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Weinberg: Erfüllen in den Großstädten nicht die Erwartungen bürgerlicher Wähler

Der Hamburger CDU-Landesvorsitzenden Marcus Weinberg wünscht sich ein moderneres und kreativeres Erscheinungsbild seiner Partei. Die CDU müsse sich Gedanken machen, wie sie als moderne Mitmachpartei und als Bürgerpartei wahrgenommen werden könnte, die nicht den Traditionen der 70er- oder 60er-Jahre nachhängt.

Marcus Weinberg im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.12.2012
    Jasper Barenberg: Ruhig, respektvoll, harmonisch – so wünscht sich die Führung der CDU ihren Bundesparteitag in Hannover, der heute mit ersten Gremiensitzungen beginnt. Was Wunder! Das Treffen soll natürlich Zuversicht ausstrahlen und Optimismus, zunächst für die Wahl in Niedersachsen, aber natürlich auch mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr einerseits. Andererseits zeichnet sich Streit über wichtige gesellschaftspolitische Themen ab – die Stichworte dazu: Frauenquote, steuerliche Gleichstellung der Homo-Ehe, höhere Rentenansprüche für Mütter. Man könnte sogar auf den Gedanken kommen, dass der Streit geradezu gewünscht ist, denn schon eine Weile denken Christdemokraten auch darüber nach, ob die CDU nicht langsam den Anschluss verliert, vor allem an das Lebensgefühl der Menschen in den großen Städten. – Gedanken darüber hat sich auch Marcus Weinberg gemacht. Der CDU-Landesvorsitzende in Hamburg ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen.

    Marcus Weinberg: Schönen guten Morgen!

    Barenberg: Herr Weinberg, Sie haben kürzlich gesagt, die CDU soll modern statt spießig sein, kreativ und offen statt langweilig. Heißt das im Umkehrschluss, Sie erleben Ihre Partei im Moment vor allem als unmodern, als spießig und als langweilig?

    Weinberg: Nein! Unsere Partei ist schon modern, insbesondere was die Grundposition, die Grundwerte betrifft. Da sind wir modern aufgestellt. Allerdings verspüren wir schon eine Wahrnehmung auch gerade in größeren Städten oder in Großstädten, dass wir in Teilen nicht das treffen, was gerade viele Bürgerliche in Städten auch an Erwartungshaltung haben. Das betrifft die Themenauswahl und das betrifft auch gelegentlich das Auftreten und da wünsche ich mir schon ein modernes, ein kreatives Erscheinungsbild mit einer Partei, die schnell auf die neuen Herausforderungen auch Antworten geben kann.

    Barenberg: Bei welchen Themen haben Sie denn da den größten Nachholbedarf?

    Weinberg: Ich glaube, dass wir in den traditionellen CDU-Themen, Sicherheit, Sauberkeit, Ordnung, Wirtschaft, Finanzen, dass wir in diesen Kernfeldern weiterhin auch unsere Stärke haben. Das ist richtig. Aber gerade in gewissen Regionen gibt es auch Bedarfe nach einer höheren Lebensqualität im Sinne von lebenswerte Stadt, kreative Wirtschaft, Fragen von Umwelt, Stichwort Carsharing oder Elektromobilität, genauso wie das Thema moderner, qualitativ hochwertiger Kindertagesstätten. Da gibt es schon ein Denken der Menschen hin zu einer Kombination: auf der einen Seite einen sicheren Arbeitsplatz, auf der anderen Seite aber auch qualitativ hochwertige Kindertagesstätten und eine saubere Umwelt. Und da müssen wir hier und da, glaube ich, die Themen auch frühzeitig erkennen und aufnehmen.

    Barenberg: Und da ist es dann nicht so besonders günstig, wenn eine Partei wie die CDU einem Projekt wie dem Betreuungsgeld zustimmt?

    Weinberg: Das kann man auch anders bewerten, denn das Betreuungsgeld honoriert ja einen Lebensentwurf von Familien und wir als CDU sollten nicht, wie grundsätzlich die Politik, nicht Lebensentwürfe bewerten und einseitig unterstützen, sondern auf der anderen Seite haben wir ja auch die Kindertagesstätten, den Krippenausbau mit einem Rechtsanspruch versehen. Das hat zuvor noch keiner gemacht. Also auf der einen Seite die Krippen ausbauen, dafür sorgen, dass wir hochwertige Krippenplätze haben, und auf der anderen Seite aber auch für die Familien, die einen anderen Lebensentwurf haben, die für sich entschieden haben, sich in den ersten drei Jahren um die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder zu kümmern, dass wir diesen Familien auch etwas anbieten als Staat, als Politik. Insoweit ist das Betreuungsgeld und der Krippenausbau in Gänze zu sehen. Und eines sei auch bemerkt: Es wird keine Krippe, kein Krippenplatz weniger gebaut, ausgebaut werden, weil wir das Betreuungsgeld haben.

    Barenberg: Sie haben den Krippenausbau genannt. Inhaltlich hat die Kanzlerin, hat die CDU ja einige, sagen wir, moderne Impulse zugelassen in der CDU: Atomausstieg, Abschied von der Wehrpflicht, Elterngeld. Sind damit die Konservativen nicht schon genug geschreckt und verschreckt in der CDU und in der Wählerschaft?

    Weinberg: Nein. Richtig ist, dass wir sehr pragmatisch auch diesen neuen Herausforderungen begegnet sind, und ich halte die Entscheidungen auch alle für richtig. Unser Fokus lag ein wenig auf der Bewertung und Wahrnehmung der CDU in der Stadt, und gerade in größeren Städten gibt es weitere Entwicklungen, veränderte gesellschaftliche Prozesse wie einen verstärkten Wegfall von Bindungen, von Familienstrukturen. Da müssen wir weiter progressiv auch arbeiten und da müssen wir auch als CDU progressiv Antworten finden, und das war auch das, was uns bewegt hat, noch mal darüber nachzudenken, wie tritt momentan die CDU in Großstädten auf. Und wenn wir jetzt der Reihe nach bei Wahlen bei nur 20 Prozent liegen, Berlin, Hamburg, Bremen, dann muss uns das zu denken geben, wie wir dieses auch in den nächsten Monaten und Jahren angehen können.

    Barenberg: So ganz verstanden habe ich allerdings noch nicht, was konkret die Themen sind, die Sie neu auf die Tagesordnung setzen wollen, und ich habe auch noch nicht so ganz verstanden, was sich im Auftreten verändern muss, wenn Sie stärker Erfolg haben wollen wieder beim städtischen Publikum.

    Weinberg: Zum einen sollten wir, gerade was gesellschaftliche Prozesse betrifft in Großstädten oder größeren Städten, auch gewisse Bürgerbewegungen unterstützen, und zwar an der Spitze auch. Und wenn sie über die Themen diskutieren, dann sind das gerade die Themen wie Elektromobilität, Carsharing, wo man sagt, was bedeutet eine lebenswerte Stadt für die Menschen, und das ist halt die Koppelung. Zum einen sichere Arbeitsplätze, stabile Finanzen und natürlich Sicherheit, also traditionelle CDU-Themen, aber auch die Themen Wissensgesellschaft, Bürgergesellschaft, Integration. Gerade in einer Stadt wie Hamburg ist das Thema Integration eines der bedeutenden Themen der Zukunft, und da sollten wir früher und frühzeitiger Impulse auch setzen, übrigens auch beim Thema Bürgerbeteiligung. Wie können wir auch die neuen Formen der Bürgerbeteiligung mit in die CDU integrieren? Diese sehr temporäre und punktuelle Beteiligung von Menschen an politischen Prozessen, auch da müssen wir uns Gedanken machen. Muss man immer gleich CDU-Mitglied sein, um an gewissen Entscheidungen mit beteiligt zu werden, oder gibt es auch andere Formen der Beteiligung, der punktuellen Beteiligung. Ich glaube, da müssen wir auch uns Gedanken machen als CDU, wie wir als moderne Mitmachpartei und als Bürgerpartei wahrgenommen werden, die nicht den Traditionen bei allem Respekt der 70er- oder 60er-Jahre nachhängt, sondern dann auch neue Formen des Auftretens wählt.

    Barenberg: Herr Weinberg, als leuchtendes Vorbild genannt wird ja immer wieder Ole von Beust in diesem Punkt, was eine moderne Großstadtpartei, die CDU leisten könnte. Folge seinerzeit als erster Bürgermeister war allerdings, dass die SPD heute in Hamburg mit absoluter Mehrheit regiert und dass die CDU mehr oder weniger eine Randerscheinung ist in der Stadt. Ist dieser Kurs der Modernisierung nicht schon gescheitert?

    Weinberg: Nein, im Gegenteil! Ich erinnere daran, dass Ole von Beust mit seinem Kurs der Modernisierung, mit seinem Kurs, auch die Stadt mitzunehmen, über 42 und 47 Prozent der Stimmen erreicht hat. Und der Weggang von Ole von Beust und dann sicherlich auch einzelne Themen der Hamburger Politik, Stichwort Schulreform, Stichwort auch eine sehr schwierige Diskussion über den Koalitionsvertrag mit den Grünen, haben dazu geführt, dass wir auf 21 Prozent gefallen sind. Aber im Kern war es so, dass unter Ole von Beust wir mit 47 Prozent etwas geschafft haben, was wir vorher nie geschafft haben, in Hamburg die absolute Mehrheit zu holen, und wenige Jahre später sind wir auf 21 Prozent zurückgefallen. Das heißt auch in der Erkenntnis, dass eine Person, die diese Stadtgesellschaft wirklich lebt, wie Ole von Beust, dass der es gelingen kann, wenn sie moderne und neue Themen aufnimmt, aber genauso traditionelle Themen besetzt, dass es gelingt, auch in der Stadt, in einer sozialdemokratisch dominierten Stadt die absolute Mehrheit zu holen. Und das ist dann eingebrochen, nachdem Ole von Beust auch zurückgetreten ist.

    Barenberg: Herr Weinberg, ganz kurz zum Schluss. Machen wir es an einem Punkt konkret: die steuerliche Gleichbehandlung von homosexuellen Paaren. Die Kanzlerin hat gesagt, sie ist da konservativ eingestellt, das kommt mit ihr für sie persönlich nicht infrage. Was ist Ihre Antwort mit Blick auf den Parteitag?

    Weinberg: Ich werde wahrscheinlich für den Antrag stimmen. Ich habe mich auch damals dafür eingesetzt, weil ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen – und das ist bei gleichgeschlechtlichen Paaren der Fall -, dass dort auch der Staat die Aufgabe hat, in der Steuergesetzgebung die Gleichstellung zu entwickeln. Deswegen werde ich diesen Antrag auch unterstützen, wobei ich mir ehrlich gesagt gewünscht hätte, dass wir jetzt nicht eine solche Kontroverse auf dem Parteitag ausleben, sondern noch gewartet hätten, bis auch das Verfassungsgericht sein Urteil fällt. Ich glaube aber – und das ist meine Position -, dass es richtig ist, dass wir gleichgeschlechtlichen Paaren auch in der Steuergesetzgebung die Gleichstellung ermöglichen.

    Barenberg: Der CDU-Landesvorsitzende der Freien und Hansestadt Hamburg heute Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Marcus Weinberg, für das Gespräch.

    Weinberg: Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.