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Wem gehören unsere Gene? Das Patent auf Leben

Kienzlen: Frau Renesse, Sie sind eine der Berichterstatterinnen für die SPD-Fraktion. Was sind denn jetzt noch strittige Punkte?

    von Renesse: Zunächst einmal ist nicht mehr strittig, dass wir nur noch hinsichtlich des Stoffpatents, das ja beim Gen besonders umstritten ist, nur noch funktionsbezogene Stoffpatente haben werden. Das war eine lange Zeit praktisch Dogma der Patentrechtler, dass wenn man auch nur eine Funktion kennt, man sämtliche Genfunktionen - auch die unbekannten - damit für sich reklamieren konnte. Das wird nicht passieren. Wir werden das Gen behandeln wie eine CD, auf der Informationen sind, und die Informationen, die man kennt und für eine Erfindung verwertet hat, die kann man sich patentieren lassen. Damit sind alle Forscher - auch alle Unternehmen - frei hinsichtlich anderer Funktionen ihrerseits Patente zu erwerben, wenn sie sie entdecken.

    Kienzlen: Die Frage war aber auch noch: Was ist denn jetzt noch strittig?

    von Renesse: Ja, wir haben im Grunde genommen über fast alle Dinge Einigkeit erzielt. Wir müssen noch klären, wie Sortenschutz und Patentschutz zueinander steht, also für die Landwirte ein sehr wichtiges Thema, das ist eigentlich alles, worüber wir noch streiten. Oder streiten kann man nicht sagen: Was wir noch klären müssen.

    Kienzlen: Nun ist es ja so, dass im Augenblick auch schon Patentrecht gesprochen wird. In Deutschland sitzt da Europäische Patentamt. Auf welcher rechtlichen Grundlage arbeiten die denn zur Zeit?

    von Renesse: Die haben mehrere Rechtsgrundlagen. Einmal das Europäische Patentübereinkommen, dann internationale Regelungen wie Trips, also das ist ein völkerrechtlicher Vertrag, und dann natürlich die EU-Patentrichtlinie selber. Man muss allerdings wissen, wenn das Europäische Patentamt etwas patentiert, dann bedeutet das, dass die Reichweite dieses Patents nach nationalen Gesetzen geht.

    Kienzlen: Welchen Einfluss kann denn dieses neue deutsche Gesetz überhaupt haben?

    von Renesse: Wir werden sehr darauf achten müssen, dass das, was bei uns jetzt gerade passiert ist, nämlich die Ablösung dieses Dogmas vom absoluten Stoffpatent, dass sich das auch bei den noch nicht umgesetzt habenden Ländern so herumspricht. Morgen habe ich ein Gespräch mit einem französischen Kollegen.

    Kienzlen: Das europäische Patentamt ist ja für seine Praxis in letzter Zeit auch mehrfach kritisiert worden unter anderem von Greenpeace. In einem Fall hat ein Gen einen besonders weitreichenden Patentschutz erhalten und zwar das Brustkrebsgen. Christoph Then von Greenpeace in Hamburg: Was hat Sie denn an diesem Fall geärgert?

    Then: Der Patentschutz ist einfach zu weitreichend, das Gen, wie es entdeckt worden ist, wie es isoliert worden ist, als solches mit allen Funktionen geschützt worden ist. Und ich denke da haben wir auch breiten Konsens, auch in der Politik, auch in der Wissenschaft, dass das zu weit geht.

    Kienzlen: Warum zu weit, warum stört es?

    Then: Das Grundproblem ist, dass durch derartige Patente der Zugang zu genetischen Ressourcen blockiert werden kann. Das Patentrecht ist ein Ausschließlichkeitsrecht, das heißt es kann gegenüber Dritten der Zugang zu der geschützten Information verwehrt werden, und das halten wir im Bereich der gesamten Frage der genetischen Ressourcen für eine verfehlten Ansatz. Unserer Ansicht nach hat der Patentschutz in diesem Bereich nichts verloren.

    Kienzlen: Frau von Renesse, Sie haben nun dieses neue Gesetz in Arbeit. Wird so was in Zukunft verhindert?

    von Renesse: Ja, erstens ist es so, dass Forschung an patentierten Gegenständen und auch an Stoffen aus der Natur, selbstverständlich, die gehören dazu, völlig frei von Lizenzansprüchen sind. Das heißt, ein Forscher, der an diesem Brustkrebsgen arbeitet, braucht sich mit den Patentinhaber nicht herum zu schlagen. Das ist Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts. Das zweite: Wir werden, wie ich das schon gesagt habe, in unserem Patentrecht die Reichweite des Patents auf die erkannte Funktion einschränken. Das ermöglicht die Bio-Patentrichtlinie der EU auch. Und das dritte, was dazu zu sagen ist: Ich denke, man wird sich immer, solange wie es das Patentrecht gibt, und zwar seit 120 Jahren damit "herumschlagen" müssen, dass irgendjemand geistiges Eigentum hat und beansprucht. Das kostet Geld, das kostet uns seit 120 Jahren Geld, hat aber die Forschung insgesamt nicht behindert, sondern gefördert.

    Kienzlen: Nun ist es ja in diesem Fall so, dass das Patent ja schon sehr weit geht, und sie hatten ja eingangs selbst gesagt, dass ihrer Vorstellung nach der Schutz nicht so weit gehen soll, dass sich das also wirklich nur auf die Funktion bezieht. Lässt sich denn das jetzt wieder rückgängig machen?

    von Renesse: Wissen Sie, es ist so. Ich sagte, das nationale Patentrecht ist ausschlaggebend. Wenn ein Patent erteilt worden ist, das diese Funktion nicht als Einschränkung enthält, das erlaubt ja auch die Eu-Patentrichtlinie, dann kann man dagegen Einspruch erheben beziehungsweise auch eine Nichtigkeitsklage machen, und das jederzeit.

    Kienzlen: Gut, Klagen sind möglich, aber wie schwierig sind die denn? Ist es realistisch für eine kleine Biotech-Firma, die vielleicht auch daran forschen möchte, solche Klagen einzureichen. Können die so was überhaupt durchhalten?

    von Renesse: Also, erst mal muss man sagen: Gerade die Start-Ups haben ja da im Rechtsausschuss eine Anhörung gehabt, die Start-Ups waren vertreten. Sie sind sehr an einem umfassenden Patentschutz interessiert, weil das die Grundlage ist dafür, dass sie Kredite bekommen und in Handel und Wandel überhaupt auftreten können. Das heißt also, ihnen den Patentschutz zu verkleinern, wäre nicht in ihrem Sinne.

    Kienzlen: Christoph Then, sind Sie denn mit einem solchen auf Funktionen begrenzten Patentschutz zufrieden, oder wollen Sie Patente lieber ganz abschaffen oder noch stärker eingrenzen. Was sind da Ihre Vorstellungen?

    Then: Ja, die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Wir wollen den Patentschutz nicht abschaffen, wir erkennen den Patentschutz auch an im Zusammenhang mit gentechnologischen Erfindungen. Wir sind aber der Ansicht, dass Gene von Patentansprüchen frei bleiben sollten. Und wir sehen, dass der Bundestag sich hier wirklich in die richtige Richtung bewegt, also das ist wirklich anzuerkennen, dass hier politisch sehr viel Bewegung in die Sache gekommen ist, die auch ursprünglich sehr festgefahren war. Aber unserer Ansicht nach wäre es besser, tatsächlich Gene grundsätzlich vom Patent auszunehmen, nur die technischen Verfahren zu schützen, nur die Arzneimittel, meinetwegen auch die diagnostischen Tests, die da entwickelt werden mit Patenten zu belohnen, aber die Gene komplett frei zu halten von Patentansprüchen, und das ganze zu ersetzen durch ein System meinetwegen einer gebührenpflichtigen Nutzung dieser Gene, dass also derjenige, der als erster ein Gen entdeckt hat, auch irgendwie eine kleine Gebühr dafür bekommen kann, dass die Information genutzt werden kann, dass aber niemand ein Verbotsrecht hat, ein Exklusivrecht, ein Ausschließlichkeitsrecht in Zusammenhang mit genetischen Informationen. Das erscheint uns wichtig, und das wäre auch vorzuziehen einer Lösung, wo Patente erteilt werden, die nur auf bestimmte technische Funktionen begrenzt werden, weil eben zu befürchten ist, dass das Patentrecht an der Stelle... Erstens muss es noch einmal sehr sehr exakt formuliert werden, zweitens muss es unmöglich gemacht werden, dass das Patentamt dann in seiner Praxis das auch wieder umgeht, drittens ist die Frage, wer das im Einzelfall jeweils durchsetzen soll. Die kleinen Firmen haben unterschiedliche Auffassungen dazu. Es gibt wohl Firmen, denen der Patentschutz zu weit geht, und deswegen denken wir: Da ist deutlich noch Regelungsbedarf da. Es geht in die richtige Richtung, reicht aber noch nicht aus.

    Kienzlen: Frau von Renesse, halten Sie diesen Vorschlag für realisierbar?

    von Renesse: Also, es gibt eine Grundfrage, wo offensichtlich Greenpeace und viele andere Gruppen, das muss man einfach so koinzidieren, von dem, was wir international verpflichtet sind zu tun - und im Übrigen ich bin es auch willens - sich unterscheidet. Nämlich, was im Schlagwort "Kein Patent auf Leben" ausgedrückt ist. Es gibt Menschen, die grundsätzlich davon ausgehen, es sei unmoralisch, unethisch, Lebendiges in seinen Naturgesetzen zu erkennen und das für eine Erfindung zu nutzen. Das könne keine Erfindung im klassischen Sinne sein. Diese Meinung teile ich nicht, diese Meinung teilt das internationale Recht nicht, denn auch das Lebendige folgt Naturgesetzen. Die EU-Patentrichtlinie ist im Übrigen kein Recht, dass das Biopatent erst schafft. Das hat es schon immer gegeben, wenn auch nicht so benannt. Oder sehr lange schon gegeben. Sondern die EU-Patentrichtlinie ist auf dem Wege es einzuschränken, und wir machen das noch intensiver.

    Link: Wissenschaft im Brennpunkt - Die Bio-Patentrichtlinie der EU wird demnächst in deutsches Recht umgesetzt