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Welche Grenzen gibt es für nicht-christliche Gruppen in Deutschland?

    Durak: Im Namen der Religion. Wo liegen in Deutschland für nichtchristliche Religionsgemeinschaften oder -gruppen Grenzen, die sich aus unserem Verständnis von Menschenrechten und Demokratie ergeben? Diese Diskussion findet ja nicht erst in diesem Herbst statt, sie wird geführt seit es um den Islamunterricht an den Schulen geht, wenn es um die Anerkennung von islamischen Organisationen eben als Religionsgemeinschaften geht, Stichworte Kopftücher, Bau von Moscheen usw. Aber diese Diskussion geht einher mit der diffusen Angst nichtmuslimischer Deutscher vor dem Fremden im Islam. Darüber will ich mit der Bundesjustizministerin, Herta Däubler-Gmelin, sprechen. Guten Morgen, Frau Däubler-Gmelin.

    Däubler-Gmelin: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Haben wir inzwischen unter uns ein Feindbild Islam?

    Däubler-Gmelin: Ja, das ist schwierig zu beantworten. Offiziell natürlich nicht und bei verständigen, vernünftigen Leuten auch nicht, aber - so wie das auch bei anderen Glaubensrichtungen sein kann - je weniger die Leute, die das trifft, von dem Anderen wissen, desto leichter wird es, Angst zu haben, sich abzuschotten und dann auch Feindbilder zu entwickeln.

    Durak: Wann schlägt Misstrauen in Hass um? Sehen Sie die Gefahr in Deutschland, wenn wir daran denken, wie es jungen Muslimen geht, wie sie jedenfalls berichten?

    Däubler-Gmelin: Also ich habe den Eindruck, im Moment ist es noch nicht so weit. Aber ich weiß natürlich genau, dass es ganz viele gibt, die einer solchen Entwicklung aktiv entgegenwirken; man darf einiges aufzählen, es sind Kirchen, gerade auch protestantische Kirchen, die beim Treffen evangelischer Pfarrer den Imam einladen, um ein Grußwort zu halten, oder es sind Gemeinden, die auf Moscheen zugehen und den Dialog suchen, oder es sind Politiker wie ich, die sich z.B. mit den islamischen Vereinen - ob es nun türkische Vereine oder Moscheevereine sind - zusammensetzen und über solche Dinge ganz offen sprechen. Es gilt ja auch, was der Bundespräsident und der Bundeskanzler gesagt haben - übrigens auch viele Ministerpräsidenten -, weder Ausländer noch jemand der Muslime kommt in irgendeiner Weise unter Generalverdacht.

    Durak: Ja, aber, Frau Däubler-Gmelin, andere sagen auch, da hört die Freundschaft auf, wenn islamische Religionsgemeinschaften oder -gruppen, die im Namen des Islam handeln, sagen wir mal, die Freiheit der Deutschen beeinträchtigen, wie man meint.

    Däubler-Gmelin: Ja freilich, Frau Durak, es gibt eine große Zahl von Aspekten, die das Verhältnis natürlich belasten und im Einzelnen besprochen werden müssen. Da sind ja auch viele Dinge drin, die man einfach bereden muss. Ich nehme jetzt mal die Situation im Inneren und im Äußeren. Wenn z.B. eine junge Frau, die ein Kruzifix um den Hals trägt, in Saudi-Arabien deshalb in Haft genommen, verurteilt und ausgewiesen wird, dann trägt das natürlich dazu bei zu sagen, wo leben wir den eigentlich auf dieser Welt? Oder wenn wir sehen, dass die Shelter-Now-Leute in Afghanistan eingesperrt werden und mit einem Urteil zu rechnen haben, weil man ihnen vorwirft, sie hätten christlich missioniert. Das sind Dinge, die das Gegeneinander der Religionen treiben, und das geht nicht. Und da muss man - das muss man, glaube ich, von allen Seiten sehen, von der Seite der Politik her aber auch von der Seite der Kirchen her - daran erinnern, dass es nicht nur um gutes Zusammenleben geht, sondern auch um das Verhältnis der sogenannten abrahamitischen Religionen, d.h. des Judentums, des Christentums und des Islam. Man muss über solche Fragen theologisch ganz offen reden.

    Durak: Frau Däubler-Gmelin, dürfen aber Religionsgemeinschaften oder Gruppen, die sich auf dem Islam berufen, in Deutschland einfach tun und lassen, was sie wollen, abgeschottet gegen jede Beobachtung und Einflussnahme?

    Däubler-Gmelin: Nein, eben nicht. Wenn wir jetzt auf diese Seite der Gesellschaft und auch unserer Gemeinschaft kommen, dann gilt natürlich das, was unsere Verfassung sagt, und da ist natürlich das Verhältnis zwischen Religionsgemeinschaft und Verfassung eindeutig geklärt. Die Verfassung gilt und es geht nicht, im Namen einer Religion z.B. zu sagen, man sei für die Vielehe oder gegen die Gleichberechtigung von Männer und Frauen oder gegen die Demokratie oder gegen andere tragende Grundsätze unserer Verfassung, z.B. dass es keine Hauptreligion gibt, was dann auch ein Teil des Islams für sich zu sein beansprucht. Dies alles geht nicht und hier gilt die Verfassung - das sagen wir übrigens auch laut und deutlich -. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von islamischen Gemeinschaften, die dieses genau so laut und deutlich sagen, dass bei uns die Verfassung gilt.

    Durak: Haben sich, Ihrer Meinung nach, islamische Fürsprecher, Würdenträger, Vorsteher von Organisationen zu Beginn oder unmittelbar nach den Terrorakten hinreichend genug mit Abstand geäußert? Jetzt hört man immer nur, wir werden verfolgt.

    Däubler-Gmelin: Nein, es gibt schon sehr viele, die klar erklärt haben. Es gibt auch die Muslime - gerade auch in dieser offenen Gesellschaft um deren Ausbau und Verteidigung es uns ja geht und die ja nun gerade von Suizidfanatikern und Suizidterroristen angegriffen wird -, die hier in dieser Gesellschaft leben und die genau so darunter leiden, genau so angegriffen sind. Ich habe das beispielsweise von Imamen gehört, die nach dem 11. September gesprochen haben. Manchmal hat man den Eindruck, es wäre gut, wenn es etwas offener und deutlicher wäre und deswegen muss man dieses Gespräch miteinander in Deutschland deutlich fortsetzen und deutlich sagen, dass sich diese Suizidterroristen einen feuchten Kehricht darum geschert haben, ob unter den Opfern der Türme des World Trade Center Muslime waren, was ja nun auch so ist. Es hat sie überhaupt nicht interessiert und ich glaube, es ist relativ deutlich, dass da viel an Religion zum Vorwand genommen wird, um Verbrechen zu begehen oder sich dabei ein gutes Gewissen zu machen. Über solche Fragen muss man natürlich miteinander reden.

    Durak: Besteht aber nicht die Gefahr, Frau Däubler-Gmelin, dass junge Muslime hier in Deutschland in die Arme Radikaler gescheucht werden, weil sie auf einen solchen Widerstand, auf Misstrauen treffen?

    Däubler-Gmelin: Ja, ich meine, wenn es nicht gelingt, miteinander zu reden, dann wäre eine solche Gefahr nicht von vorne herein auszuschließen. Meine Erfahrungen aus den Gesprächen sind zum großen Teil anders. Mir sagen gerade Mitglieder von muslimischen Moscheen, dass sie eigentlich schon seit Jahren darauf aufmerksam gemacht haben, dass es hier Radikale oder Fanatiker gibt, Islamisten, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und dass sie sich gewundert hätten, dass man dem einfach so zuschaut. Also diese Äußerungen gibt es auch und ich denke, es geht nur - gerade um unser Zusammenleben auf eine sichere und tragfähige Grundlage zu stellen, auch für die Zukunft -, wenn mehr miteinander geredet wird und die Grundlage, nämlich das Grundgesetz, sehr eindeutig und klar formuliert wird.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Däubler-Gmelin.

    Link: Interview als RealAudio