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Welche Risiken erwartet die Soldaten beim Mazedonien-Einsatz?

    Ensminger: Lange hat es gedauert, bis auch die deutschen Soldaten losgeschickt werden konnten. Doch nun ist die Abstimmung im Bundestag geschafft. Gestern Abend flogen aus Deutschland Bundeswehrsoldaten nach Mazedonien. Einige von ihnen sind bereits dort angekommen. So weit, so gut. Doch es gibt nach wie vor Zweifel an dem Einsatz und der Sicherheit der Bundeswehrsoldaten im Einsatzgebiet. Darüber sprach ich mit dem Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz. Erste Frage an ihn: Wie sicher sind denn jetzt die Soldaten?

    Gertz: Die Soldaten befinden sich dort in einem sehr, sehr diffizilen Umfeld. Anders als im Kosovo, wo sie als Befreier begrüßt wurden, ist die slawisch-mazedonische Bevölkerungsmehrheit kritisch bis feindselig gegenüber dem Einsatz eingestellt. Im übrigen sind in diesem Land die beiden Bürgerkriegsparteien großflächig vertreten, so dass das Potential für mögliche Konflikte sehr viel größer ist. Von daher sind die Soldaten natürlich immer in der Gefahr, dass eine aufgeheizte Bevölkerung zu Übergriffen auch gegenüber den NATO-Soldaten übergeht.

    Ensminger: Es ist also schwieriger und gefährlicher als im Kosovo?

    Gertz: Das ist mit Sicherheit schwieriger und gefährlicher. Nicht der Kontakt mit der UCK, die ja sicher mitspielen wird, weil sie ein eigenes Interesse daran hat, die NATO ins Land zu bekommen und sie nach Möglichkeit auch im Land zu halten. Die wird mit Sicherheit Waffen anliefern, um ihren Teil dieses Waffeneinsammelpakets zu erfüllen. Aber natürlich kann eine solche Waffeneinsammelaktion auch von dritten, von Splittergruppen und von der anderen Seite gestört werden.

    Ensminger: Was bedeutet das denn? Die Argumentation ist ja immer, dass wenn nicht Soldaten in Mazedonien Waffen einsammeln umgedreht die Gefahr eines erneut aufflammenden Bürgerkriegs eben größer wäre. Wenn ich Sie richtig verstehe, sehen Sie das nicht so?

    Gertz: Die NATO ist ja in einer schwierigen Situation. Sie stand vor der Frage, ob sie die Rolle übernimmt, im Rahmen eines fertigen Friedensabkommens, das eine freiwillige Entwaffnung der UCK und die Übergabe der Waffen an die NATO vorsah, mitzumachen. Es blieb ihr also gar nichts übrig, über ein robustes Mandat nachzudenken und über eine Entwaffnung gegen den Willen, sondern sie musste diesen Part übernehmen, wohl wissend, dass eine wirkliche Entwaffnung der UCK gar nicht stattfindet, denn es liegt allein in der Disposition der UCK, darüber zu entscheiden, welche Waffen sie abgibt und wie viele Waffen sie abgibt. Bei dieser Lage muss man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die UCK auch nach dem Ende der Waffeneinsammelaktion gleichwohl befähigt bleibt, den Bürgerkrieg, wenn sie das will, mit militärischen Mitteln fortzusetzen. Damit hat das ganze vielleicht symbolische Bedeutung auf dem Wege eines Friedensprozesses, mit Sicherheit aber keine praktische Bedeutung in der Weise, dass die UCK als kriegführende Partei ausscheidet.

    Ensminger: Was glauben Sie denn, welche Rolle die Bundeswehrsoldaten überhaupt spielen, wenn nicht als Friedenstifter beziehungsweise als Problemlöser?

    Gertz: Sie werden natürlich ihren Part des Friedensabkommens erfüllen. Wenn in dem Fortgang des Friedensprozesses die mazedonisch-slawische Parlamentsmehrheit dann auch ihre Teile erfüllt - sie hat ja auch ganz bestimmte Pflichten, was die Abstimmung auf dem Weg zu verfassungsrechtlichen Veränderungen angeht, zu erfüllen -, dann wird das auch über die 30 Tage von Seiten der UCK relativ reibungslos ablaufen. Die Frage ist nur, ob es nicht während dieser Zeit zu Störungen des Ablaufs kommt auch auf der Seite der Mazedonier und ob es möglicherweise auch zu einer aufgeheizten Stimmung kommt, die Übergriffe gegen NATO-Soldaten wahrscheinlich macht.

    Ensminger: Was kann ein Soldat dann tun?

    Gertz: Die Soldaten sind auf eine Situation vorbereitet. Sie gehen nicht in dieses Land in der Überzeugung, dass alle Konfliktparteien sie dort begrüßen werden, sondern sie wissen ganz genau, wie die Rahmenbedingungen sind. Sie sind in ihrer Ausbildung auch darüber unterrichtet worden, wie man sich verhält, wenn zum Beispiel aufgebrachte Zivilisten Aktionen der NATO zu stören versuchen, Konvois blockieren wollen und so weiter. Sie wissen, wie man sich sichert, wenn man diese Waffenübergabepunkte besetzt, dass man sich gegen jegliche Störung von außen schützt. Sie wissen, dass sie sich mit gepanzerten Fahrzeugen bewegen, dass sie Helme tragen, dass sie schusssichere Westen tragen, dass sie überall Rundumsicherung machen. Sie werden jetzt auch gelernt haben, dass man dann, wenn man sich mit Fahrzeugen bewegt und im Konvoi fährt, ebenso darauf zu achten hat, dass die Brücken, unter denen man durchfährt, vorher geräumt sind.

    Ensminger: Sie haben gerade die gepanzerten Fahrzeuge angesprochen. Auch das war lange in der Diskussion, denn dort ging es vor allen Dingen um den Minenschutz von Fahrzeugen der Bundeswehr. Nun sind die Soldaten auch in Minenkunde eingewiesen worden. Der Minenschutz wird immer noch diskutiert. Gibt es in Mazedonien diesbezügliche Gefahren?

    Gertz: Wir haben ja in der Vergangenheit unwahrscheinlich viel Glück gehabt, dass uns nie so etwas passiert ist, dass ein deutscher Schützenpanzer oder Panzer auf eine Mine gefahren ist. Unsere gepanzerten Fahrzeuge, namentlich der Schützenpanzer Marder und der Kampfpanzer Leopard, sind für ein ganz anderes Kriegsbild gebaut worden. Man hat damals die Verteidigung, die Landesverteidigung, die Bündnisverteidigung an der innerdeutschen Grenze gegen einen heranstürmenden potentiellen Gegner im Auge gehabt. Man hat an große Panzerschlachten gedacht auf deutschem Boden in der norddeutschen Tiefebene. Da kam es auf die Geschwindigkeit der Fahrzeuge an und nicht auf einen optimalen Minenschutz. Man hat auch mit verlegten Minen im eigenen Territorium nicht in dem Maße rechnen müssen.

    Ensminger: Also kann es passieren, dass Soldaten ungeschützt auf solche Minen treffen?

    Gertz: Ja, in der Tat. Jetzt befinden wir uns in einem Bürgerkriegsgebiet. Das ist eine ganz andere Lage. Da kommt es darauf an, die Soldaten möglichst optimal zu schützen. Wenn unter der Wanne des Marder und unter der Wanne des Leopard eine Mine explodiert, dann ist das Leben der Soldaten in diesen Fahrzeugen hoch gefährdet. Deswegen müssen diese Fahrzeuge mit einem verbesserten Minenschutz nachgerüstet werden. Da kann man nicht einfach ein bisschen Stahl anschweißen, sondern da muss dann auch die ganze Konfiguration, das Fahrgestell des Fahrzeuges geändert werden. Das kostet für 50 Marder zum Beispiel 140 Millionen Mark. Das wird für die gleiche Anzahl von Leopard vermutlich noch sehr viel teuerer werden. Dafür war bislang kein Geld vorhanden. Die Bundesregierung hatte bescheidene 10 Millionen von den 140 für 2003 vorgesehen. Das Ergebnis der Debatte ist nun, dass die Sache vorgezogen wird. Allerdings wird dies in den nächsten 30 Tagen meinen Kameraden nichts nützen, denn natürlich dauert es wesentlich länger, bis die Fahrzeuge zur Verfügung stehen.

    Ensminger: Das heißt also, diesen Schutz gibt es noch nicht. Nehmen wir einmal an - und das wollen wir natürlich nicht hoffen -, es kommen tatsächlich Soldaten schwer verletzt nach Hause, sind die dann abgesichert?

    Gertz: Die Regelung für die Versorgung von Soldaten, die im Einsatz einen sogenannten "qualifizierten Dienstunfall" erleiden, sind in aller Regel befriedigend. Das gilt vor allen Dingen für die Berufssoldaten. Bei den Zeitsoldaten ist schon noch das eine oder andere Fragezeichen offen. Die relativ schwächste Absicherung ist für die Soldaten vorgesehen, die aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten, also für freiwillig länger dienende Wehrdienstleistende und für Wehrübende. Hier hat der Bundeswehrverband nach wie vor Forderungen an die Bundesregierung und das Parlament, diese Absicherung zu verbessern.

    Ensminger: Bleiben wir mal bei den Zeitsoldaten. Jeder der nicht mehr diensttauglich ist - so lautet so weit ich weiß das Soldatengesetz -, der muss entlassen werden. Gilt das auch im Falle einer bei einem Auslandseinsatz erlittenen Dienstuntauglichkeit?

    Gertz: Nach den Buchstaben des Gesetzes ist das der Fall. Es ist vorgesehen, im Rahmen der Änderung des Soldatengesetzes diese Regelung abzuschwächen, damit das nicht sozusagen Kraft Gesetzes automatisch zu erfolgen hat. Wir haben in der Vergangenheit Fälle gehabt, in denen Soldaten beispielsweise auf Minen getreten sind und dabei Körperteile verloren haben. Es ist dann mit einiger Großzügigkeit versucht worden, sie noch eine Weile im Dienst zu halten. Das fiel sehr schwer. Dort muss der Gesetzgeber tätig werden und er muss flexiblere Regelungen schaffen, die es auch Soldaten, die solche Körperschäden erleiden und dann behindert sind, ermöglicht, solche Dienste zu leisten, die in der Bundeswehr auch solchen Soldaten möglich sind.

    Ensminger: Im Umkehrschluss klingt es so, als könnten Sie Soldaten überhaupt nicht empfehlen, an Auslandseinsätzen so lange teilzunehmen, bis dies geregelt ist?

    Gertz: Es gehört zum Berufsbild des Soldaten, dass er die Aufträge ausführt, die Regierung und Parlament ihm geben. Auch der Bundeswehrverband steht dazu, dass es richtig ist, dass sich die Bundesrepublik Deutschland und damit auch die Bundeswehr an den Aufgaben der Konfliktregulierung und Krisenbewältigung beteiligt. Deswegen müssen Soldaten auch die Risiken auf sich nehmen, die dazu gehören. Ich denke jedoch, es ist Sache des Gesetzgebers und der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass diese Risiken möglichst klein gehalten werden. Darüber haben wir gesprochen; da ist noch einiges offen. Darüber hinaus erheben Soldaten natürlich auch den Anspruch, dass sie nicht in Aufgaben geschickt werden, die einfach nur deshalb gegeben sind, weil die Politik vorher ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Da fällt in Mazedonien insbesondere die Frage auf, warum nicht im Wege politischer, nichtmilitärischer und ziviler Konfliktprävention vorher auf die Regierung Mazedoniens eingewirkt worden ist, der albanischen Seite entgegenzukommen, bevor die UCK auf den Plan getreten war.

    Ensminger: Bernhard Gertz war das, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes, in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk.

    Link: Interview als RealAudio