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Wenn die Schreiber schwinden

Internet.- Im österreichischen Dornbirn trafen sich nun die Macher der deutschsprachigen Wikipedia zur Wikicon 2012. Das alles überschattende Thema: Dem Online-Lexikon gehen die Autoren aus.

Von Achim Killer | 08.09.2012
    "Ja, das Mikrofon wandert..."

    Plötzlich taucht er wieder auf, der Wiener Donauturm, 500 Kilometer westlich, in Dornbirn in Vorarlberg, mitten in der Diskussion zum Thema "Herausforderungen der Wikimedia-Bewegung" - auf der Wikicon 2012. Vor drei Jahren hatten sich Online-Enzyklopädisten seinetwegen heillos zerstritten, über die Frage, ob es sich dabei denn eigentlich um einen Fernseh- oder einen Aussichtsturm handelt.

    "Also man muss zum Donauturm wirklich sagen: Er wurde nie als Fernsehturm genutzt. Er wird auch nie als Fernsehturm genutzt werden. Warum soll dann im Artikel stehen: Es ist ein Fernsehturm? Ja. Also den Kompromiss kann es auch nicht geben, weil wir sonst ziemlich in der Beliebigkeit sind."

    Mit Sicherheit über den Donauturm sagen kann man, dass er keiner der in der Wissenschaft heute so beliebten Leuchttürme ist. Aber er wirft ein Schlaglicht auf die Diskussion unter Wikipedianern. Immer öfter wird die von Rechthabern und Besserwissern bestimmt. Manchmal geht es zu wie in einem Kleintierzüchterverein. Und wo Vereinsmeier sind, da ist der Ruf nach der Satzung nicht fern. Der Wikipedia-Autor Tobias Klenze:

    "Das Hauptproblem, was ich sehe, ist, dass die Wikipedia-Gemeinschaft sehr konservativ geworden ist. Also früher war es so, man hat sich überlegt, was wäre denn sinnvoll. Und dann hat man es auf eine Wikipedia-Seite geschrieben. Und mit der Zeit wurde das eine Regel."

    Und von diesen Regeln gibt es mittlerweile viele. Sie engen die Autoren oft ein und vergällen ihnen die Freude am Schreiben. Hinzu kommt, dass Wikipedia in den Augen vieler eigentlich fertig ist: 1,4 Millionen Artikel umfasst allein die deutsche Ausgabe. Da gibt es kaum noch lexikalisches Neuland, das betreten werden könnte. Und bestehende Artikel lassen sich nur mit sehr viel Expertenwissen um Details ergänzen. Auch das vermindert den Spaß am Mitmachen. Die Folge: Autoren steigen aus. Neue kommen nicht hinzu. Der Wikipedianer Professor Falko Wilms von der Fachhochschule Vorarlberg, der die Wikicon nach Dornbirn eingeladen hat:

    "Es gibt verschiedene statistische Programme, die einiges auswerten. Und Fakt ist: Es gibt weniger Mitschreibende. Und die, die mitschreiben, die bleiben nicht so lange dabei wie früher."

    Und das jüngste Wikipedia-Projekt dürfte das Problem noch verschärfen. Wikidata heißt es. Pavel Richter, Vorstand der Wikimedia Deutschland, erläutert:

    "Das wird eine freie editierbare Datenbank sein, auf die jeder Mensch zugreifen kann, um strukturierte Daten frei nutzen zu können. Also das, was Wikipedia für Texte ist, wird Wikidata für Daten sein. Und ich bin überzeugt davon, dass das ein riesiger Entwicklungsschritt sowohl für die Wikipedia, als auch fürs Netz im Großen sein wird."

    Wikipedia soll Wikidata nutzen, um die Konsistenz aller Artikel einer Ausgabe sicherzustellen und die Konsistenz aller verschiedensprachigen Ausgaben. Also nicht jeder Autor, in dessen Artikel beispielsweise ein Fernsehturm vorkommt, muss dann eruieren, wie hoch der ist. Er verlinkt stattdessen auf einen Request in Wikidata. Bei Höhenangaben ist das problemlos, räumt der Wikipedianer Frank Müller aus Baden-Württemberg ein. Aber ansonsten ist er skeptisch:

    "Man kann sagen, es gibt zwei Bereiche. Der eine Bereich ist einfach. Es gibt Daten, die kann man international betrachten. Man kann sagen: Der Fernsehturm von Stuttgart ist so und so viel Meter hoch. Da wird nicht viel diskutiert werden. Aber es gibt einen anderen Bereich, der mehr in Richtung Kultur geht, wo man Daten nur schlecht vergleichen kann."

    Aber darüber diskutiert werden muss künftig nicht nur über Artikel, sondern auch über Daten. Und diese Debatte muss nicht nur innerhalb eines Kulturkreises geführt werden und in der entsprechenden Sprache, sondern international – wahrscheinlich auf Englisch, einer zwar mächtigen Sprache, die aber natürlich nicht alle Nuancen anderer Sprachen abdeckt. Auf die eh schon problematische Diskussionskultur des bislang erfolgreichsten Web2.0.-Projekts kommt also eine weitere gewaltige Herausforderung zu.