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Weißrusslands Präsident erlässt Kündigungsverbot

Jeder zehnte Weißrusse arbeitet wegen höherer Löhne im Ausland. Darunter leidet die heimische Wirtschaft. Präsident Alexander Lukaschenko will das nun durch Zwang ändern: Mit dem Dekret Nr. 9 hat er ein Kündigungsverbot für Arbeitnehmer erlassen - das Parlament hat es durchgewunken.

Von Sabine Adler |
    Der weißrussische Diktator steht auf dünnem Eis. Er verbietet den Menschen zu kündigen, per Dekret. Dekret Nr. 9 besagt:

    Alexander Lukaschenko:

    "Bis zum Abschluss der Rekonstruktionen oder Modernisierungen dieser Betriebe ist die Kündigung von Arbeitern verboten. Arbeiter dürfen ohne Erlaubnis ihrer Vorgesetzten nicht kündigen."

    Wer dem Unternehmen trotzdem den Rücken kehrt, wird vom Innenministerium verfolgt und muss hohe Strafen zahlen.

    Überrascht mit dem Dekret hat Lukaschenko zunächst Arbeiter des Forstbetriebes Borisowdrew , die er kürzlich besuchte. Ihnen kündigte er an, dass weder sie noch ihre Kollegen in anderen Forstbetrieben ihren Job wechseln dürfen, was viele wegen der schlechten Verdienste durchaus im Sinn haben.

    Alexander Jaroschuk vom weißrussischen demokratischen Gewerkschaftsdachverband stellt klar, dass für die Gewerkschafter weiterhin das Arbeitsgesetzbuch und nicht das neue Dekret gilt, das nur allzu leicht womöglich auf alle staatlichen Betriebe ausgeweitet wird. Der Gewerkschafter spricht von Zwangsarbeit mitten in Europa und hat bereits Alarm bei der Weltarbeitsorganisation ILO geschlagen.

    Jaroschuk könnte damit leicht den Zorn des Präsidenten auf sich ziehen, der bislang seine Gegner noch immer hinter Gitter bringen ließ. Ein Dutzend politischer Häftlinge sitzen derzeit in weißrussischen Gefängnissen, der größte Teil seit den Präsidentschaftswahlen vor gut zwei Jahren.

    Das weißrussische Parlament, im September erst in einer von der OSZE als unfrei und unfair bewerteten Abstimmung neu gewählt, sieht im Präsidentendekret Nr. 9 keinen Verstoß gegen die Verfassung und segnete es mit 51 von 53 Stimmen ab.

    Die Wirtschaft droht zusammenzubrechen, eine Million Weißrussen, das ist statistisch jeder zehnte Einwohner, arbeitet im Ausland. Bei schätzungsweise fünf Millionen Bürgern im arbeitsfähigen Alter wird der Exodus noch deutlicher, rund 20 Prozent verdienen ihre Brötchen außerhalb des Landes.

    Solange Alexander Lukaschenko an der Macht ist, weigert er sich hartnäckig, die Wirtschaft zu reformieren, sprich zu privatisieren, 75 - 80 Prozent der Firmen befinden sich nach wie vor in staatlicher Hand. Doch anstatt zu reformieren, setzt er auf die alten Methoden der Sowjetdiktatur: Er will die Menschen zwangsweise in den Betrieben halten. Wenn er dies jetzt mit der Modernisierung der Unternehmen begründet, ist das blanker Hohn, denn in die weißrussischen Staatsbetriebe, die zu Sowjetzeiten als sehr leistungsfähig galten, wurden seit Jahrzehnten nicht investiert, beklagt der Oppositionspolitiker und ehemalige Präsidentschaftskandidat Alexander Milinkjewitsch:

    "Unser Land ist erstarrt in dem postkommunistischen Stadium. Es hat keine Privatisierung stattgefunden, keine marktwirtschaftlichen oder Strukturreformen, nichts. Was die Investitionen betrifft, sind wir eines der schlechtesten Länder in Europa und bekäme das Land nicht die Hilfsgelder von Russland, wäre die Wirtschaft längst zusammengebrochen."

    Das neue Jahr beginnt für die Weißrussen mit einer Flut von Hiobsbotschaften. Die Tarife für Fernwärme steigen um fünf Prozent, für Strom um 9,5 Prozent, Zigaretten werden teuerer: Bei den billigen einheimischen verdoppelt sich der Preis, Importierte kosten 50 -70 Prozent mehr.

    Für das Telefonieren auf dem Handy und die Nutzung des Internets müssen die Weißrussen mehr zahlen, denn der Staat kassiert ab sofort eine 20-Prozent-Steuern. Dass der Minimallohn steigt, tröstet kaum jemanden, auch wenn der einen schon zum Millionär macht, umgerechnet entsprechen die fast 1.400 000 weißrussischen Rubel Mindestlohn rund 100 Euro. Damit beträgt der Mindestlohn pro Stunde jetzt 80 Cent, vorher waren es 60 Cent.

    Alexander Milinkjewitsch:
    "Ohne Reformen hat Weißrussland keine Chance zu überleben. Niemand wird diese Reformen anstelle Weißrusslands vornehmen, nicht Brüssel, nicht Moskau. Aber die Menschen im Land haben jedes Selbstvertrauen verloren, dass sie irgendetwas an der Situation ändern können. Sie glauben weder der Regierung noch der Opposition. Das Land befindet sich in einer tiefen Depression. 41 Prozent der Menschen wollen das Land verlassen, für immer. Das gab es nie. Weißrussen haben ihr Land nicht verlassen, Russen, Polen, Ukrainer, Litauer ja, aber nie Weißrussen."

    Bis 2009 sind 50 Prozent der jungen Leute abgewandert, inzwischen sollen es bis zu 70 Prozent sein, die meisten arbeiten in Russland oder Polen.