Mittwoch, 15. Mai 2024

Archiv


Weltmeister durch Tiefschlag

Als erster Europäer holte sich Max Schmeling vor 80 Jahren den Titel eines Boxweltmeisters im Schwergewicht. Sein Gegner in New York war der Amerikaner Jack Sharkey, der wegen eines unerlaubten Schlags unter die Gürtellinie disqualifiziert wurde.

Von Thomas Jaedicke | 12.06.2010
    "Unsere Herzen schlagen hoch, dass wir unseren deutschen Landsmann Max Schmeling hier wieder haben begrüßen dürfen. Und wir wollen diesem Ausdruck geben, indem wir alle, die wir hier versammelt sind, unserem lieben Max Schmeling und seiner Mutter ein dreifach kräftiges 'Hipp, hipp, hurra!' ausrufen wollen."

    Nationalhymne, gesungen: "Deutschland, Deutschland, ..."

    Nur wenige Getreue haben sich am Mittag des 4. Juli 1930 am Columbus Pier in Bremerhaven eingefunden, um den frischgebackenen Champion Max Schmeling zu empfangen. Dabei hatte doch die halbe Welt diesem lang ersehnten Titelkampf entgegengefiebert. Zwölf Jahre nach dem Ersten Weltkrieg griff erstmals ein Deutscher nach dem wertvollsten Titel der Boxer. Überall gaben die Zeitungen Extrablätter heraus. Kurz vor dem Kampf schrieb das Fachblatt "Box-Sport".



    "Nach unseren letzten Informationen aus Amerika hat Sharkey geäußert, dass er ... Max angreifen und ihn in einigen Runden zusammenschlagen würde."

    Am Abend des 12. Juni platzt das Yankee-Stadion in der West-Bronx in New York aus allen Nähten. 80.000 Fans sind gekommen. Sondereinheiten der Polizei versuchen, die heranströmenden Massen zu bändigen. Begleitet von einer Eskorte trifft Schmeling zum Wiegen ein. Bei den Buchmachern in den Wettbüros ist der harte Schläger Jack Sharkey Favorit. Mit 8:5 liegt der Sohn bitterarmer litauischer Einwanderer vorn. Um 21:23 Uhr gibt Ringrichter James Crowley den Kampf frei.

    Sharkey dominiert von Anfang an. Schon in der dritten Runde bekommt Schmeling nach klaren Treffern weiche Knie. Zu Beginn von Runde vier muss er auf die Bretter. Der Amerikaner hat ihn mit einem schweren linken Haken unter der Gürtellinie erwischt.

    "Der Deutsche sinkt stöhnend zusammen. Zeitnehmer und Ringrichter zählen, bei sechs ertönt der Gongschlag",

    berichtet der Reporter des Berliner Tageblatts.

    "Schmeling wird in seine Ecke getragen, er sitzt zusammengekrümmt, fast besinnungslos auf seinem Stuhl. Ein kaum wiederzugebender Tumult erhebt sich unter den Zuschauern ... Der Ringrichter hat scheinbar den Tiefschlag nicht gleich bemerkt. Sharkey rennt fassungslos im Ring umher ... Und als er Schmeling in der Ecke sieht, fordert er ihn auf, weiter zu kämpfen ... Inzwischen verkündet der Sprecher die Disqualifikation Sharkeys: Schmeling Weltmeister durch Tiefschlag!"

    Max Schmeling: "Ich fiel um. Selbstverständlich. Und hatte sehr viel Schmerzen und hab denn auch noch sehr lange darunter gelitten."

    "Tiefschlagweltmeister Max Schmeling." Noch Jahrzehnte später erinnert sich Schmeling an das erste Gefühl nach dem Kampf, sich den Titel nicht redlich im Ring verdient zu haben:

    "Das war so, dass ich so enttäuscht war, dass ich also den Titel am selben Abend noch zurückgeben wollte und wollte verzichten. Und da kam ein sehr bekannter amerikanischer Journalist, Paul Gallikow, vielleicht ist Ihnen der Name bekannt, und der sagte nur: Hör mal, Max, Sie sind verrückt. Den Titel beweisen Sie im nächsten Kampf, dass Sie der echte Titelhalter sind und dann ist alles vergessen. Und so war es dann auch."

    Weil die Rundfunkübertragung aus New York wegen technischer Probleme ausgefallen war, erfuhr man in Deutschland erst aus den Zeitungen von Schmelings getrübtem Triumph. Nachdem sich die Wogen geglättet hatten und Schmeling sich erholt hatte, verteidigte er seinen Titel fast genau ein Jahr später in Cleveland gegen Young Stribling. Am 22. Juni 1936 kam es in New York zur Revanche gegen Jack Sharkey.

    Reportage, Schmeling vs. Sharkey, 22.6.1932: "Beide fallen in einen Clinch und bearbeiten sich erbarmungslos mit rechten und linken Haken gegen den Körper. Beide Kämpfer lassen es jetzt darauf ankommen. Schmeling springt Sharkey mit einem linken Geraden an und nimmt gleichfalls einen rechten Haken mitten in das Gesicht ..."

    Diesmal funktionierte die Rundfunkübertragung. Am Ende des hochklassigen Kampfes, der über die volle Distanz von 15 Runden ging, war Schmeling seinen Weltmeistertitel los.

    Reportage, Schmeling vs. Sharkey, 22.6.1932: " Es ist ein verzweifeltes Ende. Schmelings linker Haken trifft Sharkey im Gesicht ... Sharkey schlägt einen wahnsinnigen rechten Uppercut eine Meile daneben. Und Schmeling versucht mit einem linken Geraden durchzukommen, der jedoch nicht trifft. Sharkey arbeitet wunderbar. Schmeling ist kühl wie eine Hundeschnauze ..." "

    Es war ein umstrittenes Urteil. Doch die Punktrichter sahen Sharkey knapp vorn. Zu Recht, wie auch der "Box-Sport" urteilte. Schmeling habe den Kampf in den letzten fünf Runden verloren.

    "Hier hätte Max mit Volldampf losgehen müssen. Aber er tat es nicht. Das Eis, das er in seinem Herzen hatte, schmolz nicht. Er blieb kühl."