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"Wenn entlassen wird, leidet die Konjunktur"

"Solange Kurzarbeit möglich ist, darf es keine Entlassungen geben. Dafür setzen wir uns als IG Metall ein", kündigt IG-Metaller Detlef Wetzel an - und fordert einen langen Atem krisengeplagter Firmen.

    Sandra Schulz: Zumindest nach der technischen Definition: die schwerste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik ist beendet. Zum ersten Mal seit Anfang 2008 ist die Wirtschaft wieder gestiegen: um 0,3 Prozent. Von einem ersten zarten Pflänzchen spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gemeinsam mit Frankreich hat Deutschland im Frühjahr den Konjunktureinbruch auch im Euro-Raum nahezu gestoppt. Weltweit könnte es jetzt aufwärtsgehen. Was heißt das für die Arbeitnehmer? – Darüber hat meine Kollegin Anne Raith mit Detlef Wetzel gesprochen, dem zweiten Vorsitzenden der IG Metall. Zuerst hat sie ihn gefragt, ob jetzt Entwarnung gegeben werden könne.

    Detlef Wetzel: Na ja, ob es eine Entwarnung ist, das weiß ich nicht. Auf alle Fälle ist es ein gutes Signal, dass sich die wirtschaftliche Talfahrt zumindest abgebremst hat und wieder Licht am Horizont zu sehen ist. Wir sind sehr froh darüber, dass die Lage sich entsprechend positiv entwickelt.

    Anne Raith: Würden Sie denn auch von einem Ende der Rezession sprechen?

    Wetzel: Nein, mit Sicherheit nicht, denn dass wir nicht noch tiefer runtergegangen sind in der wirtschaftlichen Entwicklung, ist positiv, aber wir haben ja trotzdem mehrere%e des Bruttosozialproduktes verloren und die wirtschaftliche Entwicklung ist gerade im industriellen Bereich außerordentlich problematisch und ein Ende der Krise ist keinesfalls dadurch eingeläutet.

    Raith: Was geben Sie denn auf solche Prognosen, die ja in ähnlicher Form, hat man in der letzten Zeit das Gefühl, ständig getroffen werden?

    Wetzel: Da hört man ja Montag die Prognose und Dienstag wird was anderes prognostiziert. Ich weiß nur, dass es wichtig sein wird, dass wir in Deutschland einen langen Atem brauchen, dass wir keine Entlassungen in dieser Krise provozieren, dass die Unternehmen sich weiterhin mit Kurzarbeit über die Runden helfen und dass wir alles tun, damit die wirtschaftliche Entwicklung wieder nach oben geht.

    Raith: Wenn es jetzt schon möglicherweise ein erstes Aufatmen gibt, wann spüren denn die Arbeitnehmer endlich das Ende der Krise?

    Wetzel: Ich glaube, sie werden es erst mal gar nicht spüren, weil die Krise ist noch tief genug, die Produktionsrückgänge sind noch groß. Sie sind nicht noch größer geworden, was ja positiv ist, aber wir haben noch lange nicht das Niveau des letzten Jahres erreicht. Das wird noch einige Jahre benötigen und in der Zeit wird das Thema Arbeitsplatzunsicherheit weiterhin ein bestimmendes Thema in Deutschland bleiben.

    Raith: Was bieten denn in dieser Form die Gewerkschaften an?

    Wetzel: Wir sagen auf alle Fälle, keine Entlassungen in der Krise. Die Unternehmen haben in den letzten Jahren viel verdient, sie müssen das, was sie verdient haben, einsetzen zur Sicherung von Arbeitsplätzen, und vor allen Dingen: Sie müssen die Angebote der Bundesregierung intensiv nutzen, nämlich Kurzarbeit zu fahren und den langen Zeitraum, in dem Kurzarbeit möglich ist, auch tatsächlich ausnutzen. Solange Kurzarbeit möglich ist, darf es keine Entlassungen geben. Dafür setzen wir uns als IG Metall ein.

    Raith: Aber die Kurzarbeit wird ja nun auslaufen und dann drohen Massenentlassungen.

    Wetzel: Die Kurzarbeit kann zwei Jahre verfahren werden und für die allermeisten Firmen ist der Kurzarbeitszeitraum noch möglich bis Ende nächsten Jahres. Bis dahin wird sich hoffentlich die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin noch so positiv entwickelt haben, dass dann das Thema Kurzarbeit kein Thema mehr ist und das Thema Arbeitsplatzunsicherheit auch nicht. Da müssen wir schon die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Sie haben viel verdient und sie müssen jetzt das, was sie verdient haben, auch im Sinne von Zukunftssicherung für die Arbeitnehmer einsetzen.

    Raith: Aber wir scheinen ja jetzt schon einen ersten Vorgeschmack zu bekommen auf die Entlassungswellen, wenn man hört Insolvenz bei Escada, Entlassungen bei Primondo. Wie passt das jetzt zusammen?

    Wetzel: Es passt gar nicht zusammen, aber es hat nicht unbedingt etwas mit dieser Krise zu tun. Ein Teil dieser Firmen, die Sie genannt haben, wäre ja in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen auch ohne diese wirtschaftliche Krise. Hier geht es im Wesentlichen um die Firmen, die nur wegen dieser Finanzkrise in Turbulenzen gekommen sind, dass die den Atem lang genug haben und sich dafür einsetzen, ihre Belegschaften zu halten, Kurzarbeit einsetzen und auch entsprechende Vermögensbestandteile von Anteilseignern einsetzen, damit es eben nicht zu Entlassungen kommt. Die verschiedenen Fälle, die Sie eben genannt haben, das sind Sachverhalte, die sich aus anderen Konstruktionen, aus anderen Problemstellungen der Vergangenheit ergeben haben.

    Raith: ... die jetzt aber in die Krise fallen?

    Wetzel: Richtig und deswegen ist jede Entlassung, die stattfindet, eine Verschärfung der Krise, und jeder, der Entlassungen verhindert, leistet einen ganz wichtigen Beitrag dafür, dass die wirtschaftliche Erholung schnell vorankommt.

    Raith: Zum Jahresbeginn hieß es von der IG Metall, 2009 darf es keine Entlassungen geben. Bleiben Sie dabei, oder müssen die Forderungen jetzt nicht in Zeiten der Krise angepasst werden?

    Wetzel: Nein. Wir sind fest davon überzeugt, dass es keine Entlassungen in der Krise geben muss wegen dieser Wirtschaftskrise, dass das Instrument der Kurzarbeit intensiv weiter genutzt werden kann, die Qualifizierung in der Kurzarbeit genutzt werden kann. Kein Unternehmer wäre verpflichtet oder gezwungen, Entlassungen auszusprechen. Wir haben nichts zu korrigieren, sondern die Unternehmer, die jetzt langsam mit dem Gedanken spielen, keine Kurzarbeit mehr zu verfahren, sondern Menschen zu entlassen, die können wir nur dringend auffordern, von diesem Irrweg abzugehen, denn wenn die Konjunktur wieder nach oben geht, fehlen Facharbeiter. Wenn entlassen wird, leidet die Konjunktur, leidet die Binnennachfrage, denn das, was an positiver Bruttosozialproduktentwicklung in den letzten drei Monaten stattgefunden hat, ist ja nicht zuletzt dem privaten Verbrauch geschuldet gewesen, und Arbeitslosigkeit ist natürlich ein Instrument, was den privaten Verbrauch in Deutschland abwürgt.

    Schulz: Detlef Wetzel, der zweite Vorsitzende der IG Metall, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte meine Kollegin Anne Raith.