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Welthungerhilfe: Cholera im ganzen Land ausgebreitet

Die Lage in Haiti ist angespannt: Nach offiziellen Angaben sind inzwischen rund 1000 Menschen an der Cholera gestorben, bei Unruhen kamen zwei Menschen ums Leben. Sollte die Situation eskalieren, würde die notwendige Versorgung der Bevölkerung leiden, sagt Dirk Günther, Regionalkoordinator der Welthungerhilfe.

Dirk Günther im Gespräch mit Silvia Engels | 17.11.2010
    Silvia Engels: Erst das Erdbeben, dann ein Wirbelsturm, schließlich die Cholera und nun erste Unruhen und Plünderungen. Das Leid, das die Menschen in Haiti in diesem Jahr zu tragen haben, sprengt jeden Vergleich. Die Hilfsorganisationen im Land scheinen, auch an die Grenzen ihrer Möglichkeiten zu kommen. Mittlerweile sollen über 1000 Menschen an der Cholera gestorben sein.

    Telefonisch sind wir nun verbunden mit Dirk Günther. Er ist der Regionalkoordinator der Welthungerhilfe in Haiti. Guten Tag, Herr Günther.

    Dirk Günther: Guten Tag.

    Engels: Sie waren den Tag über unterwegs in der Region, Sie sind auch direkt in einer Stadt, die von Unruhen betroffen war. Wie würden Sie die Situation im Moment beschreiben?

    Günther: Ich befinde mich gerade in einem Vorort von Cap Haitien. Das ist eine der Städte, wo die Unruhen besonders stark sind und auch am Anfang angefangen haben. Wir kamen am Montag mit dem Flugzeug an, wollten in die Stadt und konnten nicht in die Stadt und sitzen deshalb seit Montag in einem Vorort, denn in der Stadt wird viel geschossen, in der Stadt gibt es große Aufregung, große Aufmärsche und aus Sicherheitsgründen sind wir nicht in die Stadt gefahren, das ist nicht möglich.

    Engels: Wissen Sie, gegen wen sich diese Proteste richten? Gegen Hilfsorganisationen?

    Günther: Diese Proteste richten sich im wesentlichen zunächst einmal gegen die Regierung. Es hat was mit der Cholera zu tun und es ist der Regierung nicht gelungen, die Ausbreitung der Cholera zu verringern. Aber die Aufstände richten sich auch im Moment sehr stark gegen die UN-Schutztruppe, da in Haiti angenommen wird, dass UN-Schutztruppen teilweise Träger dieses Cholera-Virus waren und es hier hergebracht haben.

    Engels: Wissen Sie etwas über die Bedeutung dieses Vorwurfes, beziehungsweise ob da etwas von zutreffend sein kann? Es gibt ja dann genau die Kritik an UN-Kräften aus Nepal. Ist da irgendetwas dran aus Ihrer Sicht?

    Günther: Das kann ich im Endeffekt nicht beurteilen. Das sind fachliche Untersuchungen, das sind biologische Untersuchungen, die da gemacht werden müssen. Es wird hier in Haiti informiert, dass es sich um einen asiatischen Cholera-Virus handelt, um Bakterien gehandelt, genau wie Sie es eben gesagt haben, und dass eben dieses den nepalesischen Schutztruppen zugeeignet wird. Aber ob da was dran ist oder nicht, das kann ich nicht beurteilen, das müssten Mediziner beurteilen.

    Engels: Dann schauen wir auf die Ausbreitung der Cholera. Welche Zahlen oder welche neuen Informationen haben Sie über die Ausbreitung dieser Krankheit?

    Günther: Die Cholera ist zunächst in Artibonite, also im Zentrum des Landes, ausgebrochen und hat sich trotz starker Hilfslieferungen, um diese Sache einzudämmen, insbesondere von medizinischen Organisationen, jetzt inzwischen doch im Land ausgeweitet, sodass hier in Cap Haitien schon sehr viele Cholera-Kranke und auch Cholera-Tote zu beklagen sind, aber auch in den umliegenden Gegenden. Es wird auch im Süden des Landes schon von Cholera-Kranken gesprochen.

    Engels: Nachdem die Durchfallkrankheit ja vor einigen Wochen zum ersten Mal diagnostiziert worden war, waren ja die Hilfsorganisationen zunächst verhalten optimistisch, dass man das in den Griff bekommen könne. Warum hat das nicht geklappt?

    Günther: Die Mobilität der Bevölkerung ist relativ hoch und viele Menschen, die in dem Artibonite-Gebiet erkrankt sind, sind mit dieser Erkrankung in andere Gegenden des Landes relativ zügig auch migriert, und auf diese Art und Weise hat sie sich stärker im Land ausgeweitet, als man das anfangs gedacht hat. Man ging davon aus, man könne es relativ schnell eingrenzen; das ist nicht gelungen.

    Engels: Nun wird auch aus dem Nachbarland Haitis, der Dominikanischen Republik, ein erster Cholera-Fall gemeldet. Ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Krankheit auch in diese Richtung ausbreitet?

    Günther: Das ist auch wieder eine Frage, die ein Mediziner besser beurteilen kann. Ich kann Ihnen nur so viel sagen: Die Grenze zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti ist kaum kontrollierbar. Die Dominikaner geben sich alle Mühe, an ihrer Grenze Kontrollen einzurichten und diese Sachen zu prüfen, aber es gibt auch viele Leute, die über die grüne Grenze gehen, und so wird es sehr schwer sein, diese Sache einzugrenzen. Ich habe nur bei der Dominikanischen Republik sehr viel mehr Hoffnung auf das dortige Gesundheitssystem. Die Dominikaner werden diese Sachen wahrscheinlich besser eingrenzen können als die Haitianer.

    Engels: Was kann Ihre Organisation, Herr Günther, die Welthungerhilfe, derzeit vor allen Dingen tun? Wie sehen Ihre Projekte aus?

    Günther: Die Welthungerhilfe ist eine Organisation, die sich mit Nothilfe, Wiederaufbau und landwirtschaftlicher Entwicklung beschäftigt. Die Welthungerhilfe ist keine medizinische Fachorganisation, und aus diesem Grund werden wir auch nicht medizinisch tätig. Was wir machen: in den Gegenden, in denen wir arbeiten, gibt es Gesundheitsstationen, und für diese Gesundheitsstationen besorgen wir Basismaterial, das heißt Chlortabletten, dann isotonische Lösungen, Behältnisse, aus denen dann das Wasser sauber geschöpft werden kann. Das heißt, wir gehen in die Vorbeugung. Wir haben bereits Informationskampagnen gemacht in der Landessprache Kreol, in allen diesen Gegenden, in denen wir arbeiten, damit die Bevölkerung darauf hingewiesen wird, denn hygienische Fragen sind das Wichtigste zum Eindämmen dieser Krankheit und durch Vorbeugung kann man hier viel erreichen. Das machen wir. Wir haben auch für einen Landesteil schon größere Mengen an Chlor eingekauft und das zur Verteilung versandt und auch entsprechend Seife. In anderen Gegenden des Landes sind diese Dinge eher erhältlich. Wir sind jetzt im Moment dabei, Material für die Unterstützung dieser Gesundheitsstationen hier ins Land zu bringen und dann entsprechend zu verteilen.

    Engels: Sie haben es angesprochen, Herr Günther: Derzeit können Sie nicht in das eigentlich vorgesehene Stadtzentrum von Cap Haitien vordringen wegen Sicherheitsbedenken. Gefährden diese Unruhen nun den gesamten Einsatz auch im Kampf gegen die Cholera?

    Günther: Das ist schwer zu sagen. In Cap Haitien gibt es derzeit eben Aufstände und diese Aufstände beeinträchtigen natürlich jegliche Bewegung in der Stadt und damit beeinträchtigt das vielleicht auch den Kampf gegen die Cholera. Aber ich gehe davon aus, dass diese Aufstände nur wenige Tage brauchen und deshalb nicht wesentlich dort Einfluss haben. Das größte Problem ist eher, dass eine ganze Reihe von Medikamenten hier in dem Land nicht erhältlich sind, und das ist eine Angelegenheit, die eben auch Hilfsorganisationen positiv unterstützen können. Wenn sich diese ganzen Aufstände im ganzen Land erheblich ausweiten, dann werden wir auch davon betroffen sein, denn dann können wir nämlich bestimmte Hilfsgüter nicht zu diesen Gesundheitsstationen rechtzeitig bringen.

    Engels: Dirk Günther, Regionalkoordinator der Welthungerhilfe. Wir haben ihn direkt im haitianischen Cap Haitien erreicht. Alles Gute für Sie und passen Sie auf sich auf.

    Günther: Danke schön und Ihnen einen schönen guten Morgen.