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Weltsicherheitsrat in der Krise

Lange: Nichts geht mehr, aber alles ist möglich. Im Weltsicherheitsrat wird weiter darum gerungen, ob und mit welchen politischen oder militärischen Mitteln der Irak gezwungen werden soll, sein Rüstungspotenzial offen zu legen und zu vernichten. Eigentlich sollte heute über eine zweite Resolution abgestimmt werden, eingebracht von den USA, Großbritannien und Spanien, aber die notwendigen neun Stimmen dafür sind auch nach tagelangen Beratungen nicht sicher. Sicher scheint aber im Moment zu sein, dass es bei einer Abstimmung ein Veto geben wird, nämlich das von Frankreich, vielleicht auch das von Russland. Und so wird die amerikanische Regierung dem Sicherheitsrat doch noch ein paar Tage zur Meinungsfindung einräumen. Ob dann abgestimmt wird und worüber oder gar nicht, das ist im Moment offen. Wo stehen wir also an diesem Freitag Morgen in der Irak-Krise? Darüber sprechen wir mit zwei außenpolitischen Experten des Deutschen Bundestages. Ich begrüße Gernot Erler, den stellvertretenden Fraktionschef der SPD. Morgen, Herr Erler.

    Erler: Guten Morgen, Herr Lange.

    Lange: Und ich begrüße Friedbert Pflüger, den außenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion. Guten Morgen, Herr Pflüger.

    Pflüger: Guten Morgen, Herr Lange.

    Lange: Herr Erler, gibt es eine Chance, dass der Sicherheitsrat noch zu einer gemeinsamen Position findet oder ist es dafür im Grunde jetzt schon viel zu spät?

    Erler: Es sieht im Augenblick nicht danach aus. Wir haben im Augenblick einen Scherbenhaufen, ganz besonders im Bereich der Koalition, die eine Intervention machen will, zu besichtigen. Es hat erstaunliche Dinge in den letzten Tagen gegeben. Nachdem die amerikanische Seite angekündigt hatte, sie sei sich sicher, die neun Stimmen zusammen zu kriegen, ist das nicht gelungen. Stattdessen hat England noch einen Vorstoß mit einem eigenen 6-Punkte-Programm als Alternative zu der zweiten Resolution der Vereinigten Staaten gemacht. England ist damit gescheitert und erstaunlicherweise hat es nicht mal Unterstützung von den Vereinigten Staaten bekommen. Das heißt, hier ist im Augenblick ein ziemliches Durcheinander auf dieser Seite zu verzeichnen.

    Lange: Herr Pflüger, wie beurteilen Sie die Situation im Moment?

    Pflüger: Nun, jedenfalls nicht so, dass man sich darüber freuen oder schadenfroh sein könnte über das was Herr Erler eben völlig zu Recht beschrieben hat. Der englische Versuch war auch ein Angebot an Länder wie Frankreich und Deutschland, zumindest einzusteigen in eine konstruktive Debatte um einen Kompromiss. Was wir jedoch im Moment erleben, ist, dass es öffentliche Erklärungen, öffentliche Resolutionen und Memoranden gibt, die alle nur einen Sinn haben, nämlich die eigene Bevölkerung zu beeindrucken, möglichst viele Punkte zu machen. Es ist ein Machtspiel geworden. Was dort an der Spitze Deutschlands und Frankreichs abläuft ist gegen die USA und das halte ich nicht für gut. Vielleicht sollte man sich wirklich hinsetzen und miteinander verhandeln. Dazu müssten aber beide Seiten auch wirklich Kompromisse wollen. Die Art und Weise, wie Frankreich und Deutschland den britischen Vorschlag und zuvor auch den kanadischen Vermittlungsvorschlag einfach so vom Tisch gewischt haben, zeigt mir, dass hier zum Beispiel auf unserer Seite kaum eine Bereitschaft zu einem Kompromiss da ist, weil man sich vorher festgelegt hat, und ob es im deutschen Interesse ist, wenn dann nachher gar keine Resolution zustanden kommt, die Amerikaner es dann alleine machen, das weiß ich nicht. Dann verhindert man den Krieg nicht, man lässt die Amerikaner außerhalb der UN laufen und vertut vielleicht die letzte Chance, eine friedliche Entwaffnung, eine totale friedliche Entwaffnung des Iraks zu erreichen. Nach meinem Dafürhalten wäre das der größte Sieg der Amerikaner und der Briten, und ihnen dabei zu helfen, das wäre die Aufgabe deutscher Politik und nicht sich schadenfroh hinzustellen und zu sagen: Ihr streitet Euch ja jetzt und...Das ist ein falscher Weg, der da bestritten wird.

    Lange: Herr Erler, wie verhalten sich die Deutschen im Moment im Weltsicherheitsrat? Lehnen die sich jetzt zurück und hoffen, dass die Ablehnungsfront hält?

    Erler: Also, weder von Schadenfreude noch von Zurücklehnen kann eine Rede sein. Das Problem ist, dass ein übergroße Mehrheit der Länder und übrigens auch der Öffentlichkeiten der Bevölkerung auf der Welt davon zunehmend überzeugt ist, dass es eine Möglichkeit gibt, auf der Basis von strengen Kontrollen und Inspektionen eine verlässliche Entwaffnung des Iraks zustande zu kriegen. Der letzte Bericht von den beiden Chef-Inspekteuren hat eher diesen Eindruck noch verstärkt. Nun haben aber Amerika und auch England trotz dieser Variante, die England gebracht hat, ein Problem erzeugt, indem sie nämlich im Grunde genommen die Veto-Umkehr vorschlagen. Das heißt, selbst der englische Vorschlag verstand sich nur als eine Ergänzung zu dieser amerikanischen Resolution, die da besagt: Das nächst Mal soll der Sicherheitsrat positiv abstimmen, ob der Irak seine Verpflichtungen gemacht hat. Wenn dann ein Land, zum Beispiel Amerika, sagt, nein, die haben ihre Verpflichtungen nicht erfüllt, dann kann es ein Veto einlegen. Dann haben wir die Automatik zum Krieg, dann haben wir die Ermächtigung zum Krieg. Das ist wirklich der zentrale Punkt. Das wollen die anderen Länder, wie Frankreich, Russland, China und auch Deutschland nicht akzeptieren und kriegen dabei auch Unterstützung von diesen sechs so genannten kleinen Ländern in der Mitte, die auch gesagt haben, dass diese Umkehr des Vetos nicht akzeptabel ist. Ein Kompromiss müsste eigentlich heißen, dass die amerikanische und britische Seite darauf verzichtet, diese Veto-Umkehr zu verlangen.

    Lange: Herr Pflüger, war es nicht von vornherein ein Problem, dass dieser ganze Prozess, der seit August letzten Jahres seit der Rede von George Bush vor den Vereinten Nationen in Gang gekommen ist, im Grunde genommen aus amerikanischer Sicht nie ergebnisoffen war und ihnen insofern in dieser Weise auch nicht zu trauen ist?

    Pflüger: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Ich schlage auch vor, dass wir mehr Saddam Hussein misstrauen und nicht in erster Linie unser Misstrauen nach Amerika richten. Nein, die Amerikaner wären selbstverständlich bis zum letzten bereit - das haben sie auch immer wieder betont -, zusammen mit den Briten abzuziehen, wenn es die totale Entwaffnung des Iraks gebe. Aus dem Ziel der Resolution 1441, der die Amerikaner zugestimmt haben, darf man sie auch nicht entlassen. Dabei muss man ihnen dann auch helfen. Wenn dann Franzosen und Russen und Deutsche ein Memorandum vorlegen, dass sozusagen Saddam Hussein bis auf den Nimmerleinstag Zeit mit der Entwaffnung gibt...

    Erler: Das ist nicht richtig, Herr Pflüger, da steht drinnen, dass es nicht unbegrenzt ist.

    Pflüger: Ja, da stehen Daten drinnen und dann wird immer bekundet, nein, es dürfe nicht für alle Zeiten sein, sondern es müsse auch Zeitlinien geben, aber diese Zeitlinien werden nirgendwo gesetzt.

    Erler: Aber der Chefinspekteur wird doch jetzt einen Zeitplan vorlegen. Der wird ja wahrscheinlich Montag kommen.

    Pflüger: Herr Erler, aber darf ich noch mal sagen: Herr El Baradei, der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, der jetzt gerade mit Blix diesen Bericht vorgelegt hat, den Sie eben zu Recht gelobt haben, hat noch in dieser Nacht gesagt, dass er eigentlich den britischen Vorschlag gar nicht so schlecht fände. Blix und El Baradei sagen beide: Ohne konkrete Ultimaten und ohne militärischen Druck läuft bei Saddam Hussein gar nichts. Sie sollten nicht immer nur bei Blix das hören, was Sie gerne hören wollen. Ich freue mich auch über die Abrüstungserfolge der letzten Tage, aber wodurch sind sie zustande gekommen? Nur dadurch, dass man ihm klare Ultimaten setzt und auch militärischen Druck ausübt und sagt: Wenn Du Deine Sachen jetzt nicht erfüllst, Deine Hausaufgaben nicht machst, dann musst Du mit einem Militärschlag rechnen. Wenn man sich aber wie die Bundesregierung hinstellt und sagt: Also, Militär auf gar keinen Fall. Das machen wir nicht...

    Erler: Das sagt die Bundesregierung gar nicht.

    Pflüger: Ach, das sagt sie nicht. Das müssen Sie uns jetzt gleich noch erklären, denn das war die Linie, die der Bundeskanzler bisher immer vertreten hat und die Sie öffentlich vertreten. Wenn Sie jetzt aussagen, dass militärische Möglichkeiten nicht ausgeschlossen werden, dann fände ich das in der Tat sehr interessant. Bisher sieht es so aus, als ob Sie sich ganz auf dieses alte Spielchen von Saddam Hussein, das er zwölf Jahre lang macht - ein paar kleine Zugeständnisse, dann sich wieder zurückziehen - einlassen. Das ist meines Erachtens das Hauptproblem bei der Kompromissfindung, und ich sage Ihnen ganz deutlich voraus: Diejenigen, die die lauten Friedensbekenntnisse machen, das sind nicht die größten Friedenspolitiker, sondern den Krieg wirklich zu verhindern, das ist die Aufgabe. Sie werden am Montag und Dienstag eventuell in der Situation stehen, dass ein Krieg geführt wird. Dann können Sie sich zwar hinstellen und sagen: Damit haben wir nichts zu tun, wir waren ja dagegen. Sie verhindern ihn nicht, aber Sie lassen die Amerikaner alleine laufen, eventuell ohne den Sicherheitsrat und ohne jede Einbindung, und das glaube ich...

    Erler: Von Spielchen zu reden ist, glaube ich, nicht korrekt. Es ist kein Spielchen, wenn jeden Tag eine Anzahl von Samud-2-Raketen zerstört wird und es ist ja wohl besser, die werden jetzt hier mit Bulldozern zerstört als wohlmöglich in einem künftigen Krieg eingesetzt. Aber auch zu dem Thema Ultimatum muss man mal was sagen...

    Pflüger: Aber Herr Erler, Sie sagen immer, dass....

    Lange: Jetzt geht das so durcheinander, dass die Hörer davon am wenigsten haben. Deswegen darf ich mal einschreiten. Herr Blix hat gesagt: Ich brauche noch Zeit, keine Wochen, keine Jahre, aber Monate. Herr Pflüger, sollte er die bekommen?

    Pflüger: Er sollte Zeit bekommen.

    Lange: Monate oder nur Wochen?

    Pflüger: Ja, Monate - da muss man sich überlegen, ob man Amerikanern und Briten zumuten kann, Monate in der Region zu bleiben. Dann müsste man sich auch die Frage stellen, ob...

    Lange: Könnten die Europäer ihnen helfen, zum Beispiel auch finanziell? Pflüger:...ob die Europäer Ihnen nicht dabei helfen müssten, zumindest auch finanziell helfen müssten. Jedenfalls sagte Herr Blix neulich erst wieder, als Angela Merkel dabei war: Ohne den militärischen Druck läuft nichts. Kann man diesen militärischen Druck über Monate aufrecht erhalten? Herr Blix sagt selbst, er könnte innerhalb von wenigen Tagen und Wochen alles offen legen und alles beweisen. Er macht dieses Spiel bewusst.

    Erler: Das ist kein Spiel.

    Pflüger: Saddam Hussein macht das Spiel, und ich glaube, wenn man ihm zu viel Zeit gibt, gibt man ihm nur wieder Möglichkeiten auszuweichen. Deswegen bin ich dafür, dass die Inspektoren mehr Zeit bekommen, aber diese Zeit muss endlich wirklich begrenzt werden. Wenn sich alle im Sicherheitsrat darauf einließen, diese Zeit zu begrenzen....

    Erler: Herr Pflüger, das ist doch der Vorschlag von diesem Memorandum und das ist auch ein Vorschlag, den diese sechs kleineren Staaten befürworten. Die haben gesagt: Herr Blix soll einen konkreten Arbeitsplan vorlegen. Er hat gesagt, dass er bereit ist, am 17. das zu tun. Natürlich gibt es dabei auch Zeitvorgaben, wie er das auch bei den Raketen gemacht hat. Das war kein Ultimatum, sondern das war eine Zeitvorgabe. Die war sehr streng, die war sehr hart, und trotzdem ist Saddam darauf eingegangen. Das könnte man mit den anderen wichtigen Zielen der Aufklärung, die noch offen stehen - so viele sind das übrigens gar nicht - ebenfalls machen und sagen: Bis dann und dann muss geklärt sein, was mit dem Anthrax passiert ist, was mit dem VX passiert ist, was mit den Raketen R400 passiert ist, mit den Bomben. Das könnte man Punkt für Punkt machen. Ich rechne damit, dass Blix am Montag einen solchen Arbeitsplan mit Zeitvorgaben vorrechnet. Das ist genau das, was Deutschland und Frankreich wollten. Das ist genau das, was von diesen sechs kleineren Staaten im Sicherheitsrat unterstützt wird. Das ist die nächste Alternative zum Krieg.

    Lange: Herr Erler, der entscheidende Punkt ist ja offenbar, wie man auch finanziell und materiell diese Drohkulisse, diesen Truppenaufmarsch aufrecht hält. Können Sie sich vorstellen, dass die Europäer da auf die Amerikaner zugehen und sagen: Wenn ihr zustimmt, dann werden wir Euch da finanziell oder wie auch immer unterstützen, dass diese Drohkulisse zumindest in diesem Zeitraum erhalten bleiben kann?

    Erler: Ich kann mir sehr gut vorstellen und ich weiß auch, dass die europäischen Staaten viel tun würden - ich würde das auch unterstützen -, um die Amerikaner sozusagen auf die Brücke eines Erfolgserlebnisses zu bringen. Die einzige Möglichkeit für Bush ist ja im Grund genommen nicht zu sagen, ich ziehe unverrichteter Dinge wieder ab, sondern zu sagen: Ich habe das, was ich wollte, erreicht. Ich habe es mit einem sehr großen Aufwand erreicht und bei diesem Aufwand werden wir jetzt - auch von den europäischen Staaten - unterstützt, weil ein Krieg verhindert werden kann und das Ziel, nämlich Sicherheit vor Saddam, trotzdem erreicht ist. Ich glaube, die Europäer würden viel tun, um die Amerikaner auf diese Brück zu bringen.

    Lange: Wir müssen jetzt an diesem Punkt einen Punkt machen. Herr Pflüger, ganz kurzes Schlusswort.

    Pflüger: Na, das ist doch erst mal ein Wort von Herrn Erler, ein Angebot, und wir sind gar nicht so weit voneinander entfernt. Das Einzige was uns vielleicht unterscheidet, ist, dass wir sagen: Das Ultimatum muss klarer sein. Es muss auch deutlich sein, was dann passiert, wenn er das Ultimatum nicht erfüllt.

    Erler: Ultimaten, Herr Pflüger, sind immer problematisch.

    Lange: Wir müssen an dieser Stelle einen Punkt machen. Ich danke Ihnen meine Herren. Das war Friedbert Pflüger von der CDU, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion und Gernot Erler, der stellvertretende Fraktionschef der SPD. Dankeschön für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio