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Weltdrogentag
Substitutionspatienten auf dem Abstellgleis

Eine Methode, um Drogenabhängige zu stabilisieren, ist die Substitutionstherapie. Hier bekommen die Patienten Ersatzmittel verabreicht. Doch die Therapie ist umstritten: Sowohl die Patienten als auch Ärzte haben mit Stigmatisierungen zu kämpfen.

Von Nicole Albers | 26.06.2019
Ein Drogenabhängiger in der Ambulanz für integrierte Drogenhilfe trinkt eine Methadon-Ration.
Methadon ist im Rahmen der Substitutionstherapie ein gängiges Ersatzmittel (picture alliance / Ponizak Paulus)
Wie jede Woche sitzt Vera bei ihrem Arzt in Münster. Vera möchte nicht erkannt werden, denn sie war lange Zeit drogenabhängig. Seit mehreren Jahren wird sie substituiert. Einmal pro Woche fährt sie nach Münster, muss Urin abgeben und bekommt dann ihre Dosis. Da Vera schon seit Jahren stabil ist, bekommt sie für den Rest der Woche ein Take-Home-Rezept. Heißt: Sie kann sich ihre tägliche Dosis in einer Apotheke besorgen. Eigentlich lebt Vera im Raum Osnabrück in Niedersachsen. Doch dort war es schon vor Jahren schwierig, einen Substitutionsarzt zu finden.
"Die haben keinen mehr genommen. In der LKH in Osnabrück ist es auch eine Katastrophe, da kommst du nicht rein, weil es zu voll ist. Es sind ja nur noch zwei oder drei Ärzte geblieben, und die sind so überfüllt, dass die gar keinen mehr nehmen. Ich stand ein Jahr auf der Warteliste. Nach einem Jahr kam ich hin und fragte: Wann werde ich denn endlich drangenommen?"
Immer weniger substituierende Ärzte
Das, was sich schon vor Jahren in Niedersachsen anbahnte, ist mittlerweile bundesweit zu einem Problem geworden. Denn während die Zahl der Substituierenden mit etwa 80.000 gleichbleibend hoch ist, sinkt die Zahl der substituierenden Ärzte – und zwar kontinuierlich. Gerade im ländlichen Bereich gibt es deutschlandweit so gut wie keine Mediziner mehr, die diese Behandlung anbieten. Hinzu kommt: Das Durchschnittsalter der Behandler liegt mittlerweile bei 59 Jahren. Schon längst ist klar: Es muss etwas passieren – und zwar schnell.
"Wenn in jeder Praxis zwei, drei Patienten behandelt werden würden, wenn man die Behandlungslast auf viele Schultern, auch jüngere Schultern verteilen würde, dann wäre schon mal viel geholfen."
Anke Follmann ist bei der Ärztekammer Westfalen-Lippe zuständig für den Bereich Sucht und Drogen. Und schon seit Jahren versucht sie, Ärzte für die Substitution zu begeistern. Doch die Scheu vor dieser Klientel im Wartezimmer ist groß:
"Weil diese Patienten bewegen sich, manchmal in besonderen sozialen Bereichen und Umfeldern, das sind Patienten, die konsumieren eine illegalisierte Droge, das sind verschlossene Welten und die möchte man sich auch nicht unbedingt erschließen."
Ärzte und Patienten werden stigmatisiert
Stigmatisierung – ein Problem, nicht nur für die Patienten. Auch substituierende Ärzte kennen das, wie etwa der Münsteraner Psychiater Thomas Poehlke:
"Ein Großteil der Kollegen in der Medizin halten das, was wir tun, für keine Medizin. Das ist wirklich nicht weit hergeholt, Dealer in Weiß, ich gebe dem Alkoholiker Alkohol, damit die durch den Weg kommen, es sind wenig reflektierte Dinge, die da eine Rolle spielen."
Poehlke war einer der ersten, der vor 30 Jahren die Substitution angeboten hat. Derzeit werden in seiner Praxis 200 Patienten substituiert, einige darunter, die für die Arztbesuche eine Fahrzeit von ein bis zwei Stunden auf sich nehmen. Ihn ärgert es, dass viele Berufskollegen so abwertend über die Substitution sprechen. Doch seine Erfahrung hat ihm gezeigt, dass es richtig ist, was er tut:
"Es ist lebenserhaltend und ich finde, was kann man als Arzt besseres tun, als Leben erhalten."
In Nordrhein-Westfalen beschäftigt sich mittlerweile eine Arbeitsgruppe mit dem Problem. Eine Broschüre mit dem Ziel der Entstigmatisierung ist in Planung. Auch Angela Piekoschowski von der kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe ist in der Arbeitsgruppe vertreten. Für sie ist klar: Das Thema muss gerade bei jungen Medizinern mehr in den Fokus geraten. Darum soll die Substitution künftig in der Ausbildung mehr Gewicht bekommen. Höchste Zeit, denn bislang findet das Thema beim Medizinstudium kaum statt.
Künftig mehr Substitution im Medizinstudium?
"Ich war kürzlich in einer Praxis in Münster, wo ein Student ein Praktikum gemacht hat und da sagte mir der substituierende Arzt: Jetzt stellen sie sich vor, dieser junge Kollege hat in seinem Studium noch nie etwas von Substitution gehört und ist ganz fasziniert von dieser Methode."
Für Vera ist sie ein Rettungsanker. Durch die Substitution kann sie wieder ein geregeltes Leben führen. Und sie weiß, dass sie großes Glück hatte, überhaupt noch einen Arzt zu finden. Auch, wenn sie dafür jede Woche mehrere Stunden Fahrtzeit in Kauf nehmen muss.
"Es würden wahrscheinlich viel mehr Leute rauskommen aus dem Scheiß. Aber es sind nicht genug Plätze da. Die würden gern im Programm dabei sein, aber es sind keine Plätze da."