Donnerstag, 25. April 2024

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"Wenn das einem Opfer des Nazismus passiert, muss er ins Grübeln kommen"

Der jüdische Publizist Günther Bernd Ginzel hat die umstrittenen Äußerungen des ebenfalls jüdischen Autors Ralph Giordano zum geplanten Moscheebau in Köln kritisiert. Giordano habe sich in etwas verrannt, als er vom Scheitern der Integration der Muslime sprach. Mit solchen Bemerkungen mache er sich zum Sprachrohr der Rechten.

Moderation: Friedbert Meurer | 22.05.2007
    Friedbert Meurer: Im Kölner Stadtteil Ehrenfeld soll eine neue große Moschee gebaut werden. Das ist in der Domstadt seit Monaten ein großer Aufreger. Alle Parteien sind dafür, auch die CDU, nur eine Rechtsaußenpartei namens pro Köln nicht. Zur allgemeinen Überraschung ist auch nicht für den Bau der jüdische Schriftsteller Ralph Giordano. Im Internet-Fernsehkanal des Kölner Stadtanzeigers sagte Giordano jetzt, warum er nicht will, dass eine Moschee in Köln gebaut wird.

    Ralph Giordano: Das erste was ich hier sage ist gerichtet an den Oberbürgermeister dieser Stadt und an die Stadträte, die dem Bau der Moschee zugestimmt haben. Stoppt den Bau, weil es ein falsches Signal ist. Die Wahrheit ist: die Integration ist gescheitert. Natürlich: hier leben seit Jahrzehnten Menschen, Muslime, die kein Deutsch können, Frauen besonders, weil sie zurückgehalten werden. Auf dem Wege hierher hatte ich einen Anblick, der meine Ästhetik beschädigt hat und gestört hat: eine von oben bis unten verhüllte Frau, ein menschlicher Pinguin. Die Quelle des islamistischen Terrors liegt in den Schwierigkeiten der islamischen Gesellschaft bei der Anpassung an die Moderne!

    Meurer: Der Kölner Schriftsteller Ralph Giordano, der sich auf die Seite der Moscheen-Kritiker eingereiht hat. Das hat manche erschreckt, auch in jüdischen Kreisen in Köln selbst. Günther Bernd Ginzel ist jüdischer Publizist in Köln, überblickt hier ganz gut das Geschehen. Guten Morgen Herr Ginzel.

    Günther Bernd Ginzel: Guten Morgen!

    Meurer: Was haben Sie gedacht, als Sie das gehört oder gelesen haben, was Giordano gesagt hat?

    Ginzel: Fassungslosigkeit, Entsetzen und die Frage, ob das ganze ein Scherz ist, ob hier nicht in Wirklichkeit eine Propaganda von "Pro Köln" läuft. Das ist nicht der Ralph Giordano, wie ich ihn seit Jahrzehnten kenne.

    Meurer: Wie kennen Sie denn Giordano?

    Ginzel: Ich kenne ihn zwar mit dem gleichen Gestos des Pathos und des Appellativen. Ich frage, ich sage, tut dies. Das funktioniert, wenn der Überlebende spricht, wenn das Opfer spricht, wenn er sozusagen aus seiner persönlichen und kollektiven Geschichte Schlüsse zieht und sagt, tut was gegen rechts. Es funktioniert nicht in diesem Kontext. Es wirkt entweder albern, anmaßend oder eben rechtspopulistisch.

    Meurer: Giordano sagt ja, die Integration der Muslime ist gescheitert. Der Islam muss einfach mehr tun für die Integration. Erst wenn das geschehen ist, darf eine Moschee gebaut werden. Falsche Argumentation?

    Ginzel: Die Argumentation ist deswegen falsch, weil sie in ihrer Undifferenziertheit nicht einmal die Basis für einen Dialog eröffnet. Das ist das, was ich bei ihm einfach nicht begreifen kann. Irgendwie war das etwas, war das ein Ralph Giordano, der mir völlig unbekannt, aber ehrlich gesagt auch unheimlich ist. Denn natürlich gibt es Kritikpunkte. Natürlich ist man auch in den jüdischen Gemeinschaften, so unterschiedlich sie sind, sehr irritiert über die Entwicklung im Islam, über die mangelnde Positionierung, über den schleppenden bis im Prinzip überhaupt nicht vorhandenen Dialog. Wir haben keinen Dialog mit dem Islam. Es gibt einzelne Islamvertreter, mit denen man spricht. Ich tue das ja seit Jahrzehnten. Aber es ist nie an die Basis durchgedrungen, von Ausnahmen wie Mannheim und so weiter abgesehen. Da wäre vieles zu diskutieren und zu kritisieren, innerjüdisch in Bezug auf die jüdische Identität und das Verhältnis zu Israel und in Bezug zum Islam und vor allen Dingen auch die antisemitischen Tendenzen unter jungen Muslimen, die wir von vielen Schulen hören. Aber auf der Basis, wie Ralph Giordano das getan hat, kann man sich nur auch als Jude schützend vor die muslimischen Nachbarn stellen.

    Meurer: Steht, Herr Ginzel, Giordano alleine da in der jüdischen Gemeinde, oder drückt er damit ein Unbehagen, eine Angst aus von Juden in Deutschland, eben Angst vor der Muslime?

    Ginzel: Eine grundsätzliche Angst würde ich verneinen. Eine Irritation und Besorgnis ja. Dafür passieren zu viele unerfreuliche Dinge. Wir haben an vielen Schulen Übergriffe. Es häufen sich Fälle, wo muslimische Eltern ihren Kindern zu verbieten suchen, an einem Synagogenbesuch der Klasse teilzunehmen. Ein beträchtlicher Teil der muslimischen Gesellschaft ist nicht dialoginteressiert. Aber wir vergessen immer - und das hat auch Giordano getan -, die Mehrzahl der Muslime ist säkular und liberal. Alles das, was ich jetzt gerade eben auch kritisch angemerkt habe, trifft auf sie nicht zu. Die islamische Gesellschaft ist höchst pluralistisch und er hat auch natürlich nicht unterschieden zwischen den türkischen Muslimen, die traditionell ein weitgehend entspanntes Verhältnis zu Judentum und Synagoge haben, und einem Teil der arabischen Muslime hier, die islamistisch zum Teil infiziert sind, nicht zuletzt auch wegen des Nahostkonfliktes. Wir können mit diesem Thema nicht mit einer Sprache umgehen, wie es Giordano getan hat.

    Meurer: Meinen Sie damit beispielsweise die menschlichen Pinguine? Damit meint er die Burka-Frauen.

    Ginzel: Vollkommen unerträglich! Es gibt darüber keine Diskussion. Es gibt nur eins aus meiner Sicht: Ralph müsste das tun, was er damals Martin Walser in seiner Auseinandersetzung mit Ignaz Bubis vorgeworfen hat, als er von einer geistigen Brandstiftung sprach. So weit will ich hier nicht gehen, aber um Ralph Giordano nicht weiter zu beschädigen, aber auch ganz einfach um das Verhältnis zwischen Muslimen und Juden, Muslimen, Juden, Christen und säkularer Gesellschaft zu entkrampfen, wäre hier ein einfaches klares Wort "ich habe mich verrannt, es tut mir leid, ich werde hier zur Galionsfigur von Pro Köln". Heute gilt er als der inoffizielle Sprecher der Rechtsextremisten in Köln. Wenn das einem Opfer des Nazismus passiert, muss er ins Grübeln kommen.

    Meurer: Noch ganz kurz, Herr Ginzel. Ist die Mehrheit der Juden in Deutschland dagegen, dass Moscheen hier gebaut werden?

    Ginzel: Das maße ich mir nicht so an zu sagen. Ich kenne nicht eine einzige Stellungnahme, die darauf hindeuten würde, ganz im Gegenteil. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Selbstverständlich freuen wir uns, wenn Muslime friedlich neben uns beten, so wie wir uns freuen, wenn Christen friedlich in ihre Kirchen gehen. Das ist doch das Entscheidende, dass wir in aller Ruhe unseren jeweiligen Glauben in allen Unterschiedlichkeiten ausleben und auf dieser Basis dann zu Freundschaft und Dialog finden.