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Weißrussland
Keine Chance auf einen Wandel

Mikalaj Statkewitsch ist der prominenteste weißrussische Oppositionelle und Häftling. Seine Frau kämpft dafür, dass er bei den Präsidentschaftswahlen am 11. Oktober antreten kann. Bislang vergeblich. Und es gibt wenig Hoffnung, dass sich das unter der Herrschaft von Präsident Alexander Lukaschenko ändert. Für den ist die Opposition inzwischen das kleinere Problem.

Von Sabine Adler | 04.08.2015
    Der ehemalige weißrussische Präsidentschaftskandidat Mikalaj (russische Schreibweise: Nikolai) Statkewitsch bei seinem Prozess 2011.
    Der ehemalige weißrussische Präsidentschaftskandidat Mikalaj Statkewitsch. (picture alliance / dpa / EPA / Tatyana Zenkovich)
    "Wir bilden eine Verhandlungsgruppe, um mit der Regierung über faire Neuwahlen zu reden ohne Lukaschenko." Der 19. Dezember 2010 war der letzte Tag in Freiheit für Mikalaj [Russisch: Nikolai] Statkewitsch. Nach seinem Aufruf zu einer erneuten Abstimmung, allerdings ohne den Amtsinhaber Lukaschenko, wurde er verhaftet. Mit ihm alle anderen Oppositionskandidaten und weit über tausend Demonstranten. Statkewitsch hatte den autoritären Herrscher, der ein weiteres Mal das Resultat der Präsidentschaftswahl fälschen ließ, schon im Wahlkampf das Fürchten gelehrt. Zum Beispiel bei seinen Auftritten im Fernsehen: "Unser Volk wird nicht in Wohlstand und Würde leben, wenn es nicht die erniedrigende Situation beendet, wo ein Flegel an der Spitze alle anderen terrorisiert und alle einander terrorisieren."
    Der letzte Auftritt war ein Frontalangriff auf Lukaschenko, den der ihm bis heute nicht verziehen hat: "Wovor hast du Angst? Organisiere faire Wahlen und zeig, dass Du die gewinnst. Du musst nicht mit deinen Umfragewerten prahlen, die fallen seit Langem."
    Der ehemalige Offizier Statkewitsch war der charismatischste, brillanteste und unerschrockenste Herausforderer. Während alle anderen Kandidaten nach einigen Wochen freigelassen wurden, sitzt er bis heute im Gefängnis, davon über ein Jahr in Einzelhaft, bei künstlichem Licht. Eine Strafverschärfung, sagt seine Frau Marina, denn verurteilt hatte man ihn zu sechs Jahren Arbeitslager. "Wir klagen nicht, aber seine Situation ist deutlich härter als bei den anderen Gefangenen. Von den 1.700 Tagen hinter Gittern war er nur acht Monate der mittlerweile fünf Jahre in einem Straflager. Lukaschenko will, dass er ein Gnadengesuch schreibt und dann Weißrussland verlässt. Mikalaj bittet nicht um Gnade. Deswegen wurde ihm die schwerste Arbeit zugeteilt, die es in dem Lager überhaupt gab, er musste Baumstämme bewegen, die zu Brettern zersägt wurden. Er, der fast 60 ist. Die Häftlinge halfen ihm. An seinem ersten Geburtstag bekam er Aufpasser an die Seite, die den ganzen Tag verhindern sollten, dass ihm jemand gratulierte. Und trotzdem fand er den ganzen Tag kleine Geschenke: Unter dem Kopfkissen ein Stückchen Brot, eins unter der Decke, andere haben ihm sogar eine Torte gebacken."
    Neklajew: "Es geht um die Unabhängigkeit Weißrusslands"
    Statkewitsch gilt als Gefangener Nummer 1, an ihm will Lukaschenko ein Exempel statuieren, mit aller Gewalt. "Wenige Tage vor seiner Verhandlung am 29. April wurden Mikalajs Anwalt und ich in die Strafkolonie gerufen, auf dem Weg nach Hause hatten wir einen Autounfall, der eindeutig provoziert worden war. Mikalaj verstand das als Versuch, mich, seine Frau, umzubringen, um den Druck auf ihn zu erhöhen, das Gnadengesuch zu stellen und so Lukaschenko von der EU-Forderung zu erlösen, ihn freizulassen."
    Marina Statkewitsch setzt den Kampf ihres Mannes fort, in der neuen Statkewitsch-Initiativgruppe für die Freilassung der politischen Häftlinge. Sollten Statkewitsch und die sechs anderen bis zur Wahl nicht frei und rehabilitiert sein, rufen sie zum Boykott auf. "Er leistet als einzelner in Haft mehr, als wahrscheinlich wir alle hier zusammen in Freiheit. Wenn er ein Gnadengesuch stellen würde, gäbe er Lukaschenko recht, dass er tun durfte, was er 21 Jahre lang tat: das Recht zu brechen, Menschen zu verfolgen, Proteste zu verbieten. Hätte Mikalaj anders gehandelt, wüsste ich, dass sie ihn gebrochen hätten."
    Marina Statkewitsch, die Ehefrau des weißrussischen Oppositionellen Nikolai Statkevich. 
    Marina Statkewitsch, die Ehefrau des weißrussischen Oppositionellen Nikolai Statkevich. (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Acht Oppositionsparteien und Organisationen gehören der Initiativgruppe Statkewitsch an, auch Wladimir Neklajew, der Schriftsteller, der vor fünf Jahren selbst kandidierte. Dieses Mal tritt er nicht an, denn Weißrussland drohe weit mehr als eine weitere gefälschte Wahl. "Jetzt geht es um die Schaffung einer Bewegung für den Schutz der Unabhängigkeit und Souveränität Weißrusslands. Weißrussland läuft Gefahr, annektiert zu werden. Russland hat angefangen, darauf aktiv hinzuarbeiten. Und wenn Lukaschenko ähnliche Sorgen äußert, dann versichert er immer gleich, dass er dafür die Armee und Sicherheitsorgane hat. Nur, die sind nicht Weißrussland gegenüber loyal, wir haben eine russische Armee und einen russischen KGB."
    Die Mehrheit unterstützt Lukaschenko
    Die Bevölkerung ist nach den Ereignissen in der Ukraine eingeschüchtert und ängstlich, ruft nach Stabilität, stellt auch Marina Statkewitsch fest. Massenproteste nach der gefälschten Wahl wie 2010 sind deswegen nicht zu erwarten. "Sie haben Angst, denn sie fürchten, dass das gleiche mit ihnen passiert. Die Abhängigkeit von Russland ist noch größer geworden. Sie verhindern jede Form von Organisation, sogar als sich Einwohner dagegen gewehrt haben, dass ihre Häuser abgerissen werden für Luxusbauten im Stadtzentrum, wurden das Gesetz geändert und solche Versammlungen unter Strafe gestellt."
    60 Prozent der Bevölkerung unterstützen die Politik des russischen Präsidenten Putin, sagt der Schriftsteller Wladimir Neklajew, ein Verfechter der weißrussischen Sprache und Unabhängigkeit, und ist in diesem Punkt einig mit Lukaschenko. "Das ist das Ergebnis der russischen Propaganda. In Weißrussland wird die sogenannte Russkij Mir - Russische Welt - aktiviert, es entstehen sogenannte slawische Organisationen, Kosakenverbindungen, Gruppierungen der russisch-orthodoxen Kirche."
    Lukaschenko lässt auch die prorussischen Organisationen verbieten, denn er weiß, dass die Gefahr die von Russland ausgeht, ungleich größer ist, als die von der einheimischen Opposition. "Opposition wird mit dem Maidan gleichgesetzt und der hat ein negatives Image", sagt der Analyst Valeri Karbalewitsch. Wenn die Regierung jetzt die Opposition unterdrücke, werde das von der Bevölkerung gutgeheißen. Wegen der Stabilität.
    Im Klartext: Lukaschenko bekommt vom Gros der Bevölkerung einen Freifahrtschein für seine Unterdrückungspolitik.