Remme: Sorgfältig geplante Nahostreisen ranghoher Politiker können durch aktuelle Ereignisse jederzeit über den Haufen geworfen werden. Das muss Außenminister Joschka Fischer innerhalb von drei Monaten jetzt schon zum zweitenmal erleben. Anfang Juni war Fischer zufällig in der Region, als durch den Anschlag vor einer Diskothek in Tel Aviv 20 Menschen ums Leben kamen. Fischers spontane Pendel-Diplomatie, die einen massiven israelischen Vergeltungsschlag verhindern half, hat ihm internationale Anerkennung eingetragen. Jetzt wollte er die Region wieder ausführlich bereisen, doch der Terminplan musste drastisch gekürzt werden. Besuche im Libanon, Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien wurden wegen der im Bundestag anstehenden Sondersitzung über den Einsatz deutscher Soldaten in Mazedonien abgesagt. Heute jedoch wird Fischer sowohl mit Palästinenserpräsident Arafat als auch mit Israels Premier Sharon reden. Dieser wird in außenpolitischen Angelegenheiten unter anderem von Salman Shoval beraten, Exbotschafter Israels in den USA. Salman Shoval ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Shoval: Guten Morgen!
Remme: Herr Shoval, was kann Joschka Fischer erreichen?
Shoval: Der Folgebesuch Minister Fischers war im großen und ganzen sehr positiv, aber leider waren die Resultate nur von sehr kurzer Dauer. Die Palästinenser erneuerten und ich würde sagen verstärkten damals sogar die Terrorangriffe. Vor zwei Wochen war es das Blutbad in einem Pizza-Restaurant in Jerusalem. Vor zwei Tagen wurde ein noch schlimmerer Mordanschlag in einer Diskothek in Haifa nur durch ein Wunder verhindert und so weiter. Die Aufgabe Fischers ist meiner Meinung nach ganz klar und eindeutig. Jassir Arafat und der palästinensischen Führung ist klar zu machen, dass durch weitere Gewalttätigkeiten und Terror von den Palästinensern keine politischen Dividenden erreicht werden. Im Gegenteil, dass der Terror aufhören muss und dass man sich dann an den Verhandlungstisch setzen muss.
Remme: Wie wichtig war seine Vermittlung im Juni nach dem Anschlag in Tel Aviv?
Shoval: Ich glaube sie war wichtig, denn es machte auch der Europäischen Union klarer als vorher, was eigentlich die negative Rolle Jassir Arafats in dieser ganzen Situation ist. Früher sprach man oft von beiden Seiten und von einem Gewaltzyklus und so weiter, aber Joschka Fischer sah als er hier war ganz klar, dass es hier eigentlich zwei Seiten gibt: einer der mit Terror angreift und eine andere Seite, die sich verteidigen muss. Ich glaube es wurde Joschka Fischer auch sehr klar, dass die israelische Regierung unter Premierminister Sharon eigentlich eine Politik der Zurückhaltung, also der Selbstbeherrschung führt, was auch weiterhin die Tatsache ist. Wir sahen ja auch nach diesem Blutbad in Jerusalem keine große militärische Aktion von Seiten Israels, gerade um vielleicht der Diplomatie eine Chance zu geben.
Remme: Herr Shoval, selbst Shimon Stein, Israels Botschafter hier in Deutschland, und sein Vorgänger Avi Primor haben der Mission Fischers gestern gute Chancen eingeräumt, aber mit der Begründung, beide Seiten würden praktisch in einer Sackgasse stecken und zu Zugeständnissen bereit sein. Ist Israel gar nicht gefragt?
Shoval: Was ist die Frage?
Shoval: Die Frage ist, ob es vielleicht nicht nur an den Palästinensern ist, Zugeständnisse zu machen, sondern vielleicht auch an der Seite Israels, sich zu bewegen?
Shoval: Eigentlich nicht, denn Israel hat ja schon vor einigen Monaten eine unilaterale Waffenruhe deklariert. Und obwohl die heutige Regierung unter Ministerpräsident Sharon unter Druck aus der öffentlichen Meinung ist, führt sie die Politik der Zurückhaltung weiter. Natürlich verteidigen wir uns, wo wir uns verteidigen müssen. Wir versuchen, Kamikaze-Angriffe zu verhindern wo man das tun kann. Aber im großen und ganzen sagt die israelische Regierung ja, wir wollen anfangen, den Mitchel-Report durchzuführen, jedoch die Verantwortung ist wirklich auf den Schultern Jassir Arafats, der bis heute noch nicht bereit ist, sogar nicht mündlich, einen Waffenstillstand seitens der Palästinenser auszurufen.
Remme: Ministerpräsident Sharon und Außenminister Peres haben offenbar unterschiedliche Vorstellungen über den zukünftigen Weg hin zu einem Ende der Gewalt. Wie schwer wiegt dieser Konflikt innerhalb der israelischen Regierung?
Shoval: Konflikt ist vielleicht ein zu starkes Wort. Ja, es sind Meinungsverschiedenheiten. Da haben Sie ganz recht. Außenminister Peres meint, dass vielleicht, eventuell doch eine Chance besteht, mit Jassir Arafat zu irgendeinem Abkommen zu kommen. Ich glaube die Mehrheit der israelischen Bevölkerung sind da viel skeptischer, aber Sharon sagte Herrn Peres, wenn eine Chance besteht, versuchen wir es. Ich glaube das ist in der heutigen Lage auch die richtige Einstellung.
Remme: Peres will nun Schritt für Schritt eine Waffenruhe durchsetzen. Wie soll das konkret aussehen?
Shoval: Das ist ursprünglich eine Idee Sharons, gleich nach den Wahlen, als Sharon sagte, wir als israelische Regierung sind gegen kollektive Bestrafung. Das heißt wenn in einem bestimmten Gebiet die palästinensische Bevölkerung mit dem Terror nicht zusammenarbeitet und wo Ruhe besteht, dort sollte das normale Leben wirklich weiter gehen. Aber in bestimmten Orten, wo der Terror von der Bevölkerung wie zum Beispiel in Djenin von den Organisationen dort unterstützt wird, da müssen wir härter zugehen. Ich glaube, dass die Einstellung Peres damit verbunden ist, also etappenweise und auch geographisch verteilt.
Remme: Weiter gehen würde ein anderer Vorschlag, der in der Diskussion ist, nämlich die einseitige Trennung Israels von den Palästinensern, also ein Rückzug auf Gebiete, die noch vollständig unter israelischer Kontrolle stehen. Ist das eine realistische Option?
Shoval: Es wird viel davon gesprochen. Man muss vielleicht auch die Zuhörer daran erinnern, dass 98 Prozent der Palästinenser heute schon unter der palästinensischen Autorität leben, nicht unter Israels Militärregierung. Aber ob das wirklich durchzuführen ist, diese Sache wird untersucht. Es ist sehr kompliziert. Wir leben in einem sehr kleinen Land. Ich weiß nicht, ob das größer oder kleiner als Brandenburg ist oder so etwas. Wir sind jedenfalls ein sehr kleines Land. Die Bevölkerung ist miteinander auch sehr oft verflochten. Ob man da wirklich eine Linie der Teilung ziehen kann, das ist bestimmt problematisch. Ich erinnere mich, vor vielen Jahren legte der verstorbene Außenminister Moshe Dajan ein Lineal auf eine geographische Landkarte und sagte, ich sehe keine Linie, die unsere, also Israels Sicherheitsbedürfnisse entgegenkommt und zur selben Zeit den Palästinensern ihre nationalen Forderungen befriedigen würde. Es ist eine sehr komplizierte Sache. Theoretisch wäre es vielleicht gut; ob das praktisch durchzuführen ist ist zweifelhaft.
Remme: Herr Shoval, steht die Mission von Joschka Fischer auch für eine neue Rolle der Europäer in dieser Region?
Shoval: Schauen Sie, wenn man von Europäern spricht ist dies etwas irreführend, denn es gibt ja europäische Länder, Deutschland in erster Linie, wo wir den Eindruck haben, dass unsere Position, unsere Forderungen, unsere Probleme besser verstanden werden. Es gibt andere Länder, die Interessen haben, politische, wirtschaftliche, die sehr oft es verhindern, dass diese Länder eine neutralere Position zwischen Israel und der arabischen Welt einnehmen. Aber wir haben ja immer gesagt, sollte Europa wirklich weniger propalästinensisch sein - ich spreche jetzt von der Europäischen Union und nicht von einem individuellen Land -, dann könnte Europa bestimmt eine positivere Rolle spielen, wie sie Joschka Fischer selbst eben damals gespielt hat.
Remme: Der frühere Botschafter Israels in den Vereinigten Staaten war das, Salman Shoval. - Ich bedanke mich für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio
Shoval: Guten Morgen!
Remme: Herr Shoval, was kann Joschka Fischer erreichen?
Shoval: Der Folgebesuch Minister Fischers war im großen und ganzen sehr positiv, aber leider waren die Resultate nur von sehr kurzer Dauer. Die Palästinenser erneuerten und ich würde sagen verstärkten damals sogar die Terrorangriffe. Vor zwei Wochen war es das Blutbad in einem Pizza-Restaurant in Jerusalem. Vor zwei Tagen wurde ein noch schlimmerer Mordanschlag in einer Diskothek in Haifa nur durch ein Wunder verhindert und so weiter. Die Aufgabe Fischers ist meiner Meinung nach ganz klar und eindeutig. Jassir Arafat und der palästinensischen Führung ist klar zu machen, dass durch weitere Gewalttätigkeiten und Terror von den Palästinensern keine politischen Dividenden erreicht werden. Im Gegenteil, dass der Terror aufhören muss und dass man sich dann an den Verhandlungstisch setzen muss.
Remme: Wie wichtig war seine Vermittlung im Juni nach dem Anschlag in Tel Aviv?
Shoval: Ich glaube sie war wichtig, denn es machte auch der Europäischen Union klarer als vorher, was eigentlich die negative Rolle Jassir Arafats in dieser ganzen Situation ist. Früher sprach man oft von beiden Seiten und von einem Gewaltzyklus und so weiter, aber Joschka Fischer sah als er hier war ganz klar, dass es hier eigentlich zwei Seiten gibt: einer der mit Terror angreift und eine andere Seite, die sich verteidigen muss. Ich glaube es wurde Joschka Fischer auch sehr klar, dass die israelische Regierung unter Premierminister Sharon eigentlich eine Politik der Zurückhaltung, also der Selbstbeherrschung führt, was auch weiterhin die Tatsache ist. Wir sahen ja auch nach diesem Blutbad in Jerusalem keine große militärische Aktion von Seiten Israels, gerade um vielleicht der Diplomatie eine Chance zu geben.
Remme: Herr Shoval, selbst Shimon Stein, Israels Botschafter hier in Deutschland, und sein Vorgänger Avi Primor haben der Mission Fischers gestern gute Chancen eingeräumt, aber mit der Begründung, beide Seiten würden praktisch in einer Sackgasse stecken und zu Zugeständnissen bereit sein. Ist Israel gar nicht gefragt?
Shoval: Was ist die Frage?
Shoval: Die Frage ist, ob es vielleicht nicht nur an den Palästinensern ist, Zugeständnisse zu machen, sondern vielleicht auch an der Seite Israels, sich zu bewegen?
Shoval: Eigentlich nicht, denn Israel hat ja schon vor einigen Monaten eine unilaterale Waffenruhe deklariert. Und obwohl die heutige Regierung unter Ministerpräsident Sharon unter Druck aus der öffentlichen Meinung ist, führt sie die Politik der Zurückhaltung weiter. Natürlich verteidigen wir uns, wo wir uns verteidigen müssen. Wir versuchen, Kamikaze-Angriffe zu verhindern wo man das tun kann. Aber im großen und ganzen sagt die israelische Regierung ja, wir wollen anfangen, den Mitchel-Report durchzuführen, jedoch die Verantwortung ist wirklich auf den Schultern Jassir Arafats, der bis heute noch nicht bereit ist, sogar nicht mündlich, einen Waffenstillstand seitens der Palästinenser auszurufen.
Remme: Ministerpräsident Sharon und Außenminister Peres haben offenbar unterschiedliche Vorstellungen über den zukünftigen Weg hin zu einem Ende der Gewalt. Wie schwer wiegt dieser Konflikt innerhalb der israelischen Regierung?
Shoval: Konflikt ist vielleicht ein zu starkes Wort. Ja, es sind Meinungsverschiedenheiten. Da haben Sie ganz recht. Außenminister Peres meint, dass vielleicht, eventuell doch eine Chance besteht, mit Jassir Arafat zu irgendeinem Abkommen zu kommen. Ich glaube die Mehrheit der israelischen Bevölkerung sind da viel skeptischer, aber Sharon sagte Herrn Peres, wenn eine Chance besteht, versuchen wir es. Ich glaube das ist in der heutigen Lage auch die richtige Einstellung.
Remme: Peres will nun Schritt für Schritt eine Waffenruhe durchsetzen. Wie soll das konkret aussehen?
Shoval: Das ist ursprünglich eine Idee Sharons, gleich nach den Wahlen, als Sharon sagte, wir als israelische Regierung sind gegen kollektive Bestrafung. Das heißt wenn in einem bestimmten Gebiet die palästinensische Bevölkerung mit dem Terror nicht zusammenarbeitet und wo Ruhe besteht, dort sollte das normale Leben wirklich weiter gehen. Aber in bestimmten Orten, wo der Terror von der Bevölkerung wie zum Beispiel in Djenin von den Organisationen dort unterstützt wird, da müssen wir härter zugehen. Ich glaube, dass die Einstellung Peres damit verbunden ist, also etappenweise und auch geographisch verteilt.
Remme: Weiter gehen würde ein anderer Vorschlag, der in der Diskussion ist, nämlich die einseitige Trennung Israels von den Palästinensern, also ein Rückzug auf Gebiete, die noch vollständig unter israelischer Kontrolle stehen. Ist das eine realistische Option?
Shoval: Es wird viel davon gesprochen. Man muss vielleicht auch die Zuhörer daran erinnern, dass 98 Prozent der Palästinenser heute schon unter der palästinensischen Autorität leben, nicht unter Israels Militärregierung. Aber ob das wirklich durchzuführen ist, diese Sache wird untersucht. Es ist sehr kompliziert. Wir leben in einem sehr kleinen Land. Ich weiß nicht, ob das größer oder kleiner als Brandenburg ist oder so etwas. Wir sind jedenfalls ein sehr kleines Land. Die Bevölkerung ist miteinander auch sehr oft verflochten. Ob man da wirklich eine Linie der Teilung ziehen kann, das ist bestimmt problematisch. Ich erinnere mich, vor vielen Jahren legte der verstorbene Außenminister Moshe Dajan ein Lineal auf eine geographische Landkarte und sagte, ich sehe keine Linie, die unsere, also Israels Sicherheitsbedürfnisse entgegenkommt und zur selben Zeit den Palästinensern ihre nationalen Forderungen befriedigen würde. Es ist eine sehr komplizierte Sache. Theoretisch wäre es vielleicht gut; ob das praktisch durchzuführen ist ist zweifelhaft.
Remme: Herr Shoval, steht die Mission von Joschka Fischer auch für eine neue Rolle der Europäer in dieser Region?
Shoval: Schauen Sie, wenn man von Europäern spricht ist dies etwas irreführend, denn es gibt ja europäische Länder, Deutschland in erster Linie, wo wir den Eindruck haben, dass unsere Position, unsere Forderungen, unsere Probleme besser verstanden werden. Es gibt andere Länder, die Interessen haben, politische, wirtschaftliche, die sehr oft es verhindern, dass diese Länder eine neutralere Position zwischen Israel und der arabischen Welt einnehmen. Aber wir haben ja immer gesagt, sollte Europa wirklich weniger propalästinensisch sein - ich spreche jetzt von der Europäischen Union und nicht von einem individuellen Land -, dann könnte Europa bestimmt eine positivere Rolle spielen, wie sie Joschka Fischer selbst eben damals gespielt hat.
Remme: Der frühere Botschafter Israels in den Vereinigten Staaten war das, Salman Shoval. - Ich bedanke mich für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio