Archiv


Welche Reformen würde die CDA mittragen?

    Birke: Die Bundesregierung und die Gewerkschaften haben gestern ihre Bereitschaft und ihren Willen zu strukturellen Reformen in der Arbeitsmarkt- und in der Sozialpolitik bekräftigt. Es gebe ein hohes Maß an Übereinstimmung, wenn auch nicht in allen Details, hieß es gestern. Wir sind nun mit dem Bundesvorsitzenden der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft CDA, Hermann-Josef Arentz, verbunden. Einen schönen guten Morgen.

    Arentz: Tag, Herr Birke.

    Birke: Herr Arentz, wie viel Übereinstimmung gibt es denn mit Ihnen, wenn es um Fragen wie die Lockerung des Kündigungsschutzes geht?

    Arentz: Wenn 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland sagen - das ist das Ergebnis der jüngsten Umfrage -, dass der Kündigungsschutz für sie ein Grund ist, Leute nicht einzustellen, dann muss man angesichts von fast 5 Millionen Arbeitslosen auch über den Kündigungsschutz nachdenken und reden. Dabei ist für uns wichtig, dass das, was den Kündigungsschutz heute im Kern ausmacht, nämlich eine gewisse Sicherheit für Arbeitnehmer und das Verbot von Willkür, erhalten bleibt. Was ist nun heute der Kern des Kündigungsschutzes? Der Kern des Kündigungsschutzes ist heute nicht, dass Leute nicht entlassen werden können, sondern Leute werden massenweise entlassen, und nur 1,5 Prozent aller Kündigungsschutzprozesse enden mit einer Wiedereinstellung des Gekündigten. Deswegen sage ich: Der Kern des Kündigungsschutzes heute ist erstens eine gewisse Sozialauswahl bei dem zu Kündigenden und zweitens die Abfindung, die gezahlt wird. Deswegen halten wir es für vernünftig, zwei Dinge zu tun. Erstens: Für alle die jetzt in Arbeit sind, bleibt es beim bisherigen Kündigungsschutz und für diejenigen, die jetzt Arbeit suchen, wird ein Optionsrecht, also ein Wahlrecht zwischen dem klassischen Kündigungsschutz und einer Abfindungsregelung geschaffen, wobei nach unserer Vorstellung der Gesetzgeber die Mindesthöhe der Abfindungen festlegen muss, und zwar abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit des einzelnen Arbeitnehmers.

    Birke: Herr Arentz, wie hoch sollte diese Abfindung im Zweifelsfall sein?

    Arentz: Nach unseren Vorstellungen mindestens ein halbes Monatsgehalt pro Jahr Arbeit und maximal ein Monatsgehalt pro Jahr Arbeit.

    Birke: Glauben Sie denn wirklich, dass eine solche Freiwilligkeit bei Vertragsabschluss die gewünschte Flexibilität bringt? Müsste da nicht eine gesetzliche Zwangsregelung geschaffen werden?

    Arentz: Nein, von gesetzlichen Zwangsregelungen halte ich da gar nichts. Es wäre sicherlich so, dass bei der jetzigen Arbeitsmarktsituation in vielen Fällen die Unternehmen sagen würden: Lieber Arbeitssuchender, wenn Du eingestellt werden willst, dann musst Du auf Deinen Kündigungsschutz verzichten und auch die Abfindungsregelung akzeptieren, denn die Unternehmen - gerade die kleineren Unternehmen - haben oft eine panische Angst vor Arbeitsgerichtsprozessen um die Kündigung, und diese Angst sollte man ihnen nehmen. Es wird sowieso viel zu viel in Deutschland um den Kündigungsschutz herum prozessiert, weil die Regeln so unklar geworden sind. Das gilt zum Beispiel für die Regeln zur Sozialauswahl. Da werden Tausende von Fehlern gemacht mit der Folge, dass viele Verfahren vor den völlig überlasteten Arbeitsgerichten landen, wo die Leute oft jahrelang warten, bis Recht gesprochen wird. Also, das ist höchst problematisch. Dazu hat auch etwas beigetragen, was ich schärftens kritisiere. Wir haben teilweise unsinnige Regelungen, wie zum Beispiel: Wenn sich bei einem Sozialausfall in einem Unternehmen das Unternehmen mit dem Betriebsrat komplett geeinigt hat, dann kann das immer noch vor dem Gericht beklagt werden. Das halte ich für falsch. Da sollte man die Klagemöglichkeit herausnehmen. Oder nehmen Sie ein anders Beispiel: Wenn ein Arbeitnehmer im Grunde mit seinem Arbeitgeber nur um die Höhe der Abfindung streiten will, dann muss er aber vor Gericht zunächst einmal auf Wiedereinstellung klagen. Das heißt, da wird ein Verfahren durchgeführt, um das es beiden Beteiligten überhaupt nicht geht, aber was Zeit und Kraft kostet. In allen diesen Punkten könnte man unseren Kündigungsschutz viel praktikabler machen, ohne dem Arbeitnehmer den nötigen Schutz wegzunehmen.

    Birke: Sollte man zwischen den neuen Ländern und den alten Ländern differenzieren, wie es ja unter anderem auch der BDI fordert, der ja sagt, dass man überhaupt den Kündigungsschutz im Osten anders gestalten sollte als im Westen?

    Arentz: Ich halte das generell nicht für richtig, aber wahr ist, dass die neuen Länder ja momentan so große wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, dass es da die Diskussion um die sogenannten Sonderwirtschaftszonen gibt, die gerade aus den neuen Ländern heraus gewünscht werden, also sozusagen die zeitlich befristete Freistellung von einer ganzen Menge von gesetzlichen Auflagen und Regelungen. Nicht nur von Fragen, die das Arbeitsverhältnis betreffen, sondern auch vom Planungsrecht und anderen Dingen.

    Birke: Das würden Sie befürworten?

    Arentz: Ich glaube, dass das sinnvoll wäre, damit die neuen Länder überhaupt mal auf die eigenen Füße kommen, denn sie werden auf Dauer ja zu einem Fass ohne Boden, wenn Sie im Grunde mit einem Regulierungsüberbau leben müssen, den wir im Westen gerade mal so schaffen, aber wo die im Osten überfordert sind.

    Birke: Herr Arentz, konkret fordert ja der BDI-Chef Rugowski, dass zum Beispiel die Kündigungsschutzbestimmungen im Westen nur ab 20 Beschäftigen im Betrieb greifen sollten, im Osten ab 80. Wäre das ein Vorschlag, den Sie teilen?

    Arentz: Nein, das halte ich für einen völligen Unfug. Die Diskussion über Schwellenwerte, also die Frage, ab wie viel Beschäftigten überhaupt ein Schutz für Arbeitnehmer gilt, die wollen wir als christlich-demokratische Arbeitnehmer, aber auch die CDU insgesamt nicht mehr führen, sondern wir sagen unabhängig davon, ob der Betrieb nun 5 oder 10 oder 20 oder 50 Mitarbeiter hat, müssten die Verfahren insgesamt praktikabler gemacht werden. Jede veränderte Schwelle, die sie fordern oder die sie einführen, bringt ja die gleichen Probleme an der neuen Schwelle mit wie wir sie jetzt an der alten haben. Deswegen ist der Rugowski-Vorschlag aus meiner Sicht völlig ungeeignet.

    Birke: Herr Arentz, wir haben diese Gespräch bis jetzt sehr im Detail geführt. Ist das nicht symptomatisch für die gesamte Reformdebatte?

    Arentz: Das ist halt so. Wenn Sie sich nicht nur gegenseitig mit Parolen oder Überschriften totschlagen wollen, dann müssen Sie ins Detail, und das Detail ist meistens kompliziert und deswegen wird leider viel zu selten darüber diskutiert und das Ergebnis ist, dass wir es ja oft mit einer hochgradig angstbeladenen, emotionalisierten Diskussion zu tun haben, was ja auch verständlich ist, aber was die Lösung der Probleme nicht einfacher macht und was dazu führt, dass sich Leute auch manchmal in der Öffentlichkeit gegenseitig in die Haare kriegen, die eigentlich besser zusammenarbeiten sollten. Da sage ich Ihnen: Wenn Herr Clement, spontan und emotional wie er ist, die Frage des Kündigungsschutzes sofort mit der Androhung seines Rücktritts verbindet, dann dient das auch nicht dazu, das Problem lösbarer zu machen.

    Birke: Herr Arentz, aber Herr Clement könnte da durchaus auf Ihre Unterstützung bauen, das heißt, dass die Abfindungen zum Beispiel auch hier begrüßen würden statt Kündigungsschutz, wie Sie es vorhin in dem Optionsmodell dargelegt haben?

    Arentz: Herr Clement hat bisher noch nicht genau gesagt, was er denn ändern will. Er hat nur gesagt: Ich sehe ein Problem im Kündigungsschutz und da müssen wir etwas verändern. Da hat er recht. Aber er muss jetzt natürlich auch als verantwortlicher Arbeits- und Wirtschaftsminister sagen, was er konkret ändern will. Dann wird er auch das Problem haben, eine Mehrheit in seiner eigenen Truppe, in der SPD und in der Koalition dafür zu finden. Aber wenn er dann mit etwas Vernünftigen rüberkommt, findet er sicherlich Leute in der Union, die zur Kooperation bereit sind, weil wir doch sehen, dass das Problem gelöst werden muss. Aber Clement muss jetzt erst einmal handeln, und bisher sehe ich bei ihm leider Gottes nur Sprechblasen.

    Birke: Herr Arentz, gestern ist ja auch von den Weisen im Gesundheitswesen ein radikaler Reformvorschlag für eine Reform im System mit Einsparpotenzialen bis zu 40 Milliarden Euro gemacht worden. Wie ist Ihre erste Bewertung dieses Vorschlagspakets?

    Arentz: Da sind eine Reihe von Punkten drin, über die man diskutieren kann.

    Birke: Welche?

    Arentz: Worüber man zum Beispiel diskutieren kann oder was sogar sinnvoll und notwendig ist, ist erstens die Herausnahme sogenannter versicherungsfremder Leistungen, das heißt von Leistungen wie zum Beispiel das Mutterschaftsgeld. Das müsste steuerlich finanziert werden und nicht über die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Also, der Teil ist vernünftig.

    Birke: Werden da nicht die öffentlichen Haushalte über Gebühren wieder belastet?

    Arentz: Wenn wir zu einer nachhaltigen Absenkung der Beiträge in den Sozialversicherungen insgesamt kommen wollen, weil wir alle wissen, dass die hohen Beiträge arbeitsplatzfeindlich sind, dann wird das sowohl mehr Eigenverantwortung für den Einzelnen, aber auch eine fairere Finanzierung zwischen Steuerzahler auf der einen Seite und Beitragszahler auf der anderen Seite bedingen. Das wird überhaupt nicht anders gehen.

    Birke: Also, ein grundsätzliches Plädoyer durchaus für den Reformweg aufgrund der Vorschläge, die gestern die Weisen...

    Arentz: Ja, aber mit einer wesentlichen Einschränkung. Die wesentliche Einschränkung liegt einmal darin, dass wir als CDA die kostenfreie Mitversicherung von Familienangehörigen für ein zentrales, konstitutives Element der Sozialversicherung halten, was nicht aufs Spiel gesetzt werden darf, und zum Zweiten haben die Sachverständigen leider nur Vorschläge unterbreitet - so weit ich das bisher aus der Presse entnehmen kann -, die sozusagen eine Verschiebung von Finanzverantwortlichkeiten bedeuten, aber sie haben keine durchgreifenden Vorschläge gemacht, wie das System insgesamt wirtschaftlicher organisiert werden kann. Wir müssen beides tun. Wir müssen über die Frage sprechen: Wer finanziert was? Aber wir müssen auch die verhandelnden Unwirtschaftlichkeiten aus dem System unserer Gesundheitsversorgung herauskriegen, weil sonst die Leute bluten - ob als Beitragszahler oder Steuerzahler - immer mehr für eine System, das nicht optimal funktioniert, und das kann es auch nicht sein.

    Birke: Das war der CDA-Vorsitzende, Hermann-Josef Arentz in den Informationen am Morgen. Recht herzlichen Dank.

    Link: Interview als RealAudio