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"Wenn man wirklich entscheiden möchte, muss man regieren!"

Im Vorfeld der Sondierungsgespräche zwischen CDU und Grünen in Baden-Württemberg, hat der Grünenpolitiker Cem Özdemir die Vermutung geäußert, Ministerpräsident Günther Oettinger wolle lieber mit den Grünen koalieren, als mit dem bisherigen Koaltionspartner FDP. Dies würde einen Kurswechsel "von der Bildungspolitik über die Frage Verkehrspolitik bis zur Frage Integrationspolitik" im Land ermöglichen.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Sie sitzen seit 26 Jahren im Landtag und haben deswegen eine große Sachbezogenheit erreicht, sagt kein geringerer als Günther Oettinger, gerade von den Wählern als Regierungschef in Baden-Württemberg bestätigt. Dabei hatte Oettinger nicht seine CDU-Fraktionskollegen gemeint oder gar die Kollegen von der FDP, immerhin der amtierende Koalitionspartner. Gemeint sind die Grünen. So will der schwarze Ministerpräsident mit der grünen Opposition heute noch einmal zu Sondierungsgesprächen zusammenkommen. Eine Koalition schließt er ausdrücklich nicht aus, ganz im Gegenteil, zum Ärger der Liberalen. Es wäre die erste Zusammenarbeit auf Länderebene zwischen CDU und den Grünen und es wäre schon eine zumindest kleine politische Revolution. Auch die Stimmung an der christdemokratischen Basis ist gar nicht so antigrün, hören wir aus dem Musterländle. Und dort begrüßen wir den grünen Europapolitiker Cem Özdemir. Guten Morgen!

    Cem Özdemir: Guten Morgen Herr Müller!

    Müller: Herr Özdemir, ist das heute, dieses Sondierungsgespräch, noch einmal zusammenkommen mit Günther Oettinger, eine Frage der Ehre?

    Özdemir: Das liegt an Günther Oettinger, ob er ernsthaft Gespräche mit uns führt mit dem Ziel zu entscheiden, was für das Land besser ist, oder ob er den Preis hochtreiben möchte gegenüber der FDP, die ja nichts sehnlicher erwarten kann, als dass sie wieder an die Fleischtöpfe kommt, wieder in der Koalition sitzen kann mit der CDU. Meine Befürchtung ist, dass er sich im Zweifelsfall dann doch für den bequemeren Partner entscheiden wird. Das ist die FDP, die nichts verlangt, außer dass sie in die Regierung kommt. Das wird sicherlich zum Wohl der FDP sein, aber nicht unbedingt des Landes.

    Müller: Was sagt Ihnen Ihr Gefühl, was Günther Oettinger will?

    Özdemir: Ich glaube persönlich will er sicherlich eher die Koalition mit uns, den Neubeginn, was ihm sicherlich auch eine Chance geben würde, den Kurswechsel, den er vielleicht in der einen oder anderen Frage gerne machen würde, eher durchzuführen. Er wird sich aber nicht trauen, gegen seinen Parteiapparat, gegen die Konservativen in der CDU diesen Neubeginn zu wagen, denn natürlich wäre damit auch ein Kurswechsel in vielen Fragen verbunden, von der Bildungspolitik über die Frage Verkehrspolitik bis zur Frage Integrationspolitik. Denken Sie an den Fragebogen, den der Innenminister dort entwickelt hatte. In all diesen Fragen wäre mit Sicherheit ein ziemlich drastischer Kurswechsel notwendig. Die FDP würde das nicht machen. Mit uns wäre eben verbunden, dass in manchen Politikbereichen Baden-Württemberg die Politik ändern müsste.

    Müller: Der Ministerpräsident hat ja in jüngeren Jahren immer wieder auch mit den Grünen geliebäugelt, auch sehr, sehr viel mit den Grünen immer geredet, auch hinter den Kulissen. Ist er ein grüner Konservativer?

    Özdemir: Er ist sicherlich kein Grüner. So viel steht fest. Deshalb ist er ja auch bei der CDU und Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Er hat aber in einigen Punkten, denken Sie an die traditionelle Familienpolitik der Union in Baden-Württemberg, an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zumindest verbal einen Kurswechsel vorgenommen und hat sich ein bisschen abgesetzt von der traditionellen Unionsposition, die Frauen ein schlechtes Gewissen gemacht hat, wenn sie eben Familie und Beruf vereinbaren wollen. Denken Sie aber auch an die erneuerbaren Energiequellen, wo zumindest verbal auch ein Kurswechsel vorgenommen wurde, auch wenn er gleichzeitig von der Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke spricht. Das sind Bereiche, wo man sich näher kommt. Es gibt andere Bereiche in Baden-Württemberg, wo die Grünen wiederum traditionell eine sehr kritische Position haben. Das ist die Frage Haushaltsdisziplin, wo wir Wert darauf legen, dass Nachhaltigkeit für uns eben auch beinhaltet, dass der Haushalt nachhaltig sein muss. In all diesen Bereichen gibt es einen Schatz an Gemeinsamkeiten. Es gibt allerdings einen anderen Bereich; dort gibt es traditionell immer Probleme in Baden-Württemberg mit den Grünen und der CDU. Das ist zum einen die Bildungspolitik, dreigliedriges Schulsystem, Ganztagesschule, und auf der anderen Seite die Bürgerrechtspolitik, wo die CDU Baden-Württembergs leider traditionell einen sehr restriktiven Ruf hat. Hier müsste sich die Union bewegen, damit Gespräche ernsthaft Sinn machen. Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder andere in der CDU gerne sich hier bewegen würde, aber die Frage ist natürlich - die CDU-Landtagsfraktion, wer sitzt da eigentlich? Sitzen da Leute, die diesen Kurswechsel wollen und damit Oettinger unterstützen würden, oder sitzen da Leute, die eher dem alten Denken verhaftet sind und im Zweifelsfall dann doch lieber die FDP als bequemeren Koalitionspartner vorziehen.

    Müller: Herr Özdemir, wie ist das denn mit den Grünen selbst, die Stimmung dort an der Basis? Ist das absurd, mit der CDU etwas zu machen, oder hat man das im Hinterkopf schon immer irgendwie gehabt?

    Özdemir: Sicherlich wird es so sein, wenn man ernsthaft Koalitionsverhandlungen mit der CDU führen sollte, wird man das gut erklären müssen, wird man das gut begründen müssen und wird vor allem klar machen müssen, was inhaltlich für die Grünen heraus kommt, denn so etwas ließe sich nur inhaltlich begründen durch einen entsprechenden Koalitionsvertrag, der klar macht, an welchen Stellen auch eine grüne Handschrift klar erklärbar ist. Ich glaube aber, dass die Feindbilder zwischen CDU und Grünen nicht mehr so extrem sind, wie das früher noch der Fall war, wo klar war, dass das quasi das extreme politische Spektrum ist. Das hat sich doch ein bisschen geändert auch dadurch, dass natürlich in Baden-Württemberg die SPD traditionell sehr schwach ist und dass man auf der anderen Seite auch von den Kommunen her sich kennt, sich kennen gelernt hat und über die vielen Jahre der Arbeit im Landtag doch der eine oder andere Kontakt entstanden ist. Mein Eindruck ist, dass gerade bei den Jüngeren in der CDU und bei den Jüngeren bei uns keine Feindbilder mehr vorhanden sind. Sie haben aber Recht: Gerade bei Älteren ist es zum Teil schon noch ein sehr konfrontativer Stil.

    Müller: Und Franz Müntefering hat gesagt, Opposition ist Mist. Hat er da Recht?

    Özdemir: Das will ich so pauschal nicht sagen. Gerade die Grünen in Baden-Württemberg haben den Spruch geprägt, die gute Opposition regiert immer mit. Und wenn Sie schauen, in welchen Punkten die Union viele Jahre später manchmal Punkte, die die Grünen mal eingebracht haben, übernommen hat. Denken Sie an die kinderfreundliche Politik, die Herr Oettinger sich jetzt auf die Fahnen geschrieben hat. Das war mal ein grünes Motto. Denken Sie an die Frage mit dem Sonnenstandort Baden-Württemberg. Auch das war mal ein grünes Motto. Ich habe so das Gefühl, immer das, was die Grünen gerade als Wahlkampfmotto machen, ist ein Wahlkampf später immer das Motto der CDU. Insofern haben wir in Baden-Württemberg bewiesen: man kann auch als Opposition indirekt mitregieren, indem man Mehrheiten organisiert. Aber klar ist natürlich: Wenn man wirklich entscheiden möchte, muss man regieren!

    Müller: Schauen wir mal über Stuttgart, über Baden-Württemberg hinaus. Brauchen die Grünen neue Koalitionsoptionen?

    Özdemir: Ich glaube nicht, dass das wichtigste für eine Partei eine Koalitionsoption ist. Das wichtigste ist ein gutes Programm, das sind gute Leute, das sind gute Wahlergebnisse. Aber natürlich stellt sich irgendwann auch die Frage, wie setzt man all dieses um, und Parteien werden dafür auch gegründet und kandidieren dafür, dass sie irgendwann auch mal regieren können. Jetzt geht es für die Grünen glaube ich erst einmal nicht darum, wie schnell sie wieder an die Regierung kommen. Wir waren bis vor kurzem an der Regierung. Jetzt geht es darum, dass wir uns in der Opposition konsolidieren. Das ist uns am Anfang nicht ganz leicht gefallen. Es geht darum, dass wir uns über die Länder neu organisieren, vor allem im Osten Deutschlands, wo wir noch Schwierigkeiten haben, dass wir dort uns stärken. Dann glaube ich wird sich 2009 die Frage neu stellen, wenn die große Koalition so lange hält, dass die Grünen auf der einen Seite klar machen werden, dass unser idealer Koalitionspartner nach wie vor auf Bundesebene die SPD ist, aber man wird dann schauen, was die Ergebnisse herbringen.