familie nicht besänftigen lassen. Wie Angela, die Achtjährige aus einer christlichen Familie, kam auch Emma vor rund einem Jahr nach Deutschland. Sie besucht eine Mainzer Kita, Angela die Grundschule.
    Syrischer Beitrag zur deutschen Knusperhaus-Baukultur
    "Schneeflöckchen, Weißröckchen wann kommst du geschneit?"
    Nach Weihnachtsliedern muss man die Flüchtlingskinder nicht zweimal fragen. Die energische Angela trommelt sofort einen ökumenischen Chor zusammen, christliche und muslimische Kinder singen gemeinsam aus voller Kehle.
    "Schneeflöckchen ... Nein: Komm, setz dich ans Fenster ..."
    Mit perfekten Text-Kenntnissen fällt vor allem die neunjährige Rehan aus muslimischer Familie auf:
    "Weil - ich hab gelernt - in Schule. Ich hab auch zuhause gelernt - nicht mit meinen Eltern - ich allein!"
    Dass Serbien und Mazedonien unlängst neben anderen Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt wurden und ihre Familien daher vermutlich nicht in Deutschland bleiben können, ahnen die aufgeweckten Mädchen Angela und Rehan nicht. Die Kinder wirken unbeschwert, beobachtet auch Mohamed Jabry, unabhängig von den Sorgen der Eltern:
    "Die finanzielle Situation oder das Asylverfahren oder was auch immer, die kriegen nicht so viel mit. Die beschäftigen sich nicht so mit den großen Themen der Eltern."
    Was an diesem Nachmittag die Kleineren zum Weinen bringt, ist, dass der Zuckerguss sich als Baustoff minderer Qualität entpuppt und einige Knusperhaus-Dächer einstürzen. Die vierjährige Emma gehört nicht zu denen, die heulen. Stolz trägt sie ihren Pappteller nach Hause, darauf ein Butterkeks-Gebäude, das ein mächtiges Schokolebkuchen-Flachdach trägt. Ihr syrischer Beitrag zur deutschen Knusperhaus-Baukultur - ein Meisterwerk der Improvisation.