Donnerstag, 28. März 2024

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Wellmann (CDU) zur Russlanddiplomatie
"Macht auszuüben heißt auch, Verantwortung zu übernehmen"

Angesichts der Lage in der Ukraine und in Syrien hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann an die Verantwortung Russlands appelliert. Probleme ließen sich nicht militärisch lösen, sondern nur politisch, sagte Wellmann im DLF.

Karl-Georg Wellmann im Gespräch mit Doris Simon | 15.08.2016
    Karl-Georg Wellmann (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags
    "Wir müssen den Ukrainern natürlich die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen", erklärte Karl-Georg Wellmann (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. (Imago)
    Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt erklärte Wellmann, es sei richtig, dass die Sanktionen gegen Moskau bestehen blieben. Ohne die Unterstützung der Separatisten hätte sich die Lage anders entwickelt. Zugleich warf er beiden Konfliktparteien vor, extrem kompromisslos zu sein. Es gebe zu wenig Bereitschaft, eine politische Lösung zu finden.
    Russland wird bei der Lösung der Probleme gebraucht
    Wellmann dämpfte die Erwartungen an das Treffen zwischen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und dessen russischem Kollegen Sergej Lawrow heute in Jekaterinburg, bei dem über die Lage in der Ukraine und in Syrien gesprochen werden soll. Er erwarte keine Lösungen, so der CDU-Politiker. Es sei aber gut, dass man miteinander rede. Probleme ließen sich nicht militärisch lösen, sondern nur politisch. Und dabei brauche man Russland, betonte Wellmann.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Das deutsch-russische Verhältnis durchlebt derzeit nicht seine besten Zeiten. Wahre Worte, die hat Russlands Außenminister Lawrow gestern gesprochen. Ansichtssache, ob das auch für den Nachsatz Lawrows gilt. Dass es so ist, meint Lawrow, das sei nicht die Schuld Russlands. Am Telefon ist Karl-Georg Wellmann, CDU, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und in den Parlamentariergruppen mit der Ukraine und Russland. Guten Morgen!
    Karl-Georg Wellmann: Guten Morgen!
    Simon: Herr Wellmann, der Bundesaußenminister spricht mit dem russischen Außenminister, es geht, wie gehört, nicht nur um ein besseres deutsch-russisches Verhältnis, es geht um akut gefährliche Probleme. Zuspitzung in der Ostukraine, Situation in Syrien. Steinmeier hat ja eine Luftbrücke für das eingeschlossene Aleppo gefordert. Herr Wellmann, eigentlich macht der Außenminister da gerade mal alles richtig, oder?
    Wellmann: Ja, das kann ich bestätigen. Reden ist gut, militärisch sind weder in Europa noch im Nahen Osten jemals Probleme wirklich gelöst worden. Wir brauchen politische Lösungen, und wir brauchen am Ende auch Russland dabei.
    Simon: Erwarten Sie sich eine politische Lösung von dem heutigen Gespräch?
    Wellmann: Das wäre zu optimistisch, denn die Konflikte sind so tief und dauern so lange. Aber man muss immer wieder dran arbeiten, Lösungen zu finden. Was Lawrow da gesagt hat, ist natürlich nicht richtig. Es war ja nicht der Westen oder Deutschland, der in der Ukraine einmarschiert ist, sondern es war Russland, das militärische Gewalt angewendet hat gegen ein Nachbarland und damit gegen alle Verträge verstoßen hat, die es selbst unterschrieben hat.
    "Wir müssen den Ukrainern natürlich die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen"
    Simon: Es gibt ja inzwischen einige Europaabgeordnete Ihrer Partei, die fordern sogar Waffenlieferungen an die Ukraine. Hintergrund ist, dass nach Aussagen der OSZE-Beobachter in der Ostukraine in den letzten Monaten eindeutig die russische Seite mehr Angriffe, mehr Verstöße gegen das, was vereinbart worden ist in Minsk, gemacht hat. Könnten Sie sich solchen Waffenlieferungen anschließen?
    Wellmann: Wir müssen sehr unterscheiden, was es für Waffen sind. Offensive Waffen nicht, das würde den Konflikt nur noch verschlimmern. Wie gesagt, militärisch ist in Europa noch nie ein Konflikt gelöst worden, aber wir müssen den Ukrainern natürlich die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen. Und da haben die Amerikaner schon viel gemacht, also defensive Gefechtsfeldwaffen zu liefern, Aufklärungsmöglichkeiten zu liefern. Da sind die Russen bisher weit überlegen.
    Simon: Das heißt, das würden Sie auch unterstützen?
    Wellmann: Ja, natürlich.
    "Die Ukraine könnte das Powerhouse Europas sein"
    Simon: Was sollte denn noch geschehen, um die Ukraine zu schützen, nach Ihrer Meinung?
    Wellmann: Das ist – in erster Linie sind das die Hausarbeiten, die die Ukraine selbst nun endlich mal machen muss. Es fehlt an den entscheidenden Reformen, die Korruption ist immer noch schlimm, manche sagen, schlimmer als vorher. Wir können helfen, die Ukraine wird so etwas brauchen wie einen Marshall-Plan, eine hohe Milliardensumme, um sich wieder aufzubauen. Und um das den Zuhörern auch zu erklären, das wäre in unserem Interesse. Die Ukraine könnte das Powerhouse Europas sein. Sie haben alle Voraussetzungen für ein industrielles Wachstum, was andere Staaten wir zum Beispiel Griechenland nicht haben. Sie haben eine große technologisch-industrielle Tradition. Aber Voraussetzung für solche Hilfen sind die Reformen, die durchgeführt werden müssen, sonst kann es kein Geld geben.
    Simon: Schauen wir noch mal auf Russland. Der Bundesaußenminister versucht, im Gespräch Dinge anzusprechen, die schwierig sind. Letzte Woche hat der russische Geheimdienst berichtet von einem angeblichen Überfall der Ukraine auf der Krim. Die Sache ist bis heute nicht richtig aufgeklärt. Reicht es da, eigentlich zu sprechen oder müsste sich Deutschland, müssten sich die Europäer im Augenblick mehr überlegen, um es im Zweifel auch Russland entgegensetzen zu können?
    Wellmann: Ja, das glaube ich schon. Dass wir uns um mehr kümmern müssen, vor allem um die innere Entwicklung der Ukraine. Das Problem ist ja, dass es auch ein Propagandakrieg ist. Und für die Behauptungen, die da aufgestellt wurden, dass da Terroristen unterwegs waren, gibt es keine unabhängigen Belege. Es gibt keine unabhängigen Journalisten auf der Krim oder Nichtregierungsorganisationen, die einem das bestätigen könnten. Aber so ein Konflikt ist immer brandheiß und kann immer zu einer offenen Auseinandersetzung sich auswachsen. Deshalb wäre ich dafür, wenn auch dort die OSZE-Beobachter einrücken und feststellen, was da wirklich passiert. Auf der anderen Seite haben die Russen auf der Krim große Probleme, weil die Versorgung über die Ukraine kommt, Wasserversorgung, Stromversorgung. Auch da plädiere ich seit Langem, dass wir Lösungen finden, so nach dem Motto der Versorgung von Westberlin zu Teilungszeiten. Da haben wir ja Muster in Deutschland entwickelt, wie wir solche schwierige Situationen entschärfen können.
    Wenig Bereitschaft "zu politisch-diplomatischen Lösungen zu kommen"
    Simon: Sehen Sie denn dafür eine Bereitschaft, sowohl in Moskau als auch in Kiew?
    Wellmann: Darüber muss geredet werden. Es wäre im Interesse beider, zu einer Beruhigung und Entspannung zu kommen. Aber Steinmeier hat auch recht zu sagen, beide Seiten sind extrem kompromisslos. Die nationalistischen Kräfte in der Ukraine sind sehr stark, weil es nicht vorangeht. Bei beiden ist zu wenig Bereitschaft erkennbar, zu politisch-diplomatischen Lösungen zu kommen, die es ja durchaus gibt und für die es durchaus Muster inzwischen gibt.
    Simon: Sie reden von beiden, aber in der Frage der Sanktionen bleiben auch Sie dabei, die müssen so fortbestehen gegen Russland wie bisher?
    Wellmann: Das sehe ich so, und zwar, weil erstens Russland ja in der Ukraine einmarschiert ist, und nicht umgekehrt, und weil zweitens, wie Sie schon gesagt haben, die OSZE festgestellt hat, dass die schlimmen Jungs die Separatisten sind. Und das könnte Russland mit einem Federstrich, mit einem Telefonanruf beenden. Jeder weiß das, dass die am Gängelband Moskaus laufen, und ohne die Unterstützung, auch militärisch-logistische Unterstützung Moskaus wäre diese Separatistenbewegung, wäre der Spuk in wenigen Tagen vorbei.
    Simon: Schauen wir auf die andere große Krise, den Krieg in Syrien. Der Bundesaußenminister hat eine Luftbrücke für Aleppo vorgeschlagen, darüber wird er mit seinem Kollegen Lawrow sprechen. Für wie realistisch und richtig halten Sie diesen Vorschlag?
    Wellmann: In Aleppo droht ja eine menschliche Katastrophe schlimmsten Ausmaßes. Da sind Hunderttausende von Menschen eingeschlossen. Es gibt inzwischen kein Trinkwasser mehr. Ohne Essen können Sie drei, vier, fünf Tage vielleicht überleben. Ohne Wasser können Sie keine zwei Tage überleben, vor allem die vielen Kinder, die da noch sind, können nicht überleben. Das wäre wirklich eine ganz schreckliche Perspektive, und wir müssen alles tun, um diese Menschen zu versorgen, ihnen Nahrung und Wasser zu geben und sie da vielleicht rauszubringen.
    Simon: Aber ist es ein realistisches Szenario? Werden wir das schaffen?
    Wellmann: Das kann ich nicht sagen. Aber wir müssen es probieren. Die Aufgabe ist zu groß. Die Vereinten Nationen fordern das immer wieder, und wir müssen das unterstützen. Und wenn Steinmeier mit dem russischen Außenminister Gelegenheit hat, zu sprechen, dann muss das angesprochen werden. Auch Russland muss doch seine Verantwortung, humanitäre Verantwortung erkennen und muss mithelfen, dass da nicht Hunderttausende von Menschenleben auf dem Spiel stehen.
    "Russland will ja ernst genommen werden"
    Simon: Haben wir denn Mittel, um Russland in Syrien zum Beispiel auf einen etwas moderateren Kurs zu bringen?
    Wellmann: Wir haben keine militärischen Mittel, wir haben nur politische Mittel. Russland will ja ernst genommen werden, Russland will als Weltmacht auf Augenhöhe mit den Amerikanern sein. Jetzt lassen wir mal dahingestellt sein, wie realistisch das ist – wir müssen Russland ernst nehmen, aber wir müssen Russland sagen, Macht auszuüben heißt auch, Verantwortung zu übernehmen. Das lernen sie ja gerade in Syrien, dass es nicht so einfach ist, nur jemanden weg zu bomben. Die Erfahrung haben die Amerikaner im Irak gemacht, und die Erfahrung holen die Russen jetzt auch im Schnellkurs in Syrien nach.
    Simon: Herr Wellmann, wir haben jetzt über wirklich ganz schwierige, ganz ernste Themen gesprochen, Russland, Ukraine, Syrien. Die SPD und die Union sind hier nicht immer einer Meinung. Glauben Sie, Sie schaffen es, diese Themen herauszuhalten aus dem Wahlkampf, oder gehören die da rein?
    Wellmann: Außenpolitisch gibt es ja zwischen den Parteien im Bundestag, mit Ausnahme der Linkspartei, großen Konsens, und die großen Fragen haben wir immer sehr einvernehmlich und im Konsens entschieden. Das heißt nicht, dass da im Wahlkampf nicht dieses und jenes angesprochen wird. Aber was die Sanktionen angeht, da war ja große Einigkeit in Europa. Das hat die Kanzlerin geschafft, Europa hinter dieses Sanktionsregime zu bekommen. Und ich kann nur jedem empfehlen, das aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Das sind Interessen Deutschlands, die man nicht auf Wahlkampfbühnen zerreden sollte.
    Simon: Sagt Karl-Georg Wellmann, CDU, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, vor dem Treffen zwischen dem russischen Außenminister Lawrow und Bundesaußenminister Steinmeier in Jekaterinburg. Herr Wellmann, vielen Dank fürs Gespräch!
    Wellmann: Danke auch, Wiederhören!
    Simon: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.