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Wendt: Trennungsgebot darf Terrorismusbekämpfung nicht behindern

Das Gesetz zur Anti-Terror-Datei habe Schwächen gehabt, die Karlsruhe korrigiert hat, sagt Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Das gelte für das Trennungsgebot, das bei der Terrorismusbekämpfung notfalls zurücktreten müsse, aber auch für eine stärkere Überprüfung der Datei durch Datenschützer.

Rainer Wendt m Gespräch mit Mario Dobovisek | 24.04.2013
    Die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz sei voneinander zu trennen. Gerade nach den Erfahrungen der NSU-Morde bedeute das aber nicht, dass keiner vom anderen Informationen bekommen dürfe, sagt Rainer Wendt. Karlsruhe habe klar gemacht, dass bei der Terrorismusbekämpfung das Trennungsgebot notfalls zurücktreten müsse, so der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft.

    Mario Dobovisek: Die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 sorgten für allerlei Neuerungen, auch in der deutschen Sicherheitsarchitektur – Stichwort: Schily-Katalog. Doch erst unter der Großen Koalition, vor sieben Jahren auf den Weg gebracht, wurde die sogenannte Anti-Terror-Datei – eine Liste Verurteilter wie Verdächtiger und deren Kontaktpersonen aus dem weiten Umfeld des Terrorismus, zusammengefasst aus bis dato 38 Einzellisten der Polizeien und der Geheimdienste. Und hier liegt das Problem: Eine Vermengung aus polizeilichen Ermittlungen, die immer eines Anfangsverdachts bedürfen und der Erkenntnisse der Dienste, denen gemäß ihres Auftrages, sagen wir, andere Mittel und Wege zur Verfügung stehen. Das geht so nicht, sagen die Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, und erklären die Anti-Terror-Datei teilweise für verfassungswidrig. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof:

    O-Ton Ferdinand Kirchhof: "Der Senat erachtet das Anti-Terror-Datei-Gesetz wegen seines wichtigen Ziels der Terrorbekämpfung und des begrenzten Informationsgehalts der Verbunddatei für grundsätzlich verfassungsgemäß. Einzelne seiner Vorschriften erweisen sich allerdings als verfassungswidrig, andere müssen verfassungskonform ausgelegt werden."

    Dobovisek: Soweit also die Urteilsverkündigung von Ferdinand Kirchhof. – Fragen wir einen Praktiker, einen von jenen, die mit der Anti-Terror-Datei arbeiten. Rainer Wendt ist Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft und jetzt bei uns am Telefon. Ich grüße Sie, Herr Wendt.

    Rainer Wendt: Guten Tag, hallo.

    Dobovisek: Über die Bedeutung für die Bundesregierung haben wir gerade gesprochen mit unserem Korrespondenten. Welche Auswirkungen hat denn das Urteil auf die Arbeit der Polizei' Müssen die Daten sofort gesperrt werden?

    Wendt: Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat ja dem Gesetzgeber ausdrücklich Zeit zur Nachbesserung gegeben und es hat auch gesagt, dass die Daten weiter genutzt werden dürfen. Für uns als Polizei ist natürlich von besonderer Bedeutung, dass das Gericht ausgeführt hat, dass die Terrorbekämpfung einen so hohen Stellenwert hat, dass das Trennungsgebot nicht hier Vorrang hat. Das heißt, der Staat muss sich nicht künstlich dumm machen, er darf die Information, die er auf legalem Wege erhält, bündeln und er darf sie auch bewerten und verwerten, mit den Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht hier aufgezeigt hat.

    Dobovisek: Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten beschreibt ja deren Zusammenarbeit, sodass die einen nicht von den anderen Ergebnissen profitieren sollen. Warum ist das so sinnvoll?

    Wendt: Das ist sinnvoll, weil die Geheimdienste im Vorfeld, das heißt, ohne Tatverdacht, Informationen einholen. Das darf die Polizei nicht. Sie darf erst Daten erheben, wenn es einen Tatverdacht gibt, in den unterschiedlichen Abstufungen. Deshalb ist die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz grundsätzlich voneinander zu trennen. Das bedeutet aber nicht, wie es ja in den vergangenen Jahrzehnten viele Politiker immer wieder geschildert und aufgefasst haben und auch vermittelt haben in die Sicherheitsbehörden hinein, dass nun auch die Informationen unbedingt getrennt bleiben müssen, dass keiner vom anderen Informationen bekommen darf. Genau diese Philosophie hat es in den vergangenen Jahrzehnten immer gegeben, mit den bekannten Folgen, dass die Sicherheitsbehörden nicht miteinander oder nicht ausreichend miteinander kommuniziert haben.

    Dobovisek: Aber offensichtlich gibt es dann ja doch Probleme, dass nicht alle Informationen für jeden zugänglich sein sollen. Wie kann man da eine saubere Trennung finden?

    Wendt: Nun, das Bundesverfassungsgericht hat hier die genauen Trennlinien gezogen. Das heißt, es sind 60 Sicherheitsbehörden, die auf diese Datei Zugriff haben. Man wird jetzt die Begründung des Gerichts, die ja sehr viel ausführlicher ausfallen wird, als das was im Urteilsspruch jetzt erst mal gesagt wurde, zurate ziehen müssen und dann genau an diesen Trennlinien, die das Gericht gesetzt hat, entlang das Gesetz neu formulieren. Im Übrigen ist das nichts Ungewöhnliches, es hat in der Vergangenheit immer mal wieder Urteilssprüche aus Karlsruhe gegeben, die Sicherheitsgesetze in Teilen korrigiert haben. Das ist die Wächterfunktion des Verfassungsgerichts, das muss man nicht nur respektieren, sondern das begrüßen wir sogar ausdrücklich, denn der Gesetzgeber muss gelegentlich auch an der einen oder anderen Stelle zurückstecken. Das ist jetzt hier wieder geschehen, das sehen wir mit großer Gelassenheit, deshalb haben wir als Deutsche Polizeigewerkschaft diesen Richterspruch ausdrücklich begrüßt.

    Dobovisek: Sie haben ja auch im Vorfeld immer wieder eine Überprüfung der Anti-Terror-Datei und auch der Rechtsradikalen-Datei gefordert. Hatten Sie denn schon den Eindruck, dass Teile dessen nicht verfassungsgemäß sein könnten?

    Wendt: Nun, dieser Urteilsspruch kommt nicht überraschend, denn in der Tat gab es einige unbestimmte Rechtsbegriffe. Das kann im Zusammenhang mit der Einschränkung von Grundrechten eigentlich gar nicht sein. Deshalb gab es hier handwerkliche Schwächen im Gesetz, die dringend korrigiert werden müssen, und das hat das Bundesverfassungsgericht jetzt getan. Denn dass jeder, der in diesen Kreis der tatsächlichen Verfassungsgegner hineinkommt, nun in die Datei aufgenommen wird, mit wenig Möglichkeiten, sich dagegen zur Wehr zu setzen und notfalls auch gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, das konnte so gar nicht bleiben. Deshalb kam das alles andere als überraschend.

    Dobovisek: Aber das ist ja dann doch schwierig, auch für diejenigen, die sich möglicherweise irgendwann auf dieser Liste wiederfinden werden, wenn der Terrorismusverdacht alleine schon über dem Trennungsgebot steht. Sprich: Was haben Menschen für eine Möglichkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen?

    Wendt: Das Verfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht, dass diejenigen, die diese Datei betreiben, in regelmäßigen Abständen eine größere Einflussnahme der Datenschützer sicherstellen müssen, und die Datenschützer werden sehr genau darauf achten – und dafür sind sie bekannt -, allen voran Peter Schaar, dass scharfe Kriterien gesetzt werden und dass das angewandt wird, was das Bundesverfassungsgericht fordert, nämlich eine enge Begrenzung auf diejenigen, die tatsächlich unter Terrorismusverdacht stehen oder stehen könnten. Nur die dürfen in diese Datei aufgenommen werden. Hier kann man den Verfassungsschützern nur zuraten, von dieser Möglichkeit auch Gebrauch zu machen, und ich bin mir auch ganz sicher, dass sie das tun, denn auch die Verfassungsschützer haben ja in Deutschland eine sehr herausragende Position, und zwar zurecht, denn das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist ja nicht irgendeines, sondern ein Grundrecht, das gleichberechtigt neben den anderen Grundrechten zu sehen ist.

    Dobovisek: Rund 19.000 Datensätze enthält die Anti-Terror-Datei. Wie kann ich mir die Arbeit mit diesen Datensätzen aus Ihrer Sicht, aus polizeilicher Sicht vorstellen?

    Wendt: Sämtliche Datensammlungen, nicht nur diese, auch andere, machen ja nur dann Sinn, wenn man auch etwas Vernünftiges mit ihnen tut. Das heißt: Die Daten einfach nur sammeln, nutzt natürlich überhaupt nichts. Man muss auch versuchen, Verknüpfungen herzustellen und eine Analyse dieser Daten vorzunehmen. Dazu gibt es durchaus moderne Computer-Software, die das ermöglicht, aber natürlich auch die Arbeit der Kriminalisten, die mit dieser Datei arbeiten. Das heißt, wir versuchen, Beziehungen herzustellen und herauszufinden, was ist dort eigentlich geschehen und wer kann mit wem möglicherweise in Verbindung gebracht werden und gibt es möglicherweise Personen, die dort Terroranschläge planen und vorbereiten, möglicherweise auch langfristig. Wie gesagt, eine solche Datei macht nur Sinn, wenn man auch mit ihr arbeitet und die Analysekompetenz der Sicherheitsbehörden stärkt.

    Dobovisek: Die Anti-Terror-Datei hat genauso wie die Datei der rechtsradikalen Verdächtigen und möglicherweise auch Straftäter eine Lücke geschlossen, eine Kommunikationslücke zwischen den Diensten und den Polizeibehörden. Gibt es denn weitere Lücken?

    Wendt: Es war noch nie verboten, dass die Informationen zusammengeführt werden. Das hatte nur die Politik in ihrer überzogenen Darstellung des Trennungsgebotes so gesehen. Ich glaube kaum, dass es jetzt noch weitere Lücken gibt. Die Zusammenarbeit dieser Behörden ist gewährleistet. Es muss nur vor Ort auch gelebt werden. Und ich glaube, nach den schlechten Erfahrungen, die wir im Zusammenhang mit den Morden des NSU gemacht haben, ist das Gefühl hierfür jetzt auch gestärkt worden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine Landesregierung oder Bundesregierung es sich noch erlauben wird, notwendige Informationen und Formen der Zusammenarbeit zurückzuhalten, um möglicherweise schreckliche Folgen zu verantworten. Das wird niemand mehr tun und es ist gut so, dass das Bundesverfassungsgericht dies jetzt auch einmal ausdrücklich klargestellt hat, dass das Trennungsgebot nicht vor der Terrorismusbekämpfung steht, sondern der Terrorismusbekämpfung in Deutschland ein hoher Stellenwert zukommt. Da muss das Trennungsgebot notfalls zurücktreten.

    Dobovisek: Das Bundesverfassungsgericht fordert Nachbesserungen an der Anti-Terror-Datei – Einschätzungen dazu von Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Wendt: Sehr gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.