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"Weniger Minister als zu Jamaika-Zeiten wäre schon mal ganz sinnvoll"

Mehr als 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler wollten eine große Koalition im Saarland - das seien ungewöhnliche Werte, sagt Heiko Maas, SPD-Chef im Saarland und Spitzenkandidat für die Landtagswahl im März. Die nächste Regierung werde 65 Millionen Euro pro Jahr einsparen müssen.

Heiko Maas im Gespräch mit Friedbert Meurer | 12.02.2012
    Friedberg Meurer: Herr Maas, hier im Landtag in Saarbrücken vor gut zwei Jahren nach der letzten Landtagswahl, da konnten Sie sich ja eigentlich ziemlich sicher sein oder fühlen, dass Sie der nächste Ministerpräsident des Saarlandes sein werden. Dann kam ja aus Ihrer Sicht leider alles ganz anders. Die Grünen haben sich anders entschieden für Jamaika - CDU, FDP, Grüne/Bündnis90. Jetzt am 25. März haben wir wieder Landtagswahlen. Laufen Sie Gefahr, der ewige Verlierer hier im Saarland zu sein?

    Heiko Maas: Also, sicher kann man sich nie sein bei Wahlen. Das ist auch gut so, dass man das Ergebnis nicht von vornherein kennt. Insofern wird es immer so bleiben, dass es Risiken geben wird. Wir haben aber im Moment eine gute Ausgangslage. Es gibt keine Umfrage, in der die CDU vor der SPD liegt. Wir liegen teilweise deutlich vor der CDU. Das, was wir so in Umfragen an Kompetenzwerten erkennen, wem man was zutraut, ist auch alles positiv. Also, insofern gehen wir da sehr zuversichtlich in diese Wahl. Wir werden nicht überheblich, aber wir glauben, wir haben die besten Chancen, dieses Mal stärkste Partei zu werden und damit auch den Ministerpräsidenten zu stellen.

    Meurer: War Ihnen das Risiko zu groß, sofort auf Neuwahlen zu setzen, als jetzt die Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer Jamaika für beendet erklärt hat?

    Maas: Na, ich glaube, dass es auch schon eine Erwartungshaltung, und zwar eine berechtigte, in der Bevölkerung gegeben hat, ob man nach diesem ganzen Schlamassel mit Jamaika zunächst mal überprüft, ob bis zum Ende der Legislaturperiode man in einer Regierung weitermachen kann, die sich aus den jetzigen Mehrheiten im Parlament ergibt. Das haben wir sehr ernsthaft versucht mit den Kollegen von der CDU. Das ist uns aber nicht gelungen, weil einfach zu viele Fragen offen geblieben sind. Und letztlich, unabhängig davon, ob man die Landtagswahl mit der Bundestagswahl 2013 zusammengelegt hätte oder 2014 gewählt hätte: Die Zeit wäre sehr kurz gewesen, das wäre nichts Halbes und nicht Ganzes gewesen. Die Erwartungen an eine große Koalition sind groß, die hätte man nicht erfüllen können. Und deshalb haben wir gesagt: Wir machen das jetzt richtig, wir wählen neu. Damit gibt's eine Legitimationsbasis für fünf Jahre. Und dann hat eine Regierung auch ausreichend Zeit, das zu tun, was in diesem Land getan werden muss.

    Meurer: Das hätten Sie aber gleich auch direkt sagen können: Wir brauchen eine neue Legitimationsbasis, also lasst uns bitte neu wählen, Jamaika ist ja gescheitert. Warum haben Sie das nicht gemacht?

    Maas: Weil wir schon der Auffassung gewesen sind, dass es an vielen Stellen, die wichtig sind für dieses Land - wirtschaftlich, strukturell, was den Strukturwandel angeht -, es durchaus Verbindungen und Übereinstimmungen mit der CDU gegeben hat und weil wir auch von vornherein davon ausgegangen sind, dass auch, wenn Neuwahlen durchgeführt werden, anschließend die große Koalition bei weitem die wahrscheinlichste Variante ist. Wenn das so ist, dann muss man das ziemlich ernsthaft versuchen. Das haben wir getan, es ist aber nicht gelungen. Und deshalb wird jetzt neu gewählt. Und das finden nach allen Umfragen, die es gibt, 80 Prozent der Saarländerinnen und Saarländer richtig. Und da kann jetzt auch jeder Gebrauch von machen.

    Meurer: Wie viel Sinn macht das, Herr Maas: Sie verhandeln oder sondieren eine große Koalition, das klappt dann nicht. Dann gibt's Wahlen, und danach kommt doch die große Koalition?

    Maas: Na ja, zunächst einmal müssen die Wählerinnen und Wähler ja erst mal zur Wahl gehen. Das heißt, wir werden immer mit den Ergebnissen einer Wahl anschließend auch dann uns für Koalitionen, in welche Richtung auch immer, zu entscheiden haben. Allerdings kann ich nun einmal an den Ausgangsbedingungen auch nichts ändern. Wir haben eine Linkspartei, die nicht regierungsfähig ist. Für Rot-Grün wird es nicht reichen. Und wenn der Wähler nun einmal das nächste Parlament so zusammensetzt, wie es die Umfragen sagen, dann wird am Schluss nichts anderes als eine große Koalition übrig bleiben. Und im Übrigen: Über 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler wollen eine große Koalition in diesem Land, auch 70 Prozent der SPD-Wähler. Das sind alles sehr ungewöhnliche Werte. Aber ich finde, daran kommt man dann auch nicht vorbei.

    Meurer: 2009 wollten Sie keine große Koalition. Woher kommt der Sinneswandel bei Ihnen?

    Maas: Na ja, 2009 war die Ausgangslage ja auch eine völlig andere. Da stand Peter Müller für die CDU zur Wahl, die CDU ging aus einer Alleinregierung in diese Wahl. Wir wollten die CDU-Alleinregierung ablösen. Und insofern haben wir uns damals alle Optionen offen gehalten. Wir haben uns ja nicht für die eine oder andere Variante im Vorfeld ausgesprochen. Das war ein völlig offenes Rennen. Letztlich war das Wahlergebnis so, dass die Grünen das Zünglein an der Waage waren und sich nun einmal so entschieden haben, mit CDU und FDP zusammen zu gehen.

    Meurer: Die CDU hat eine neue Spitzenkandidatin - Annegret Kramp-Karrenbauer, nicht mehr Peter Müller, das sagen Sie zu recht. Die Linke hat weiterhin Oskar Lafontaine. Mit ihm hätten Sie vor zwei Jahren regiert. Was ist passiert, dass Sie das jetzt anders sehen?

    Maas: Na ja, es gibt zwei Dinge, die diese Wahl von der letzten Wahl unterscheiden. Das eine ist, dass die SPD sich in den letzten zweieinhalb Jahren in einem sehr langwierigen Prozess mit der Schuldenbremse auseinandergesetzt hat und sie letztlich auch akzeptiert hat. Wir halten sie nach wie vor nicht für ein sonderlich intelligentes Instrument, aber wir wissen, dass wir in der Regierung an ihr nicht vorüber kommen. Es wird davon abhängig sein, in den kommenden Jahren 65 Millionen Euro zu sparen. Wenn wir das nicht tun, werden wir diese 260 Millionen Bundeszuweisung nicht erhalten.

    Meurer: Wieso ist die Schuldenbremse nicht intelligent? Wir predigen sie im Moment in ganz Europa als das Allheilmittel.

    Maas: Weil ich finde, dass die Schuldenbremse den Haushaltssituationen in den einzelnen Bundesländern nicht gerecht wird in dem Sinne. Sie legt den gleichen Maßstab an, an alle Länder, völlig unabhängig davon, wie die Ausgangslage ist. Ich hätte mir da etwas mehr Flexibilität erwünscht, es ist aber nicht so. Sie ist im Grundgesetz nun einmal so verankert, wie sie ist. Das akzeptieren wir im Ergebnis und sagen auch, die SPD in der Regierung wird die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten. Das tut die Linkspartei nicht. Das macht sie nach meiner Auffassung nicht nur nicht regierungsfähig, sondern das ist ein Hinweis darauf, dass sie eigentlich gar nicht regieren will, weil es nämlich unangenehm wird. Und zum Zweiten wissen wir heute im Gegensatz zur letzten Bundestagswahl, dass Lafontaine die Spitzenkandidatur der Linkspartei bei der Bundestagswahl anstrebt und insofern eine Zusammenarbeit mit ihm nur benutzt würde, um das Saarland zum Aufmarschgebiet der Linken für die Bundestagswahl zu machen.

    Meurer: Das war 2009 anders?

    Maas: Ja, 2009 ist ja auch die Bundestagswahl gewesen. Das heißt, es gab nicht diesen zeitlichen Zusammenhang, dass wir zwei Jahre bis zur Bundestagswahl haben und deshalb eine Landesregierung unter Beteiligung von Lafontaine völlig handlungsunfähig gewesen ist, weil der da im Wahlkampf steht. Das geht alles nicht, das macht keinen Sinn. Und deshalb haben wir von vornherein gesagt, dass mit der Linkspartei es keine Möglichkeit gibt, in diesem Land zu regieren für die SPD.

    Meurer: Nun haben Sie ja ein ganz besonderes Verhältnis zu Oskar Lafontaine. Er gilt als Ihr politischer Ziehvater, er hat Sie in den 90er-Jahren, da waren Sie noch sehr jung, als Staatssekretär in sein Kabinett geholt. Wie ist Ihr Verhältnis heute zu Oskar Lafontaine?

    Maas: Das ist ein ganz normales Verhältnis zwischen erwachsenen Menschen, die auf unterschiedlichen politischen Seiten sich gegenüber stehen. Da hat jeder so seine Erfahrung mit dem anderen gemacht. Und das ist es dann auch schon. Es kann auch nicht sein, dass persönliche Befindlichkeiten von Einzelpersonen irgendwie entscheidend sind, ob man politisch zusammenarbeiten kann oder nicht. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass die Linkspartei sich in Gänze der Realität in diesem Land verweigert. Und deshalb ist sie für uns nicht regierungsfähig.

    Meurer: Was haben Sie denn für schlechte Erfahrungen mit Oskar Lafontaine gemacht?

    Maas: Na ja, das ist ja nicht ganz einfach zu sehen, dass jemand, der die SPD permanent zu seinem Hauptgegner erklärt, zumindest auf Bundesebene, dass er das hier im Land dann anders handhaben soll. Und wenn man sieht, dass das bei der anstehenden Bundestagswahl wahrscheinlich wieder in die gleiche Richtung geht, kann man sich eigentlich an drei Fingern abzählen, dass eine Zusammenarbeit überhaupt keinen Sinn macht.

    Meurer: Das war 1999, dass er von der Fahne gegangen ist - als Bundesfinanzminister aufgehört hat, als SPD-Chef aufgehört hat. Zehn Jahr später hätten Sie ja noch immer mit ihm zusammengearbeitet. Was ist jetzt in diesen zwei, drei Jahren passiert? Ist das eine politische Überlegung zu sagen, wir haben eben die Zeit einer großen Koalition, die Bevölkerung will sie, oder ist es doch auch das direkte Verhältnis zu Oskar Lafontaine, den Sie möglicherweise nicht für zuverlässig genug halten?

    Maas: Also, Sie machen Oskar Lafontaine etwas wichtiger, als er ist, zumindest für mich. Wir haben das anhand von politischen Kriterien entschieden, wir müssen große Probleme in diesem Land lösen. Das wird mit der Linkspartei nicht gehen. Das haben wir auch bei den letzten Haushaltsberatungen gesehen, dass die Linkspartei da überhaupt nicht bereit ist, auch Adam Riese zu akzeptieren. Und daraus haben wir eine politische Schlussfolgerung gezogen, dass ein Land in einer Haushaltsnotlage, das einen Sanierungsplan braucht, mit der Linkspartei nicht zu regieren ist. Und deshalb werden wir auch nicht mit der Linkspartei regieren.

    Meurer: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Heiko Maas, dem Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl im Saarland jetzt am 25. März. Das Saarland hat ungefähr zwölf Milliarden Euro Schulden, eine der höchsten Pro-Kopf-Verschuldungen in Deutschland, vielleicht sogar die höchste. Sind die Saarländer die Griechen in der Bundesrepublik Deutschland?

    Maas: Die höchste ist es nicht, die höchste Pro-Kopf-Verschuldung haben die Bremer. Aber das macht es auch nicht viel besser. Das ist eine schwierige Situation, wir haben immer darauf hingewiesen, dass das Land natürlich eigene Sparbemühungen realisieren muss, aber dass wir bei über zwölf Milliarden Schulden, also einer Zinslast von etwa einer halbe Milliarde Euro pro Jahr bei einem Gesamtetat von 3,5 Milliarden Euro pro Jahr, es am Schluss nicht gehen wird, ohne dass wir irgendwann eine Lösung für die Altschulden haben. Es ist immer mal wieder über einen Altschuldenfonds auf Bundesebene geredet worden, weil auch andere Bundesländer große Probleme haben. Die ostdeutschen Bundesländer werden finanziell nach Auslaufen des Solidarpaktes auch nicht handlungsfähig sein. Ich gehe davon aus, dass in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts es noch einmal eine Föderalismuskommission geben wird, in der auch die Finanzbeziehung zwischen den Ländern und dem Bund und den Ländern noch einmal neu geregelt wird, weil auch der Länderfinanzausgleich 2019 ausläuft.

    Meurer: Und was wird dann am Ende stehen? Dass das Saarland sagt: Wir möchten bitte weiterhin Ausgleichszahlungen, damit's bei uns langt?

    Maas: Nein, bis dahin, bis diese Arbeit beginnt in einer neuen Föderalismuskommission, muss das Saarland nachgewiesen haben, dass es auf einem Sanierungsweg ist und in der Lage ist, zumindest einen nicht unerheblichen Teil der Sanierungsauflagen zu erfüllen. Dafür werden die nächsten vier Jahre sehr wichtig sein. Und das ist der Weg, den wir auch für richtig halten.

    Meurer: Was werden Sie den Saarländern zumuten wollen - angenommen, Sie würden neuer Ministerpräsident werden?

    Maas: Wir werden in den kommenden vier Jahren rund 65 Millionen Euro pro Jahr einsparen müssen. Wir wissen, dass die Bevölkerung im Saarland bis 2030 etwa auf 800.000 Menschen zurückgehen wird. Das heißt, wir müssen auch die öffentlichen Strukturen im Saarland, also die Behörden, die Landesverwaltung, darauf einstellen, das heißt, wir müssen mit einem schlankeren Apparat weniger Menschen "verwalten", das heißt, wir müssen die Organisationsebenen alle noch einmal überprüfen, um in Zukunft mit weniger Personal das, was in diesem Land gemacht werden muss, auch tun zu können.

    Meurer: Mehr Personal wollen Sie aber in den Schulen haben. Woher soll das Geld kommen?

    Maas: Wir wollen nicht mehr Personal, sondern wir haben gesagt, dass die rückläufigen Schülerzahlen - bis 2020 werden wir 20 Prozent weniger Schüler haben - nicht dazu führen, dass Lehrpersonal abgebaut wird, sondern wir wollen auf die Art und Weise erreichen, dass die Schüler-Lehrer-Relation verbessert wird, dass mit weniger Schülern aber bei gleichbleibenden Lehrerzahlen die Klassen kleiner werden, es weniger Unterrichtsausfall gibt, also die Qualität in unseren Schulen verbessert werden kann. Dafür brauchen wir nicht mehr Lehrer, nur wir dürfen nicht so viele Lehrer abbauen, wie wir Schülerinnen und Schüler weniger haben. Das ist die so genannte demografische Rendite, und die soll im System bleiben.

    Meurer: Schon zu CDU-Zeiten ist ja damit begonnen worden, dass die Betreuung und Bildung im Kindergarten kostenlos sein soll. Verstehen Sie da Leute in anderen Bundesländern, die sagen, diese Wohltat, die Sie da den Saarländern zukommen lassen, die wird bezahlt von den Bayern und Baden-Württembergern aus ihren Milliarden in den Finanzausgleich?

    Maas: Ja, natürlich verstehe ich das. Wir haben dem auch nicht zugestimmt, obwohl wir in der Opposition gewesen sind. Wir hätten es uns da einfach machen können. Wir haben gesagt, wenn man das macht, muss man es zumindest einkommensabhängig tun, denn es ist sicherlich nicht einsehbar, dass Leuten wie mir die Elternbeiträge in den Kindergärten erlassen werden. Und ich bin nicht der Einzige, bei dem es nicht nachvollziehbar ist. Das kann man machen für Leute, die es nötig haben, wobei man auch sagen muss, dass 30 Prozent der Eltern die Elternbeiträge über die Jugendhilfe ohnehin ersetzt bekommen. Das sind also die sozial Schwächsten. Also, das muss man, wenn man es macht, einkommensgestaffelt tun und nicht für Leute wie für mich, die sich das durchaus leisten können, ihre Elternbeiträge brav zu bezahlen.

    Meurer: Da ja das Saarland seine Schulden abbauen muss, einen Pfad aufzeigen muss, wie man aus der Finanznot herauskommen will, jeden Cent jetzt umdreht - haben Sie schon mal ausgerechnet, was gespart würde, wenn das Saarland nicht selbstständig wäre, es keine Staatskanzlei gäbe, keine neun Ministerien, die alle Geld kosten?

    Maas: Da wäre sicherlich einiges einzusparen. Ob das letztlich im Interesse der Menschen ist, die hier leben, habe ich so meine Zweifel. Denn man muss ja sagen, es geht nicht nur um 51 Abgeordnete oder ein paar Minister - also weniger Minister als zu Jamaika-Zeiten wäre schon mal ganz sinnvoll. Auch das wäre ein Signal. Aber wir werden sicherlich dann auch keinen Saarländischen Rundfunk mehr haben. Wir würden sicherlich auch nicht mehr die Universitätslandschaft hier so halten können, wie wir sie haben. Ob wir ein eigenes Staatstheater behalten ist alles irgendwie auch mit der Selbstständigkeit dieses Landes verbunden.

    Meurer: Es gibt auch in Westfalen Universitäten, obwohl es mit dem Rheinland zusammengelegt wurde.

    Maas: Mit Sicherheit ist das so, aber wenn man ein Land auflöst und es in einer größeren Einheit aufgehen lässt, dann tut man das ja auch natürlich nur, weil man dann die Insignien der Selbstständigkeit eines solchen Landes nicht mehr aufrecht erhalten soll. Deshalb muss man das ganz klar sagen, es geht nicht nur um Abgeordnete oder Minister, sondern es geht um einen Teil der Infrastruktur in diesem Land.

    Meurer: Sind Sie sicher, Herr Maas, dass das Saarland in zehn Jahren noch selbstständig ist, ein eigenes Bundesland? Absolut sicher, kein Zweifel?

    Maas: Ich bin mir da absolut sicher. Allerdings wird das kein Selbstläufer sein, sondern man muss etwas dafür tun. Man muss ja auch mal darauf hinweisen: Der Föderalismus ist ja nichts, was irgendwie betriebswirtschaftlich erfunden worden ist, sondern das hat etwas mit der Geschichte und der Kultur, der Identität einzelner Regionen in Deutschland zu tun. Und das Saarland hat sicherlich die bewegteste Geschichte der meisten Bundesländer. Kein anderes Bundesland ist in den letzten hundert Jahren so zwischen Deutschland und Frankreich hin und her gezogen und gezerrt worden. Also, der Föderalismus wird nicht von Kartografen oder Bilanzbuchhaltern gemacht, sondern da geht es um politische, um kulturelle und auch historische Zusammenhänge Wenn das alles nur betriebswirtschaftlich zu entscheiden sei, dann gäbe es sicherlich die meisten Bundesländer, die wir haben, überhaupt nicht mehr.

    Meurer: Das große Thema zurzeit, das auch natürlich viele Menschen hier im Saarland beschäftigt, das ist die Eurokrise. Was kommt da auf alle zu? Diese Woche ist in Griechenland wieder ein Sparpaket beschlossen worden. Die SPD unterstützt prinzipiell den Eurokurs der Bundesregierung. Können Sie als Sozialdemokrat aber guten Gewissens den kleinen Griechen zumuten, auf wesentliche Bestandteile ihres Einkommens zu verzichten?

    Maas: Ich muss das ja nicht in erster Linie gegenüber den Griechen verantworten, sondern ich muss als verantwortlicher Politiker in Deutschland zunächst einmal verantworten, dass die Steuermillionen der deutschen Steuerzahlerinnen und -zahler auch vernünftig und verantwortungsvoll verwandt werden.

    Meurer: Es gab mal die internationale Solidarität als Merkmal der SPD.

    Maas: Eben. Deshalb ist die SPD auch der Auffassung, dass man den Griechen helfen sollte und auch den Euro nicht vor die Hunde gehen lassen soll. Aber wir können nicht die Probleme der Griechen lösen. Die müssen die schon selber lösen. Und wenn man - und das ist ja nun mal unbestreitbar - in der Vergangenheit deutlich über die eigenen Verhältnisse gelebt hat, dann muss da natürlich auch etwas gemacht werden. Es kann nicht nur so sein, dass andere Geld da zuschießen und die Defizite, die es dort gibt, nicht behoben werden. Und deshalb habe ich da überhaupt kein Problem damit.

    Meurer: Die Bundeskanzlerin Angela Merkel bekommt gute Noten für ihre Politik zur Lösung der Euro- und Staatsschuldenkrise. Die Umfragen auch für die CDU im Bund gehen nach oben. Gibt es für die SPD kein Rezept, dagegen anzukommen?

    Maas: Na ja, also ich glaube, in den letzten zwei Jahren, seitdem Schwarz-Gelb in Berlin regiert, sind die Umfragen für die SPD nicht so schlecht gewesen, sondern sind permanent besser geworden. Und wenn man Rot und Grün zusammenzählt, sind wir etwa um elf Punkte hoch und Schwarz und Gelb um elf Punkte runter.

    Meurer: Aber es werden sich nicht viele in Berlin finden, die mit Rot-Grün rechnen, im Bund, nach 2013.

    Maas: Das kommt darauf an. Ich weiß nicht, mit wem Sie reden.

    Meurer: Mit allen Seiten.

    Maas: Ich rede auch mit allen Seiten. Für die einen ist das eine große Befürchtung, für die anderen eine Hoffnung. Ich glaube, dass das jetzt auch überhaupt nicht entschieden ist. Natürlich - so war das immer - werden Umfragen weiter hoch und runter gehen, auch abhängig von Ereignissen, die in Deutschland, aber auch darüber hinaus, passieren werden. Das wird ein knappes Rennen werden. Im Übrigen, Schwarz-Gelb ist ja möglicherweise nach der Bundestagswahl nur noch Schwarz. Das heißt, ich weiß nicht, ob die FDP es noch einmal schaffen wird.

    Meurer: Die Alternative heißt natürlich große Koalition, mit der SPD als Juniorpartner.

    Maas: Wenn die FDP es nicht schaffen würde, wäre die Alternative, glaube ich, durchaus Rot-Grün. Aber das ist ja alles spekulativ. Da wird noch einiges geschehen. Aber ich sehe das alles andere als hoffnungslos, dass es für Rot-Grün in Berlin eine Mehrheit geben kann bei der nächsten Bundestagswahl.

    Meurer: Die SPD lässt sich ja Zeit, einen Kanzlerkandidaten zu nominieren. Drei Namen werden genannt. Sollte, Herr Maas, derjenige Kanzlerkandidat der SPD werden und damit Herausforderer von Angela Merkel, der die besten Wahlchancen hat?

    Maas: Ja, natürlich sollte das derjenige sein, der die besten Wahlchancen hat. Dazu zählen allerdings ein paar Dinge. Das sind nicht nur die aktuellen Umfragen oder Persönlichkeitswerte, denn ich weiß nicht, wie die Persönlichkeitswerte 2013 von A, B oder C sind. Das muss ein Kandidat sein, der zur SPD passt, zu dem Programm, mit dem wir in die Wahl gehen.

    Meurer: Also nicht Steinbrück?

    Maas: Nein, wieso? Ich habe nicht den Eindruck, dass Peer Steinbrück nicht das Programm der SPD vertritt. Es hat sicherlich jeder so seine besonderen Themen, und Peer Steinbrück ist jemand, der - glaube ich - für viel Vertrauen, gerade in finanzkritischen Zeiten steht. Also, alle, die da sind, könnte ich mir vorstellen, alle haben große Vorteile, die sie mitbringen. Ich finde das gut, dass die SPD mehrere hat, unter denen man sich entscheiden kann. Aber ich bin mir ziemlich sicher, die drei werden sich irgendwann auf einen einigen. Das heißt, dass einer, der der SPD dann vorgeschlagen wird, auch derjenige sein wird, der die SPD in diese Wahl führen wird.

    Meurer: Anfang der Woche wurden wieder neue Vorwürfe gegen Bundespräsident Christian Wulff laut. Ein Filmunternehmer hat ihm den Urlaub auf Sylt bezahlt. Der Bundespräsident sagt, er habe ihm das dann anschließend bar erstattet. Werden Sie im Wahlkampf hier im Saarland auf die Affäre angesprochen?

    Maas: Das wird man ganz sicher, wobei nicht so in dem Umfang, wie man es vielleicht glauben müsste, was alles in den Medien steht und wie viel in den Medien steht. Wahrscheinlich sind schon viele das ganze Thema leid.

    Meurer: Sie auch?

    Maas: Ja, so ein bisschen schon, ehrlich gesagt. Ich habe auch keine Lust, permanent immer über einen Bundespräsidenten zu lesen, der hier mal noch was mitgenommen hat und da mal noch was mitgenommen hat, aber nicht in der Lage ist, daraus mal irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. Und das nervt ganz einfach. Das nervt viele Menschen in diesem Land und ich glaube, dass das uns noch eine Zeit lang beschäftigen wird. Aber der Einzige, der das wahrscheinlich wirklich mal zu einem Ende bringen kann, ist Herr Wulff. Aber der will anscheinend nicht, sondern dem macht das alles nichts aus und der macht weiter, als wenn nichts wäre. Und davon hat man, glaube ich, nicht viel in Deutschland.

    Meurer: Wünschen Sie sich, dass er zurücktritt? Erwarten Sie es, dass er zurücktritt?

    Maas: Ich würde mir wünschen, dass er schon längst zurückgetreten wäre, denn ich weiß nicht, wo er seiner Rolle als Bundespräsident noch gerecht werden soll. Ein Bundespräsident ist doch jemand, der wirkt durch große Reden, durch große Glaubwürdigkeit, Authentizität und Dinge, die er ganz einfach in die Gesellschaft trägt. Und ich weiß nicht, was dieser Mann irgendwie in Deutschland noch beizutragen hat. Denn alles, was er tut, wird natürlich in den Zusammenhang gestellt, was da Vergünstigung oder Begünstigung privater Art oder was auch immer angeht. Und deshalb, glaube ich, ist der Mann als Bundespräsident verloren.

    Meurer: Tenor bei etlichen Deutschen scheint aber zu sein, der Politiker und die Politikerin möge vortreten, die ohne Sünde ist. Wie halten Sie es denn damit, wenn Sie eingeladen werden von Unternehmern und Geschäftsleuten?

    Maas: Ich werde auf jeden Fall nicht so oft eingeladen wie Herr Wulff, zumindest nicht nach Sylt. Aber ich pflege, wenn ich mich da überhaupt einladen lasse - das ist allenfalls mal ein Essen -, das dann auch selber zu bezahlen. Mich hat noch keiner zum Urlaub eingeladen, mich hat auch noch keiner zum Oktoberfest eingeladen. Das ist alles bedauerlich. Aber auf der anderen Seite bin ich auch ganz froh drum. Ich glaube, die Anzahl der Einladungen, über die wir da permanent lesen, ist ja auch ein Hinweis darauf, dass der gute Mann anscheinend ganz scharf darauf gewesen ist, permanent eingeladen zu werden. Ansonsten kann ich mir gar nicht erklären, wieso man so oft auf Kosten Dritter unterwegs ist.

    Meurer: Er behauptet ja immer "Ich habe das selber bezahlt".

    Maas: Okay, an der Hotelrezeption dann irgendwie jemandem ein paar Hundert Euro zuzuschieben, das mag dann glauben, wer will.

    Meurer: Sie glauben das nicht, dass er bar bezahlt hat?

    Maas: Ich finde, dass das zumindest etwas lebensfremd ist.

    Meurer: Er lügt? Der Bundespräsident lügt?

    Maas: Das weiß ich nicht, ob er lügt. Ich war nicht dabei, ich kann das nicht beweisen. Ich kann nur sagen, ich finde das alles ein bisschen lebensfremd. Und wenn man sich anschaut, in welcher Anzahl es da mittlerweile Vorfälle gibt, dann scheint mir das alles doch sehr skurril zu sein.

    Meurer: Spüren Sie, dass durch die Affäre die Entfremdung zwischen Wählern und Politikern gewachsen ist, dass noch mehr als ohnehin schon Politikern vorgeworfen wird, ihr wollt euch ja nur alle selber bereichern?

    Maas: Nein, den Eindruck habe ich zumindest jetzt nicht aktuell, was die Affäre Wulff angeht. Es gibt sicherlich viele Vorbehalte in der Öffentlichkeit gegenüber Politikern. Und man muss auch mal ganz selbstkritisch sagen, dass wir in der Politik da zu einem nicht unerheblichen Teil selber schuld sind, wenn man sich mal anschaut, was in den letzten Jahren alles so passiert ist. Aber dennoch, glaube ich, kann man sich dem nicht einfach so hingeben und zulassen, dass wenn einer mal über die Stränge schlägt oder Fehler macht, dass dann gleich alle so sein müssen. Das ist auch ein bisschen zu einfach. Das ist jetzt an der Affäre Wulff das, was tatsächlich sicherlich mehr als bedauerlich ist, weil dadurch ein Bild in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, dem - wie ich finde - bei Weitem die meisten Politikerinnen und Politiker, und zwar unabhängig welcher Partei, so nicht entsprechen.

    Meurer: Ich bedanke mich, Herr Maas, für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.