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Weitere Refomen oder Verschnaufpause?

Christine Heuer: Am Telefon ist jetzt Karl-Hermann Haack. Er sitzt für die SPD im Bundestag und ist einer der führenden Köpfe im Seeheimer Kreis. Damit gehört er zum konservativen Flügel in der deutschen Sozialdemokratie oder er ist, wie ein Seeheimer sich klassischer Weise wohl selbst beschreiben würde, ein Pragmatiker in der SPD. Guten Tag, Herr Haack.

    Karl-Hermann Haack: Guten Tag, Frau Heuer.

    Heuer: Frage an den Pragmatiker: Hat die SPD, wie Olaf Scholz es nahe legt, jetzt erst einmal genug reformiert?

    Haack: Also, ich denke, wir haben einiges auf den Weg gebracht, Gesundheitsmodernisierungsgesetz, Neuordnung Arbeitsmarkt, Sozialhilfereform, Behindertenrecht, und da ist es richtig, wenn der Kanzler sagt, was auch in der Fraktion debattiert wird, wir wollen erst einmal eine Quersumme ziehen. Was ist an Steuerreformen entlastet worden und was ist an Belastungen beim Umbau des Sozialstaates dagegen zu rechnen.

    Heuer: Herr Haack, wenn Sie diese Quersumme ziehen, hat die SPD genug getan?

    Haack: Also, wir haben in der Steuerreform einen guten Erfolg erzielt und ich bin der Auffassung, die Partei müsse sich darauf konzentrieren und sich nicht einlassen auf eine CDU-FDP-Diskussion. Und das zweite ist, man muss jetzt sich darum bemühen, handwerklich das umzusetzen, beispielsweise im Gesundheitsmodernisierungsgesetz, was dieses Gesetz will, das heißt, in der Region, im Wahlkreis dafür werben. Das halte ich für wichtig. Und dann stecken noch zwei Gesetze in der Pipeline, die verabredet sind, Pflegeversicherung und Rentenversicherungsreform. Pflegeversicherung war der Anlass, darauf hinzuweisen, dass Quersummen gezogen werden müssen, Stichwort Belastbarkeit, und man muss jetzt bei der Pflege versuchen, zunächst einmal in zwei Schritten, das Ganze zu organisieren. Herstellen einer Lösung, wie sie das Bundesverfassungsgericht fordert, und dann die Liquiditätslage in einem zweiten Schritt der Pflegeversicherung betrachten, Ausweitung eventuell, Stichwort Demente und Alzheimer.

    Heuer: Finden Sie denn, Herr Haack, dass die Dinge so liegen, wie Gerhard Schröder sie offenbar sieht, dass nämlich die Grenze der Belastbarkeit bei der Pflegeversicherung tatsächlich erreicht ist?

    Haack: Ich denke, dass er hier ein Stichwort der öffentlichen Debatte aufgenommen hat. Wer fünf Veranstaltungen macht, kriegt fünf Mal diese Frage gestellt nach der Belastbarkeit, und da muss man eben werben und sagen, es wird euch nichts weggenommen, nur es wird verteilt, weg vom Konsum hin zu eigener Vorsorge und Eigenverantwortung. Die Leute werden ja nicht ärmer, sondern durch gesetzliche Vorschriften wird das private Vermögen, das verfügbare Haushaltseinkommen neu verteilt, und da ist eine Gesamtbetrachtung angebracht und da muss man politisch arbeiten und aufklären.

    Heuer: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann müssten Sie den Vorschlag von Ulla Schmidt in Sachen Pflegeversicherung dann ja eigentlich ganz gut gefunden haben?

    Haack: In der Sache habe ich Bedenken, für diese 2,50 Euro, ob das richtig ist oder falsch ist. Ich war in der letzen Woche in langen Gesprächen und dieses Modell ist ein Modell gewesen. Es gibt noch mehrere. Auf jeden Fall muss in diesem Jahr zum 31. Dezember die Vorausgabe des Bundesverfassungsgerichtes erfüllt werden. Und darüber werden wir jetzt nachdenken und da muss man zum Schluss auch einmal rechnen.

    Heuer: Nun gab es, Herr Haack, ja zunächst den Vorschlag von Ulla Schmidt, dann das Zurückpfeifen durch Gerhard Schröder, dann gab es wieder eine Wollte, man will jetzt doch etwas unternehmen, sagt aber noch nicht genau was, Sie sagen, das muss geprüft werden. Bleibt da unter dem Strich nicht vor allen Dingen eine Verunsicherung des Bürgers, der nicht weiß, was die SPD möchte?

    Haack: Ja, die Schwierigkeit besteht darin, dass wir den Bürgern etwas wegnehmen, eingreifen in ihr persönlich verfügbares Haushaltsgeld, sage ich einmal, und damit kann man keine Blumentöpfe gewinnen. Auf der anderen Seite haben wir eine Opposition, die Theater macht, aber selber keine Vorstellungen. Im Koalitionsabkommen stand drin Reform der Pflegeversicherung. Und da sind wir jetzt dabei, dass vor dem Hintergrund nochmals, Bundesverfassungsgerichtsurteil, und noch einmal, die langfristige Liquidität der Pflegeversicherung zu sichern.

    Heuer: Und die Regierung macht da auch keine Fehler in der Vermittlung?

    Haack: Wie wollen Sie vermitteln, wenn 16 Ministerien miteinander sich abstimmen müssen? Also, zu behaupten, dass man einen Sozialstaat, der 175 Milliarden Euro alleine in der Krankenversicherung bewegt, zu glauben, dass das ohne Streit und Krach geht, der hängt Illusionen nach.

    Heuer: Finden Sie eigentlich, Herr Haack, dass die SPD im Wahljahr 2004 genug Mut beweist bisher?

    Haack: Man muss zu den Reformansätzen stehen, man muss zu den Gesetzen stehen und man muss nach draußen gehen und den Leuten erklären, was man macht. Das bedeutet, die ehrenamtlichen Funktionäre der SPD, die Mandatsträger müssen sich in ihren Köpfen drehen und das annehmen, was politisch beschlossen worden ist und unter dem Stichwort Agenda 2010, wir modernisieren die Bundesrepublik Deutschland, abgearbeitet worden ist. Wenn man das Ergebnis nicht annimmt, sondern sich innerlich vom Acker macht, weil man Druck vor Ort nicht aushält, dann hat man keine Motivation, die Wahlkämpfe erfolgreich führen zu können.

    Heuer: Heißt es, dass die Mandatsträger, also zum Beispiel die Abgeordneten im Bundestag, Ihre eigenen Kollegen, daran schuld sind, dass die SPD bei den Wählern so schlecht abschneidet?

    Haack: Nein, sondern generell ist meine Kritik an der Regierung, dass ich sage, es reicht in einer aufgeklärten Massengesellschaft, Mediengesellschaft nicht mehr, einfach ein Gesetz zu machen, Stichtag zu verkünden und dann tritt es in Kraft. Sondern unter modernem Regieren verstehe ich, und das habe ich intern oft genug gesagt: Ein Gesetz, wenn es denn in Kraft tritt, muss vorher durch eine Implementationsstrategie begleitet werden. Also, man muss sehen, wie wirkt dieses Gesetz in einem föderativen System, wie wirkt dieses Gesetz in einer subsidiären Verbändestruktur und in der Summe in einer Massengesellschaft. Da hat diese Bundesregierung per toto keine Antwort darauf. Und das Zweite ist, dass ich eine Evaluation machen muss. Ich muss also in relativ kurzer Zeit, wie wir es bei der Behindertengesetzgebung gemacht haben, nämlich innerhalb von zwei Jahren, nachgucken, wie hat dieses Gesetz gewirkt. Ich muss dieses Gesetz begleiten. Wir nennen das in unserem Teil von Behindertenpolitik die lernende Gesetzgebung. Die lernende Gesetzgebung beim Umbau des Sozialstaates bedeutet nicht nur ein Gesetz machen, sondern auch hingucken, wie wirkt es, und hingucken, welche Instrumente habe ich, und hingucken, wo kann man von vornherein eine Struktur aufbauen, dass dieses Gesetz auch vor Ort das erreicht, was man erreichen will. Ich hatte seinerzeit den Vorschlag gemacht, auf Regierungspräsidentenebene so genannte Implementationsagenturen einzurichten, die vor Ort die betroffenen Schulen, also sage ich einmal Krankenkassen, Patientenverbände, die dort zusammen arbeiten informell und sich an das Werk setzen, so eine Gesetzgebung wie das Gesundheitsmodernisierungsgesetz in der Region umzusetzen.

    Heuer: So wie die Dinge jetzt transportiert werden, bleiben wir noch einmal bei dem Beispiel Pflegeversicherung, glauben Sie nicht, dass immer mehr Bürger dann schwarz-grüne Optionen, wie sie auch gerade im Gespräch sind, dann vielleicht doch bevorzugen werden bei den anstehenden Wahlen? Die nächste ist ja in Hamburg.

    Haack: Also, ich halte das alles für so ein bisschen Scheindiskussion, denn der Kernpunkt ist, dass wir in der Bundesrepublik ja einen Modernisierungsprozess eingeleitet haben und einleiten mussten, um überhaupt eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Dass man nun in koalitionspolitische Spielchen sich begibt, dient der Sache nicht. Ich kann die Grünen davor nur warnen. Ich kann nicht akzeptieren, dass ein Teil der Grünen sich vom Acker macht bei diesen Reformprozessen, indem er die Methode der CDU macht. Wir haben gerade gemeinsam eine Steuerreform verabschiedet, über die reden wir nicht mehr, und ich kriege mir eine neue Philosophie her, das hat mich schon geärgert bei der Bürgerversicherung. Mitten im Prozess der Endberatung eines Gesundheitsmodernisierungsgesetzes verschwendet man Ressourcen an Zeit und Kopf in einer neuen Diskussion um die Bürgerversicherung, die überhaupt nicht zur Debatte steht, anstatt sich darum zu kümmern, dass Zeit und Ressourcen für eine Umsetzung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes verwendet werden. Das ist eine strategische, sage ich einmal, Fehlstellung in der Koalition.

    Heuer: Karl-Hermann Haack, Sozialdemokrat, Abgeordneter im Bundestag und Mitglied des Seeheimer Kreises. Danke, Herr Haack, und einen guten Tag nach Berlin.

    Haack: Ja, Wiederhören.