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Krise auf der Krim
"Ich glaube nicht, dass die Ukraine beteiligt war"

Die Grünen-Europapolitikerin Rebecca Harms hält es für eine Unterstellung, dass die Ukraine an den umstrittenen Ereignissen auf der Halbinsel Krim beteiligt war. Russland wirft der Ukraine dort Sabotage-Akte vor. Harms betonte im DLF, es sei zudem falsch, über ein Ende der Sanktionen gegen Russland nachzudenken.

Rebecca Harms im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Die Europapolitikerin Rebecca Harms von den Grünen am 14.01.2016 bei einer Pressekonferenz in Brüssel.
    Die Europapolitikerin Rebecca Harms von den Grünen (imago stock&people)
    Harms betonte im Interview, nach ihren Erfahrungen entlang der Frontlinie im Donbass in der Ost-Ukraine glaube sie überhaupt nicht daran, dass die Ukraine direkt an Vorgängen auf der Krim beteiligt gewesen sein solle. Das sei eine Unterstellung.
    Sie habe auch gerade erst eine Auswertung der OSZE-Beobachtungen über die vergangenen Monate gelesen. Demnach komme die überwiegende Zahl der Angriffe und Verstöße gegen das Minsker Abkommen von russischen Separatisten. Wenn Russland weiter seine Separatisten unterstütze, dann könne Minsk nicht erfolgreich sein. In dem Abkommen ist unter anderem eine Feuerpause geregelt, sie hält aber nicht.
    Harms unterstrich, auch wenn immer wieder über ein Ende der Sanktionen gegen Russland geredet werde, gebe es dafür keinerlei Berechtigung.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Die Kreml-Astrologen haben in diesen Tagen wieder Hochkonjunktur. Da gibt es dann die Meldung, die uns gestern alle überrascht hat: Putin schasst Kreml-Chef Iwanow, und er hat das angeblich auf eigenen Wunsch getan. So richtig weiß es keiner. Dann gibt es die Fragen, was ist da in dieser Woche passiert? Diese Auseinandersetzung, die im Vorfeld militärisch waren – gibt es einen Angriff der Ukraine, oder gab es den möglicherweise nicht? Über all das wollen wir reden, und dazu begrüße ich Rebecca Harms, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Frau Harms!
    Rebecca Harms: Guten Morgen!
    Zurheide: Frau Harms, sehen Sie eigentlich klar, was da im Moment, vor allen Dingen in der Ukraine, passiert?
    Harms: Ich kann das nicht wirklich beurteilen, so wie fast niemand das kann, was auf der Krim passiert ist, was daraus gemacht wird. Aber nach all meinen Erfahrungen entlang der Frontlinie, muss man ja sagen, im Donbass – ich glaube eigentlich überhaupt nicht daran, dass die Ukraine an den Ereignissen auf der Krim direkt beteiligt war. Ich glaube, das war eine Unterstellung.
    Zurheide: Es gibt inzwischen Warnungen der Amerikaner, die beide Seiten aufgefordert haben, nicht zu provozieren. Sie sagen, aus Ihrer Erfahrung, aus dem, was Sie einschätzen, dass es eher die Russen sind? Oder gibt es da auch durchaus berechtigte Hinweise an die ukrainische Seite?
    Harms: Ich habe gerade gestern eine Auswertung der letzten Monate OSZE-Beobachtung gesehen, eine Auswertung der Vorkommnisse der wechselseitigen Eskalation, und da muss man doch wieder sagen, dass die wirklich überwiegende Zahl von Angriffen und Verstößen gegen das Minsk-Abkommen, gegen die Minsker Abkommen, dass die von russischer Seite kommen, beziehungsweise man muss ja korrekt sagen, von den russischen Separatisten kommen.
    Und ich glaube, dass man in der Auseinandersetzung um die Durchsetzung von Minsk, wenn man das noch weiter machen will, endlich mal ernsthaft darüber reden muss, dass, wenn Russland weiter seine Separatisten unterstützt, dass dann Minsk nicht erfolgreich sein kann.
    "Der Aggressor sitzt im Kreml in Moskau"
    Zurheide: Das heißt, aus Ihrer Sicht sehen wir das alte Muster, dass Putin am Ende immer wieder testet, wie weit kann man gehen. Das heißt, Sie messen da auch die Verantwortung direkt zu, und da gibt es einen direkten Draht für Sie. Bestehen da keine Zweifel?
    Harms: Ich mache das natürlich immer ausgehend auch von der zutreffenden Bewertung, dass die Ukraine in diesem Fall weiter das angegriffene Land ist und dass der Aggressor, dass der im Kreml in Moskau sitzt. Und wenn man dann dieses Muster der massenhaften Eskalation sieht, auch, wenn man sich anguckt, dass die russischen oder von Russland unterstützten Separatisten, dass die regelrechte Landgewinne in der Ukraine gemacht haben, dann muss man wirklich sagen, dass, wenn wir wollen, dass der Konflikt sich nicht weiter verschärft, dass wir dann ernsthaft mit der russischen Seite reden müssen. Und ganz bedenklich ist, dass in den letzten Monaten gerade auch in der Europäischen Union immer wieder über das Ende der Sanktionen geredet wurde, wofür es keinerlei Berechtigung gibt, weder, was die Situation der Krim angeht, noch was die Situation im Donbass angeht.
    "Es ist ein großer Fehler, beide Seiten in diesem Konflikt gleichzusetzen"
    Zurheide: Ich will gleich noch über Sanktionen und Möglichkeiten Russland gegenüber mit Ihnen sprechen. Ich will vorher noch mal die Klammer aufmachen, was ich gerade angesprochen habe. Der amerikanische Außenminister hat noch mal eindringlich beide Seiten, eben auch die ukrainische aufgefordert, nichts zu tun, was eskaliert. Wie groß ist denn Ihr Vertrauen in die ukrainische Führung?
    Harms: Auch auf der ukrainischen Seite gibt es natürlich immer wieder Dinge, die aus dem Ruder laufen. Aber die ukrainische Regierung hat gegenüber den Bataillonen, die da ja immer wieder zu denjenigen, die man schwer berechnen kann, gehören, hat eine gute Linie verfolgt. Dass in einer militärischen Eskalation immer wieder Dinge passieren, die wir nicht richtig finden, die wir nicht wollen, das ist für mich nach dem, was ich da gesehen habe, das ist gar nicht möglich. Aber wir reden ja über die Rolle des Westens, also die Rolle derjenigen, die Sanktionen gegenüber Russland beschlossen haben, damit der Konflikt beendet wird, um Druck auch auf Moskau auszuüben.
    Und ein großer Fehler ist wirklich immer wieder, dass die beiden Seiten in diesem Konflikt gleichgesetzt werden. Das ist für Kiew, das ist gerade auch für die Reformkräfte, das ist für diejenigen, die Kompromisse in Minsk unterschrieben haben, sehr schlecht.
    "Ein Herunterfahren der Sanktionen würde die Putinsche Strategie belohnen"
    "Man darf nicht die eigene Strategie permanent infrage stellen"
    Zurheide: Das heißt, für Sie ist die Haltung ganz eindeutig. Anders, als es viele in Europa im Moment wollen, die die Sanktionen herunterfahren, weil es eben Dinge gibt, die möglicherweise im Nahen und Mittleren Osten sich abspielen, sagen Sie, nein, diese Art Handel ist mit Ihnen, mit den Grünen, nicht zu machen?
    Harms: Ich glaube, dass das weiterhin sehr schlecht wäre, wenn man durch das Herunterfahren der Sanktionen die Putinsche Strategie quasi belohnen würde. Weil es ist ja im Übrigen auch in Syrien ein Problem, dass Moskau, dass Putin darauf setzt, militärisch das Ganze zu entscheiden und mit seiner Unterstützung Assads ja auch die Verhandlungslösung eigentlich nicht so unterstützt, wie wir das wollen.
    Zurheide: Das heißt, die Gespräche, die da nämlich stattfinden wollen und sollen, wo der deutsche Außenminister immer noch sagt, ja, ich will, dass das weitergeht – Sie sagen eigentlich, am Ende ähnlich wie Putin, es hat im Moment eigentlich überhaupt keinen Zweck?
    Harms: Nein, man muss diese Gespräche führen. Man muss diese Gespräche führen. Jede Initiative, das Gespräch zu suchen, und jedes Gespräch, das stattfindet, ist richtig. Das habe ich auch immer in Sachen Ukraine unterstützt. Aber man darf nicht seine eigene Position in einer solchen Konfliktsituation unterminieren, indem man das, was man als Strategie beschlossen hat – und das ist das Problem in Sachen Ukraine die ganze Zeit –, wenn man als Strategie beschlossen hat, Diplomatie unterstützt durch Sanktionen, dann darf man nicht die eigene Strategie permanent infrage stellen, ohne dass man das erreicht hat, was man erreichen will.
    Zurheide: Das war Rebecca Harms, für die Grünen im Europäischen Parlament, zur schwierigen Lage der Situation zwischen Russland und der Ukraine und den möglichen Reaktionen. Ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch, auf Wiederhören!
    Harms: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.