Probst: Am Telefon ist nun Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Tag, Herr Perthes.
Perthes: Guten Tag.
Probst: Einige Stichworte, die eben angesprochen wurden: letzte Chance, offene Fragen, Truppenverstärkungen - wie groß sehen Sie die Gefahr, dass sich hier automatisch eine fast zwangsläufige Entwicklung hin zu einem militärischen Szenario entwickelt?
Perthes: Ich glaube, im Sicherheitsrat wird es keinen Automatismus geben, weil ja selbst die Briten, die der amerikanischen Position am nächsten stehen, sagen, es müsse oder solle eine neue Resolution geben, wenn es denn zum Krieg kommen werde und das heißt, es wird eine politische Entscheidung geben. Weder die Briten noch die Franzosen, die im Zweifelsfall ja wahrscheinlich auch dabei wären, wollen, dass man in einen Krieg hineinschlittert. Gleichwohl haben Sie einen Punkt angesprochen, der schon sehr wichtig ist, nämlich der Truppenaufmarsch und die Tatsache, dass, wenn man es salopp sagen will, niemand Truppen in ein Gebiet schickt, um sie hinterher nicht einzusetzen. Ich denke, was wir sagen können, ohne ein ganz ganz schwarzes Szenario zu malen ist, dass die amerikanischen Truppen, wenn der Aufmarsch vervollständigt ist, dort nicht wieder abziehen werden, so lange Saddam Hussein noch an der Macht ist. Das heißt nicht unbedingt Invasion, aber das heißt, dass eine amerikanische Regierung sich nicht die politische Niederlage einhandeln will, Truppen erst hingeschickt zu haben und dann wieder unverrichteter Dinge nach Hause beordern zu müssen.
Probst: Das ist genau der Punkt. Man kann natürlich immer argumentieren, dass man sagt, für den Ernstfall müssen wir vorbeireitet sein, das bedeutet also Truppenaufmarsch und die nötige Infrastruktur, aber wie hoch dann eben der Preis ist, wenn es nicht zum Einsatz kommt, der Gesichtsverlust auch gerade als die einzig verbliebene Weltmacht in der Region.
Perthes: Ja, das ist richtig. Ich glaube, zur Zeit setzen die Briten noch mehr als die Amerikaner auf die Wirkung der Drohkulisse. Hoffen - das mag ein bisschen Wunschdenken, wishful thinking, sein - dass, wenn der Druck immer weiter erhöht wird, es dann doch zu inneren Bewegungen im Irak kommt, also aus der Regimeelite selbst heraus. Dass es entweder den Putschistengeneral gibt, auf den man seit zwölf Jahren wartet oder es eben zu einem Bruch in der Regimeelite kommt, wo dann ein Teil des Regimes dem Präsidenten und seiner Familie sagt, dass es wohl doch besser wäre, wenn sie das Land verlassen. All das ist nicht auszuschließen, aber es ist sicher nicht die wahrscheinlichste Lösung.
Probst: Es war eben im Bericht aus Berlin die Rede von der Gefahr der Destabilisierung der Region bei einem militärischen Einmarsch die Rede. In dieses Bild passen ja auch Meldungen, dass es ein vorsichtiges Umdenken, bei einigen früheren Verbündetenstaaten der USA gibt. In Blick auf eine aktive oder zumindest Unterstützung passiver Art für den Fall der Fälle.
Perthes: Von den benachbarten Staaten will keiner den Krieg. Viele, eigentlich alle, wollen Saddam Hussein weghaben, aber alle fürchten sich vor den diversen Formen von Destabilisierung. Auf der einen Seite, sozusagen das, was man mit regionaler Destabilisierung normalerweise meint, also Flüchtlingswellen, die vom Irak aus nach Kurdistan, in die Türkei, in den Iran, nach Jordanien, Kuwait und Syrien sich hin bewegen. Die wird es sehr wahrscheinlich ähnlich wie 1991 geben. Da bereiten sich einige Staaten sogar schon drauf vor, aber es sicherlich etwas, wo sich kriegsführende Parteien drüber Gedanken machen müssen, wie viel humanitäres Elend da erzeugt wird. Das ist zweitens der Punkt: direkte Auswirkungen auf den palästinensisch-israelischen Konflikt. Wir können davon ausgehen, dass die Radikalen auf beiden Seite, also Teile der Regierung Sharon und dann Hamas oder islamische Jihad eine Konfrontation am Golf nutzen werden, um gegeneinander zu eskalieren und dann gibt es natürlich, gerade bei den umliegenden arabischen Staaten die Befürchtung, dass es zu inneren Destabilisierungen kommt, also zu Protestwellen in Jordanien etwa, die dann das jordanische Regime unter Druck setzen. Davor hat man Angst. Und viertens sozusagen wird man auch die Gefahr von Terrorismus ansprechen müssen. Ich glaube nicht, dass es der große internationale Terrorismus ist, der durch einen Krieg gegen den Irak neuen Nährboden bekommen würde aber mehr der kleine lokale Terrorismus gegen weiche Ziele, ähnlich wie wir das in den letzten Wochen im Jemen und in Jordanien gesehen haben.
Probst: Aber dieses Szenario der protestierenden, rebellierenden Massen in den arabischen Staaten hat man ja auch vor zwölf Jahren beschrieben im ersten Golfkrieg und dann ist es ausgeblieben. Was ist da heute anders?
Perthes: Wenn ich das selber bewerten sollte: ich halte das nicht für das Wahrscheinlichste. Sondern die Sorgen, die ich habe, ich habe es ja angesprochen, sind die Flüchtlingswelle, die Eskalation des israelisch-palästinensischen Konfliktes und individuelle kleinere, aber nichtsdestoweniger destabilisierende, Terrorakte in einer Reihe von Staaten der Region gegen sogenannte weiche amerikanische und möglicherweise auch europäische Ziele. Das können McDonald's-Restaurants sein, Botschaftsangehörige, Kulturzentren und ähnliches.
Probst: Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke.
Perthes: Danke auch.
Link: Interview als RealAudio
Perthes: Guten Tag.
Probst: Einige Stichworte, die eben angesprochen wurden: letzte Chance, offene Fragen, Truppenverstärkungen - wie groß sehen Sie die Gefahr, dass sich hier automatisch eine fast zwangsläufige Entwicklung hin zu einem militärischen Szenario entwickelt?
Perthes: Ich glaube, im Sicherheitsrat wird es keinen Automatismus geben, weil ja selbst die Briten, die der amerikanischen Position am nächsten stehen, sagen, es müsse oder solle eine neue Resolution geben, wenn es denn zum Krieg kommen werde und das heißt, es wird eine politische Entscheidung geben. Weder die Briten noch die Franzosen, die im Zweifelsfall ja wahrscheinlich auch dabei wären, wollen, dass man in einen Krieg hineinschlittert. Gleichwohl haben Sie einen Punkt angesprochen, der schon sehr wichtig ist, nämlich der Truppenaufmarsch und die Tatsache, dass, wenn man es salopp sagen will, niemand Truppen in ein Gebiet schickt, um sie hinterher nicht einzusetzen. Ich denke, was wir sagen können, ohne ein ganz ganz schwarzes Szenario zu malen ist, dass die amerikanischen Truppen, wenn der Aufmarsch vervollständigt ist, dort nicht wieder abziehen werden, so lange Saddam Hussein noch an der Macht ist. Das heißt nicht unbedingt Invasion, aber das heißt, dass eine amerikanische Regierung sich nicht die politische Niederlage einhandeln will, Truppen erst hingeschickt zu haben und dann wieder unverrichteter Dinge nach Hause beordern zu müssen.
Probst: Das ist genau der Punkt. Man kann natürlich immer argumentieren, dass man sagt, für den Ernstfall müssen wir vorbeireitet sein, das bedeutet also Truppenaufmarsch und die nötige Infrastruktur, aber wie hoch dann eben der Preis ist, wenn es nicht zum Einsatz kommt, der Gesichtsverlust auch gerade als die einzig verbliebene Weltmacht in der Region.
Perthes: Ja, das ist richtig. Ich glaube, zur Zeit setzen die Briten noch mehr als die Amerikaner auf die Wirkung der Drohkulisse. Hoffen - das mag ein bisschen Wunschdenken, wishful thinking, sein - dass, wenn der Druck immer weiter erhöht wird, es dann doch zu inneren Bewegungen im Irak kommt, also aus der Regimeelite selbst heraus. Dass es entweder den Putschistengeneral gibt, auf den man seit zwölf Jahren wartet oder es eben zu einem Bruch in der Regimeelite kommt, wo dann ein Teil des Regimes dem Präsidenten und seiner Familie sagt, dass es wohl doch besser wäre, wenn sie das Land verlassen. All das ist nicht auszuschließen, aber es ist sicher nicht die wahrscheinlichste Lösung.
Probst: Es war eben im Bericht aus Berlin die Rede von der Gefahr der Destabilisierung der Region bei einem militärischen Einmarsch die Rede. In dieses Bild passen ja auch Meldungen, dass es ein vorsichtiges Umdenken, bei einigen früheren Verbündetenstaaten der USA gibt. In Blick auf eine aktive oder zumindest Unterstützung passiver Art für den Fall der Fälle.
Perthes: Von den benachbarten Staaten will keiner den Krieg. Viele, eigentlich alle, wollen Saddam Hussein weghaben, aber alle fürchten sich vor den diversen Formen von Destabilisierung. Auf der einen Seite, sozusagen das, was man mit regionaler Destabilisierung normalerweise meint, also Flüchtlingswellen, die vom Irak aus nach Kurdistan, in die Türkei, in den Iran, nach Jordanien, Kuwait und Syrien sich hin bewegen. Die wird es sehr wahrscheinlich ähnlich wie 1991 geben. Da bereiten sich einige Staaten sogar schon drauf vor, aber es sicherlich etwas, wo sich kriegsführende Parteien drüber Gedanken machen müssen, wie viel humanitäres Elend da erzeugt wird. Das ist zweitens der Punkt: direkte Auswirkungen auf den palästinensisch-israelischen Konflikt. Wir können davon ausgehen, dass die Radikalen auf beiden Seite, also Teile der Regierung Sharon und dann Hamas oder islamische Jihad eine Konfrontation am Golf nutzen werden, um gegeneinander zu eskalieren und dann gibt es natürlich, gerade bei den umliegenden arabischen Staaten die Befürchtung, dass es zu inneren Destabilisierungen kommt, also zu Protestwellen in Jordanien etwa, die dann das jordanische Regime unter Druck setzen. Davor hat man Angst. Und viertens sozusagen wird man auch die Gefahr von Terrorismus ansprechen müssen. Ich glaube nicht, dass es der große internationale Terrorismus ist, der durch einen Krieg gegen den Irak neuen Nährboden bekommen würde aber mehr der kleine lokale Terrorismus gegen weiche Ziele, ähnlich wie wir das in den letzten Wochen im Jemen und in Jordanien gesehen haben.
Probst: Aber dieses Szenario der protestierenden, rebellierenden Massen in den arabischen Staaten hat man ja auch vor zwölf Jahren beschrieben im ersten Golfkrieg und dann ist es ausgeblieben. Was ist da heute anders?
Perthes: Wenn ich das selber bewerten sollte: ich halte das nicht für das Wahrscheinlichste. Sondern die Sorgen, die ich habe, ich habe es ja angesprochen, sind die Flüchtlingswelle, die Eskalation des israelisch-palästinensischen Konfliktes und individuelle kleinere, aber nichtsdestoweniger destabilisierende, Terrorakte in einer Reihe von Staaten der Region gegen sogenannte weiche amerikanische und möglicherweise auch europäische Ziele. Das können McDonald's-Restaurants sein, Botschaftsangehörige, Kulturzentren und ähnliches.
Probst: Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke.
Perthes: Danke auch.
Link: Interview als RealAudio