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Welche Hilfe brauchen Unternehmen nach der Hochwasserkatasrophe?

04.09.2002
    Engels: Reichen die bislang angekündigten Hochwasserhilfen für die Flutopfer aus und kommt die Unterstützung schnell genug? Diese Fragen werden nach wie vor kontrovers diskutiert. Nach Streitereien zwischen dem Bund und dem Land Sachsen reiste gestern der Kanzler nach Dresden. Das Gesprächsergebnis: Sachsen kann wohl gemeinsam mit Sachsen-Anhalt auf 80 % der Hilfen hoffen und die Frist zur Anmeldung von Insolvenzen wird bis zum Ende des Jahres verlängert. Hilft das den betroffenen Unternehmen und Höfen? – Wir wollen ein Beispiel herausgreifen. In der Nähe des sächsischen Ortes Grimma, der durch die Flut ja schwer getroffen wurde, liegt eine Obstproduktion und Kelterei. Das ist die Obstland Dürr-Weitzschen AG, eine Firma mit rund 450 Mitarbeitern, die vor der Flut 23 Millionen € Umsatz pro Jahr erwirtschaftete, vor allem durch Obstsäfte. Am Telefon begrüße ich den Vorstandschef der Firma, Gerd Kalbitz. Guten Morgen Herr Kalbitz!

    Kalbitz: Guten Morgen Frau Engels.

    Engels: Kurz zusammengefasst: was hat der Fluss Mulde bei Ihnen angerichtet?

    Kalbitz: Der Fluss Mulde hat bei uns die Kelterei, die insgesamt neu aufgebaut worden war, total überflutet. Wir haben dort einen Schaden von 2,8 Millionen €.

    Engels: Das ist der Schaden. Ist auch die Obstproduktion, die Sie ja ebenfalls betreiben, betroffen?

    Kalbitz: Die Obstproduktion ist nur geringfügig betroffen, da wir ja die Anlagen in höhergelegenen Flächen haben. Hier haben die schweren Niederschläge Schaden gemacht, aber der ist im Vergleich zu dem in der Kelterei doch gering.

    Engels: Haben Sie bereits Soforthilfen erhalten?

    Kalbitz: Was bisher über Presse, Rundfunk und Fernsehen gekommen ist, da kann ich an dieser Stelle sagen: wir haben jetzt einen Bescheid im Hause über 500 € pro Arbeitnehmer von den Arbeitnehmern, die in der Kelterei arbeiten. Das sind also 35 Arbeitnehmer, die im Moment davon profitieren. Dieser Bescheid liegt vor über 17500 €.

    Engels: Woran hapert es jetzt? Was brauchen Sie als allererstes?

    Kalbitz: Hapern tut es eigentlich an den schnellen Hilfen, an den schnellen finanziellen Hilfen. Es ist ja normal: wenn jetzt die Apfelsaison beginnt, dann beginnt auch die Press-Saison und wir müssen ja Äpfel pressen, damit Säfte hergestellt werden können, Wintervorrat anlegen. An dieser Stelle ist es natürlich sehr wichtig, dass man auch im Markt bleibt. Wir haben durch diese Neuinvestition natürlich auch einen Vormarsch auf dem Markt gehabt und den büßen wir jetzt Schritt für Schritt ein, weil wir ja schon seit dem 12. August diesen Jahres nicht mehr abfüllen können. Es ist hier also ganz dringend finanzielle Hilfe gefragt, die auch in den Unternehmen ankommt.

    Engels: Schnelle Hilfe ist gefragt. Helfen Ihnen denn neue Kredite weiter?

    Kalbitz: Uns helfen erst einmal alle Leute, die uns helfen können: also diejenigen, die Maschinen hergestellt haben, die uns die Abfüllanlagen aufgebaut haben, die uns alles ermöglicht haben, dass wir so eine Presserei aufbauen konnten. Die haben uns jetzt erst mal schnell und unbürokratisch geholfen und haben gesagt, die Rechnungen kriegt ihr später. Neue Kredite? Die Frage ist natürlich nicht möglich, da wir uns mit dem Gesamtunternehmen schon in den letzten Jahren mit über 56 Millionen € dort in eine Investitionsphase begeben haben. Da ist natürlich jeder Quadratmeter, den wir als Eigentum besitzen, auch mit den Banken abgesichert.

    Engels: Also bräuchten Sie eigentlich nicht zurückzuzahlende Zuschüsse oder die Stundung von Krediten?

    Kalbitz: Ja. Hier geht es eigentlich darum, dass der Staat oder der Bund und das Land Bürgschaften übernimmt bzw. dass hier Zuschüsse fließen, dass es nach dem Satz des Kanzlers dem Unternehmen, das von der Hochwasserflut betroffen worden ist, nach der Flut nicht schlechter geht wie vorher. Hier sollte der Bund also einspringen und Zuschüsse in der Form geben oder Schulden erlassen, dass die Banken dann wieder eintreten können in die alten Kreditlinien.

    Engels: Hilft Ihnen denn die gestrige Ankündigung von Bundeskanzler Schröder, die Frist für Insolvenzanmeldungen bis Ende des Jahres zu verschieben?

    Kalbitz: An der Frage haben wir nie gestanden, da wir mit der Obstland Dürr-Weitzschen AG und mit Sachsenobst am Ende nicht in die Insolvenz gehen in den nächsten Tagen oder gehen müssen, da noch andere Standbeine des Unternehmens vorhanden sind und wir an der Stelle diesen Gedanken bisher überhaupt noch nicht verfolgt haben.

    Engels: Fürchten Sie denn, dass Sie Beschäftigte entlassen müssen?

    Kalbitz: Wir haben die Beschäftigten der Kelterei gleich nach der Katastrophe in Strukturanpassungsmaßnahmen entlassen. Die sind also im Moment beim Arbeitsamt bzw. werden von dort finanziert. Wir werden nach der Apfelernte entlassen müssen, um ein straffes Krisenmanagement dort durchzuführen. Das ist ganz normal.

    Engels: Vielen Dank für Ihre Eindrücke und Ihnen alles Gute. – Wir sprachen mit Gerd Kalbitz. Er ist der Vorstandsvorsitzende der Obstland Dürr-Weitzschen AG.

    Link: Interview als RealAudio