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Welche Chancen hat das Zuwanderungsgesetz noch?

    Kapérn: Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes, guten Morgen!

    Müller: Guten Morgen!

    Kapérn: Herr Müller, ich zitiere mal aus der Tagesvorschau der Deutschen Presseagentur für den heutigen Tag. Da steht unter dem Stichwort "Berlin": Stoiber und Merkel suchen nach gemeinsamer Haltung in der Zuwanderungspolitik. Ist damit das Dilemma nicht auf den Punkt gebracht? Es gibt immer noch kein Gesetz, weil die Union nicht weiß was sie will. Ein Zuwanderungsgesetz oder mit Blick auf den Wahlkampf lieber doch keins?

    Müller: Ich glaube, dass eine gemeinsame Suche der Union nach einer Linie bei der Zuwanderung nicht erforderlich ist. Unsere Position steht seit langem fest.

    Kapérn: Warum dann das Treffen heute?

    Müller: Es gibt einen gemeinsamen Eckpunktebeschluss von CDU und CSU. Dort sind die Inhalte festgelegt. Das Treffen heute dient einfach noch einmal der Klärung der Frage, wie wir in dieser Diskussion weiter verfahren. Denn im Gegensatz zu dem, was Sie eben im Bericht dargestellt haben und auch in der Anmoderation, ist es ja so, dass das, was Otto Schily sagt, und das, was schwarz auf weiß im Gesetz aufgeschrieben ist, keineswegs übereinstimmt. Das was als Gesetz vorliegt, ist keineswegs ein Kompromissangebot an die Union, sondern bleibt hinter den eigenen Vorstellungen von Otto Schily zurück. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, an welchen Punkten Veränderung stattfinden muss. Wir wollen das noch einmal klar und deutlich sagen. Dann muss endlich der Bundesinnenminister seinen Worten Taten folgen lassen. Es geht einfach nicht, dass er auf der einen Seite uns gegenüber Kompromissbereitschaft erkennen lässt und auf der anderen Seite seine eigenen Gesetzentwürfe in Richtung auf die Grünen und damit weg von uns abändert.

    Kapérn: Sie haben gerade gesagt, die Politiker der Union, die sich heute treffen, müssen festlegen, an welchen Stellen Veränderungen stattfinden müssen. Das heißt, da gibt es dann doch wohl Dissens innerhalb der Union?

    Müller: Nein. Es gibt keinen Dissens innerhalb der Union. Es gibt die Frage, wie wir in der jetzigen Situation das weitere Verfahren bestimmen. Man muss ja sehen: die Zeitabläufe werden immer enger. Vor dem Hintergrund hat im übrigen dann ja auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung gestern eine Denkpause angeregt, was ja nichts anderes heißen kann als die Verschiebung des Gesetzes auf einen Zeitpunkt nach der Bundestagswahl. Und wir müssen deutlich machen, dass wir ein Spiel nicht mitspielen, das die Bundesregierung schon einmal versucht hat mit uns zu spielen, ein Spiel das heißt, dass zunächst im Bundestag eine inakzeptable Gesetzesvorlage vorgelegt wird und dass zwischen der Entscheidung von Bundestag und Bundesrat dann noch einmal eine Veränderung vorgenommen wird, um nach außen den Eindruck zu erwecken, die Union im Bundesrat habe sich anders verhalten als die Union im Bundestag.

    Kapérn: Was halten Sie denn, Herr Müller, von dem Vorschlag der Ausländerbeauftragten einer Denkpause, also einer Vertagung des Gesetzes bis auf einen Zeitpunkt nach der Wahl?

    Müller: Das Problem, in dem wir uns befinden, ist ohne Zweifel der Zeitdruck, der entstanden ist. Dieser Zeitdruck war absehbar. Ich habe schon vor einem Jahr gesagt, wenn die Bundesregierung bei ihren Zeitvorgaben bleibt, wird es enorm schwierig werden, vor der Bundestagswahl noch zu Potte zu kommen. Mittlerweile sind wir noch einmal zusätzlich in Verzug geraten und es kommt hinzu, dass Schily zwar verbal Kompromissangebote an die Union macht, dem aber keine konkreten Vorschläge zur Änderung seines Gesetzes folgen lässt. Darüber hinaus ist das Klima in den letzten Tagen heftig belastet worden durch das Verhalten des Bundesinnenministers, insbesondere aber durch das Verhalten des Herrn Stiegler von den Sozialdemokraten. Man kann nicht auf der einen Seite nach Konsens rufen und auf der anderen Seite die Union in ungeheuerlicher Weise als Wegbereiter des Nationalsozialismus diffamieren.

    Kapérn: Was hat denn der Innenminister falsch gemacht in diesem Zusammenhang?

    Müller: Das Verhalten des Innenministers in der Debatte um den NPD-Verbotsantrag war der Opposition gegenüber unangemessen. Man kann nicht die beleidigte Leberwurst spielen, wenn einem zurecht vorgehalten wird, dass man an einzelnen Punkten objektiv die Unwahrheit gesagt hat. Alles das belastet das Klima. Alles das sind keine Rahmenbedingungen, die konsensfreundlich sind. Vor dem Hintergrund habe ich ein gewisses Verständnis dafür, dass seitens der Ausländerbeauftragten gestern der Gedanke einer Denkpause ins Spiel gebracht worden ist. Möglicherweise sind Wahlkampfzeiten ungeeignete Zeiten, um ein derart komplexes Gesetz in einem vernünftigen und transparenten Verfahren zu einem Konsens zu führen.

    Kapérn: Aber setzt sich nicht die Union, Herr Müller, dem Verdacht aus, die beleidigte Leberwurst zu spielen, wenn sie Äußerungen des Bundesinnenministers in einer ganz anderen Sachfrage nun zum Anlas nimmt, eine Verschiebung der Beratungen über das Zuwanderungsgesetz zu fordern?

    Müller: Nein. Diesem Verdacht setzt die Union sich nicht aus, weil sie in der Zuwanderungsfrage ganz konsequent ihre Linie verfolgt und zu dieser Linie steht. Das galt in den letzten Monaten so und das gilt auch zukünftig so. Nur der Bundesinnenminister verlangt von uns permanent, dass wir eigentlich Dinge tun, die in unserem parlamentarischen System nicht vorgesehen sind. Er verlangt von uns, dass Runden außerhalb des Parlamentes stattfinden. Er führt Gespräche mit den Ländervertretern außerhalb des Bundesrates. Er verlangt also weitgehendes Entgegenkommen und ich meine jemand, der einem permanent in den Hintern tritt, ist ja wohl kaum jemand, mit dem man sich dann vertraulich an den Tisch setzt und so tut, als ob nichts ist. Deshalb müssen ein paar Dinge aus der Welt geschafft werden.

    Kapérn: Stellen Sie dann ein Junktim auf? Wenn die Dinge nicht aus der Welt geschafft werden, welche das dann im konkreten auch exakt sein mögen, dann keine weiteren Gespräche über das Zuwanderungsgesetz?

    Müller: Nein, ich stelle kein Junktim auf. Ich weise nur darauf hin, dass auch diese klimatischen Umstände dazu beitragen, dass der Zeitdruck, den wir haben, nicht vermindert wird, dass der Zeitdruck sich weiter erhöht. Ich weise darauf hin, dass vor diesem Hintergrund die Sache immer schwieriger wird.

    Kapérn: Wir haben ja eben in dem Beitrag gehört, an welchen Punkten des Gesetzentwurfs sich die Union insbesondere reibt. Da geht es auch um die Forderung der Union, dass der Begriff der Zuwanderungsbegrenzung in diesem Gesetz verankert werden muss. Nun hat die Ausländerbeauftragte gestern ihren Jahresbericht vorgelegt und siehe da: die Zahl der Ausländer in Deutschland ist zurückgegangen. Malen Sie da nicht Bedrohungsszenarien mit Ihrer Forderung an die Wand, die sich einfach mit der Realität nicht decken?

    Müller: Die Zahl der Ausländer ist nicht zurückgegangen.

    Kapérn: Um 0,6 Prozent, so heißt es im Ausländerbericht.

    Müller: Die Zahl der Ausländer ist um 86000 gestiegen, wenn man sowohl die Zahl der Ausländer, die sich im Innland befinden und bei denen ja auch Kinder geboren werden, und die Zahl der zuwandernden addiert. Das ist das erste. Das zweite, was man sehen muss, ist die Tatsache, dass natürlich die Betrachtung, die auf ein einzelnes Jahr fokussiert ist, eine untaugliche Betrachtung zur Entwicklung der Prozesse ist. Wir haben von Jahr zu Jahr natürlich erhebliche Schwankungen. Wir werden in diesem Jahr erleben, dass beispielsweise durch die Entwicklung in Afghanistan es wieder zusätzliche Rückführungen geben wird. Man muss die Dinge schon über einen längeren Zeitraum betrachten und wenn man sie über einen längeren Zeitraum betrachtet muss man feststellen, dass der Zuwanderungsdruck in die Bundesrepublik Deutschland einer der höchsten in der Welt ist, höher als in der Mehrzahl der klassischen Einwanderungsländer.

    Kapérn: Aber nun gibt es viele Leute die sagen, genau diesen Zuwanderungsdruck brauchen wir, Stichwort Vergreisung der Gesellschaft?

    Kapérn: Also wer glaubt, mit Zuwanderung demographische Probleme lösen zu können, der irrt. Wenn wir den Altersquotienten, also das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern in der Sozialversicherung, durch Zuwanderung stabil halten wollten, dann bräuchten wir eine jährliche Zuwanderung von 3,4 Millionen Menschen. Das sind 188 Millionen Menschen bis zum Jahr 2050. Das übersteigt die Grenzen der Integrationsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Zuwanderung kann einen Beitrag zur Abmilderung der Probleme leisten, aber es kann die demographischen Probleme nicht lösen. Da muss eine Vielzahl von Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen stattfinden und da müssen wir insbesondere einmal darüber nachdenken, ob es nicht ein Skandal ist, dass ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, ein wohlhabendes Land, ein Land ist, in dem die Entscheidung für ein Kind das größte Armutsrisiko ist, das es zur Zeit in Deutschland gibt.

    Kapérn: Wie groß, Herr Müller, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat mit Hilfe von CDU-Politikern eine ausreichende Mehrheit erhält?

    Müller: Das ist eine Frage, die ist ausschließlich abhängig vom Inhalt des Gesetzes. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Gesetz nicht zustimmungsfähig. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit null. Wenn das Gesetz materiell an den beschriebenen Punkten wesentlich verändert wird, kann die Wahrscheinlichkeit sich erhöhen.

    Kapérn: Peter Müller war das, der Ministerpräsident des Saarlandes, heute Morgen im Deutschlandfunk. - Herr Müller, ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio