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Weniger Kunststoff im Käse

Sobald Nahrungsmittel verpackt werden, können Bestandteile der Verpackung auch auf das Lebensmittel übergehen. In Interesse der Gesundheit gelten deshalb Grenzwerte für diese Stoffe. Mit verbesserten Messverfahren und neuen mathematischen Methoden können Forscher die Belastungen inzwischen genauer vorhersagen. Das System wurde im Rahmen eines EU-Projektes von Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising entwickelt. Partner aus der Industrie beteiligten sich auch.

Von Susanne Lettenbauer | 16.02.2007
    Am Anfang stand die Krise: Als im Herbst 2005 die zum Bedrucken von Tetrapacks verwendete Substanz ITX in Babynahrung gefunden wurde, schien sich das schlechte Image von Verpackungen zu bestätigen. Weichmacher in Plastikflaschen und Plastikfolien, Druckerschwärze in Säften und Milch - der wirtschaftliche Schaden überstieg den Imageschaden um ein Vielfaches. Doch um den Übergang von schädlichen Substanzen von der Verpackung zu dem verpackten Lebensmittel nachzuweisen, existierte bislang nur ein Ersatzrechenmodell für das Team um Roland Franz vom Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising. Statt Käse, Butter oder Fleisch zu nehmen, behalfen sich die Wissenschaftler bislang mit Ersatzstoffen wie Olivenöl und Mischungen von Wasser mit Essigsäure oder Alkohol. Eine wenig zuverlässige Untersuchungsmethode, erst recht seit der Sprung gewagt wurde, komplexere Lebensmittel ins Labor zu holen, so Roland Franz

    " Wir haben entweder zeitlich abhängige Messungen gemacht, wir haben z.B. eine Folie in Verbindung gebracht mit einem Käse und haben dann über die Zeit immer wieder in dem Käse gemessen, wie viel von einer Substanz geht in den Käse hinein. Ein zweiter sehr interessanter Ansatz ist der Konzentrationsgradient: Wir haben z.B. die gleiche Folie mit Käse in Kontakt gebracht für eine bestimmt Zeit, zehn Tage bei 5 Grad plus, haben das Experiment danach abgebrochen, das Käsestück in hauchdünne Scheiben geschnitten und in jeder Scheibe gemessen, wie viel von der Substanz drin ist. "

    Wie erwartet fanden die Wissenschaftler im ersten Millimeter die meisten Substanzen aus der Verpackung, je mehr belasteter Käse weg geschnitten wurde, umso geringer wurde die Konzentration der fremden Stoffe. Wer also sicher gehen will, unbelastete Lebensmittel auf dem Tisch zu haben, sollte die äußeren, von der Verpackung berührten Seiten einfach abschneiden empfiehlt der Verpackungswissenschaftler Franz. Da hilft auch keine Umverpackung nach dem Einkauf in z.B. Tupperdosen oder Glasbehälter. Im ungünstigsten Falle erhöht man dann nur den Kontakt mit unerwünschten Substanzen. Das gilt vor allem für die hochempfindlichen Fleischprodukte.

    " Wir haben auch Fleischprodukte sehr systematisch untersucht. Wir wollten herausfinden, wie der Fettgehalt der Lebensmittel sich auswirkt auf die Migrationsfreudigkeit der Substanzen, auf das Löslichkeitsvermögen in dem Fleisch. Wir finden dort eine starke Abhängigkeit vom Fettgehalt; nur wird es da kompliziert - unpolare Substanzen nehmen mit dem Fettgehalt zu, bei polaren Polymeren nimmt das mit dem Fettgehalt ab. "

    Allgemeinverständlich heißt das: Sobald Lebensmittel verpackt sind, sei es in Glas, Papier, Aluminium, Blech oder Kunststoff nehmen sie artfremde Stoffe auf, aber nur in winzigen Konzentrationen versichert Franz. Sein neues mathematisches Rechenmodell soll noch in diesem Jahr als freiverkäufliche Software jedem Lebensmittelchemiker die Möglichkeit geben, vor Ort in Supermärkten, Drogerien oder im Einzelhandel sofort die Belastung der angebotenen Produkte durch die Verpackung zu errechnen:

    " Mit dieser Software kann man dann, wenn man die Basiskenntnisse hat, kann man dann solche Stofftransportvorgänge in Lebensmitteln dann auch mitberechnen, aber ich warne davor, man kann hier einiges falsch machen. Man muss sich erst gut schulen lassen und sich mit dem Programm auskennen und ein gewisses Grundverständnis der Materie haben. "

    Wer trotz der verbesserten Messmethoden auf Nummer sicher gehen will und jede Belastung seines Essens durch Verpackung vermeiden möchte, dem rät der Verpackungsforscher aus Freising mit einem Augenzwinkern:

    " Da die Belastung ja am Ende körpergewichtsabhängig ist, könnte man jetzt scherzhaft sagen: Der Vater in der Familie, der das größte Körpergewicht hat, bekommt die äußere Scheibe, die Mutter die zweite und die Kinder die dritte und vierte, weil dort nichts mehr drin ist. "