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Weltraumrecht
"Satellitenschwärme sind keine geringe Gefahr"

Da die Raumfahrt zunehmend kommerzialisiert werde, sei zu befürchten, dass Sicherheitsstandards etwa für Satelliten auf der Strecke bleiben, sagte der Weltraumrechts-Wissenschaftler Stephan Hobe im Dlf. Die bestehenden Regelungen seien da nicht mehr ausreichend.

Stephan Hobe im Gespräch mit Uli Blumenthal | 17.01.2020
Eine SpaceX Falcon 9-Rakete im Orbit, mit 60 Starlink-Satelliten an Bord, Mai 2019.
Bekommt Startgenehmigungen von der Federal Communications Commission in den USA: das Unternehmen SpaceX (picture alliance / newscom / Space X)
Uli Blumenthal: Das US-Unternehmen SpaceX will beim Projekt "Starlink" in den nächsten Jahren insgesamt über 10.000 Satelliten starten und so die Erde mit schnellem Internet versorgen. Doch schon nach dem ersten Start von 60 Satelliten Ende Mai 2019 gab es große Aufregung: Die Satelliten leuchten hell am Nachthimmel, wenn sie von der Sonne angestrahlt werden. Auch das OneWeb will 2.000 Minisatelliten für die Internetversorgung in entlegenen Gebieten starten. Astronomen fürchten deshalb, bald gibt es keinen Sternen-, sondern nur noch einen Satellitenhimmel, und damit, so die Internationale Astronomische Union, werde es immer schwieriger, von der Erde aus Astronomie zu betreiben. Mittlerweile hat SpaceX 180 "Starlink"-Satelliten in Umlaufbahnen um die Erde positioniert. Kann jedes kommerzielle Unternehmen einfach Satelliten in Erdumlaufbahnen starten? Welche Regelungen gibt es dazu im Weltraumrecht? Diese Frage habe ich Professor Stephan Hobe gestellt. Er ist Direktor des Instituts für Luftrecht, Weltraumrecht und Cyberrecht der Universität Köln und arbeitet zurzeit in Cambridge, Großbritannien.
Stephan Hobe: Also das Weltraumrecht regelt, dass man jeden Satelliten, der als sogenanntes Weltraumobjekt gilt, registrieren lassen muss, und zwar in einem nationalen Register. Was aber darin stehen muss, ist weitgehend offengelassen. Darüber haben sich damals die Staaten nicht richtig einigen können. Diese Information muss zudem dem Generalsekretär der Vereinten Nationen – das ist die Stelle in Wien – weitergeleitet werden, sodass also verfolgt werden kann, was dort sich im Weltraum befindet, aber diese Informationen sind so allgemeingehalten, dass daraus nicht wirklich alles nachvollziehbar ist. Darüber hinaus muss ein Privatunternehmen bestimmte Anforderungen erfüllen, aber das hängt sehr von dem startenden Staat ab, wie streng er diese Anforderungen setzen will.
Weltraumrecht ein "relativ lascher" Kompromiss
Blumenthal: Und wie weit und wie breit ist die Spanne eigentlich zwischen den Weltraumnationen und den gesetzgebenden Regularien, die von den Ländern ausgegeben werden? Da ist scheinbar dann alles möglich.
Hobe: Da ist in der Tat alles möglich. Wir haben ja so die Vorstellung, dass das Völkerrecht, also das zwischenstaatliche Recht, das von Anfang an den Weltraum und die menschlichen Aktivitäten im Weltraum und auf Himmelskörpern bestimmt hat, dass dieses Recht Standards vorgibt. Das ist zwar auch im Grundsatz richtig, aber dieses Recht als Völkerrecht muss immer ein Kompromiss sein zwischen allen Staaten. Insofern ist dieser Kompromiss in der Regel relativ lasch ausgefallen. Die Anforderungen sind nicht besonders stark. So sagt etwa Artikel 6 des Weltraumvertrages nur für jeden privat Startenden, dass der entsprechende Staat ihn autorisieren muss, ihm eine Genehmigung erteilen muss, setzt aber nicht sozusagen die Bedingungen fest, unter denen diese Genehmigung erteilt werden kann. Das kann also in der Tat sehr stark variieren. So wie mittlerweile die Weltraumfahrt jetzt sozusagen stärker kommerzialisiert wird, ist natürlich zu befürchten, dass Sicherheitsstandards auf der Strecke bleiben und man sozusagen den schnellen kommerziellen Erfolg will und entsprechend Genehmigungen privaten Unternehmen erteilt, auch dann, wenn vielleicht letzte Sicherheitsbedenken nicht ausgeräumt sind.
Blumenthal: Wir haben von Ihnen schon gehört, wie gering die Vorgaben für die privaten Raumfahrtunternehmen sind. Gibt es Vorgaben, was beispielsweise die Bahndaten, das Design der Satelliten, die Steuerung bis hin zum Ausfall oder sogar zur Entsorgung der Satelliten regelt?
Hobe: Erst sehr im Ansatz, denn die Registrierungserfordernisse sind außerordentlich gering, wie ich am Anfang gesagt habe. Jetzt haben sich aber schon etliche Kollisionen im Weltraum, vor allem in den attraktiven Erdumlaufbahnen, ereignet, sodass die Weltraumagenturen seit etwa 20 Jahren sich auf rechtlich unverbindliche Verhaltensmaßregeln geeinigt haben. Da steht unter anderem drin, man soll kurz vor dem Ende des Satellitenantriebs den Satelliten in einen sicheren, in einen Friedhofsorbit oder direkt zurück in die Erdatmosphäre katapultieren. Es gibt aber noch andere Dinge, die außerordentlich problematisch sind. Das ist etwa die nach wie vor erlaubte mutwillige Zerstörung von Satelliten in der Frage der militärischen Nutzung, der sogenannten Antisatellitenwaffen. Das steht erstmals auch in diesen Guidelines drin, dass so etwas tunlichst vermieden werden soll, weil natürlich durch diese entsprechende Zerstörung von Satelliten eine Unzahl an kleinen Partikeln – wir sprechen von space debris – erzeugt wird, was die entsprechenden Umlaufbahnen in einer geradezu besorgniserregenden Art und Weise verschmutzt.
"Wir müssen zu stärkerer Registrierung kommen"
Blumenthal: Anfang September musste der Erdbeobachtungssatellit Aeolus seine Triebwerke zünden, die Umlaufbahn ändern, andernfalls hätte es einen Zusammenstoß mit einem Satelliten der Firma SpaceEx gegeben. Gibt es irgendwelche Formen von Verkehrsregeln im All, nach dem Motto rechts vor links oder über- und untergeordnete Verkehrswege und Bahnen?
Hobe: Schön wäre es. Das ist in der Tat unsere große Forderung, die Forderung der Wissenschaft, die Forderung nicht nur der Rechtswissenschaft, sondern auch der Physiker, dass wir endlich dazu kommen, bei einer zunehmend stärkeren Bevölkerung des Weltraums etwa durch kommerzielle Satelliten, durch weiteren möglicherweise später einmal Weltraumtransport von Personen und Fracht durch den Weltraum, dass wir für diese Fälle zu tatsächlichen Regeln kommen, dass wir zu stärkerer Registrierung kommen, dass genaue Bahndaten etwa vorgegeben werden und dass auch genauer gesagt wird, zu welchem Zeitpunkt eine Ladung in den Weltraum geht und wieder aus dem Weltraum rauskommt, dass die Bahn relativ genau bekannt ist, um Kollisionen zu vermeiden. Dies wäre alles dringend erforderlich und wird uns in der Zukunft sicherlich beschäftigen müssen.
Blumenthal: Und wer ist eigentlich das Gremium, vor dem solche Fragen geregelt werden müssen? SpaceX hat ja beispielsweise von der Federal Communications Commission in den USA die Genehmigung für den Start bekommen. Also wie sieht das dann international aus? Wer kann da den Hut aufhaben?
Hobe: International sind es nach wie vor die Vereinten Nationen, die seit Beginn der Weltraumfahrt in den späten 1950er-Jahren, nach Sputnik 1, die Initiative ergriffen haben und einen speziellen Ausschuss gegründet haben, einen Ausschuss, der der Generalversammlung der Vereinten Nationen zuarbeitet, der Weltraumausschuss der Vereinten Nationen, der entsprechend mit zwei Unterausschüssen einen wissenschaftlich-technischen und einem Rechtsunterausschuss die Probleme versucht anzugehen. Nun ist das große Problem, was wir haben, dass wir seit etwa 40 Jahren aus diesem Ausschuss kein verbindliches Rechtsinstrument mehr hervorgehen sehen haben, sondern Staaten zunehmend sich unterhalb der Schwelle der Verbindlichkeit nur auf sogenannte rechtsunverbindliche Resolutionen der Generalsversammlung der Vereinten Nationen bekennen können und sich darauf einigen wollen, aber davon absehen, nach den fünf wichtigen internationalen Verträgen, die es gibt, mit dem Weltraumvertrag von 1967 an der Spitze danach jetzt kein verbindliches Recht mehr zu schaffen.
Brauchen "Verhaltensmaßregeln in Form entsprechender Guidelines"
Blumenthal: Die Astronomen kritisieren, dass irgendwann mehr Satelliten als Sterne am Nachthimmel zu sehen seinen könnten. Was können die Wissenschaftler gegen die Flut dieser Starling und OneWeb-Satelliten eigentlich unternehmen?
Hobe: Derzeit vergleichsweise wenig. Das klingt bitter, aber es ist wohl auch hier wie es sich auch auf der Erde verhält. Es muss erst etwas passieren, bevor etwas passiert, etwas vernünftiges Regulatorisches passiert. Auch diese Satellitenschwärme, von denen Sie am Anfang sprachen, sind keine geringe Gefahr. Die sind alle vergleichsweise schnell gebaute, leicht gebaute Satelliten in großer Zahl mit hoher Kollisionswahrscheinlichkeit. Das wird zwar abgestritten, aber liegt auf der Hand, dass es so sein muss. Es ist eigentlich absehbar, dass die Verschmutzung der wesentlichen wichtigen Erdumlaufbahnen das Risiko einer solchen Verschmutzung sich nicht verringert. Im Gegenteil. Da braucht es meines Erachtens entsprechender ergänzender Verhaltensmaßregeln zum bestehenden Weltraumrecht, um etwa durch eine vernünftige Registrierung dieser Schwarmkonstellationen hier das Problem einigermaßen bewältigen zu können.
Blumenthal: SpaceX und OneWeb schaffen mit den Satelliten Fakten. Glauben Sie, dass das regulatorische Umfeld das wieder aufholen kann diesen Vorsprung?
Hobe: Es ist zu befürchten, dass wir schon ein bisschen spät dran sind. In der Tat sehen wir mit großem Entsetzen, dass tatsächlich Fakten geschaffen werden. Wir sehen das auch in anderen Bereichen, wenn es etwa um die Gewinnung Ressourcen auf Himmelskörpern geht, da sind die Vereinigten Staaten auch ganz fix dabei, eigene, auch regulatorische Fakten nationaler Art zu schaffen, aber es ist noch nicht zu spät. Wenn die Gefahr erkannt ist, müsste bei einigermaßen gutem Willen, den allerdings vorausgesetzt, es möglich sein, hier jedenfalls zu, wenn nicht hartem Recht, sondern jedenfalls Verhaltensmaßregeln in Form entsprechender Guidelines zu kommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.