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Wenn drei sich streiten

Die Entwicklung war abzusehen, und trotzdem war er für manchen Zeitgenossen eine Katastrophe: Der Vertrag von Verdun im Jahre 843. Das Abkommen beendete den 14-jährigen Machtkampf innerhalb der Herrscherdynastie der Karolinger - und bedeutete das Ende des einheitlichen Reiches.

Von Christian Berndt | 10.08.2008
    Es wird ein furchtbares Gemetzel. Bei Fontenoy, südlich von Paris, treffen die Heere der drei Söhne von Kaiser Ludwig dem Frommen aufeinander. Es geht um nicht weniger als die Existenz des gesamten Frankenreiches. Ein Jahr zuvor ist der Kaiser gestorben, jetzt kämpfen seine Söhne ums Erbe. Als Sieger der Schlacht gehen die Brüder Ludwig und Karl vom Feld, Lothar muss sich zurückziehen. Ein Jahr später treffen sich die Kaisersöhne. Mit einem Vertrag soll der Machtkampf in der Herrscherdynastie der Karolinger beendet werden, der das Reich über 10 Jahre erschüttert hat.

    Am 10. August 843 wird feierlich der Vertrag von Verdun geschlossen. Das riesige Frankenreich, auf dessen Gebiet unter anderem das heutige Frankreich, halb Italien und das westliche Deutschland liegen, wird zwischen den Kaisersöhnen aufgeteilt: in ein westliches, östliches und mittleres Reich. Endlich herrscht Frieden, aber für manchen Zeitgenossen, wie den Kirchenpolitiker Florus von Lyon, ist es eine Katastrophe:

    Ihr Berge und Hügel, ihr Wälder und Flüsse, betrauert das Volk der Franken, das, durch die Güte Christi zum Kaisertum erhoben, jetzt im Staub versunken liegt. Das geeinte Reich ist jetzt dreifach geteilt. Schon gilt keiner mehr als Kaiser, an die Stelle des Königs trat ein Zaunkönig, und Trümmer ersetzen das Gesamtreich.

    Die drei Kaisersöhne scheinen das Vermächtnis ihres Großvaters zu verspielen: Karls des Großen. Im Jahre 800 war er in Rom vom Papst zum ersten Kaiser seit der Antike gekrönt worden. Denn durch die Schaffung des mächtigen Frankenreiches hatte sich Karl als legitimer Erbe der römischen Imperatoren erwiesen. Der Mittelalter-Historiker Michael Borgolte.

    "Außerdem war Karl der Große durch seine Eroberungen und durch seine Politik zu einem zweifellos übernationalen König herangewachsen, dem auch schon vor der Kaiserkrönung selbst eine kaisergleiche Stellung zugebilligt worden ist. Und zwar nicht nur im Frankenreich, sondern allenthalben in Europa."

    Was aus diesem Reich nach Karls Tod wird, ist ein zentrales Problem. Nach fränkischem Recht hat ein Landesherr den Besitz zu gleichen Teilen an seine Söhne zu vererben, das heißt, nach dem Tode des Herrschers muss das Reich aufgeteilt werden. Beim Tode Karls des Großen 814 stellt sich das Problem nicht, denn nur ein Sohn überlebt ihn: Ludwig, genannt "der Fromme". Als neuer Kaiser beginnt er mit einem Reformprogramm, sein zentrales Anliegen ist die Wahrung der Reichseinheit. Gegen das fränkische Gewohnheitsrecht führt Ludwig eine Erbschaftsregelung ein, die das Reich künftig unabhängig von den Ansprüchen der Kaisererben bewahren soll. In der 817 erlassenen ordinatio imperii heißt es:

    Es erschien uns und denjenigen, die vernünftig denken, keineswegs richtig, aus Liebe zu den Söhnen die Einheit des Reiches durch menschliche Teilung aufzuspalten.
    Ludwig der Fromme ernennt seinen ältesten Sohn Lothar zum Nachfolger. Die beiden jüngeren Söhne erhalten eigene Königreiche, sind aber dem Bruder eindeutig untergeordnet. Das Gesetz, ein Bruch des fränkischen Erbrechts, wird dennoch von den Söhnen zunächst geschluckt. Aber 829 stürzt der wankelmütige Ludwig das Reich in eine Krise, als er selbst gegen das Teilungsverbot verstößt und seinem Sohn Karl aus zweiter Ehe ebenfalls ein Erbteil zuschanzen will. Jetzt sind die anderen Söhne nicht mehr bereit, das Erbfolgegesetz hinzunehmen, die Folge ist ein 14 Jahre langer Familienkrieg. Erst der Vertrag von Verdun beendet das Chaos. Das Ergebnis ist ein Kompromiss. Das Reich wird zwischen den drei überlebenden Söhnen aufgeteilt, bleibt aber als Einheit unter dem Dach eines symbolischen Kaisertums erhalten.

    "Die Idee des Kaisertums war nicht obsolet, das Kaisertum hat ja überlebt. Aber die Idee eine einheitlichen Kaiserreichs, in dem ein einziger Herrscher die Dominanz über die Brüder ausübt, diese Idee war obsolet."

    Das riesige Frankenreich, das Karl der Große noch zusammenhielt, kann unter den Nachfolgern nicht mehr bewahrt werden. Der Vertrag von Verdun trägt den Realitäten Rechnung und hält sich von Visionen, wie sie Ludwig der Fromme mit seinen Ideen zur Reichseinheit verfolgt hatte, fern. Und doch erweist sich die Dreiteilung als erstaunlich langlebig und wirkt bis heute. Im Laufe der Zeit verschwindet nur der mittlere Teil. Das West- und das Ostreich aber bleiben, aus ihnen werden später einmal Frankreich und Deutschland.