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Welt-Hepatitis-Tag
Infektion im Gefängnis

Die von Viren verursachte Krankheit Hepatitis C greift die Leber der Infizierten an. In Deutschland stecken sich die meisten Betroffenen über gebrauchte Spritzen beim Drogenkonsum an. In deutschen Gefängnissen sind 63.000 Menschen betroffen, doch dort ist die Gesundheitsversorgung oft problematisch.

Von Thomas Kruchem | 28.07.2017
    Gebrauchte Spritzen liegen am Donnerstag (25.01.2007) im Druckraum der AIDS-Hilfe "La Strada" in Frankfurt am Main in einem Sammelcontainer. In einer sogenannten "geschützten Umgebung" können Drogen-Abhängige hier Heroin, Crack und andere Mittel unter der Aufsicht von Sozialarbeitern konsumieren. Viele der Klienten sind an HIV, AIDS oder Hepatitis erkrankt und nehmen die im Haus mit angebotene medizinische Hilfe in Anspruch. Foto: Boris Roessler dpa/lhe +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
    Vor allem durch das Teilen von Spritzen beim Drogenkonsum infizieren sich in Deutschland Menschen mit Hepatitis C. Wer im Gefängnis sitzt, dem wird die teure Behandlung nur selten zuteil. (dpa/Boris Roessler )
    Harvoni – im US-Fernsehen wirbt der Pharmakonzern Gilead für eins seiner neuen Wundermittel, die bis zu 99 Prozent aller Hepatitis C-Erkrankungen heilen. Auch 300.000 Deutsche sind betroffen von dieser chronischen Leberentzündung – die meisten, ohne es zu wissen. Hepatitis C wird durch Blut übertragen – durch mangelnde Krankenhaushygiene in vielen Entwicklungsländern, durch Tätowierungen, harten Sex und vor allem intravenösen Drogenkonsum bei uns.
    Bis 2013 war die Erkrankung extrem schwer zu behandeln; inzwischen aber gibt es Medikamente wie Harvoni, die Hepatitis C binnen weniger Wochen und fast ohne Nebenwirkungen kurieren. Das Problem: Diese Medikamente sind in Deutschland sehr teuer. Obwohl die Preise zuletzt gesunken sind, kann eine Behandlung immer noch 70.000 Euro kosten. Zu viel für die, die am meisten betroffen sind?
    63.000 Menschen sitzen in deutschen Gefängnissen, und mehr als jeder Dritte von ihnen hängt an der Nadel – die er mit oft Dutzenden Gefangenen teilt. Drogennachschub sei kein Problem im Knast, sagt im baden-württembergischen Biberach der 29-jährige André, der gerade aus der Haft entlassen wurde.
    "Über Besuch wird geschmuggelt. Oder über die Mauer wird's dann rüber geschmissen – irgendwas eingepackt in Folie, Blätter drum herum, dass es die Beamten dann im Hofgang nicht gleich entdecken. Dann wird es halt aufgehoben von den Leuten."
    Die Drogen finden ihren Weg ins Gefängnis
    Und wenn das Gefängnispersonal zu wachsam sei, fänden die Drogen eben andere Wege – berichtet in Berlin Karlheinz Keppler, bis vor kurzem leitender Arzt in der niedersächsischen Justizvollzugsanstalt Vechta.
    "Da wird also eine 55-jährige Betrügerin angesprochen – nach dem Motto: Pass mal auf, wenn du jetzt Urlaub hast, hier hast du zwei Adressen. Erste Adresse holst du 400 Euro. Zweite Adresse kaufst du für die 400 Euro dann Drogen. Dann führst du die dir unten ein und bringst sie ins Gefängnis. Und wenn nicht – wir wissen, wo deine Tochter und dein Enkelkind wohnen."
    Kurz, Drogen seien im Gefängnis noch leichter verfügbar als draußen, sagt der Gefängnisarzt. Mit der Folge, dass über 30 Prozent der Häftlinge infiziert seien mit Hepatitis C - 50 Mal so viele wie in Freiheit. Gefängnisse seien der Hotspot für Hepatitis C hierzulande – eine Hochrisikozone, die Menschen zu Zeitbomben mache.
    "Diese Gefangenen gehen irgendwann ja auch wieder raus. Die haben ja nicht alle lebenslänglich. Und gerade dieses Klientel ist zum Teil ja darauf angewiesen, sein Geld über Prostitution zum Beispiel zu verdienen und wird insofern ein Multiplikator. Und wenn der Familienvater, der auf den Drogenstrich geht, sich eine Hepatitis C erwirbt und diese Hepatitis an seine Frau weitergibt, die vielleicht auch noch schwanger ist, dann kann das Kind auch noch eine Hepatitis C kriegen."
    Justizministerien der Länder zahlen für Behandlung von Gefangenen
    Grund genug, alles Menschenmögliche zu tun gegen Hepatitis C im Gefängnis – zumal heute gut wirksame Medikamente zur Verfügung stehen. Auch haben Gefängnisärzte keine Budgets wie Kassenärzte. Die Justizministerien der Länder müssen die Gesundheitsversorgung der Gefangenen bezahlen – egal, was sie kostet. Trotzdem geschehe wenig gegen Hepatitis C im Knast, berichtet Gefängnisarzt Keppler. Bei der Eingangsuntersuchung bekämen Häftlinge zwar unverbindlich einen Lebertest angeboten; aber:
    "Danach kümmert sich eigentlich fast niemand mehr darum. Da muss der Gefangene schon von sich aus kommen und sagen: Ich will noch mal getestet werden. Aber von alleine kenne ich kein Gefängnis in Deutschland, wo intensiv und auch konsequent nach solchen Infektionen gefahndet wird."
    André, der sieben Jahre im Gefängnis saß, wusste von seiner Hepatitis C. Als er zufällig von den neuen Medikamenten erfuhr, bat er den Anstaltsarzt, ihn zu behandeln. Aber:
    "Der Arzt hat gemeint, ich soll jetzt abwarten bis zur Entlassung und mich hier dann gleich melden und hier anfangen. Das war circa acht Monate vor meiner Entlassung oder so was."
    Karl-Heinz Meller, Andrés Arzt in Biberach, schüttelt den Kopf.
    "Das ist in etwa der Normalfall. So geht das schon ab."
    Viele Hepatitis-C-kranke Gefangene warteten noch länger. Mellers Kollege, Gefängnisarzt Karlheinz Keppler, hat im Juni 2017 eine informelle Umfrage gemacht bei seinen Kollegen in neun Bundesländern. Danach wurden dort bis heute gerade 170 Gefängnisinsassen mit den neuen Hepatitis-C-Medikamenten behandelt. Umgerechnet auf ganz Deutschland wären das 250 – gerade einmal 1,3 Prozent der Betroffenen. Jahr für Jahr tausende Virusträger werden also unbehandelt wieder auf die Menschheit losgelassen. Dies, obwohl Hepatitis C-Behandlung nirgendwo einfacher ist als im Gefängnis.
    "Es ist ja nicht nur so, dass man den Patienten unmittelbar hat, sondern, selbst das ganz normale Vollzugspersonal ist sehr routiniert im Umgang mit Drogen konsumierenden Gefangenen. Das heißt: Man hat dann im Grunde das, was wir qualifizierte Krankenbeobachtung nennen. Also, im Grunde ist das Gefängnis ein ideales Szenario, um diese Behandlung durchzuführen – zumal die Behandlungsdauern jetzt deutlich gesunken sind."
    Spritzenautomaten im Kampf gegen Hepatitis C
    Doch nicht nur die Chance, Hepatitis-C-Infizierte zu finden und zu behandeln, wird sträflich vernachlässigt in deutschen Haftanstalten, sondern auch die Vorbeugung. Ohne den ständigen Tausch gebrauchter Spritzen gibt es viel weniger Hepatitis C, weiß Gefängnisarzt Keppler aus Ländern wie Spanien, die auch hinter Gittern saubere Spritzen zur Verfügung stellen. Genau das tat der deutsche Gefängnisarzt um die Jahrtausendwende in der Frauen-JVA Vechta.
    Als jedoch 2003 CDU-Mann Christian Wulff Ministerpräsident wurde, musste Keppler die Spritzenautomaten binnen drei Tagen abhängen; und auch die aktuelle rot-grüne Landesregierung hat sie nicht wieder aufgehängt. Politiker aller Couleur hätten panische Angst, als Sympathisanten krimineller Junkies dazustehen, sagt Keppler bitter. Das zu vermeiden sei ihnen wichtiger, als die Öffentlichkeit vor Hepatitis C zu schützen.
    "Mittlerweile gibt es in Deutschland nur noch ein Spritzenprojekt in einem Gefängnis – und zwar in der JVA Lichtenberg in Berlin."