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Weihnachten im Nordirak
Verbrannte Erde, zerschlagene Kreuze

Das christliche Siedlungsgebiet im Nordirak ist ausgebombt und vermint. Nur Ruinen sind übrig geblieben. Niemand weiß, ob die vertriebenen Christen jemals wieder zurückkehren werden. Doch in Karamlesh, wenige Kilometer von Mossul, wollen die übrig gebliebenen Christen trotz allem in ihrer zerstörten Kirche Weihnachten feiern.

Von Martin Durm | 23.12.2016
    Irakische Regierungssoldaten in der ausgebrannten Sankt Adday Kirche im irakischen Karamlesh, wenige Kilometer östlich von Mossul.
    Irakische Regierungssoldaten in der ausgebrannten Sankt Adday Kirche im irakischen Karamlesh, wenige Kilometer östlich von Mossul. (SWR / Martin Durm)
    "Das hier ist Sankt Adday", sagt Abuna Martin, "Sieh Dich um: Sie haben alles niedergebrannt, haben die Statuen von Christus und der Heiligen Jungfrau zerschlagen."
    Langsam setzt er den rechten Fuß über die Schwelle, verharrt einen Moment und zieht dann den anderen nach. Er hatte versprochen, die Kirche sei "clear", gesäubert von improvisierten Sprengsätzen. Aber so ganz traut er der Sache offenbar doch nicht.
    "Sie haben den Altar zertrümmert. Und sie haben die Gräber der Priester aufgebrochen, die hier beerdigt sind."
    "Sie kamen, um unsere Kirche zu zerstören - aber wir sind wieder zurück"
    Abuna Martin ist der Pfarrer von Sankt Adday. Mit ihm taste ich mich durch das, was übrig bleibt, wenn sich dschihadistischer Furor austobt: Eingestürzte Gewölbe, verbrannte Bilder, Statuen, die so entstellt sind, dass sie einem fast leid tun. Bevor sie abzogen, verlegten die IS-Terroristen Sprengsätze in den Kirchen und Klöstern.
    "Ist das hier immer noch ein heiliger Ort?", frage ich Abuna Martin. "Natürlich", sagt er. "Sie kamen, um unsere Kirche zu zerstören, aber für uns ist das immer noch Sankt Adday. Wir sind wieder zurück. Heute Nachmittag werden wir hier wieder beten. Das Ave Maria. So gegen 16 Uhr."
    Wir sind in Karamlesh, wenige Kilometer vor östlich Mossul. Über 100.000 Christen lebten in dieser Region. Im Sommer 2014 wurde das christliche Siedlungsgebiet im Nordirak von den Dschihadisten erobert, die Bewohner vertrieben, die Sakralbauten geschändet. Seit Herbst versucht nun die sogenannte Anti-IS-Koalition, Mossul und Umland zurückzuerobern.
    Täglich bringen Helfer Verwundete von der Front
    Wie auf einer Bühne entrollt sich das Kriegsgeschehen vor Mossul. Kampfhubschrauber knattern über uns hinweg Richtung Westen, aus Osten kommen die Krankenwagen. Irgendwo vor Karamlesh sind dumpfe Detonationen zu hören, Sekunden später schraubt sich eine weiße Rauchsäule hoch in den Himmel über der Stadt.
    "Seit heute Morgen haben sie 80 Verletzte aus Mossul gebracht", sagt Dr. Assad. Am Straßenrand hat er mit Ärzten und Pflegern ein Sanitätszelt errichtet. Aus der Zahl der Verletzten lässt sich die Intensität der Kämpfe ableiten:
    Ein grauer, verbeulter Lieferwagen fährt vor, die Tür wird aufgerissen, im Innenraum liegen fünf Verwundete in ihrem Blut. "Das Kind zuerst", sagt Dr. Assad, und aus dem Wagen kriecht eine verschleierte Frau, die ihr dreijähriges Mädchen in seine Arme legt.
    Pfleger tragen die Verletzten ins Sanitätszelt, schneiden ihnen die blutverkrusteten Kleider vom Leib. Nach wenigen Minuten ist die Bodenplane schwarzrot verschmiert und bedeckt mit gebrauchten Kompressen, Spritzen und aufgerissenen Infusionen. "Wasser", ruft ein alter Mann, dem Granatsplitter die Beine zerfetzten. "Wo sind meine Kinder, ich kann nichts mehr sehen …"
    2014 flohen die Christen aus Mossul, 2016 fliehen auch die Muslime
    Der IS will die Zivilisten durch gezielten Beschuss daran hindern, die umkämpfte Stadt zu verlassen. Kinder, Frauen, alte Männer sollen im Häuserkampf als menschliche Schutzschilde dienen. 80.000 Zivilisten gelang bislang die Flucht. Hunderttausende sind noch immer Geiseln des Krieges.
    Im Sommer 2014 flohen die Christen; nun, im Winter 2016, flüchten auch Mossuls Muslime vor dem IS. Die Zeiten haben sich geändert. Als die Dschihadisten die Stadt übernahmen, standen Tausende am Straßenrand und bejubelten den Einzug der Terrormiliz. Mossuls Einwohner, in der Mehrheit Sunniten, waren über Jahre hinweg vom schiitischen Regime in Bagdad diskriminiert und gedemütigt worden. Die sunnitischen IS-Kämpfer wurden von vielen als Befreier gefeiert. Heute ist das vergessen.
    "Bei Gott, wir sind so froh, dass uns die Armee vom IS befreit hat", sagen die Flüchtlinge. Und einer versichert: "Ich kenne mindestens 50 aus Mossul, die sich dem IS angeschlossen haben. Ich kenn‘ sie alle. Wenn der Krieg vorbei ist, geh ich zurück und zeige sie alle dem Sicherheitsdienst an."
    Mossul 2016 markiert die Rückkehr des Religionskriegs
    Keiner war dabei, keiner hat mitgemacht, alle waren dagegen ... Es kommt einem ziemlich bekannt vor.
    Der Himmel über Mossul ist an manchen Tagen so makellos blau, dass die Kampfhubschrauber mit ihren Luft-Boden-Raketen aussehen wie Libellen. Ich bin nicht in der Lage zu sagen, wer für all das verantwortlich ist. Saddam Hussein, George W. Bush, die alte, innerislamische Zwietracht zwischen Schia und Sunna? Die meisten irakischen Christen jedenfalls haben genug vom Elend in diesem zerrissenen Land:
    "Neben uns wohnten Muslime, das waren unsere Nachbarn", sagt Chalida, eine Christin aus einem Vorort von Mossul. "Wir waren miteinander befreundet. Aber als der IS kam, haben sie uns verraten. Sie haben sich mit den Dschihadisten verbrüdert. Als wir flohen, saßen sie vor ihren Häusern und lachten uns aus. Das war unfassbar. Sie waren doch unsere Nachbarn. Und plötzlich liefen sie zum IS über, gingen in unser Haus, nahmen mit, was ihnen gefiel. Wie sollten wir je wieder zusammen leben?"
    Immer wieder erzählen Christen solche Geschichten: wie Nachbarschaften, Freundschaften und Weltvertrauen zerbrechen. Wie ein Land in seine ethnischen und religiösen Einzelteile zerfällt. Mossul 2016 markiert die Rückkehr des Religionskriegs.
    "Wir haben noch Hoffnung. Es muss ja irgendwie weitergehen"
    "Nichts ist mehr, wie es war", sagt Baschar Warda, Erzbischof der chaldäischen Christen. "Alles hat sich verändert. Das Vertrauen, zusammen leben zu können, ging in diesem Krieg verloren. Früher haben hier 100.000 Christen gewohnt. In Zukunft werden es weniger sein. Aber glauben Sie mir: Es werden noch Christen da sein. Wie viele, das wissen wir nicht."
    In Sankt Adday räumen sie trotz allem schon mal den Bombenschutt weg, verbrennen auf dem Vorplatz die Überreste des Beichtstuhls, reparieren den Glockenturm. Abuna Martin, der Pfarrer, ist 25 Jahre alt. Vielleicht muss man so jung sein, um in dieser Ruine an den Neubeginn glauben zu können. Und so zupackend wie die jungen Frauen und Männer, die ihn dabei unterstützen. Zwei Dutzend dürften es sein. Zweieinhalb Jahre lebten sie in Flüchtlingslagern. Jetzt wollen sie wieder zurück.
    "Das ist unser Land", sagen sie, "Wir haben noch Hoffnung. Es muss ja irgendwie weitergehen."
    Vor einigen Jahren sind Archäologen bei Ausgrabungen in dieser Gegend auf die Überreste einer uralten Kirche gestoßen. Sie stammte aus dem 1. Jahrhundert nach Christi Geburt. "Wo werdet ihr dieses Jahr Weihnachten feiern?", frage ich Abuna Martin. "Hier", sagt er, "Ich wäre sehr glücklich, wenn wir es hier feiern könnten."