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Wenn die Gesundheit zum Kostenfaktor wird

In Deutschland entsteht eine Drei-Klassen-Medizin. Neben der Unterteilung in Privat- und Kassenpatienten scheint sich eine dritte Gruppe zu bilden: die der älteren Patienten. Da ihre Behandlung häufig als unrentabel empfunden wird, erhalten sie keine adäquaten medizinischen Leistungen.

Von Ursula Biermann | 30.07.2007
    Als Franz Klein von seiner Frau Malis mit starken Atembeschwerden und dicken Beinen in die Notaufnahme gebracht wird, ist sie in äußerster Sorge. Ihr 73 Jahre alter Mann röchelt nur noch. Der Arzt sieht: Er hat Ödeme, das sind Wassereinlagerungen, in Armen und Beinen. Dagegen bekommt er eine Spritze. Danach soll er wieder nach Hause. Weil er aber nach wie vor nach Luft ringt, wehrt sich Malis Klein dagegen:

    "Dann habe ich das nicht zugelassen. Ich habe darauf bestanden, dass er geröntgt wurde, und dann hat man festgestellt, dass Wasser in der Lunge war. Und dann hieß es: Ja, ihr Mann ist ein sehr kranker Mann. Wir müssen ihn stationär aufnehmen, und er kam dann auch unter Sauerstoff."

    Nur durch den energischen Einsatz seiner Frau hat Franz Klein die lebensrettende medizinische Behandlung erhalten. Was unglaublich klingt, ist – wie es scheint – kein Einzelfall. In Deutschland hat sich – von der Öffentlichkeit fast unbemerkt – eine Drei–Klassen-Medizin etabliert. Neben Privat- und Kassenpatienten gibt es inzwischen eine dritte Gruppe, die der älteren Patienten. Sie befindet sich auf dem Abstellgleis, denn Studien belegen eine eklatante Diskriminierung älterer Menschen in der Medizin. Ob beim niedergelassenen Arzt, im Krankenhaus oder in der REHA: Längst nicht immer erhalten ältere Menschen die gleichen medizinischen Leistungen wie jüngere Patienten mit derselben Erkrankung. Den wissenschaftlichen Beleg liefert eine Studie von Hilke Brockmann. Die Soziologin ist Professorin an der Jakobs-Universität in Bremen. Sie hat die Krankenhausdaten von 430.000 Patienten analysiert:

    "In meiner Studie hat man sehen können, oder ich habe zeigen können, dass es einen Unterschied gibt, wie alt ein Patient ist und dass unterschiedlich alte Patienten auch unterschiedlich behandelt werden. Ist ein Patient sehr krank und 60 Jahre alt, dann wird er sehr intensiv behandelt, kriegt eine sehr teure Krankenhausbehandlung in seinem letzten Lebensjahr. Das gilt für ältere Patienten nicht mehr im gleichen Maße. Das mag vielleicht daran liegen, dass der Patient selbst nicht mehr daran interessiert ist, so intensiv behandelt zu werden. Aber es gibt auch Indizien oder Hinweise darauf, dass Ärzte nicht mehr mit dem gleichen Aufwand Patienten behandeln. Beispielsweise habe ich mir angeschaut, was ist, wenn Patienten mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Und der Herzinfarkt ist etwas, da muss der Arzt gleich handeln. Der Patient hat nicht mehr Zeit, sich zu beraten mit dem Arzt, sondern der Arzt muss entscheiden, wie behandelt wird. Und da sieht man einen deutlichen Unterschied in der Behandlungsintensität, je nach dem Alter. Je älter der Herzinfarktpatient ist, desto geringer ist der Behandlungsaufwand."

    Ein ganz klares Ergebnis. Nicht der Patient will weniger Behandlung, sondern der Arzt entscheidet, dass es sich nicht lohnt. Für die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD- Fraktion im Deutschen Bundestag, Carola Reimann, keine Überraschung:

    "Das deckt sich auch mit der Studie, die ich kenne, in der man Männer und Frauen verglichen hat. Auch mit Herzinfarkten, wo die Frauen schlechter behandelt worden sind und auch eine höhere Mortalitätsrate hatten. Das sind Dinge, wo ich finde, dass wir das stärker in den Blickpunkt nehmen müssen, und das bedeutet natürlich auch, dass erstens mal Öffentlichkeit dazu hergestellt werden muss und dass sich auch Mediziner stärker dieser Dinge bewusst werden. Was man auf jeden Fall tun muss, man muss darüber offener reden als bisher, weil es passiert, ohne dass darüber gesprochen wird."

    Das hat Malis Klein getan, als der Arzt ihren Mann ohne weitere Untersuchung wieder nach Hause schicken wollte. Sie hat sein Recht eingefordert, weil sie schon vorher in einem Krankenhaus die Erfahrung machen musste, dass sie und ihr Mann als ältere Menschen die schlechteren Karten haben:

    "Ich habe auch das Gefühl: Weil wir älter sind, werden wir nicht mehr ernst genommen und auch nicht mehr in der Gesellschaft im Allgemeinen respektiert. Denn kranke Menschen sind ja ein Kostenfaktor."

    Ein Kostenfaktor, auf den der Finanzexperte Bernd Raffelhüschen an diesem Wochenende noch einmal deutlich hingewiesen hat: Allein die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung müssten bis 2045 auf sieben Prozent steigen – gegenüber 1,7 Prozent zur Zeit. Und er bezieht sich in seiner Berechnung darauf, dass dies nur gelte, wenn die bisher schon erbrachten Leistungen beibehalten würden. Für die Bundesregierung sind die Berechnungen Raffelhüschens kein Thema.

    In Bonn kämpft eine Initiative gegen Benachteiligung im Alter. Sie arbeitet gerade an einer neuen Kampagne gegen Altersdiskriminierung. Professor Dieter Hirsch ist der Gründer der Initiative, die sich HSM nennt: "Handeln statt Misshandeln". Der Professor engagiert sich für die Rechte älterer Patienten. Über das Notruftelefon seiner Initiative klagen täglich ältere Patienten über ähnliche diskriminierende Erfahrungen. Als Chefarzt einer Psychiatrischen Abteilung kennt er das Problem zudem aus seiner jahrelangen Praxis:

    "In den Köpfen vieler Ärzte findet es statt, dass Altern mehr oder weniger mit Altersabbau zusammengebracht wird, dass es sich nicht mehr lohnt, irgendwelche Behandlungen zu machen, die werden ja eh bald sterben – ein Unsinn sondergleichen. Viele alte Menschen sind heutzutage so lebendig, so gesund, dass sie die gleiche Behandlung wie ein Jüngerer haben sollten, haben müssten. Dies findet derzeit weniger statt. Wenn ich 80 oder 90 bin, ist es nicht so bei gleicher Erkrankung, dass ich die gleichen Chancen bekomme wie ein 20- bis 30-Jähriger."

    Genaue Regeln, wann bestimmte Therapien bei älteren Menschen nicht mehr vorgenommen werden, existieren allerdings nicht. Und so liegt die letzte Entscheidung, z.B. über eine lebensverlängernde Operation, allein bei den Ärzten. Eine Entscheidung, die manchen Mediziner offenbar überfordert. Das führe zur Ungleichbehandlung älterer und jüngerer Patienten und damit auch zur Rationierung medizinischer Leistungen. So die Erkenntnisse des Chefarztes des St. Josephstifts in Bremen, das gerade in der Versorgung von Senioren Vorbildcharakter hat. Thomas Brabant untersuchte, wie lange Patienten mit Osteoporose die von der Klinik verordneten Medikamente vom Hausarzt weiter verschrieben bekommen. Die Ergebnisse waren erschütternd:

    "Von den hundert Patienten, denen wir das gegeben haben, hatten nach einem Jahr nur noch 25 dieses Medikament. Und das ist ein schlechtes Ergebnis. Und es ist so, dass diese Patienten dieses Medikament auch gebraucht haben. Es kann schon sein, dass ein Prozentsatz dieses Medikament nicht weiter vertragen hat, ein Prozentsatz hat dieses Medikament entsprechend nicht weiter genommen, und ein gewisser und auch ein größerer Prozentsatz hat das Medikament eben nicht mehr verschrieben bekommen. Und das war eine sehr traurige Erkenntnis, die wir da gewonnen haben."

    Und das gerade bei einer Erkrankung wie der Osteoporose, bei der die Medikamente den Knochenabbau aufhalten, bei manchen die Knochen sogar wieder dichter machen könnten. Doch die Medikamente sind teuer und belasten das ärztliche Budget beträchtlich. Werden sie aber plötzlich abgesetzt, geht der Abbau der Knochen weiter. Stürze mit dramatischen Folgen wie Oberschenkelhalsbruch drohen – eine gefürchtete Verletzung im Alter, die nicht selten direkt in den Rollstuhl führt. Für Professor Gerd Glaeske, Mitglied im Sachverständigenrat für Gesundheitsfragen der Bundesregierung, ein Skandal:

    "Wenn ich heute in der medizinischen Versorgung Rationierung beobachte, d.h. das bewusste Vorenthalten von medizinisch notwendigen Leistungen – dann halte ich das einfach für zynisch und nicht adäquat bezogen auf die Mittel, die finanziellen Mittel, die im System sind. Wir haben die Mittel, um ältere Menschen zu behandeln, und wir haben offensichtlich nicht die Kompetenz, die Mittel richtig zu verteilen und richtig einzusetzen."

    Doch schon beim Umgang mit älteren Patienten wird diese mangelnde Kompetenz sichtbar. Franz Klein hätte eigentlich erwartet, dass ihm die Ärzte, nachdem sie ihn ja zuerst schwerkrank wieder heimschicken wollten, jetzt mit mehr Offenheit und Information begegnen würden. Doch er erlebt genau das Gegenteil:

    "Also, ich hatte den Eindruck, als ich im Krankenhaus war: Verschiedene Schwestern waren sehr zugänglich, aber wenn man sie was gefragt hatte, haben sie gesagt, das dürfen wir nicht beantworten, das müssen Sie den Arzt fragen. Dann habe ich den Arzt gefragt und bekam eine belanglose Antwort. Z.B. ich hatte gefragt, wie das mit meiner Luft sei und ob das Wasser schon aus der Lunge raus sei, und da bekam ich die Antwort: Sie werden hier gut behandelt, und am Freitag können Sie nach Hause gehen."

    Franz Klein aber fühlt sich gar nicht gut behandelt. Nach den wissenschaftlichen Erhebungen passiert es häufig, dass ältere Menschen im laufenden Krankenhausbetrieb oder in Arztpraxen als Belastung erlebt werden. Und das führt dazu, dass man ihnen nicht zuhört, wenn sie fragen - oder sie einfach nur mit banalen Antworten abspeist. Professor Gerd Glaeske dazu:

    "Ich glaube, dass ältere Menschen nicht immer adäquat behandelt werden, und ernst genommen werden sie auch nicht. Ältere Menschen stören oftmals den Ablauf in der Praxis. Sie sind etwas langsamer im Erzählen, sie haben mehrere Probleme, die sie darstellen müssen. Es dauert lange, bis sie zum Beispiel ausgezogen sind, insofern sind ältere Leute häufig eine von Ärzten so empfundene Belastung in der Behandlung. Die Folgen sind unterschiedlich, so dass z.B. nicht die richtigen Arzneimittel verordnet werden, dass man nicht genau hinschaut, was der ältere Mensch braucht. Auch in anderen Leistungen. Z.B. Schlaganfallpatienten, die dann zu wenig Sprachtherapie bekommen, zu wenig Ergotherapie, also Bewegungstherapie, das bedeutet, dass älteren Menschen oftmals etwas, was sinnvoll ist, vorenthalten wird und dass das nicht mit älteren Menschen gemacht wird, wie es das mit einem Jüngeren durchaus gäbe."

    Weil aufgefallen war, dass ältere Menschen oftmals wegen der Nebenwirkungen von Arzneimitteln in Krankenhäuser eingewiesen werden, hat Prof. Glaeske untersucht, welche Arzneimittel sie überhaupt bekommen. Dabei hat sich herausgestellt, dass bei Älteren 35 Prozent der Männer und 40 Prozent der Frauen neun Arzneimittel gleichzeitig bekommen:

    "Das bedeutet, sie haben keine Krankheit, deretwegen sie im Krankenhaus behandelt werden, sondern ausschließlich die Arzneimittelnebenwirkungen führen dazu, und insofern muss man darauf achten: Ältere Menschen können nur noch wenig Arzneimittel nebeneinander vertragen, ansonsten führt die Arzneimitteltherapie, die dann als Krankheit wirkt, zur Einweisung ins Krankenhaus und damit zur stationären Behandlung. Und das wäre völlig kontraproduktiv, und das wären Mittel verschwendet in einem System, in dem wir wirklich darauf schauen müssten, die Mittel richtig einzusetzen."

    Aber wie soll man sie richtig einsetzen, wenn nicht einmal bekannt ist, wie sie in welcher Altersklasse wirken? Es gibt kaum Studien, in denen Medikamente getestet werden, die zwischen Jungen und Alten, Frauen und Kindern unterscheiden. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Carola Reimann:

    "Die Medikamente werden in der Regel an jungen gesunden Männern getestet. Und das ist etwas, wo auch Frauen zum Beispiel nicht ausreichend berücksichtigt werden. Und das Alter ist nun mal weiblich, und diese Kombination ‚ältere Dame’ ist nicht als Probandin mit Medikamenten berücksichtigt, und deswegen haben wir wahrscheinlich auch eine Menge Nebenwirkungen, die gar nirgendwo erscheinen, weil die eben gar nicht an älteren Menschen getestet sind. Andererseits muss man dann aber auch klar sagen, dann bräuchten wir Studien mit Älteren, die sich freiwillig dafür zur Verfügung stellen, und das ist auch nicht einfach zu haben."

    Selbst der Gesetzgeber rationiert medizinische Leistungen ab dem 65. Lebensjahr. Das verrät der Betreuungsschlüssel in der Geronto–Psychiatrie, wo in erster Linie ältere, psychisch kranke Patienten zu finden sind. Gerade sie bräuchten mehr Betreuung, mehr Ansprache und mehr Arzt. Stattdessen werden Patienten auf diesen Stationen zu oft mit Beruhigungsmitteln wie Valium oder Hadol ruhig gestellt, meint Professor Gerd Glaeske:

    "Ältere Menschen bekommen tatsächlich häufig die schlechtere Betreuung. Es ist sozusagen der Betreuungsschlüssel, der hier gegen die älteren Menschen spricht, und wir haben auch das Problem zwischen Krankenkassen und Pflegeversicherung, dass es hier zu Schnittstellenproblemen kommt, und da werden insbesondere Menschen mit Demenz dabei baden. Es hat mal jemand gesagt, gebt uns mehr Pfleger, dann brauchen wir weniger HADOL: Wir brauchen aktivierende Pflege, wir brauchen mehr Unterstützung für ältere Menschen, damit sie wirklich auch eine würdige Form der medizinischen Versorgung bekommen. Das ist heute nicht der Fall. Heute werden oftmals ältere Menschen abgeschoben."

    Noch härter aber kann es Patienten treffen, die sich nicht mehr selbst helfen können und auf Pflege angewiesen sind, wie z.B. in den Abteilungen der Geronto-Psychiatrie und der Geriatrie.

    Hirsch: "Menschen, die alt, psychisch krank und dann auch noch pflegebedürftig sind, die sind in unserer Gesellschaft nicht gern gesehen, das heißt, sie werden diskriminiert, es wird ein Minimum für sie gemacht, es wird viel Geld ausgegeben, aber eine sinnvolle adäquate humane Therapie findet nicht statt. Ein großer Mangel ist im Rahmen der ärztlichen Weiterbildung aber auch schon in der Ausbildung, dass dieses Fach der Geriatrie und der Geronto-Psychiatrie minimalst gefördert wird, minimalst gelehrt wird, dass die Kompetenz, die in vielen anderen Ländern vorhanden ist, in Deutschland einfach noch kaum vorhanden ist."

    Möglicherweise ist es aber nicht nur die mangelnde Kompetenz, sondern auch die mangelnde Bereitschaft von Ärzten, bei Älteren psychische Erkrankungen zu diagnostizieren. Diese Einstellung scheint sich allerdings durch finanzielle Anreize des Staates durchaus ändern zu können. Darauf weist Hilke Brockmann von der Jakobs-Universität Bremen hin:

    "Wenn die Politik psychische Erkrankungen stärker belohnt oder die Diagnose dieser Erkrankung, dann reagiert auch die Ärzteschaft, dann werden solche Erkrankungen auch im Krankenhaus diagnostiziert. Das heißt, dass man durchaus das Gesundheitssystem steuern kann, verändern kann, die Frage ist nur, wohin man es verändern kann. Was sind eigentlich die Prioritäten, was sind die Wertvorstellungen, was wollen eigentlich die Patienten, wie soll eigentlich behandelt werden?"

    Das soll jetzt die neu eingerichtete Forschergruppe in Bremen herausfinden. So zum Beispiel, wie welche Altersklasse überhaupt behandelt werden möchte. Intensiv mit allen möglichen lebensverlängernden Maßnahmen oder individuell und ohne Apparate? Auf jeden Fall müsste aber dort etwas geschehen, wo Diskriminierung täglich passiert. In den Arztpraxen und Krankenhäusern. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Carola Reimann:

    "Sensibilisierung können Sie natürlich über verschiedene Arten erreichen. Drastisch kann man das natürlich auch über solche finanziellen Anreize machen, in diesem Projekt ist das offensichtlich so passiert. Die andere Möglichkeit wäre natürlich, in der Fort- und in der Ausbildung darauf stärker zu fokussieren, dass solche Dinge mit in den Blick genommen werden. Weil es wird ja immer verniedlicht das Thema, auch Depression im Alter. Das wird mit ‚Ja, alte Menschen sind nun mal leicht depressiv’ oder haben solche depressiven Phasen und das oft eben nicht als behandlungswürdiger Zustand gesehen wird."

    Viel wäre schon erreicht, wenn Ärzte ältere Menschen mehr nach ihrer gesundheitlichen Konstitution und weniger nach ihrem Alter beurteilen würden. Und wenn sie sich die Zeit nehmen würden, die ältere Menschen brauchen, um zu verstehen, welche Therapie was bringt. Dann könnten sie ihre eigenen Entscheidungen treffen. Denn längst sind nicht immer Angehörige da, um für lebensverlängernde Therapien zu kämpfen oder sie zu verhindern. Und die Ausbildung der Mediziner sollte auch die Alterskrankheiten einbeziehen. Professor Hirsch:

    "Um dieser Diskriminierung im Gesundheitswesen vorzubeugen, brauchen wir erstens eine deutlich verbesserte Ausbildung der Ärzte an der Universität. Im Rahmen der Weiterbildung sollte jeder Arzt, der in die Praxis geht und in der Klinik tätig ist, auf jeden Fall die Physiologie, Pharmakogenethik aber auch die psychischen Seiten des Alterns lernen und in der Praxis erfahren und erleben. Das dritte ist, wir brauchen hierfür auch die Krankenkassen, die das unterstützen und auch bezahlen. Behandlung muss bezahlt werden. In der Pflege könnte man dann wahrscheinlich deutlich wieder einsparen. Die nächste Seite ist, dass wir uns alle mehr darum kümmern sollten, das, was möglich ist in der heutigen Medizin, was notwendig ist, auch durchzusetzen und durchzuführen und nicht weil jemand alt ist zu sagen, das ist egal."

    Für Franz Klein aber kommt das alles zu spät. Seine Frau Malis hat bis vor zwei Wochen noch darum gekämpft, dass er medizinisch besser versorgt wird. Jetzt haben sie beide den Kampf verloren. Seine Frau sagt, weil keiner seiner Ärzte ihm wirklich und mit dem nötigen Nachdruck geholfen habe. Wegen seiner starken Schmerzen habe sie erst den Hausarzt, dann den Internisten angerufen. Der Internist habe abgelehnt und sie auf den Hausarzt verwiesen. Dieser habe vier lange Tage versprochen zu kommen. Er sei aber nicht gekommen, sondern in Urlaub gegangen. Zuvor habe er ihr empfohlen, als Vertretung die Diabetes-Fachärztin ihres Mannes zu holen. Malis Klein sei daraufhin zu ihr in die Praxis gegangen, um sich bei ihr Rat zu holen. Obwohl Franz Klein dort schon seit einem Jahr Patient war, soll ihr der verweigert worden sein. Der Grund: Sie habe weder eine Überweisung dabei noch die zehn Euro für die Praxisgebühr. Auch das Versprechen, den Schein nachzureichen, habe nichts geholfen. Soweit die Schilderung der Ehefrau. Am nächsten Morgen verstarb ihr Mann. In der Todesanzeige schrieb sie verbittert:

    ""Abschied ist ein scharfes Schwert: ein Kostenfaktor weniger. Durch die Gesundheitsreform war die nötige medizinische Versorgung nicht mehr gegeben. Nach schwerer Krankheit verstarb am 17. Juli 2007 mein Ehemann, unser Vater, Opa und Bruder im Alter von 74 Jahren, Franz Karl Klein.""