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Weimarer Republik
Vor 100 Jahren erschossen Rechtsradikale Matthias Erzberger

Seitdem er den Waffenstillstandsvertrag von 1918 - angeordnet von der Generalität - unterzeichnet hatte, war der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger Hassfigur der Weimarer Rechten. Am 26. August 1921 wurde er von zwei Ex-Offizieren mit acht Schüssen brutal ermordet.

Von Bernd Ulrich | 26.08.2021
    Ein Plakat vor dem Eingang der Mattthias-Erzberger-Gedenkstätte in Gomadingen-Buttenhausen (Kreis Reutlingen) zeigt ein Porträt des Politikers. Erzberger unterzeichnete im Jahr 1918 im Wald von Compiègne (Frankreich) das Waffenstillstandsabkommen, das den 1. Weltkrieg beendete. Erzberger wurde am 20. September 1875 in dem Haus in Buttenhausen geboren.
    In Gomadingen-Buttenhausen (Kreis Reutlingen) steht die Mattthias-Erzberger-Gedenkstätte (dpa / picture alliance / Rolf Haid)
    "Mein Vater ist am Vormittag, so zwischen 10 und 11 Uhr, mit einem anderen Reichstagsabgeordneten, Carl Diez, zum Kniebis gegangen. Und meine Mutter war zuhause in Griesbach geblieben, im Hotel, und ich war auch bei ihr gewesen."
    Am 26. August 1921 war der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger während des üblichen Sommerurlaubs in Bad Griesbach im Schwarzwald schon am Vormittag zu einem längeren Spaziergang aufgebrochen. Seine damals siebenjährige Tochter Gabriele Erzberger berichtete 50 Jahre später in einem Rundfunkgespräch, was dann geschah:
    "Dann trat so gegen Mittag – ich weiß die Zeit natürlich nicht mehr genau – trat ein Geistlicher ins Zimmer, der mit meinen Eltern bekannt war. Und meine Mutter ging auf ihn zu und sagte: Was ist mit meinem Mann? Ist er gestürzt oder ist er angeschossen worden? Darauf hat der Geistliche nur genickt, und sie sagte dann weiter: Lebt er noch oder ist er tot? Und der Geistliche sagte daraufhin: Er ist tot!"

    Ein noch heute verstörendes Ausmaß an Verachtung

    Erzberger lag zu diesem Zeitpunkt, getroffen von acht Kugeln, zusammengekrümmt am Abhang des Spazierwegs, den er mit seinem Kollegen Carl Diez beschritten hatte. Dem war es schwer verletzt gelungen, Hilfe zu holen. Nicht ohne auf dem Weg einer Frau zu begegnen, die auf seine Schilderung des Mordes nur zu entgegnen wusste, wie er denn nur mit "so einem" spazieren gehen könne – ein noch heute verstörender Ausdruck für die Verachtung, die dem Zentrumspolitiker entgegenschlug. Gabriele Erzberger:
    "Damals war also die Hetze der rechtsradikalen Kreise sehr stark, und meine Mutter war schon immer sehr in Sorge um das Leben meines Vaters, dass ihm irgendetwas zustoßen könnte, er selber war also von Natur optimistisch."
    In einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne nahe Paris treffen die deutsche Delegation unter Führung des Reichstagsabgeordneten Matthias Erzberger (M) und der französische General und Oberbefehlshaber der Alliierten, Ferdinand Forch (r, stehend) zusammen.
    Waffenstillstandsvereinbarungen in Compiègne
    Am 11. November 1918 endete der Erste Weltkrieg. Im Wald von Compiègne unterzeichnete der Leiter der deutschen Delegation den Waffenstillstandsvertrag. Die harten Bedingungen sollten verhindern, dass Deutschland den Kampf fortsetzen konnte.
    Erzberger war bereits während des Ersten Weltkriegs durch sein Eintreten für einen Verständigungsfrieden in die Schusslinie all jener geraten, die trotz hoher Verluste auf Sieg setzten. Vor allem aber seine Unterschrift unter die Waffenstillstandsvereinbarungen in Compiègne am 11. November 1918 – sie beendeten mit sofortiger Wirkung die Kampfhandlungen – machten ihn zur Zielscheibe aller Deutschnationalen und Rechtsradikalen. Die von ihnen lancierte, durch den Bezug auf deutsche Heldensagen mythisch aufgeladene Legende vom "Dolchstoß in den Rücken des kämpfenden Heeres" fand in Erzberger quasi die Personalisierung der Schuld an der deutschen Niederlage. Überdies war er – zumal nach Inkrafttreten des Versailler Vertrags 1920 - zur Symbolfigur für die von vielen Deutschen abgelehnte neue Republik geworden. Kurt Tucholsky zog in seinem kurz nach dem Mord publizierten Gedicht "Nachruf" bittere Bilanz. Die vierte und fünfte Strophe lauten:
    "Das kann der Deutsche nicht vertragen:/ dass einer ihm die Wahrheit sagt, / dass einer ohne Leutnantskragen/ den Landsknechtgeist von dannen jagt
    So fielst du./ Hinter deiner Bahre/ gehn grinsend, die den Mord gewollt:/ in Uniform und im Talare/ der wildgewordne Teutobold"
    Dabei war der Waffenstillstand einst kategorisch von den leitenden Militärs, insbesondere von Hindenburg und Ludendorff, gefordert worden. Und Erzberger als Leiter der deutschen Waffenstillstandsdelegation – ein Amt, das er nur widerwillig angenommen hatte – wurde von Hindenburg geradezu angewiesen, sofort und bedingungslos zu unterzeichnen. Doch das alles geriet schnell in Vergessenheit oder wurde vertuscht.

    Erzbergers Mörder wurden nach 1945 halbherzig angeklagt

    Am 31. August 1921 fand die Beisetzung Matthias Erzbergers statt. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Mörder, zwei Ex-Marineoffiziere, bereits ins Ausland entkommen. Gedeckt von Justiz und Polizei, wurden sie auch nach 1945 nur halbherzig angeklagt und waren nach Verkündung der Urteile schnell wieder auf freiem Fuß.
    Freikorps ziehen mit Gefangenen durch die Münchner Straßen.
    Gräueltaten in der Weimarer Republik
    Der Historiker Mark Jones hat in einem Buch die Gräueltaten rund um das Jahr 1919 untersucht. Seine These: Deutschland sei bereits in den Gründungsjahren der Weimarer Republik auf den Kurs eingeschwenkt, der später in den Nazi-Horror mündete.
    Die Trauerrede auf dem Friedhof von Biberach hielt der damalige Reichskanzler und Parteifreund Joseph Wirth. Biberach gehörte zu Erzbergers Wahlkreis, der ihn für das Zentrum immer wieder als Reichstagsabgeordneten aufgestellt hatte. Die Beisetzung sollte zum politischen Fanal werden, um die politischen Morde und die Angriffe auf die Demokratie zu beenden. Kurt Tucholsky wusste es besser:

    "Und wie dein Blut die Steine netzte/ da atmet auf das Militär/ Es kondoliert, wer grad noch hetzte / Du warst der Erste nicht – bist nicht der Letzte."
    Und es hörte nicht auf – ein knappes Jahr später, am 24. Juni 1922, wurde Außenminister Walter Rathenau von rechtsradikalen Verschwörern gegen die Republik heimtückisch ermordet.