Archiv


Weischenberg

Stephan Detjen |
    Detjen: Ein Journalist spricht mit dem Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbandes über den Zustand des Journalismus in Deutschland. Herr Weischenberg, für den Hörer drängt sich da wahrscheinlich zu recht der Verdacht auf, dass da Befangene miteinander sprechen. Kann der Vorsitzende eines Berufsverbandes mit selbstkritischer Distanz über die eigene Professur sprechen?

    Weischenberg: Ja, ich hoffe, dass ich das kann. Ich werde doch im Grunde genommen ständig dazu vernommen; das ist Teil des Geschäfts, dass ich vor allem dann gefragt werde, wenn ‚Medienunfälle' passiert sind - in Anführungsstrichen -, wenn ethische Grenzen überschritten worden sind. Der DJV ist schon ganz wesentlich auch dazu da, eine Art kritischer Selbstreflexion in Gang zu halten, und das ist Teil meines Geschäfts.

    Detjen: Über die Frage ‚Grenzüberschreitung' werden wir uns unterhalten. Ich will aber auch aus meiner eigenen Befangenheit keinen Hehl machen: Bevor ich Parlamentskorrespondent in Berlin wurde, war ich Korrespondent des DeutschlandRadios in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht, einer journalistischen Idylle. Folglich habe ich selber erst mal eine Art professionellen Kulturschock erlebt, als ich in die Hauptstadt kam. Damit stehe ich nicht allein, vielen Kollegen und Politikern in Berlin geht es ähnlich. Es heißt, der Journalismus sei aggressiver geworden, sensationslüsterner, oberflächlicher. Erlebt die Berliner Republik einen Qualitäts- und Substanzverfall des politischen Journalismus?

    Weischenberg: Ach, so würde ich das nicht sagen, das ist mir zu plakativ. Man kann vielleicht in diesem Zusammenhang mal dieses Schlagwort der Amerikanisierung verwenden, weil das Ganze doppelgesichtig ist. Zum einen - und das finde ich positiv - hat der politische Journalismus vor allem - das ging schon ein bisschen früher los -, aber vor allem dann durch den Regierungswechsel nach Berlin an Respektlosigkeit gewonnen. Also das, was wir eigentlich so ein bisschen mit amerikanischem Journalismus verbinden - Nachfassen in Interviews, eine gewisse Distanz, kritische Kontrolle, auch mehr Investigatives -, das kann man jetzt verstärkt feststellen. Die Kehrseite der Amerikanisierung ist sicherlich sehr viel mehr Entertainment als früher, auch eine größere Aufgeregtheit, eine kürzere Verfallzeit von Themen. Also, wenn beides zusammengenommen wird, haben wir - etwas mehr als früher - amerikanische Verhältnisse im politischen Journalismus.

    Detjen: Die Politik kann sich ja relativ problemlos darauf einstellen auf die Eigengesetzlichkeiten der Mediendemokratie. Der Kanzler bekennt freimütig, für ihn reichen BILD, BAMS und Glotze. Das heißt, Medien dienen nicht mehr der Information, sondern als Stimmungsbarometer. Und dann ist es auch nicht verwunderlich, wenn das wichtigste Forum politischer Diskussion gar nicht mehr unbedingt das Plenum des Deutschen Bundestages, sondern die Talkrunde von Sabine Christiansen ist. Kommen wir da in eine Unterhaltungsdemokratie hinein?

    Weischenberg: Ja, wir reden ja viel von der ‚Spaßgesellschaft', das ist irgendwo ein bisschen Teil der Spaßgesellschaft, ist Zug der Zeit, hat auch nicht unbedingt mit Berlin zu tun, verdichtet sich nur in Berlin - in Berlin-Mitte, wo man jetzt näher beieinander ist. Es ist klar, das Ganze hat eine stärker an Unterhaltung ausgerichtete Orientierung. Da sitzen die Journalisten mit den Politikern auf einem Karussell, das sich immer schneller dreht. Das wird man auch nicht anhalten können; man kann bei gutem Willen das vielleicht ein bisschen verlangsamen. Aber es ist Zug der Zeit, dass wir auch im Bereich der politischen Kommunikation so miteinander verhandeln, wie das im Moment geschieht.

    Detjen: Ein Teil dieses Zuges der Zeit ist, dass sich das Karussell von Politik und Medien immer schneller dreht, das heißt, die Beschleunigung der Themenwechsel, die wir erleben. Allein in den letzten zwölf Monaten haben wir gesehen, wie im rasanten Tempo Kohl, Kampfhunde, ostdeutsche Glatzen, wahnsinnige Rinder, Boris Becker über die Bildschirme und Schlagzeilen rasten. Führt das nicht zwangsläufig auch zu einer Verflachung?

    Weischenberg: Ja, es führt einerseits sicherlich dazu, dass sich die Spirale, oder -wie ich vorhin gesagt habe - das Karussell immer schneller dreht. Auf der anderen Seite haben natürlich diese Affären auch - Sie merken, ich bin da vielleicht Berufsoptimist - was Selbstreinigendes. Also, unter dem Gesichtspunkt finde ich das gar nicht so schlecht, dass wir im Rahmen von solchen Medienaffären öffentlich über Journalismus verhandeln, wie das im letzten Jahr ja in auffällig häufigem Maße geschehen ist. Es führt, wenn wir solche Fälle nehmen wie etwa Tom Kummer - da ging es ja um die gefälschten Interviews - oder auch Holo, wo es buchstäblich um Entgrenzung des Journalismus geht - es führt schon dazu, dass man auch innerhalb der Profession des Journalismus verstärkt darüber nachdenkt, was man machen soll und was man möglichst doch unterlassen sollte. Also, insofern ist das eine zweischneidige Angelegenheit. Wir neigen natürlich dazu, aufgrund der aktuellen Ereignisse vielleicht früheren Journalismus auch zu idealisieren. Journalismus war nie rein, war nie frei von Unterhaltungseffekt, war - gerade im 19. Jahrhundert - keineswegs nur geprägt von Aufklärung und politischer Orientierung.

    Detjen: Aber da kommt ja diese klassische Verknüpfung von Demokratie und Medien her. Ist das überhaupt noch symptomatisch für Journalismus in Deutschland, oder werden nicht längst auch Entwicklungen, wie wir sie etwa im Fall Sebnitz auch beobachtet haben, wo ein sensationslüsterner, voreiliger, schlecht recherchierender Journalismus im Ergebnis auch Verheerungen angerichtet hat, die die sächsische Landesregierung - wie jetzt in der zurückliegenden Woche angekündigt - mit einem Millionen-Hilfsprogramm für die Stadt Sebnitz wieder gutmachen will?

    Weischenberg: Also, diese Fälle sind ja sehr eindeutig. Ob man sie allerdings in so einen ‚immer - mehr Ismus' einbeziehen sollte - also Journalismus neigt immer mehr dazu, solche Dinge zu machen -, da bin ich ein bisschen unsicher. Wir haben natürlich in all diesen Fällen, die öffentliches Aufsehen erregt haben, auch mit handwerklichen Fehlern zu tun. Die können passieren. Ich finde gut, wenn da öffentlich drüber diskutiert wird, wenn man sich Mühe gibt, die dann zu vermeiden. Ob wir in dieser Beziehung jetzt in so eine Spirale hineingeraten, die jeder Art von Aufklärung ausschließt, da hätte ich so meine Zweifel, denn ich hätte gegen diese auffallend zahlreichen negativen Beispiele im vergangenen Jahr auch ein anderes Beispiel anzuführen. Ich denke mal, unter'm Strich hat der deutsche Journalismus bei der Aufklärung über die CDU-Parteispendenaffäre so schlecht nicht ausgesehen. Wenn ich mir da die Bonner Situation vor 10, 15, 20 Jahren in Erinnerung zurückrufe, hätte ich so meine Zweifel, ob dieser Skandal in der Weise so professionell insgesamt von den Journalisten angepackt worden wäre, wie das jetzt geschehen ist. Und es war ja in dem Fall auffallenderweise nicht sozusagen das klassische Aufklärungsmedium SPIEGEL, sondern das verteilte sich. Und auch die Medien, die der CDU traditionell nahestehen, haben doch sehr professionell reagiert. Also, das war für mich eigentlich ein Punkt, wo ich gesagt habe: Vielleicht steht es mit unserem Journalismus doch nicht so schlecht, wie viele Leute glauben.

    Detjen: Lassen Sie mich auf den Fall Sebnitz nochmal zu sprechen kommen. Was ist da schiefgegangen im Journalismus? Ist das eine Folge von Marktmechanismen oder sind das schlicht handwerkliche Fehler gewesen?

    Weischenberg: Ich denke, am Beispiel Sebnitz kann man recht gut deutlich machen, wie Journalismus funktioniert. Man muss ein kleines bisschen weiter ausholen. Wir hatten die Diskussion über rechte Gewalt, über Rechtsradikalismus wieder seit dem August, seit diesem Bombenanschlag in Düsseldorf. Da war es sozusagen vorthematisiert. Aber so ein Thema hält sich nicht auf der Tagesordnung, wenn's sozusagen weggeht von Ereignissen; also dieses Thema - bei allem guten Willen der Journalisten - auf der Tagesordnung zu halten, gelingt nicht, wenn nicht etwas passiert. Dann kam dieser Fall Sebnitz, der - das klingt zynisch, wenn man das sagt, aber man muss es so sagen, in starken Anführungsstrichen - ‚fast zu schön war, um wahr zu sein'. Man konnte da etwas personalisieren, geographisch präzisieren. Dann ist an dieser Stelle ein handwerklicher Fehler passiert. Die BILDzeitung hat Dinge als Tatsachen ausgegeben, die bis zu diesem Zeitpunkt allenfalls Vermutungen waren. Und in dem Zusammenhang ist etwas passiert, was auch sehr typisch ist für heutigen Journalismus: hochgradige Selbstreferenz, Selbstbezüglichkeit des Mediensystems; Medien beziehen sich auf Medien. Selbst sogenannte Qualitätsmedien sind dann wie die Lemminge hinter der BILDzeitung hergelaufen und haben auch nicht mehr gefragt und haben auch die Fragezeichen weggelassen. Und auf einmal war eine Situation da, die niemand mehr kontrollieren konnte - was übrigens an der Stelle nicht nur Schuld der Medien war, sondern auch Schuld der Politik; teilweise gab's dann also auch ein populistisches Mitmachen. Und natürlich die Ermittlungsbehörden haben zum Teil das, was die Journalisten dann als Tatsachen ausgegeben haben, auch mit auf den Weg gebracht. Viele haben ja vom GAU des Journalismus gesprochen, dem größten anzunehmenden Unfall. Richtig daran ist: Für einen GAU, das weiß man aus der Kernenergie, sind immer mehrere Faktoren. Wenn mehrere Sachen schiefgehen - gleichzeitig -, dann kommt es also zu diesem größten anzunehmenden Unfall. Und das war genau bei diesem Beispiel Sebnitz der Fall.

    Detjen: Haben die Medien, hat der Journalismus Instrumentarien, um aus solchen Erfahrungen, wie Sie sie jetzt rückblickend schildern, Konsequenzen zu ziehen?

    Weischenberg: Es gibt im Grunde genommen nur zwei Instrumente: Das eine ist Aus- und Fortbildung, dass man handwerkliche Fehler vermeidet - inklusive der Entwicklung der Fähigkeit zur Selbstreflexion und auch zur Vorsicht, auch zur ethischen Sensibilität. Das ist das eine. Und das andere ist - und da kann das Publikum wesentlich zu beitragen - große öffentliche Diskussionen, die den Journalisten, die vielleicht da unsensibel sind, zeigen: Hier sollte man bestimmte Grenzen nicht überschreiten. Wenn auf die Weise in der Öffentlichkeit negative Folgen spürbar werden, ist das wahrscheinlich die härteste Strafe für Medien auf der einen Seite und für Journalistinnen und Journalisten auf der anderen Seite. Wenn Leute das Radio nicht mehr einschalten oder bestimmte Sender nicht mehr wählen, oder - genau wie beim Fernsehen - sich von bestimmten Programmen abwenden, das ist sicherlich die stärkste Waffe, die das Publikum hat . . .

    Detjen: . . . das ist dann aber das Vertrauen auf die Quote . .

    Weischenberg: . . . ja, das Vertrauen auf die Quote auf Seiten der Produzenten kann aber auch zu absoluten Fehlentscheidungen führen. Glaubwürdigkeit ist eine ganz riskante Geschichte, wie wir aus der Kommunikationsforschung wissen. Margarete Schreinemakers ist ein gutes Beispiel dafür gewesen. Die hatte mal Quoten bzw. Reichweiten von 7 Millionen, und plötzlich hat sich das Publikum abgewendet, weil da etwas nicht mehr funktionierte. Die Frau war auch nicht mehr glaubwürdig als Person, und dann wird das Vertrauen ganz schnell entzogen. Also wer glaubt - von Seiten der Medienschaffenden -, dass Glaubwürdigkeit etwas ist, was sozusagen lebenslang verliehen ist, der wird sich gewaltig täuschen. Und das tut dann weh, wenn sich ein größerer Teil des Publikums abwendet. Das ist die stärkste Waffe des Publikums.

    Detjen: Aber nochmal nachgefragt: Kann der Blick auf die Quote, auf die Zuschauergunst tatsächlich ein Mittel zur selbstkritischen Hinterfragung von Journalismus sein? Dann wäre doch die Konsequenz daraus auch, dass Informationsvermittlung am besten im Big-Brother-Container stattfindet.

    Weischenberg: So ein Blick auf die Quote ist genau das, was ich gerade angesprochen habe. Das wäre vielleicht kurzfristig erfolgreich. Ich glaube nicht, dass das langfristig funktioniert. Es funktioniert ja, wie wir inzwischen sehen, nicht mal im Fall Big-Brother langfristig. Also, natürlich werden da immer wieder spektakuläre Unterhaltungsprogramme auf die Leute losgelassen - da werden wir auch demnächst womöglich noch ein weiteres Drehen an der Schraube erleben, aber das sind nur sehr kurzfristige Quotenerfolge. Ich glaube, dass Medien gut beraten sind, sich mit vernünftig konzipierten, das Publikum auch nicht unterschätzenden Programmen in die Öffentlichkeit zu begeben in der Hoffnung, dass man auf die Weise dauerhaft Publikum an sich bindet. Mit dem anderen Weg wird man vielleicht kurzfristig immer mal wieder Quotenerfolge erzielen, man wird vielleicht einen Teil des Publikums auch intensiver binden können, aber in bezug auf Qualitätsmedien sicherlich nicht das Publikum, was man da braucht

    Detjen: Wenn wir die Berichterstattung über die Affären des vergangenen Jahres insgesamt in den Blick nehmen, sieht man ja doch immer wieder auch die Überspitzung und die Grenzüberschreitung. Das jüngste Beispiel ist der Fall Trittin - BILDzeitung -, wo ein Bild des Bundesumweltministers in einem verfälschenden Kontext und mit verzerrenden und verfälschenden Interpretationen abgedruckt worden ist. Ist das auch das, was Sie eben einen ‚handwerklichen Fehler' nannten, wie es der Chefredakteur der BILDzeitung ja auch zu erklären und zu entschuldigen versuchte?

    Weischenberg: Also, in diesem konkreten Fall habe ich Probleme damit, das als handwerklichen Fehler im Sinne von Flüchtigkeitsfehler oder Versäumnis einzuordnen. Da drängt sich schon eher der Verdacht auf, dass es sich im weitesten Sinne um so etwas wie eine ideologische Eintrübung gehandelt hat - also insofern eigentlich auch eine ein bisschen enttäuschende Erfahrung wieder. Im Springer-Verlag hat sich ja ein bemerkenswertes Revirement abgespielt im Herbst vergangenen Jahres. Da sind von verschiedenen größeren in zentralen wichtigen Blättern Chefredaktionen ausgewechselt worden, nicht nur verjüngt worden, sondern womöglich auch politisch etwas verändert worden. Und es war schon ein bisschen auffallend, dass die ganze Ausrichtung einiger Blätter sich danach etwas veränderte. Und es ist deshalb nicht so ganz von der Hand zu weisen, dass dieser - in Anführungszeichen - ‚Fehler' damit zu tun hat. Man muss aber auch wieder an dieser Stelle sagen: Das ist ganz schnell aufgedeckt worden; es gab eine große öffentliche Diskussion. Der Schuss ist völlig nach hinten losgegangen. Also die Medien verhandeln auch in einer kritischeren Weise als früher und viel transparenter als früher über die eigenen Probleme.

    Detjen: Der Bundeskanzler hat in der Berichterstattung der Springer-Zeitungen ja eine Kampagne gewittert. Sie sehen ihn da im Recht, oder kann man da auch auf diesem Gebiet einen Rückfall der Bundesregierung in die Freund-Feind-Bilder der 70er Jahre, die uns hier einholen, wiedererkennen?

    Weischenberg: Also, mit Kampagne muss man natürlich sehr vorsichtig sein - wenn man da denkt, das ist eine von oben sozusagen konzipierte und dann auf breiter Linie abgestimmte Aktion gewesen. Also, wir sind ja noch in der Fastnachtszeit und wenn, dann wäre das eher auch ein bisschen eine närrische Kampagne - in den Effekten sicherlich für die BILDzeitung nicht lustig, aber für einige Kollegen schon etwas, worauf die eher grinsend reagiert haben. Also mein Mitleid mit dem Bundeskanzler an der Stelle hält sich auch in Grenzen. Sie haben diesen Satz, den er angeblich so nicht gesagt haben soll - ‚BILD, BAMS und Glotze reichen mir zum Regieren' - also, er hat natürlich schon in auffallender Weise sich auf relativ wenige Medien gestützt und sollte vielleicht jetzt aus einer gewissen Richtungsänderung bei bestimmten Zeitungen die Schlussfolgerung ziehen, dass er vielleicht seine ganze politische Kommunikation etwas breiter anlegt.

    Detjen: Sie haben die Diskussion über einen angeblichen Richtungswechsel beim Springer-Verlag ja erwähnt. Es gibt auch andere aktuelle Meldungen aus der zurückliegenden Woche, die da vielleicht ins Bild passen. Ich denke an die Meldung aus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, wo das Herausgebergremium einen der Mitherausgeber entlassen hat. Erleben wir da auch so etwas wie ein Stück Orientierungslosigkeit in der Medienlandschaft?

    Weischenberg: Dies ist jetzt schwer einzuschätzen. Auch der Vorgang bei der FAZ ist schwer einzuschätzen - ob dahinter tatsächlich ein breiterer Richtungsstreit steckt oder ob es eher um eine Person ging, ob es um eine Orientierungslosigkeit geht oder auch um so etwas wie eine Re-Ideologisierung in unserem Journalismus, dass also bestimmte Organe also jetzt wieder stärker - auch im Vorfeld natürlich der nächsten Bundestagswahl - eine bestimmte Position einnehmen: Wenn man das alles zusammenfasst, ja, dann müsste man auf jeden Fall Angst bekommen, wenn der Markt - der Arbeitsmarkt - für Journalisten nicht hinreichende Wahlmöglichkeiten offenhält. Und da kann man im Bereich des Fernsehjournalismus sicherlich schon ein bisschen Angst bekommen. Im Bereich des privaten Fernsehmarktes haben wir zwei große Gruppen, die das Feld kontrollieren. Wenn man also bei der einen Gruppe Probleme bekommt - bei einem Medium dieser Gruppe -, also ich meine Kirch/Springer, da hat man allenfalls noch die Möglichkeit, zu der anderen, nämlich der Bertelsmann-Gruppe, zu wechseln. Und genau so haben wir im lokalen, regionalen Bereich Formen von Machtkonzentrationen, die sich sehr problematisch auswirken können, wenn tatsächlich der Tatbestand erfüllt ist, dass Journalisten also aus politischen Gründen sozusagen das Medium wechseln müssen.

    Detjen: Sie haben jetzt erwähnt, dass sich der Journalismus gerade in den letzten 20 Jahren immer mehr auch zu einem boomenden und elektronisch globalisierten Medienmarkt entwickelt hat. Wer garantiert eigentlich heute, dass Journalismus dort nicht zu einem rein unternehmerischen Instrument der Gewinnmaximierung wird? Wer stellt heute noch publizistische Grundsätze im Journalismus sicher?

    Weischenberg: Ich sehe im Grunde genommen nur zwei Kräfte, die da wirken können. Die eine Kraft ist das Publikum. Wenn das Publikum bestimmte Dinge nicht mitmacht, wenn das Publikum - was wir hoffen wollen - weiter nach einer bestimmten Qualität von Journalismus fragt, also nach Qualitätsmedien, dann wäre mir da nicht sehr bange. Und das andere ist so etwas wie eine öffentliche Diskussion. Sie haben mich eingangs gefragt nach meiner Rolle als DJV-Vorsitzender; ich bin ja auch Kommunikationswissenschaftler und versuche also schon mit den Mitteln, die wir da zur Verfügung haben, diese öffentliche Diskussion mit in Gang zu halten. Denn wenn wir da ein bestimmtes Niveau im Journalismus unterschreiten und das Ganze sozusagen zum Teil des Unterhaltungsgewerbes deklarieren, dann geht es uns allen schlecht, denn wir brauchen guten Journalismus.

    Detjen: In aller Befangenheit, die an der Stelle natürlich ist, kann man in dem Zusammenhang auch den Sender, der dieses Gespräch ausstrahlt, erwähnen - den Deutschlandfunk. Das DeutschlandRadio mit seinen beiden Programmen - Deutschlandfunk und Deutschlandradio Berlin - hat in der letzten Media-Analyse rapide steigende Hörerzahlen verbuchen können. Wir haben uns darüber natürlich gefreut. Kann man das auch aus der Sicht des Medienwissenschaftlers als ein Indiz dafür werten, dass es tatsächlich nach wie vor einen Markt für Qualitätsjournalismus in dem ganz klassischen Sinne gibt?

    Weischenberg: Es gibt in der öffentlichen Diskussion mindestens einen Schwachpunkt in dem Zusammenhang. Das ist der, dass immer sehr gerne von ‚dem' Publikum geredet wird oder von Mehrheiten oder Reichweiten - sozusagen erst jenseits von 20 oder 30 Prozent - als solche bezeichnet werden. Das halte ich für einen ganz großen Irrtum. Im Grunde genommen setzt sich das Publikum - das wissen wir aus der einschlägigen Forschung seit langem schon - aus natürlich unterschiedlich großen, aber aus sehr vielfältigen Segmenten zusammen. Und ich denke, gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist gut beraten, nicht immer auf die ganz großen Reichweiten zu zielen, sondern sich vielleicht darauf zu konzentrieren, bestimmte - womöglich auch kleinere - Gruppen des Publikums gut zu bedienen mit einem anspruchsvollen Programm und an der Stelle dann sozusagen im bescheideneren Rahmen zu einer Vergrößerung der Reichweite beizutragen. Also, das halte ich eigentlich für das treffendere Konzept als wenn man Leute durch teilweise flaches Mainstreet-Programm nicht zu intensiveren Mediennutzern macht, sondern im Grunde genommen sie von den Medien sich wegbewegen lässt. Wir haben ja eine große Bewegung von Medien weg - gerade bei jüngeren Leuten.

    Detjen: Also haben ARD und ZDF vielleicht die richtige Entscheidung getroffen, als sie sich in der zurückliegenden Woche beim Poker um die Übertragungsrechte für die nächsten Fußballweltmeisterschaften quasi aus dem Medienmarkt ausgeklinkt haben? Ist das eine Chance für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

    Weischenberg: Es ist eine zweischneidige Angelegenheit. Also das ist im Grunde genommen - dieses ganze Thema - ein Ausdruck des Spagats, den der öffentlich-rechtliche Rundfunk ständig unternehmen muss - einerseits einem Sozialverantwortungsmodell der Medien gerecht zu werden, das heißt also, auch wirklich Minderheiten zu bedienen, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, gerade auch was Grundversorgung angeht; zum anderen natürlich auch die Mehrheiten nicht aus dem Auge zu verlieren, weil sonst eine öffentliche Diskussion losgeht nach dem Motto: Was wird mit 11 Milliarden Mark im Jahr, die an Gebühren reinkommen, eigentlich gemacht?

    Detjen: Es braucht - und das zeigt sich ja immer wieder - dennoch so etwas wie einen gewissen widerständigen Geist, um sich den starken Eigengesetzlichkeiten des Medienmarktes und der Medien schlechthin zu entziehen. Einen solchen widerständigen Geist hat vor kurzem auch das Bundesverfassungsgericht bewiesen, als es in seiner n-tv--Entscheidung dafür gesorgt hat, dass die Türen der Gerichtssäle in Deutschland für Fernsehkameras geschlossen bleiben. Das Gericht hat zur Begründung ein düsteres Bild unserer Fernsehwirklichkeit gezeichnet. Ist dieses Misstrauen, dass darin zum Ausdruck kam, gerechtfertigt?

    Weischenberg: Nun ja, das Gericht hatte natürlich auch die Aktualität verfolgt. Dieses Urteil stand ja in einem bestimmten spektakulären Kontext. Ich habe das also selbst gemerkt, weil wir da auch immer wieder gefragt worden sind - ich meine diese Scheidung des Ehepaares Becker. Also dadurch hatte ja dieses Urteil auf einmal eine besondere Bedeutung . . .

    Detjen: . . . die Personalisierung . . .

    Weischenberg: . . . die Personalisierung, der starke Druck, der da auch ausgebreitet wurde, also nun hier in jeder Beziehung Öffentlichkeit herzustellen. Also ich denke mal und vermute, das Urteil war womöglich vorher auch schon weitgehend besprochen. Aber das hat vielleicht zur der Begründung noch ein bisschen beigetragen, zu zeigen, wir dürfen hier - gerade in Hinblick auf Gerichtsverhandlungen - zirkusähnliche Veranstaltungen nicht zulassen. Ich selbst hätte mir vorstellen können, dass man das Gerichtsverfassungsgesetz aus dem Jahr 64 ein bisschen lockert an dieser Stelle, bestimmte Kontrollen einbaut, damit das Ganze nicht aus dem Ruder läuft - also bestimmte Arten von Gerichtsverhandlungen, etwa mit stärker politischem Charakter, auch gerade dann, wenn die Betroffenen einverstanden sind, zulässt, vielleicht die Urteilsverkündungen in fernseh-öffentlicher Form zulässt. Aber dazu ist es nicht gekommen. Also bis auf weiteres haben wir die sehr strikten Regelungen, die ja früher auch nicht bestanden. Das ist ja in den 60er Jahren eingeführt worden - wie ich finde, mit guten Gründen. Und ich finde also auch die Begründung, soweit ich die kenne, nachvollziehbar.

    Detjen: Es gibt gerade in letzter Zeit Juristen, Medienwissenschaftler, Sozialwissenschaftler, die eine Verrohung der Medien auch für die zunehmende Gewaltbereitschaft - gerade von Jugendlichen - verantwortlich machen und vor diesem Hintergrund nach stärkeren Kontrollen und Eingriffsbefugnissen - auch von staatlicher Seite - rufen. Kann es sein, dass man da auch den Begriff der Medienfreiheit - einer möglicherweise zu grenzenlosen Medienfreiheit - neu definieren und kritisch hinterfragen muss?

    Weischenberg: Ich bin sehr dagegen, mit Formen von Kontrolle auf Inhalte einzuwirken mit der dahinterstehenden Idee, dass man auf diese Weise sozusagen - in Anführungsstrichen - ‚positive Medienwirkung' erzeugt. Das, worauf Sie ansprechen, ist ja eine lange Diskussion, auch eine lange Diskussion in der Kommunikationswissenschaft: Wie sieht der Zusammenhang aus in der Darstellung von Gewalt in den Medien und bestimmten negativen Folgen, die jetzt insbesondere für Jugendliche hat. Die Forschungslage, der Forschungsstand ist hier zum Teil sehr, sehr widersprüchlich. Das hat damit zu tun, dass eine ganze Reihe von ganz unterschiedlichen Faktoren wirken. Da gibt es natürlich das Programmangebot, aber dann gibt es sehr, sehr unterschiedliche Biographien und sehr, sehr unterschiedliche soziale Kontexte, innerhalb derer diese Programmangebote rezipiert werden. Und das zeigt im Grunde genommen schon: Der Zusammenhang ist viel zu komplex, um da schlicht und einfach über das Programmangebot die Situation zu verändern. Dass es bestimmte Grenzen geben muss für Gewaltdarstellungen in den Medien - ich denke -, ist allen Verantwortlichen bekannt. Da wird ja auch eingegriffen. Ich habe allerdings den Eindruck, dass unterm Strich wahrscheinlich das gewalttätigere Programm sogar in den Kinos gezeigt wird, und dann relativ spät abends bei einigen Sendern. Also, da würde ich mir zum Teil auch größere Zurückhaltung erwarten. Aber ich würde nicht fordern, dass wir jetzt eine Programmkontrolle vornehmen. Jede Art von Einschränkung der Pressefreiheit - auch in allerbester Absicht - führt eher zum Gegenteil dessen, was man da eigentlich im Sinn hat.