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Weltwirtschaft
"Natürlich erholt sich die EU vom Brexit"

Wenn das britische Parlament dem Brexit-Vertrag nicht zustimmt, könnte es zu seinem ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU kommen. Das würde Handelsstillstand bedeuten, sagte Dennis Snower vom Kieler Institut für Weltwirtschaft im Dlf. Die EU würde dies aber nur kurzfristig einschränken.

Dennis Snower im Gespräch mit Christine Heuer | 02.01.2019
    Dennis Snower, Präsident des des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, gibt am 18.12.2014 in seinem Büro in Kiel (Schleswig-Holstein) der Deutschen Presse-Agentur ein Interview.
    IfW-Präsident Dennis Snower (picture alliance / dpa / Carsten Rehder)
    Christine Heuer: Viele Ökonomen warnen vor Dellen, manche sogar vor Einbrüchen in der Weltwirtschaft, Europa macht da keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil, hier droht zusätzlich zu anderen Risiken ja auch noch der Brexit hart durchzuschlagen. Am Telefon ist der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, Dennis Snower. Ich grüße Sie, guten Morgen!
    Dennis Snower: Guten Morgen!
    "Ich glaube, die Unsicherheiten sind sehr ernst zu nehmen"
    Heuer: Der Brexit, Donald Trumps Handelspolitik, Unsicherheiten für die Konjunktur. Haben Sie selbst persönlich ein etwas mulmiges Gefühl für 2019?
    Snower: Ich glaube, die Unsicherheiten sind sehr ernst zu nehmen. Und Unsicherheit bedeutet einfach, dass es nicht vorhersehbar ist genau, was kommt. Eines, in Bezug auf den Brexit, ist wichtig klarzustellen, und das ist, wenn man sich im britischen Parlament nicht einigen kann über den Weg nach vorn, dann gibt es einen ungeregelten Austritt.
    Und das bedeutet nicht, dass auf einmal Zölle eintreten. Es bedeutet einen Handelsstillstand in vielen Sektoren, weil die Kapazität, die Kapitalkapazität, aber auch die Fähigkeiten nicht aufgebaut worden sind, um Zölle an der Grenze zu erheben. Ich glaube, Großbritannien wird versuchen, sich abzusichern, die wichtigsten Medikamente zu bekommen und so weiter und so fort. Aber für die Produktion von vielen Gütern und auch Dienstleistungen wird es kurzfristig zumindest dann große Einschnitte geben.
    "Für Großbritannien ist das komplettes Neuland"
    Heuer: Herr Snower, was würde das bedeuten für Großbritannien? Ein Chaos?
    Snower: Für Großbritannien ist das komplettes Neuland, weil weder die Politik noch die Wirtschaft hat sich darauf eingestellt, obwohl wir mit diesem Problem schon seit zwei Jahren ringen. Und das ist einfach ein Versagen der Politik, dass wir in eine Situation geraten sind, wo, wenn sich keine Mehrheit über eine der Alternativen ergibt, dann gibt es den harten Brexit. Das hätte man auf jeden Fall verhindern müssen, weil der harte Brexit wird nur von einer ganz kleinen Minderheit der britischen Bevölkerung befürwortet.
    Heuer: Wer ist daran schuld? Großbritannien oder die EU oder beide?
    Snower: Ich glaube, meines Erachtens ist es hauptsächlich die britische Regierung, die einfach katastrophal gehandelt hat. Die EU hat lange verhandelt, aber es waren schwierige Verhandlungen, und am Ende sind wir dort gelandet, wo wir jetzt sind. Und wir haben dieses Withdrawal Agreement, wo Großbritannien sich geordnet herausziehen könnte, was die meisten Ökonomen als viel schlechter betrachten als den Status quo für Großbritannien. Aber natürlich viel besser als der harte Brexit. Das Volk ist ideologisch verfangen, und daher ist da die Diskussion nicht weitergekommen.
    Heuer: Also sehr schlimme Aussichten für Großbritannien möglicherweise. Was würde ein ungeordneter Brexit für die EU bedeuten?
    Snower: Das wäre auch ein großer Schock, kurzfristig, weil die Lieferketten extrem verschmolzen sind. Und daher kann man mit Produktionsausfällen rechnen. Wo genau die auftreten, ist wirklich schwer zu sagen, weil wie viel Inventar wo aufgebaut wird kurzfristig, lässt sich einfach nicht leicht feststellen.
    "Ich glaube, Deutschland würde nicht besonders stark betroffen sein"
    Heuer: Können wir trotzdem den Blick, Herr Snower, mal auf Deutschland richten in dem Zusammenhang? Wie stark wäre denn Deutschland betroffen von einem solchen Brexit, ungeordnet?
    Snower: Ich glaube, Deutschland würde nicht besonders stark betroffen sein. Man würde es hier und da spüren, aber weil Deutschland so gut vernetzt ist international, werden sich andere Möglichkeiten schnell erschließen können. Man wird es spüren, aber es ist keiner der großen Faktoren. Nicht so groß wie in der Handelspolitik der USA-China-Konflikt zum Beispiel.
    Heuer: Als ich Sie unterbrochen hatte, da wollten Sie gerade sagen, mittelfristig, also mit etwas Abstand erholt sich die EU dann wieder davon?
    Snower: Genau. Natürlich erholt sich die EU, weil die EU ein großer Handelsraum ist. Und internationale Lieferketten lassen sich umschichten. Es ist nur in dem ersten halben bis dreiviertel Jahr damit zu rechnen, dass es unvorhergesehene Schranken geben wird in der Handelsaktivität.
    Heuer: Wird sich das alles dann auch irgendwann wieder erholen, auch Großbritannien? Und wenn ja, wie viel Zeit müsste man dafür berechnen?
    Snower: Ich glaube, um die Kapazität aufzubauen, nur die Zölle zu erheben, das muss man sich vorstellen, hat man gerechnet, dass es ungefähr fünf Jahre dauern würde. Also, Großbritannien könnte lange warten, bis sich alles wieder normalisiert. Und dieses Experiment hatten wir noch nie, und daher ist die Unsicherheit dort enorm groß.
    "Es könnte eine neue Handelskrise kommen"
    Heuer: Es gibt andere Gefahren, sie haben die auch schon angesprochen, zum Beispiel Donald Trumps Handelspolitik. Stürzt der US-Präsident die Weltwirtschaft gerade in eine neue Krise?
    Snower: Es könnte eine neue Handelskrise kommen, weil der Handelskonflikt zwischen den USA und China in keiner Weise gebannt ist. Donald Trump hat auch angedroht, dass er Zölle auf europäische, besonders deutsche Autos und andere Güter stellen würde. Zur gleichen Zeit strafft sich die Geldpolitik in den Vereinigten Staaten, und das wird weiterhin Zinssätze nach oben treiben, das könnte Finanzmärkte destabilisieren, weil die Schulden weiterhin so hoch sind.
    Man muss sich vorstellen, in den letzten zehn Jahren hatten wir mit sehr niedrigen Zinsen gelebt und daher hohe Schulden angehäuft in vielen Ländern. In Deutschland ist das ein weniger großes Problem, aber für die EU trifft das auf jeden Fall zu. Und bis jetzt hat die Straffung der Geldpolitik in den USA besonders die Schwellenländer getroffen. Und in einer Welt zu leben, wo der Protektionismus wächst, ist eine unbequeme Welt, und daher, ganz abgesehen von den Problemen, die wir viel näher in Europa haben, die Lage in Italien und die Lage in Frankreich, hat Europa dieses Jahr sehr viel zu meistern. Das Schuldenproblem ist nicht gemeistert worden, die Finanzmarktintegration muss noch viel weiter getrieben werden, Migrationsproblem und so weiter.
    "Es ist einfach unmöglich, vorherzusehen, was droht"
    !Heuer:!! Aber wenn Sie das alles zusammenfassen – droht 2019 möglicherweise eine neue Wirtschaftskrise?
    Snower: Ich glaube, es ist einfach unmöglich, vorherzusehen, was droht. Weil auch in der Handelspolitik ist es schwer vorherzusehen. Wenn die USA China in Bedrängnis bringen, hat das politische Konsequenzen. Wenn China sich ernsthaft wirtschaftlich destabilisiert fühlt, wird die Seidenstraße zum Teil zusammenbrechen, wenn China nicht mehr so viel an die USA liefern kann. Das sind alles Fragen, die wir einfach nicht beantworten können. Und besonders die politischen Auswirkungen dieser Fragen sind nicht vorherzusehen. Ich glaube, in Deutschland selbst wird der Konsum weiter wachsen, weil es Lohnzuwächse gegeben hat. Die expansive Finanzpolitik hat auch geholfen. Und in Deutschland sieht die Lage anders aus, weil da gibt es eine hohe Auslastung der Produktionskapazitäten. Und daher ist der Weg nach oben für die deutsche Konjunktur begrenzt, aber von außen gibt es diese vielen Gefahren, wo Deutschland sich wenig schützen kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.