Kapérn: Pisa heißt die Studie, die von der OECD verfasst wurde, und sie schlug ein wie eine Bombe. Im internationalen Vergleich landeten deutsche Schüler auf hintersten Plätzen. Schlimmer noch: gerade Benachteiligte haben in Deutschlands Schulsystem kaum eine Chance, aus dem Getto der Bildungslosigkeit herauszukommen. Kurzum: Deutschlands Schulen sind asozial. Seither wird heftig debattiert, was denn geändert werden muss. Bei uns am Telefon nun Andreas Schleicher, Koordinator bei der OECD für die Pisa-Studie. Guten Morgen!
Schleicher: Guten Morgen.
Kapérn: Herr Schleicher, nun sind also rund drei Monate vergangen, seit die OECD-Studie das Land geschockt hat. War es Ihrer Ansicht nach bislang schon ein heilsamer Schock?
Schleicher: Ich denke das lässt sich erst in einigen Jahren bewerten, nämlich daran, was tatsächlich dann an Reformvorschlägen umgesetzt wird. Aber dass eine Diskussion zu Stande gekommen ist, das ist schon ein sehr guter Anfang.
Kapérn: Läuft die Diskussion auch so wie sie laufen sollte?
Schleicher: Ich denke in vieler Hinsicht schon. Es werden viele wichtige Punkte beachtet. Man schaut jetzt darauf was machen andere Länder anders, die in der Bildung erfolgreich sind, denn das wesentliche bei Pisa ist ja: Pisa zeigt, dass man eine gute Gesamtleistung und gleichzeitig eine gerechte Verteilung der Bildungschancen durchaus erreichen kann. Leistung und Chancengleichheit sind keine politischen Alternativen. Das zeigen Beispiele wie Finnland, Schweden, Kanada und viele andere, Japan Korea sehr deutlich bei Pisa und ich denke das wird beachtet. Dass man den Blick nach außen wirft, mal auf politische Alternativen im Ausland schaut, ich denke das ist sicherlich schon der richtige Weg.
Kapérn: Das heißt also von den Stimmen, die innerhalb dieser Diskussion, wie sie hierzulande geführt wird, derzeit fordern, dass das Leistungsniveau erhöht werden müsse, dass die Anforderungen verstärkt werden müssen, eine härtere Auslese im deutschen Schulwesen zu treffen sei, davon halten Sie nichts?
Schleicher: Ich denke härtere Auslese hat sich in der Vergangenheit nicht bewährt. Deutschland ist sozusagen ja Meister bei der frühen Separation von Schulwegen und Bildungspfaden. Da zeigt auch kein anderes Land mit einem solchen System gute Ergebnisse. Man muss Elitenförderung und Leistung auf einer breiten Grundlage aufbauen. Das heißt man muss Bildung und Leistung insgesamt fördern. Es ist auch gar nicht mal primär eine Frage des Leistungsdrucks, sondern einfach, dass man Bildungsergebnisse in den Vordergrund stellt. Man muss das Lernen und den Lernenden in den Vordergrund stellen und nicht die Institution. Ich denke man darf Bildung nicht primär darin verstehen, dass man einfach Schüler in gegebene Systeme einsortiert, sondern man muss den Lernenden und das Lernen in den Vordergrund stellen. Das tun Länder wie Finnland, was ein sehr gutes Beispiel ist. Da muss sich die einzelne Schule um ein breites Spektrum an Schülerleistungen kümmern und wird damit offensichtlich auch sehr gut fertig.
Kapérn: Nun haben wir ja gerade in dem kleinen Beitrag meines Kollegen Dieter Nürnberger gehört, wie vielschichtig die Ansätze sind, um das deutsche Schulwesen zu reparieren. Aber haben Sie auch den Eindruck, dass das, was Ihrer Meinung nach der wichtigste Heilungsansatz wäre, den gebührenden Stellenwert erfährt?
Schleicher: Der Stellenwert von Bildung ist sicherlich ein ganz zentraler Punkt und da gibt es ganz viele Gesichtspunkte. Zum einen denke ich die frühe Förderung ist wichtig. Auch dort werden Chancen gefördert, dass man eine gute Ausgangsbasis schafft, dass man Kindergarten und Vorschule stärker mit der Schule integriert, einen klareren Bildungsauftrag für die Kindergärten schafft, was wieder nicht heißt, dass man früher mit Lesen anfängt, sondern dass man einfach Bildung als lebenslangen Prozess begreift und nicht, dass der Schüler praktisch mit sechs Jahren mit der Schule konfrontiert wird.
Kapérn: Sie würden also mit der großen deutschen Schulreform im Kindergarten anfangen. Was genau würden Sie dort ändern?
Schleicher: Man muss einfach den Bildungsauftrag sehen. Es geht im Kindergarten nicht primär um Kinderbetreuung, sondern das Lernen fängt früh an. Man muss Lernvoraussetzungen schaffen, das Interesse, die Neugier von Kindern früh fördern. Das wird auch in vielen erfolgreichen Staaten so gemacht. Da gleicht man nämlich praktisch die Ungleichheiten, die bestehen, aus. Da kann praktisch der Bildungsauftrag auch soziale Defizite ausgleichen, die sich später sehr schwer bereinigen lassen. Wir haben in Deutschland den großen Nachteil der Migrantenkinder. Das ist auch Folge davon, dass Lernschwierigkeiten erst sehr spät erkannt und ausgeglichen werden. Das ist denke ich schon ein wichtiger Gesichtspunkt. Dann habe ich schon die Ergebnisorientierung angesprochen, dass man von einer prozessorientierten und inputorientierten Bildungspolitik hingeht zu einer, die auf Lernergebnisse orientiert ist. Integration von Bildungspfaden haben wir schon angesprochen. Es gibt also eine ganze Reihe von Ansätzen, die in anderen Ländern durchaus zu großen Erfolgen geführt haben.
Kapérn: In Deutschland ist Schule Ländersache. Ist der Föderalismus hinderlich oder förderlich für die notwendigen Reformen?
Schleicher: Ich denke das ist vielleicht sogar ein eher unwichtiger Aspekt. Es gibt durchaus föderale Systeme. Schauen Sie Kanada an, einer der besten Staaten im Pisa-Vergleich. Auch das ist ein föderales System. Das muss meiner Meinung nach kein Hinderungsgrund sein.
Kapérn: Ein weiterer Punkt, den die Studie zu Tage gefördert hat, ist, dass in Deutschland relativ wenig Geld insbesondere für Grundschüler ausgegeben wird. Ist den deutschen Politikern eigentlich schon klar, dass sie ganz viel Geld bereitstellen müssten?
Schleicher: Bildung hat seinen Preis. Ich denke das lässt sich gar nicht bezweifeln. In Deutschland gibt es schon Grund zum Nachdenken, dass auf der einen Seite in der Grundschule unterdurchschnittlich investiert wird und nachher in der Sekundarstufe II die Ausgaben überproportional sind. Da wird tatsächlich am Anfang vergleichsweise im internationalen Standard wenig investiert. Ich denke das ist sicherlich eine Frage, über die man nachdenken kann, obwohl es da auch keine magische Formel für die Bildungsausgaben gibt. Nur am Anfang wird weniger investiert. Das wird ja sogar noch deutlicher im Kindergarten. Da wird ein Großteil, ein Drittel der Ausgaben aus privater Hand finanziert durch Kostenbeteiligung von Eltern. Auf der einen Seite ist das dort eine Selbstverständlichkeit. Auf der anderen Seite, wenn es um Studiengebühren an der Hochschule geht, dort wo sie eigentlich noch viel eher gerechtfertigt sind, wo auch die Erträge den einzelnen zugute kommen, da ist das kein Thema. In den höheren Leistungsstufen wird sehr viel investiert, im unteren Bereich sehr wenig oder vergleichsweise wenig und im Kindergarten ist das dann praktisch Privatsache. Lebenslanges Lernen, lebensbegleitendes Lernen das heißt eben, Lernen fängt von der Geburt an und muss sich über das ganze Leben erstrecken. Die Erwachsenen müssen motiviert sein, Interesse haben weiterzulernen. Ich denke das sind doch die wesentlichen Voraussetzungen für Zukunftsfähigkeit heute.
Kapérn: Drei Monate Diskussion um die Pisa-Studie. Das war Andreas Schleicher, Koordinator bei der OECD für diese Pisa-Studie, heute Morgen im Deutschlandfunk. - Ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio
Schleicher: Guten Morgen.
Kapérn: Herr Schleicher, nun sind also rund drei Monate vergangen, seit die OECD-Studie das Land geschockt hat. War es Ihrer Ansicht nach bislang schon ein heilsamer Schock?
Schleicher: Ich denke das lässt sich erst in einigen Jahren bewerten, nämlich daran, was tatsächlich dann an Reformvorschlägen umgesetzt wird. Aber dass eine Diskussion zu Stande gekommen ist, das ist schon ein sehr guter Anfang.
Kapérn: Läuft die Diskussion auch so wie sie laufen sollte?
Schleicher: Ich denke in vieler Hinsicht schon. Es werden viele wichtige Punkte beachtet. Man schaut jetzt darauf was machen andere Länder anders, die in der Bildung erfolgreich sind, denn das wesentliche bei Pisa ist ja: Pisa zeigt, dass man eine gute Gesamtleistung und gleichzeitig eine gerechte Verteilung der Bildungschancen durchaus erreichen kann. Leistung und Chancengleichheit sind keine politischen Alternativen. Das zeigen Beispiele wie Finnland, Schweden, Kanada und viele andere, Japan Korea sehr deutlich bei Pisa und ich denke das wird beachtet. Dass man den Blick nach außen wirft, mal auf politische Alternativen im Ausland schaut, ich denke das ist sicherlich schon der richtige Weg.
Kapérn: Das heißt also von den Stimmen, die innerhalb dieser Diskussion, wie sie hierzulande geführt wird, derzeit fordern, dass das Leistungsniveau erhöht werden müsse, dass die Anforderungen verstärkt werden müssen, eine härtere Auslese im deutschen Schulwesen zu treffen sei, davon halten Sie nichts?
Schleicher: Ich denke härtere Auslese hat sich in der Vergangenheit nicht bewährt. Deutschland ist sozusagen ja Meister bei der frühen Separation von Schulwegen und Bildungspfaden. Da zeigt auch kein anderes Land mit einem solchen System gute Ergebnisse. Man muss Elitenförderung und Leistung auf einer breiten Grundlage aufbauen. Das heißt man muss Bildung und Leistung insgesamt fördern. Es ist auch gar nicht mal primär eine Frage des Leistungsdrucks, sondern einfach, dass man Bildungsergebnisse in den Vordergrund stellt. Man muss das Lernen und den Lernenden in den Vordergrund stellen und nicht die Institution. Ich denke man darf Bildung nicht primär darin verstehen, dass man einfach Schüler in gegebene Systeme einsortiert, sondern man muss den Lernenden und das Lernen in den Vordergrund stellen. Das tun Länder wie Finnland, was ein sehr gutes Beispiel ist. Da muss sich die einzelne Schule um ein breites Spektrum an Schülerleistungen kümmern und wird damit offensichtlich auch sehr gut fertig.
Kapérn: Nun haben wir ja gerade in dem kleinen Beitrag meines Kollegen Dieter Nürnberger gehört, wie vielschichtig die Ansätze sind, um das deutsche Schulwesen zu reparieren. Aber haben Sie auch den Eindruck, dass das, was Ihrer Meinung nach der wichtigste Heilungsansatz wäre, den gebührenden Stellenwert erfährt?
Schleicher: Der Stellenwert von Bildung ist sicherlich ein ganz zentraler Punkt und da gibt es ganz viele Gesichtspunkte. Zum einen denke ich die frühe Förderung ist wichtig. Auch dort werden Chancen gefördert, dass man eine gute Ausgangsbasis schafft, dass man Kindergarten und Vorschule stärker mit der Schule integriert, einen klareren Bildungsauftrag für die Kindergärten schafft, was wieder nicht heißt, dass man früher mit Lesen anfängt, sondern dass man einfach Bildung als lebenslangen Prozess begreift und nicht, dass der Schüler praktisch mit sechs Jahren mit der Schule konfrontiert wird.
Kapérn: Sie würden also mit der großen deutschen Schulreform im Kindergarten anfangen. Was genau würden Sie dort ändern?
Schleicher: Man muss einfach den Bildungsauftrag sehen. Es geht im Kindergarten nicht primär um Kinderbetreuung, sondern das Lernen fängt früh an. Man muss Lernvoraussetzungen schaffen, das Interesse, die Neugier von Kindern früh fördern. Das wird auch in vielen erfolgreichen Staaten so gemacht. Da gleicht man nämlich praktisch die Ungleichheiten, die bestehen, aus. Da kann praktisch der Bildungsauftrag auch soziale Defizite ausgleichen, die sich später sehr schwer bereinigen lassen. Wir haben in Deutschland den großen Nachteil der Migrantenkinder. Das ist auch Folge davon, dass Lernschwierigkeiten erst sehr spät erkannt und ausgeglichen werden. Das ist denke ich schon ein wichtiger Gesichtspunkt. Dann habe ich schon die Ergebnisorientierung angesprochen, dass man von einer prozessorientierten und inputorientierten Bildungspolitik hingeht zu einer, die auf Lernergebnisse orientiert ist. Integration von Bildungspfaden haben wir schon angesprochen. Es gibt also eine ganze Reihe von Ansätzen, die in anderen Ländern durchaus zu großen Erfolgen geführt haben.
Kapérn: In Deutschland ist Schule Ländersache. Ist der Föderalismus hinderlich oder förderlich für die notwendigen Reformen?
Schleicher: Ich denke das ist vielleicht sogar ein eher unwichtiger Aspekt. Es gibt durchaus föderale Systeme. Schauen Sie Kanada an, einer der besten Staaten im Pisa-Vergleich. Auch das ist ein föderales System. Das muss meiner Meinung nach kein Hinderungsgrund sein.
Kapérn: Ein weiterer Punkt, den die Studie zu Tage gefördert hat, ist, dass in Deutschland relativ wenig Geld insbesondere für Grundschüler ausgegeben wird. Ist den deutschen Politikern eigentlich schon klar, dass sie ganz viel Geld bereitstellen müssten?
Schleicher: Bildung hat seinen Preis. Ich denke das lässt sich gar nicht bezweifeln. In Deutschland gibt es schon Grund zum Nachdenken, dass auf der einen Seite in der Grundschule unterdurchschnittlich investiert wird und nachher in der Sekundarstufe II die Ausgaben überproportional sind. Da wird tatsächlich am Anfang vergleichsweise im internationalen Standard wenig investiert. Ich denke das ist sicherlich eine Frage, über die man nachdenken kann, obwohl es da auch keine magische Formel für die Bildungsausgaben gibt. Nur am Anfang wird weniger investiert. Das wird ja sogar noch deutlicher im Kindergarten. Da wird ein Großteil, ein Drittel der Ausgaben aus privater Hand finanziert durch Kostenbeteiligung von Eltern. Auf der einen Seite ist das dort eine Selbstverständlichkeit. Auf der anderen Seite, wenn es um Studiengebühren an der Hochschule geht, dort wo sie eigentlich noch viel eher gerechtfertigt sind, wo auch die Erträge den einzelnen zugute kommen, da ist das kein Thema. In den höheren Leistungsstufen wird sehr viel investiert, im unteren Bereich sehr wenig oder vergleichsweise wenig und im Kindergarten ist das dann praktisch Privatsache. Lebenslanges Lernen, lebensbegleitendes Lernen das heißt eben, Lernen fängt von der Geburt an und muss sich über das ganze Leben erstrecken. Die Erwachsenen müssen motiviert sein, Interesse haben weiterzulernen. Ich denke das sind doch die wesentlichen Voraussetzungen für Zukunftsfähigkeit heute.
Kapérn: Drei Monate Diskussion um die Pisa-Studie. Das war Andreas Schleicher, Koordinator bei der OECD für diese Pisa-Studie, heute Morgen im Deutschlandfunk. - Ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio