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Wenig Chancen auf friedliche Lösung in Nadschaf

Elke Durak: Im Irak tagt die Nationalkonferenz. Mehr als 1000 Delegierte sollen den Nationalrat bestimmen, der der Übergangsregierungen bei den Vorbereitungen der Wahlen Anfang kommenden Jahres helfen soll. Ulrich Tilgner berichtet auch mit seinen irakischen Kollegen aus Bagdad, Nadschaf und anderen Gebieten des Irak. Einer seiner Mitarbeiter ist dabei in Falludscha ums Leben gekommen. Er ist für uns in Bagdad am Telefon. Zunächst unser Beileid an Sie und Ihre Kollegen.

Moderation: Elke Durak |
    Ulrich Tilgner: Vielen Dank.

    Durak: Was wissen Sie inzwischen über seinen Tod?

    Tilgner: Es ist nach wie vor nicht geklärt, was genau passiert ist. Eines ist klar, er hatte sich hier im Büro gemeldet und gesagt, er würde eine halbe Stunde später wieder eintreffen und dann hat er etwa 25 Minuten später angerufen und gesagt, sie greifen uns an und dann hat die Kollegen nur noch Knirschen gehört. Jetzt ist überhaupt nicht klar, was im Einzelnen passiert ist, denn es war noch ein Kollege von ihm im Auto, der ist dann weggefahren, befindet sich aber weiter in Falludscha und wird dort offensichtlich von Aufständischen oder der Polizei, die dort ja zusammenarbeiten, festgehalten. Wir hoffen, dass er dann heute kommt. Was im Einzelnen passiert ist, ist unklar. Jedenfalls wurde die Leiche des Kollegen erst 16 Stunden später in einer Moschee abgegeben, zusammen mit fünf weiteren. Offensichtlich hat es einen Angriff gegeben, wer es gewesen ist, ob es irakische Soldaten oder die US-Army war, weiß man nicht. Ich habe die Pressestelle der US-Verteidigungskräfte hier angerufen und gesagt, es muss etwas um fünf passiert sein und sie haben gesagt, ihnen sei kein Vorfall bekannt in Falludscha. Von daher ist nach wie vor unklar, was im Einzelnen passiert ist. Eines scheint sicher zu sein: Er hat gesagt, wir werden beschossen und es ist auch sicher, dass er jetzt tot ist.

    Durak: Werden Sie und Ihr Team weiter in diesen gefährdeten Gebieten arbeiten?

    Tilgner: Ich glaube schon. Es kommt jetzt natürlich darauf an, was im Einzelnen passiert ist, aber wir sind ja schon lange hier im Irak und man kann, wenn man bestimmte Maßnahmen ergreift, schon arbeiten. Es ist immer schwierig. Aber Sie müssen sich vorstellen, gestern hat ein Polizist abends in Nadschaf gesagt, Journalisten sollten die Hotels nicht verlassen, es werden vier Scharfschützen auf den Dächern postiert, um jeden zu erschießen, der das Gebäude verlässt. Also die irakische Polizei hat offenbar angekündigt, Journalisten zu erschießen. Unter solchen Bedingungen kann man dann natürlich nicht arbeiten, aber wie gesagt, es muss geklärt werden, was passiert ist. Möglicherweise war es ein Angriff - und es sind ja schon relativ viele Kollegen hier im Irak umgekommen - weil sie in Angriffe gekommen sind, die ihnen nicht persönlich galten. Das ist ja das Entscheidende. Wenn klar wird, dass persönlich auf Leute geschossen wird, es können ja Ausländer gar nicht mehr in bestimmte Städte gehen. Mahmud Abras hat zum Beispiel vorgestern morgen noch gesagt, als ein libanesischer Kameramann mit ihm gehen wollte, nein, Libanesen können nicht nach Falludscha gehen. Man muss also bestimmte Regeln einhalten, aber das bedeutet ja nicht, dass es keine Unglücksfälle oder tragischen Fälle geben kann. Wir müssen abwarten, was genau passiert ist.

    Durak: Wir haben dennoch Berichte von Ihnen aus Nadschaf gesehen, direkt aus den Gebieten, in denen die Anhänger und Kämpfer des Schiitenführers Al Sadr leben. Es ist Ihnen gelungen, sie vor die Kamera zu bekommen, ins Gespräch mit ihnen zu kommen. Wie gewinnen Sie das Vertrauen dieser Menschen?

    Tilgner: Es geht im Grunde darum, dass die Iraker immer wieder durch große Stämme vertreten werden. Und wenn sie die Vertreter der einzelnen Stämme oder Leute aus Nadschaf oder Falludscha oder bestimmten Stadtteilen Bagdads haben, mit denen Sie zusammenarbeiten, dann ist es weiter nicht schlimm, wenn man dort hingeht, denn dann gibt es eine Art von Garantie dafür, dass nichts passiert. Ich war zum Beispiel in Nadschaf mit einem Kollegen, der von dort kommt, der war überhaupt nicht Anhänger von Sadr sondern ist eher Anhänger eines gemäßigten Ayatollahs, der in Nadschaf sitzt, aber man tut sich gegenseitig nichts. Das gilt genauso für Falludscha, für Sadr City, ich habe ja eben schon gesagt, dass in Falludscha die Polizei, selbst einige Armeeeinheiten mit den Aufständischen zusammenarbeiten. In Sadr City arbeitet die Polizei mittlerweile mit den Brigaden von El Sadr zusammen. Wer nach Sadr City geht und dort reingelassen wird, dem passiert in der Regel nichts. Es gibt ja keinen einzigen Bericht darüber, dass jemandem etwas passiert ist, weil er nach Sadr City gegangen ist. Das Problem ist, wenn Sie dort hingehen, ist es gefährlich. Ich war in der vergangenen Woche dort, da gab es dann Angriffe amerikanischer Panzer, denn die Stadt ist ja eingeschlossen, aber es gibt Wege, auf denen die zwei Millionen Menschen doch versorgt werden oder dieses Viertel verlassen oder auch wieder zurückfahren können, denn viele arbeiten ja in Bagdad. Aber die großen Zufahrtstraßen sind blockiert und das ist eben ein Punkt. Wenn Sie mit Leuten aus Sadr City hinfahren, dann funktioniert es, dann müssen Sie sich bei der Moschee anmelden. Es ist sehr kompliziert, das Entscheidende ist, Sie müssen immer jemanden dabeihaben, der aus diesem umkämpften oder von Regierungsgegnern kontrollierten Gebiet kommt.

    Durak: Die Nationalkonferenz in Bagdad hat einen Vermittlungsvorschlag gemacht, um den Konflikt zwischen der Übergangsregierung und dem Schiitenführer El Sadr friedlich zu lösen sozusagen eine politische Lösung herbeizuführen. Welche Erfolgschancen räume Sie diesem Vorschlag ein?

    Tilgner: Sehr gering. Und zwar liegt es an zwei Punkten: auf der einen Seite gibt es ja keine wirklichen Verhandlungen, denn die Regierung hat gesagt, El Sadr soll seine Waffen niederlegen, er soll die Provinz Nadschaf verlassen und El Sadr selbst hat diese Bedingungen noch nicht akzeptiert. Sein wichtigster Sprecher hat gestern abend gesagt, wir können unsere Position nicht so radikal ändern, wir brauchen Waffen zur Verteidigung. Wenn diese Position auch nur gesagt wird und die Anhänger Sadrs nicht sofort abziehen, dann gibt es Krieg. Es gibt keinen Verhandlungsspielraum. Die Verhandlungen sollen in etwa 15 Minuten beginnen, es bleibt abzuwarten, ob dann überhaupt eine Art Waffenstillstand zustande kommt, denn eines ist ja klar: es wird ja jetzt im Bereich der Moschee in Nadschaf gekämpft, zwar nicht permanent, aber immer wieder mit Unterbrechungen und die Regierungstruppen, vor allen Dingen die US-Armee haben sich auf diesen letzten Angriff vorbereitet. Sie wird noch ein Stück vorrücken und dann werden die Regierungstruppen und daran besteht für mich kein Zweifel, auch die Moschee stürmen. Wie das dann im Einzelnen passieren soll, weiß ich nicht, aber das sind Pläne, die hier existieren und ich glaube, die Regierung will sich davon nicht abbringen lassen, es sei denn, Sadr lenkt völlig ein und dieses Einlenken sehe ich persönlich nicht.

    Durak: Was passiert, denken Sie, wenn der große Angriff der Amerikaner auf Nadschaf, auf die Moschee kommt?

    Tilgner: Das ist sehr schwer zu sagen, denn es kommt natürlich auch darauf an: wie wird der Angriff durchgeführt, was gibt es dann an politischen Maßnahmen? Wenn dieser Angriff der Auftakt einer Offensive gegen alle Anhänger von Al Sadr in den Schiitengebieten ist, dann wird die Lage sehr schwierig, weil dann eine zusätzliche Guerilla- und Terrorbewegung entstehen könnte. Das heißt, es gibt eine Langzeitbelastung für den Irak. Wenn diese militärischen Operationen begrenzt sind und dann auch weitergeführt werden und in Falludscha und Samara die Sunnitenregionen, die von Oppositionellen und Aufständischen kontrolliert werden, erobert werden, dann kann es dazu führen, dass die Rechnung der Regierung in etwa aufgeht, aber dann ist klar, damit würde der Weg zur Demokratie wesentlich schwieriger, als es der Fall sein würde, wenn diese Kräfte jetzt alle eingebunden würden. Und bei Sadr ist das ja theoretisch jedenfalls möglich.

    Durak: Ulrich Tilgner, live aus Bagdad. Herzlichen Dank für dieses Gespräch und Ihnen viel Glück.