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"Wenn man gegen dieses Gesetz ist, müsste man gegen alle Landespolizeigesetze sein"

Die sächsische SPD hat am Wochenende die Novelle des BKA-Gesetzes abgelehnt. Da sie mit der CDU regiert, ist die Zustimmung Sachsens zum Gesetz im Bundesrat gefährdet. Der innenpolitischer Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, reagiert gelassen und verweist explizit auf die Verfassungskonformität des Entwurfs.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 17.11.2008
    Friedbert Meurer: Ein wichtiges Projekt der Großen Koalition steht auf der Kippe: das BKA-Gesetz. Und das alles, weil am Wochenende die SPD in Sachsen auf ihrem Landesparteitag beschlossen hat, dieses Gesetz, das die Befugnisse des Bundeskriminalamts neu regelt, dürfe so nicht kommen. Und da die SPD in Sachsen in einer Koalition mit der CDU ist, bedeutet das, dass die sächsische Landesregierung sich vermutlich im Bundesrat der Stimme enthalten wird, und damit hätte dort das BKA-Gesetz keine Mehrheit mehr. – Dieter Wiefelspütz ist innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Maßgeblich hat er die Reform mitgeprägt. Und Jürgen Zurheide hat ihn gestern Abend zunächst gefragt, ob die Mehrheit für das BKA-Gesetz nun verloren sei.

    Dieter Wiefelspütz: Nein, überhaupt nicht. Ich reagiere eher gelassen. Natürlich ist das überraschend, diese Wendung. Damit habe weder ich, noch vermutlich sonst jemand gerechnet, dass ein Landesparteitag in Sachsen sich so äußert. Aber über die Entscheidung einer Landesregierung im Bundesrat am 28. November, wenn es um dieses Gesetz geht, darüber entscheidet letztlich die Landesregierung selber und da wird abzuwarten sein, wie sich die Landeskabinette entscheiden. Das bezieht sich im Übrigen nicht nur auf Sachsen, sondern auch auf viele andere koalitionsregierte Länder.

    Jürgen Zurheide: Nun hat Thomas Jurk, der Landesvorsitzende, gesagt, er fühlt sich schon gebunden an das, was die Parteifreunde dort mit Mehrheit beschlossen haben, und damit müsste man eigentlich ja davon ausgehen, dass die sächsische Regierung sich dann enthalten muss. Das wollen wir mal so stehen lassen. Was haben die Genossen denn möglicherweise in Sachsen nicht verstanden, denn Sie sind ja eher dafür, dass sie heute so abgestimmt haben?

    Wiefelspütz: Ich bin nicht eher für dieses Gesetz, sondern ich habe es maßgeblich mitgestaltet. Es wäre ja ziemlich komisch, wenn ich nun auf einmal Probleme mit diesem Gesetz hätte. Dieses Gesetz, die BKA-Novelle, wie wir das immer verkürzt sagen, ist nichts anderes als ein völlig normales Polizeigesetz. Wenn man gegen dieses Gesetz ist, müsste man gegen alle Landespolizeigesetze sein. Das einzige was wirklich neu ist, ist die Online-Durchsuchung. Die ist nun millimetergenau so im Gesetz abgebildet worden, wie das Bundesverfassungsgericht es in einer sehr bemerkenswerten Entscheidung für verfassungskonform gehalten hat, und insoweit habe ich persönlich nicht nur keine Probleme mit diesem Gesetz; ich halte es für das beste Polizeigesetz, was wir in Deutschland haben, weil es die sehr strenge Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit einbezieht, wie das bei keinem anderen Landesgesetz der Fall ist. Also die Genossen in Sachsen müssten möglicherweise das eigene Polizeigesetz in Sachsen anzweifeln, wenn sie gegen diese BKA-Novelle sind, aber das ist jetzt vielleicht nur Geplänkel am Rande.
    Ich bin sehr gelassen. Ich warte ab, was im Bundesrat entschieden wird. Das Gesetz ist ein zustimmungsbedürftiges Gesetz. Es wird nur in Kraft treten, wenn die Bundesländer dazu Ja sagen. Ich denke, wir sollten die Geduld haben abzuwarten, bis die Entscheidung da ist. Jedenfalls ein Landesparteitag, vor dem ich natürlich Respekt habe, entscheidet nicht über das Abstimmungsverhalten einer Landesregierung im Bundesrat.

    Zurheide: Nun gibt es dennoch eine Menge an Kritik, und Sie wissen das ja auch, dass es heftige Kritik gibt, so auch unter der Überschrift "steter Tropfen höhlt den Stein" und irgendwann bleiben die Bürgerrechte auf der Strecke. Sie sehen das gar nicht so. Warum ist die Diskussion so schwierig, oder warum haben Sie diejenigen, die das genau anders sehen, bisher überhaupt nicht überzeugen können, denn es geht ja weit bis hin in manche Bürgerrechtsgruppen und es gibt möglicherweise auch wieder Klagen vor dem Verfassungsgericht?

    Wiefelspütz: Ich nehme natürlich diese Einwände schon sehr ernst. Ich hätte mir gewünscht, beispielsweise selber auf dem sächsischen Parteitag der SPD dabei sein zu dürfen und vielleicht auch mit zu argumentieren in dieser Angelegenheit. Ich sage Ihnen mal mit etwas Pathos, aber mit der festen Überzeugung: Wir leben in Deutschland in dem qualifiziertesten Rechtsstaat weltweit. In keinem Land dieser Welt, noch mal: In keinem Land dieser Welt werden die Grundrechte der Bürger so ernst genommen wie in unserem Land. Nirgendwo gibt es ein Verfassungsgericht mit dieser Machtfülle und mit diesem Ansehen wie unser Bundesverfassungsgericht. Nirgendwo kann ein Bürger jedes Gesetz anfechten. Das letzte Wort in Deutschland hat nicht etwa die Politik, sondern immer unser höchstes Verfassungsgericht. Wir haben Standards, gerade was Bürgerrechtsschutz angeht, die es weltweit nirgendwo gibt. Das war vor dieser BKA-Novelle so und das ist nach dieser BKA-Novelle so. Ich wundere mich manchmal über diese Art der Diskussion. Ich habe den Eindruck, dass nicht wirklich gewürdigt wird, auf welchem hohen, außerordentlich hohen Niveau, was Rechtsstaatlichkeit angeht, wir in Deutschland leben, zum Glück leben.

    Zurheide: Das heißt, Änderungen sehen Sie im Moment noch überhaupt keine und auch noch keinen Änderungsbedarf?

    Wiefelspütz: Ich bin immer für eine breite, offene Diskussion. Das ist ja konstitutiv für eine Demokratie. Insoweit wird man auch immer über Bedenken reden können. Das ist das Normalste von der Welt. Ich bin auch letzten Endes gelassen, was die Entscheidung im Bundesrat angeht. Aber die Debatten und Beiträge haben für mich zum Teil einen aus meiner Sicht wirklich irrationalen Charakter. Ich nehme Ängste ernst, aber sie müssen ja nun wohl irgendwo auch einen rationalen Kern haben und wenn das nicht der Fall ist, wird eine Debatte auch sehr schwierig.