Dienstag, 19. März 2024

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Weltkriegsmunition im Meer
Zeitbomben im maritimen Ökosystem

Tonnenweise versenkte Kriegsmunition verrottet in den Tiefen von Nord- und Ostsee. Ein Forschungsprojekt konnte nun Abbauprodukte von chemischen Waffen und Explosivstoffen in Meerestieren nachweisen. Es gebe negative gesundheitliche Effekte, sagte der beteiligte Meeresbiologe Matthias Brenner im Dlf.

Matthias Brenner im Gespräch mit Lennart Pyritz | 12.02.2019
    Scharfe Munition im japanischen Schiffswrack Helmet wreck, Palau, Mikronesien, Ozeanien
    Das internationale Forschungsprojekt DAIMON soll politische Entscheidungen zu Weltkriegsmunition in Nord- und Ostsee unterstützen (imago stock&people / imageBROKER)
    Lennart Pyritz: Tonnenweise Munition wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten in der Nord- und Ostsee versenkt. Welche Risiken diese rostenden Zeitbomben für das Ökosystem Meer und potenziell auch den Menschen bergen – dieser Frage hat sich das internationale Forschungsprojekt DAIMON angenommen, an dem unter anderem das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven beteiligt war. Das Ziel: Entscheidungshilfen erarbeiten, was mit den Munitionsresten geschehen soll. Ende vergangener Woche wurden die Ergebnisse des Projekts vorgestellt.
    Mit dabei war der Meeresbiologe und Forschungstaucher Matthias Brenner vom AWI. Ich habe vor der Sendung mit ihm telefoniert und gefragt, wie viel Munition damals in der Nord- und Ostsee verklappt wurde.
    Matthias Brenner: Die Experten schätzen, dass es bis zu 1,6 Millionen Tonnen sind, konventioneller Munition und chemischer Waffen, die besonders nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Auftrag der Alliierten verklappt wurden. Die chemischen Waffen liegen vor allem in der Übergangszone von Nord- und Ostsee im Skagerrak, zum Teil in Wracks, die also versenkt wurden durch die Amerikaner oder durch die Briten, aber auch in der Nähe beispielsweise von Bornholm wurde im Auftrag der Russen chemische Waffen verklappt, dort allerdings einzeln, deswegen sind sie auch heutzutage großräumig verteilt in dem Bereich. Und dann haben wir noch die konventionelle Munition, da ist auch ein Großteil im Laufe des Krieges beziehungsweise danach verklappt worden, aber da gibt es natürlich auch andere Eintragspfade, durch die Kampfhandlungen et cetera.
    Pyritz: Vielleicht noch mal kurz, um sich das so ein bisschen bildlich vorzustellen, wie sieht diese Munition aus, was liegt da konkret am Boden?
    Brenner: Am Boden liegen alle möglichen Munitionskörper, vom Torpedo über die Seemine bis zur Granate, aber auch Fässer beispielsweise, gefüllt mit chemischen Kampfstoffen. Die wurden beispielsweise einfach nur bereitgestellt, damit man sie schnell abfüllen hätte können, was dann allerdings nicht gemacht wurde und deswegen wurden dort auch Fässer und Container versenkt.
    "Tiere, die Explosivstoffe aufnehmen, zeigen negative gesundheitliche Effekte"
    Pyritz: Im Rahmen dieses internationalen Forschungsprojekts DAIMON wurde nun untersucht, ob beim langsamen Verrotten dieser Munition Chemikalien oder Gifte austreten, die Fische und andere Meeresbewohner oder potenziell dann eben auch den Menschen gefährden könnten. Welche Untersuchungen und Experimente wurden dazu konkret durchgeführt?
    Brenner: Zunächst hat man wirklich einmal geguckt, ob diese Substanzen aus den korrodierten Munitionshüllen austreten. Das ist so, also der Nachweis sowohl von Abbauprodukten von chemischen Waffen, als auch von normalen Explosivstoffen ist im Sediment als auch im Porenwasser gelungen. Also, das geht ins Wasser und wird dort auch von den Organismen aufgenommen.
    Konkret haben wir Untersuchungen an Muscheln, an Plattfischen und an Dorschen durchgeführt, dabei haben wir Muscheln sowohl im Labor exponiert mit TNT-Abbauprodukten, als auch Muscheln zum Beispiel im Verklappungsgebiet Kohlberger Heide in der Kieler Bucht in der Nähe von versenkten Munitionskörpern ausgebracht. Was wir sehen, ist, dass die Tiere die Explosivstoffe aufnehmen, dass sie sie in ihrem Körper akkumulieren und dass sie auch negative gesundheitliche Effekte zeigen.
    Ähnliches ist bei den Fischen, die Kollegen vom Thünen-Institut haben einen Versuch auch in der Kohlberger Heide gemacht mit der Kliesche und haben festgestellt, dass die Organismen dort wesentlich höhere Lebertumorraten haben als Fische aus Vergleichsgebieten. Und die untersuchten Fische mit den höheren Tumorraten hatten auch erhöhte TNT-Werte in der Galle.
    Darüber hinaus haben wir noch eine weitere Untersuchung an Dorschen in Bornholm gemacht, dort liegen ja verklappte chemische Waffen, und hier konnten wir zeigen, dass in 13 Prozent der Fälle die Dorsche auch Abbauprodukte aus diesen chemischen Waffen im Filet, das heißt, in dem Teil der von Menschen dann auch verzehrt werden würde, aufweisen.
    Wenig darüber bekannt, wie der Verzehr auf Menschen wirkt
    Pyritz: Und gibt es da Untersuchungen oder Überlegungen dazu, was das dann im menschlichen Organismus anrichten könnte, wenn man solche kontaminierten Fische verspeist?
    Brenner: Gut, was TNT anbelangt, so ist das hinlänglich bekannt. Also, alle TNT-Substanzen beziehungsweise auch deren Abbauprodukte, teilweise auch die Stoffwechselprodukte sind mutagen und kanzerogen, das heißt, sie sind erbgutverändernd und krebsfördernd. Das wird beim Verzehr von belastetem Material nicht anders sein, wobei die Konzentrationen jetzt nicht so hoch sind, dass man direkt gesundheitliche Beeinträchtigungen befürchten muss.
    Bei den chemischen Waffen sieht es da ein bisschen anders aus, da ist also sehr wenig darüber bekannt, wie das denn im Zweifelsfall auf den Menschen wirken würde, aber ich meine, chemische Waffen sind dazu erzeugt worden, den Menschen zu schädigen, insofern liegt der Verdacht nahe, dass natürlich auch die Abbauprodukte im Fisch einen ähnlichen Effekt beim Verzehr verursachen. Aber auch hier sind die Konzentrationen, die wir dort in den Fischen gemessen haben, sehr, sehr gering.
    Pyritz: Dieses Forschungsprojekt sollte jetzt ja Politik und Verwaltung Entscheidungshilfen liefern, was mit der Munition geschehen soll, also, sollte man die überwachen oder bergen? Welche Empfehlung haben Sie jetzt erarbeitet?
    Brenner: Wir haben im Rahmen des Projekts eine Software produziert, in der unsere ganzen Daten einfließen, und die soll dann eine Entscheidungshilfe für diejenigen sein, die das entscheiden müssen. Die Situation in der Ostsee ist ganz unterschiedlich, wir haben, wie gesagt, Munition in Tiefenregionen in Wracks liegen, wir haben das verteilt über große Gebiete in Bornholm oder aber kompakt konventionell in der Kohlberger Heide.
    Die sind in ganz unterschiedlichem Zustand, und unsere Überlegung ist eben, dass man das priorisiert quasi und sagt, es gibt Gebiete, da sollte man zügig handeln, andere Situationen, wo man Munition findet, die sind vielleicht erst mal noch zu überwachen – und das ist auch im Rahmen dieses Decision-Support-System, was im Projekt entwickelt wurde, mit berücksichtigt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.