Stefan Heinlein: Grillwochen mitten im Winter. Der heiße Stuhl steht seit Beginn dieser Woche in Brüssel. Die 26 EU-Kommissionskandidaten müssen sich den bohrenden Fragen der Europaabgeordneten stellen, stundenlange Kreuzverhöre zur persönlichen und politischen Qualifikation. Ende Januar wird dann abgestimmt. Der heutige Tag ist aus deutscher Sicht besonders spannend. In knapp einer Stunde wird der designierte EU-Energiekommissar Günther Oettinger auf dem heißen Stuhl Platz nehmen.
In Brüssel begrüße ich nun den luxemburgischen Europaabgeordneten der Grünen, Claude Turmes, zugleich stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Europaparlament. Guten Morgen!
Claude Turmes: Guten Morgen.
Heinlein: Herr Turmes, Sie sind Luxemburger. Haben Sie bis vor wenigen Wochen den Namen Günther Oettinger schon gekannt?
Turmes: Auf jeden Fall. In Luxemburg wird halt sehr viel auch über deutsche Politik, auch Landespolitik berichtet. Das heißt, Herr Oettinger ist mir schon ein Begriff.
Heinlein: Interessieren Sie die Gerüchte, dass Günther Oettinger von Angela Merkel angeblich nur aus innenpolitischen Gründen nach Brüssel abgeschoben wurde?
Turmes: Ich denke, das ist wichtiger für die deutsche Politik als für die europäische Politik. Was mich interessiert ist, welche Impulse wird Herr Oettinger geben, und wir stehen bei Energiepolitik an einer Weichenstellung. Energiepolitik können wir machen für Bürger und Mittelstand. Das ist wesentlich in Richtung 100 Prozent erneuerbare Energien, deutsche Erfolge bei Wind, Solar und Biogas auf ganz Europa ausdehnen. Das ist die eine Richtung. Die andere Richtung ist Energiepolitik für Großkonzerne mit Marktdominanz, Abzockementalität, Kohle als Klimakiller und Atomreaktoren aus den frühen 70-ern. Es würde ja niemand sich noch in Opas PKW setzen und an die Ostsee fahren.
Heinlein: Und in welche Richtung, Herr Turmes, erwarten Sie Impulse von dem neuen EU-Energiekommissar Günther Oettinger?
Turmes: Das ist die spannende Frage und ich denke, Herr Oettinger hat ein Problem. Das ist, dass er sehr eng befreundet ist mit Herrn Bernotat, seines Zeichen Vorsitzender von E.ON, und Herrn Großmann, seines Zeichens Vorsitzender von RWE. Was wir sicherstellen müssen, auch in der heutigen Anhörung, dass die Ausrichtung der EU-Energiepolitik nicht in einer Skatrunde bei Herrn Bernotat und Herrn Großmann beschlossen wird.
Heinlein: Haben Sie Befürchtungen in diese Richtung? Werden Sie Günther Oettinger heute dazu fragen?
Turmes: Herr Oettinger muss beweisen, dass wir als Bürger im Mittelpunkt stehen in der europäischen Energiepolitik, und von daher muss er einen starken Charakter haben, weil er in der Regel gegen die Interessen der großen Energiekonzerne Energieeffizienz durchsetzen muss, beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und eben auch zum Beispiel gerade bei RWE die Trennung des Netzes von der Kohle- und Atomstromproduktion, die ja auch indirekt den Ausbau der Erneuerbaren behindert.
Heinlein: Wie werden Sie, Herr Turmes, heute den starken Charakter von Günther Oettinger prüfen? Werden Sie ihn auch zu seiner Vergangenheit fragen, etwa zu seiner missratenen Trauerrede für seinen Vorgänger Filbinger?
Turmes: Wir haben das intern besprochen, auch mit Herrn Bütikofer. Wir denken, dass das in Deutschland abgehakt wurde. Was uns interessiert ist: Was macht Herr Oettinger die nächsten fünf Jahre. Ich denke, dass wir als Grüne da sehr konkrete Vorschläge haben, die gerade auch den Mittelstand stärken, die für die Bürger interessant sind, die Europa auch – und das ist wichtig nach Kopenhagen – wieder zurück in die Superliga führen. Was ja auch auf dem Stand steht: Die europäischen Länder inklusive Frau Merkel haben in Kopenhagen am Katzentisch gesessen, als China und USA die Entscheidungen getroffen haben, und nur dadurch, dass wir in Europa weniger abhängig werden von Energieimporten und die Spitzentechnologien entwickeln und uns zum Weltspitzenreiter machen bei Energie und Klima, wird dazu führen, dass Europa in Zukunft überhaupt an dem wichtigen Tisch, also auch in der Superliga spielt.
Heinlein: Das sind Ihre Forderungen aus Sicht der Grünen-Europafraktion. Glauben Sie, dass Günther Oettinger diese Forderungen aufgreifen wird und zu einer Art spitzeneuropäischer Klimaschützer werden wird?
Turmes: Ich will das nicht ausschließen. Wir werden jetzt ab neun Uhr in die Befragung gehen. Persönlich habe ich zwei Gespräche mit Herrn Oettinger gehabt. Ich will nicht ausschließen, dass wir da eine schwarz-grüne Bande spielen können. Das ist ja auch vielleicht das nächste Resultat der Wahlen in Nordrhein-Westfalen und die prägen ja auch die Bundespolitik.
Heinlein: Aber zum Klimaschutz gehört für Günther Oettinger auch die Atomenergie?
Turmes: Ja, aber ich denke, man muss wissen, Atomenergie ist eine nationale Politik und wenn Herr Oettinger sich vornimmt, jetzt quasi mit den Europasternchen in Gorleben nach Endlagern zu suchen oder sonst irgendwo in Europa, dann sage ich Bonne Chance.
Heinlein: Ganz oder gar nicht, Herr Turmes. Das Parlament kann die Kommission ja nur insgesamt ablehnen oder abnicken. Halten Sie denn dieses geltende Verfahren der Kommissionsauswahl für glücklich und geeignet, die besten Kandidaten auszusuchen?
Turmes: Es wäre natürlich besser, wenn wir individuell Kandidaten auch abwählen könnten, aber die 27 Regierungen wollten uns dieses Recht als Parlament nicht zustehen. Aber ich denke, wir versuchen, hier taktisch clever zu sein. Wir haben jetzt diese Woche schon dafür gesorgt, dass einzelne Kandidaten sehr heftig angeschossen sind, und ich bin überzeugt, dass Herr Barroso schon übers Wochenende einzelne Veränderungen vornehmen muss, weil er sonst nämlich riskiert, dass nächste Woche seine Kommission eben am Start steht, aber der Startschuss nicht fällt.
Heinlein: Wurde es denn versäumt, im Rahmen des Lissabon-Vertrages die notwendigen Reformen in Gang zu bringen, umzusetzen bei der Kommissionsauswahl?
Turmes: Bei der Kommissionsauswahl war es ganz klar: Das Europäische Parlament hat über alle Parteigrenzen heraus gefordert, dass das Parlament einzelne Kommissare abwählen kann, und die 27 Regierungen wollten das nicht. Ich denke, die spannende Frage bei Barroso ist ja auch und die große Skepsis im Europäischen Parlament, dass Herr Barroso in der Regel vor den großen Ländern einknickt, und ich denke, das kann nicht sein. Wir brauchen eine Europapolitik, wo die großen Länder und die kleinen Länder und wo das europäische Interesse im Mittelpunkt steht. Gerade der Misserfolg in Kopenhagen sollte uns lehren, das zu Nationale der großen Mitgliedsländer, Deutschland, Frankreich, England, bringt uns nicht weiter im 21. Jahrhundert, weil China und USA sich von einzelnen europäischen Nationen nicht mehr beeinflussen lassen. Nur wenn wir zusammenstehen, 27 Regierungen, 27 Länder, 500 Millionen Einwohner, der größte Binnenmarkt der Welt, und eine Vorreiterrolle übernehmen bei Spitzentechnologie, die wir brauchen zur Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts, nur dann wird Europa in der Superliga in Zukunft spielen.
Heinlein: Ist es denn vor dem Hintergrund, den Sie gerade geschildert haben, Herr Turmes, sinnvoll, dass jedes auch noch so kleine Land einen eigenen EU-Kommissar stellt?
Turmes: Das ist eine Frage, die natürlich auch angesprochen wurde. Es gab mal Vorschläge, das auf 15 zu reduzieren. Realpolitisch ist das nicht durchgegangen, auch weil eben der nationale Kommissar da ist, um quasi ein bisschen so die Sensibilität der einzelnen Länder zu repräsentieren. Gerade in den kleineren Mitgliedsländern und auch in meinem ist das psychologisch eine wichtige Größe. Ich gehe davon aus, Europa hat heute sehr viele Kompetenzen und eine Regierung, eine europäische Regierung und eine europäische Kommission kann sich 27 Ressorts leisten. Das wichtige ist, dass diese Ressorts gut abgestimmt sind, und in der Hinsicht werden wir auch als Grüne versuchen, Blockbildung zu machen intern mit einzelnen Kommissaren, um gerade die grüne Agenda, Re-Regulierung der Finanzen, massive Investitionen in grüne Technologien und Investitionen in Bildung und Forschung, voranzutreiben.
Heinlein: Der luxemburgische Europaabgeordnete Claude Turmes von den Grünen zur heutigen Befragung von Günther Oettinger im Europaparlament. Herr Turmes, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Brüssel.
Turmes: Auf Wiederhören!
In Brüssel begrüße ich nun den luxemburgischen Europaabgeordneten der Grünen, Claude Turmes, zugleich stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Europaparlament. Guten Morgen!
Claude Turmes: Guten Morgen.
Heinlein: Herr Turmes, Sie sind Luxemburger. Haben Sie bis vor wenigen Wochen den Namen Günther Oettinger schon gekannt?
Turmes: Auf jeden Fall. In Luxemburg wird halt sehr viel auch über deutsche Politik, auch Landespolitik berichtet. Das heißt, Herr Oettinger ist mir schon ein Begriff.
Heinlein: Interessieren Sie die Gerüchte, dass Günther Oettinger von Angela Merkel angeblich nur aus innenpolitischen Gründen nach Brüssel abgeschoben wurde?
Turmes: Ich denke, das ist wichtiger für die deutsche Politik als für die europäische Politik. Was mich interessiert ist, welche Impulse wird Herr Oettinger geben, und wir stehen bei Energiepolitik an einer Weichenstellung. Energiepolitik können wir machen für Bürger und Mittelstand. Das ist wesentlich in Richtung 100 Prozent erneuerbare Energien, deutsche Erfolge bei Wind, Solar und Biogas auf ganz Europa ausdehnen. Das ist die eine Richtung. Die andere Richtung ist Energiepolitik für Großkonzerne mit Marktdominanz, Abzockementalität, Kohle als Klimakiller und Atomreaktoren aus den frühen 70-ern. Es würde ja niemand sich noch in Opas PKW setzen und an die Ostsee fahren.
Heinlein: Und in welche Richtung, Herr Turmes, erwarten Sie Impulse von dem neuen EU-Energiekommissar Günther Oettinger?
Turmes: Das ist die spannende Frage und ich denke, Herr Oettinger hat ein Problem. Das ist, dass er sehr eng befreundet ist mit Herrn Bernotat, seines Zeichen Vorsitzender von E.ON, und Herrn Großmann, seines Zeichens Vorsitzender von RWE. Was wir sicherstellen müssen, auch in der heutigen Anhörung, dass die Ausrichtung der EU-Energiepolitik nicht in einer Skatrunde bei Herrn Bernotat und Herrn Großmann beschlossen wird.
Heinlein: Haben Sie Befürchtungen in diese Richtung? Werden Sie Günther Oettinger heute dazu fragen?
Turmes: Herr Oettinger muss beweisen, dass wir als Bürger im Mittelpunkt stehen in der europäischen Energiepolitik, und von daher muss er einen starken Charakter haben, weil er in der Regel gegen die Interessen der großen Energiekonzerne Energieeffizienz durchsetzen muss, beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und eben auch zum Beispiel gerade bei RWE die Trennung des Netzes von der Kohle- und Atomstromproduktion, die ja auch indirekt den Ausbau der Erneuerbaren behindert.
Heinlein: Wie werden Sie, Herr Turmes, heute den starken Charakter von Günther Oettinger prüfen? Werden Sie ihn auch zu seiner Vergangenheit fragen, etwa zu seiner missratenen Trauerrede für seinen Vorgänger Filbinger?
Turmes: Wir haben das intern besprochen, auch mit Herrn Bütikofer. Wir denken, dass das in Deutschland abgehakt wurde. Was uns interessiert ist: Was macht Herr Oettinger die nächsten fünf Jahre. Ich denke, dass wir als Grüne da sehr konkrete Vorschläge haben, die gerade auch den Mittelstand stärken, die für die Bürger interessant sind, die Europa auch – und das ist wichtig nach Kopenhagen – wieder zurück in die Superliga führen. Was ja auch auf dem Stand steht: Die europäischen Länder inklusive Frau Merkel haben in Kopenhagen am Katzentisch gesessen, als China und USA die Entscheidungen getroffen haben, und nur dadurch, dass wir in Europa weniger abhängig werden von Energieimporten und die Spitzentechnologien entwickeln und uns zum Weltspitzenreiter machen bei Energie und Klima, wird dazu führen, dass Europa in Zukunft überhaupt an dem wichtigen Tisch, also auch in der Superliga spielt.
Heinlein: Das sind Ihre Forderungen aus Sicht der Grünen-Europafraktion. Glauben Sie, dass Günther Oettinger diese Forderungen aufgreifen wird und zu einer Art spitzeneuropäischer Klimaschützer werden wird?
Turmes: Ich will das nicht ausschließen. Wir werden jetzt ab neun Uhr in die Befragung gehen. Persönlich habe ich zwei Gespräche mit Herrn Oettinger gehabt. Ich will nicht ausschließen, dass wir da eine schwarz-grüne Bande spielen können. Das ist ja auch vielleicht das nächste Resultat der Wahlen in Nordrhein-Westfalen und die prägen ja auch die Bundespolitik.
Heinlein: Aber zum Klimaschutz gehört für Günther Oettinger auch die Atomenergie?
Turmes: Ja, aber ich denke, man muss wissen, Atomenergie ist eine nationale Politik und wenn Herr Oettinger sich vornimmt, jetzt quasi mit den Europasternchen in Gorleben nach Endlagern zu suchen oder sonst irgendwo in Europa, dann sage ich Bonne Chance.
Heinlein: Ganz oder gar nicht, Herr Turmes. Das Parlament kann die Kommission ja nur insgesamt ablehnen oder abnicken. Halten Sie denn dieses geltende Verfahren der Kommissionsauswahl für glücklich und geeignet, die besten Kandidaten auszusuchen?
Turmes: Es wäre natürlich besser, wenn wir individuell Kandidaten auch abwählen könnten, aber die 27 Regierungen wollten uns dieses Recht als Parlament nicht zustehen. Aber ich denke, wir versuchen, hier taktisch clever zu sein. Wir haben jetzt diese Woche schon dafür gesorgt, dass einzelne Kandidaten sehr heftig angeschossen sind, und ich bin überzeugt, dass Herr Barroso schon übers Wochenende einzelne Veränderungen vornehmen muss, weil er sonst nämlich riskiert, dass nächste Woche seine Kommission eben am Start steht, aber der Startschuss nicht fällt.
Heinlein: Wurde es denn versäumt, im Rahmen des Lissabon-Vertrages die notwendigen Reformen in Gang zu bringen, umzusetzen bei der Kommissionsauswahl?
Turmes: Bei der Kommissionsauswahl war es ganz klar: Das Europäische Parlament hat über alle Parteigrenzen heraus gefordert, dass das Parlament einzelne Kommissare abwählen kann, und die 27 Regierungen wollten das nicht. Ich denke, die spannende Frage bei Barroso ist ja auch und die große Skepsis im Europäischen Parlament, dass Herr Barroso in der Regel vor den großen Ländern einknickt, und ich denke, das kann nicht sein. Wir brauchen eine Europapolitik, wo die großen Länder und die kleinen Länder und wo das europäische Interesse im Mittelpunkt steht. Gerade der Misserfolg in Kopenhagen sollte uns lehren, das zu Nationale der großen Mitgliedsländer, Deutschland, Frankreich, England, bringt uns nicht weiter im 21. Jahrhundert, weil China und USA sich von einzelnen europäischen Nationen nicht mehr beeinflussen lassen. Nur wenn wir zusammenstehen, 27 Regierungen, 27 Länder, 500 Millionen Einwohner, der größte Binnenmarkt der Welt, und eine Vorreiterrolle übernehmen bei Spitzentechnologie, die wir brauchen zur Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts, nur dann wird Europa in der Superliga in Zukunft spielen.
Heinlein: Ist es denn vor dem Hintergrund, den Sie gerade geschildert haben, Herr Turmes, sinnvoll, dass jedes auch noch so kleine Land einen eigenen EU-Kommissar stellt?
Turmes: Das ist eine Frage, die natürlich auch angesprochen wurde. Es gab mal Vorschläge, das auf 15 zu reduzieren. Realpolitisch ist das nicht durchgegangen, auch weil eben der nationale Kommissar da ist, um quasi ein bisschen so die Sensibilität der einzelnen Länder zu repräsentieren. Gerade in den kleineren Mitgliedsländern und auch in meinem ist das psychologisch eine wichtige Größe. Ich gehe davon aus, Europa hat heute sehr viele Kompetenzen und eine Regierung, eine europäische Regierung und eine europäische Kommission kann sich 27 Ressorts leisten. Das wichtige ist, dass diese Ressorts gut abgestimmt sind, und in der Hinsicht werden wir auch als Grüne versuchen, Blockbildung zu machen intern mit einzelnen Kommissaren, um gerade die grüne Agenda, Re-Regulierung der Finanzen, massive Investitionen in grüne Technologien und Investitionen in Bildung und Forschung, voranzutreiben.
Heinlein: Der luxemburgische Europaabgeordnete Claude Turmes von den Grünen zur heutigen Befragung von Günther Oettinger im Europaparlament. Herr Turmes, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Brüssel.
Turmes: Auf Wiederhören!