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Welche Wirtschaftskompetenz bringt Edmund Stoiber mit?

15.01.2002
    Gerner: Edmund Stoiber will Gerhard Schröder im Wahlkampf mit Wirtschaftsthemen attackieren. Wegen der vergleichsweise geringen Arbeitslosigkeit in Bayern und der niedrigsten Pro-Kopf-Verschuldung im Freistaat, gilt Stoiber den CDU-Wahlstrategen als Verkörperung von Wirtschaftskompetenz. Stoiber sei eine Lichtgestalt, so soll sich sogar Bayerns DGB-Chef, Fritz Schösser, über den Kanzlerkandidaten der Union geäußert haben. Ich habe Fritz Schösser vor wenigen Minuten gesprochen und ihn gefragt, wie es mit der Wirtschaftskompetenz von Edmund Stoiber aussieht. War er überrascht, dass er sich durchsetzte?

    Schösser: Nun, wir sind natürlich nicht ganz überrascht. Es hat sich über die letzten Wochen durchaus angebahnt, dass so etwas geschehen könnte. Wir haben mit ihm durchaus einen kleinen gemeinsamen Nenner, wir haben gute Erfahrungen in Sachen Beschäftigungspakt gemacht, allerdings vor einem Hintergrund, der mit vielen anderen Bundesländern natürlich nicht vergleichbar ist. Bayern hat im Gegensatz zu anderen Bundesländern relativ geringe Strukturprobleme, und Bayern hat vor allem seit 1996 durch das Verscherbeln von staatlichem Vermögen 10 Milliarden Mark in die Kassen geschwemmt, die natürlich als zusätzlicher Impuls in die Wirtschaft gesteckt werden konnten, wovon im Übrigen der Beschäftigungspakt in Bayern im Wesentlichen gelebt hat.

    Gerner: Zwei Stichworte möchte ich aufnehmen. Sie haben eben den Beschäftigungspakt als gemeinsamer Nenner zwischen dem bayrischen DGB und Edmund Stoiber erwähnt. Hat dieser zu wenigen Arbeitslosen, was ja allgemein angestrebt wird, im Bundesland Bayern geführt, und was ist das Besondere, das diesen Pakt in Bayern von anderen unterscheidet?

    Schösser: Nun, wir haben uns damals ein Klassenziel gestellt: Halbierung der Arbeitslosigkeit. Dieses Klassenziel ist natürlich längst nicht erreicht, im Übrigen genauso wenig wie auf der Bundesebene, trotz besserer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen in Bayern. Was wir bewirkt und vereinbart haben war, dass wir nicht alle Themen des Abendlandes im Rahmen des Beschäftigungspaktes abhandeln wollen, sondern dass wir uns auf das Wenige zwischen Arbeitgebern, Staatsregierung und Gewerkschaften konzentrieren wollen, wo wir die Chance sehen, dass es zu gemeinsamen Ergebnissen kommen kann.

    Gerner: Wenn man es in einer Schlagzeile bringen müsste, wie viel Leute hat Edmund Stoiber in Brot und Lohn gebracht, weg von der Strasse?

    Schösser: Vom Wegbringen kann nicht die Rede sein. Auch in Bayern sind die Arbeitslosenzahlen gestiegen, wie Sie wissen. Wir können davon ausgehen, dass die Arbeitsplätze stabilisiert wurden, beispielsweise durch die Tariftreueerklärung, beispielsweise durch den Arbeitsmarktfond, was ja im Wesentlichen Beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen waren. Ich gehe über den Daumen davon aus, dass von einer Sicherung von Arbeitsplätzen, zwischen 60.000 und 80.000, geredet werden kann. Das hat in erster Linie nichts mit der Bewältigung der Arbeitslosenstatistik zu tun.

    Gerner: Dem Stoiber das Etikett der sozialen Kälte anzuheften, wird außerordentlich schwierig sein, so werden Sie im jüngsten Spiegel zitiert. Worauf beruht dieser Satz?

    Schösser: Nun, ich glaube, es ist zu einfach, jetzt schon herzugehen und zu sagen, er ist der Mann der sozialen Kälte. Sicherlich haben wir als Gewerkschaftler in vielen Problembereichen nicht gerade die besten Erfahrungen mit ihm gemacht. Wir streiten sehr und heftig über Fragen des Betriebsverfassungsgesetzes, über die Rentenpolitik, über die Gesundheitspolitik. Aber er versteht es natürlich deutlich zu machen - und das hat er im Rahmen des Beschäftigungspaktes getan -, dass er durchaus in der Lage ist, sozusagen Sensibilität für die Themen zu zeigen. Ob er auch bereit ist, die ausreichenden Instrumente dafür zu geben, das ist allerdings eine andere Erfahrung, die wir im Beschäftigungspakt gemacht haben. So streiten wir uns im Augenblick darum, den Arbeitsmarktfond in Bayern zu verbessern, und er ist ein handfester Gegner, die durchaus gelungene Maßnahme seit 1996 zu stabilisieren.

    Gerner: Aber im Vergleich zu anderen, zu den meisten Bundesländern ist die Arbeitslosenquote in Bayern erstaunlich niedrig. Ist das ein Verdienst von Edmund Stoiber?

    Schösser: Schauen Sie, ich versuche das auf einen kurzen Nenner zu bringen: in Bayern sagt man, mit vollen Hosen lässt sich gut stinken. Stoiber lässt sich jetzt daran messen müssen, welche wirtschaftspolitischen Vorschläge er für die Bundespolitik unterbreitet, vor dem Hintergrund von Schulden und nicht Privatisierungserlösen. Das ist der pikfeine Unterschied in der Aufgabenstellung zwischen Schröder und Stoiber.

    Gerner: Aber auch da muss man fragen, wenn das so ist, wie Sie sagen - Sie haben eben einen schönen Spruch gesagt -, warum ist dann die Ausgangslage in Bayern so unvergleichbar besser?

    Schösser: Bayern hat fast 40 Jahre vom Länderfinanzausgleich profitiert. Bayern hat in der Nachkriegszeit im Grunde fast keine altstrukturellen Prozesse zu bewältigen gehabt. Im Übrigen, die wenigen, die wir haben, bereiten Bayern große Probleme. Sehen Sie mal nach Oberfranken, sehen Sie mal in die Glas- und Porzellanindustrie, sehen Sie in die Keramikindustrie, sehen Sie in die Textil- und Lederindustrie. Da sind die Strukturprobleme trotz einem reichen Bundesland lange nicht bewältigt. Ich kann nur sagen, es stößt jeder schnell an die Grenzen, wenn er eben nicht mehr volle Hosen hat.

    Gerner: Kann Edmund Stoiber - einen Teil der Antwort haben Sie schon geliefert - vom Ego und von der Zielrichtung das auf Bundesebene durchsetzen, was er regionalpolitisch erfolgreich umgesetzt hat?

    Schösser: Nun, ich zweifle nochmals an, ob er regionalpolitisch überall erfolgreich war. Ich nenne nochmals das Beispiel Oberfranken, ich nenne die nicht gelösten Probleme in Nürnberg mit den großen Strukturproblemen, die wir nach wie vor dort haben. Man sollte nicht automatisch sagen, er hat das gemacht. Im bayrischen Schnitt liegt er ganz gut. Genau betrachtet gibt es in Bayern handfeste Probleme an mehreren Stellen. Ich sage nochmals, auf der Bundesebene ist er damit konfrontiert, dass er einen nach wie vor völlig zusammengebrochenen Arbeits- und Wirtschaftsmarkt in den neuen Bundesländern hat, und er hat vor allem nicht mehr die Mittel, die er als Staat zusetzen kann, um sozusagen Initialzündungen aus der Sicht des Staates zu geben, z.B. Investitionen anbetrifft, um wirtschaftliche Prozesse auszulösen.

    Gerner: Wo liegt der Hauptunterschied, wenn es einen gibt, im Wirtschaftsbild Edmund Stoibers und Gerhard Schröders?

    Schösser: Das ist ganz interessant. Ideologisch sind sie sicherlich weit auseinander. Ideologisch ist Edmund Stoiber sicherlich der eher liberal-konservative, während Schröder mit der größeren Möglichkeit ausgestattet ist, auf Gewerkschaften zugehen zu können, sie einbinden zu können. Auch was das soziale Verständnis von Gewerkschaften und Arbeitnehmer anbetrifft, ist Schröder mit der größeren Affinität ausgestattet. Was das pragmatische Herangehen an Lösungsprozesse anbetrifft, glaube ich, sind sie sich durchaus ein wenig ähnlich.

    Gerner: Also haben auch beide dieselben Erfolgschancen?

    Schösser: Bei der Wahl gibt es sicherlich den Amtsbonus für Schröder, trotz der jetzigen arbeitsmarktpolitischen Zahlen, die erklärt werden können durch Krisenerscheinungen, durch BSE, durch Schweinepest, durch IT-Einbrüche, weil die Investitionen, die getätigt sind, sich sozusagen arbeitsmarktpolitisch noch nicht amortisieren. Ich muss sehen, was im Bereich Reiseverkehr, Luftverkehr passiert, ausgelöst durch den 11. September. Es gibt natürlich einige Rückschläge, die sich zwar in der Statistik niederschlagen, wo aber Regierungspolitik eigentlich nicht viel dazu kann. In beiden Fällen wären Schröder und Stoiber ähnlich machtlos, glaube ich, unmittelbar auf solche Situationen zu reagieren. Ich glaube, Schröder hat sich über die letzten Jahre einen guten Namen errungen, sowohl steuerpolitisch als auch arbeitsmarktpolitisch und außenpolitisch, und es wird schwer sein, gegen diesen Amtsbonus anzugehen.

    Gerner: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio