Müntefering: Nein, ganz ordentlich. Das war natürlich schlimm gestern Abend, das ist ganz klar. Man hat aber in den letzten Wochen gemerkt, wohin das geht, nicht ganz die Dimension, aber man war inhaltlich vorbereitet. Es war halt so, dass die Menschen in Sachsen-Anhalt nicht mehr das Vertrauen in diese Landesregierung gehabt haben. Ich glaube, dass die Situation der Tolerierung mit der PDS auch eine gewisse Rolle gespielt hat. Schön war es nicht, aber gut ausgeruht sind wir heute morgen trotzdem.
Zagatta: Ist das nicht schlechter Stil, jetzt Reinhard Höppner die Alleinschuld zu geben?
Müntefering: Das tun wir ja nicht. Er ist es nicht alleine. Aber Fakt ist, dass die Landesregierung insgesamt sehr viel schlechtere Werte gehabt hat als die Bundesregierung. Im Gegenteil, ich habe Reinhard Höppner meinen ausdrücklichen persönlichen und menschlichen Respekt ausgesprochen. Er hat auch für das Land viel Gutes in den Jahren getan, aber das Vertrauen ist eben im Augenblick nicht da gewesen.
Zagatta: Füllen Sie sich persönlich ein bisschen mitschuldig an dem schlechten Abschneiden der SPD?
Müntefering: Was heißt schuldig? Das ist keine Frage von Schuldkategorien. Das ist eine Frage, ob man Vertrauen in die Menschen investiert, die dort zur Wahl stehen, und das haben die Menschen in Sachsen-Anhalt nicht hinreichend gemacht. Es sind zu wenige zur Wahl gegangen. Interessant ist es, wenn man sich die absoluten Zahlen anguckt und sie mit der Bundestagswahl vergleicht, dann haben wir, die Sozialdemokraten, etwa ein Drittel der Stimmen wiederbekommen. Auch die CDU ist mit ihrem guten Ergebnis von gestern deutlich unter den absoluten Zahlen von 1998. Die Frage ist ja, was werden die Menschen bei der Bundestagswahl tun.
Zagatta: Aber dass die SPD ihren eigenen Spendenskandal ganz anders aufklären wollte als die CDU und Helmut Kohl, ist ja beim Wähler überhaupt nicht angekommen, oder sind Sie der Meinung, das Ihnen dieses Verwirrspiel um die Kölner Spendenlisten nicht geschadet hat?
Müntefering: Das kann man nicht genau beurteilen. Ich glaube, dass die Menschen schon unterscheiden können und wissen, dass Köln nicht in Sachsen-Anhalt liegt. Aber dass das allgemein auf die Stimmung drückt, dass Leute nicht zur Wahl gehen, weil sie sauer auf die politischen Parteien sind, und in diesem Augenblick in besonderer Weise auf uns, das kann durchaus sein. Aber da bin ich auch zuversichtlich, dass wir bis zur Bundestagswahl deutlich zeigen können, wir machen das schneller und konsequenter als die anderen ihre Affären aufgeräumt haben.
Zagatta: Wann werden Sie denn die Liste, die die SPD dem Berliner Untersuchungsausschuss vorgelegt hat, wann werden Sie da die geschwärzten Stellen, wo ja Namen nach wie vor verheimlicht werden, wann werden Sie das korrigieren?
Müntefering: Das werde ich nicht zu entscheiden haben. Hier wird es darauf ankommen, dass wir in Nordrhein-Westfalen Anfang Mai - und darauf sind wir vorbereitet - alle Namen vorlegen können, und dann wird geklärt sein, wer sich an den Spendenaktionen beteiligt hat.
Zagatta: In Sachsen-Anhalt war nach Ansicht der Wahlforscher mit entscheidend, dass die SPD bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mittlerweile als ziemlich inkompetent gilt. Ist das nicht auch ein entscheidender Schwachpunkt, wenn es jetzt auf die Bundestagswahl zugeht?
Müntefering: Das ist etwas, was von zu Wahl zu Wahl, in großen Schwankungen sich in Sachsen-Anhalt niedergeschlagen hat. Das ist ja nicht neu. Bei der letzten Wahl hat die CDU 12,4 Prozent verloren, sie hat jetzt umso mehr wieder aufgeholt. Es zeigt nur, dass es große Schwankungen und wenig Parteibindung gibt. Für Deutschland insgesamt aber sind zwei Dinge festzustellen: Das Vertrauen für Gerhard Schröder ist weitaus größer als das zu Stoiber. Und was die Kompetenzwerte angeht, da holen wir auf, das sind wir näher aneinander als es Regierung und Opposition 1998 gewesen sind, da stehen noch alle Chancen offen. Wir müssen uns anstrengen, ich habe da keine Illusionen. Das wird eine anstrengende Zeit, aber die Voraussetzungen dafür, dass wir den 22. September gut bestehen, sind trotz gestern Abend noch vorhanden.
Zagatta: Aber Gerhard Schröder hat ja auch gesagt, er will am Rückgang der Arbeitslosigkeit auch gemessen werden. Was passiert denn, wenn die Wähler ihm beim Wort nehmen?
Müntefering: Dann werden sie ihn wieder wählen, denn das, was wir national tun konnten, haben wir getan. Wir haben im vergangenen Jahr im Jahresdurchschnitt 427.000 weniger Arbeitslose als 1998 gehabt. Wir haben zur Zeit 1,2 Millionen mehr Beschäftigte. Das ist doch was. Und die außenwirtschaftlichen Bedingungen hätte keine Regierung im Griff behalten können, und deshalb ist nicht die Frage so sehr die Zahl der Arbeitslosen. Wir werden weit unter den 4,3 Millionen sein, die die CDU in diesem Winter fast gefeiert hat. Die Frage ist, wie ist das Vertrauen der Menschen in diejenigen, die regieren, werden sie mit den Problemen fertig, ja oder nein, und das Vertrauen in Gerhard Schröder ist groß.
Zagatta: Und da macht Ihnen das, was in Frankreich derzeit passiert, auch keine Angst. Also was sagen Sie denn zu der Entwicklung dort? Ihr Parteifreund Lionel Jospin ist da gestern schon im ersten Durchgang bei der Präsidentschaftswahl ausgeschieden. Der Sozialist hat gestern seinen Rücktritt als Premierminister angekündigt. Wie bewerten Sie das?
Müntefering: Das war für mich die eigentliche Sensation gestern Abend, das will ich gerne gestehen, darauf war ich gedanklich überhaupt nicht vorbereitet. Das ist ein Appell an uns alle, darauf zu achten, dass die Rechte, die in Europa an verschiedenen Stellen die Nase zeigt und nach vorne will, nicht weiter vorgelassen werden darf. Ich finde, wir haben in Europa nun wirklich genügend Rechts und Rechtsaußen in den entscheidenden Positionen. Das sollte für Deutschland ein zusätzlicher Anlass sein, ein offenes Land, eine lebendige Demokratie und eine offene Kultur zu bleiben, und dafür zu sorgen, dass in Deutschland die sozialdemokratische Idee vorne bleibt und auch in Berlin regieren kann.
Zagatta: Also Jospin muss gehen, aber Sie sehen keinen Fingerzeig für Gerhard Schröder?
Müntefering: Das ist nicht vergleichbar. Es geht in Deutschland um eine ganz andere Frage. Es geht um die Frage, wie sind Parlamentsmehrheiten und wer soll die Regierung führen, und da bin ich sicher, dass Gerhard Schröder deutlich vorne liegt.
Zagatta: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Zagatta: Ist das nicht schlechter Stil, jetzt Reinhard Höppner die Alleinschuld zu geben?
Müntefering: Das tun wir ja nicht. Er ist es nicht alleine. Aber Fakt ist, dass die Landesregierung insgesamt sehr viel schlechtere Werte gehabt hat als die Bundesregierung. Im Gegenteil, ich habe Reinhard Höppner meinen ausdrücklichen persönlichen und menschlichen Respekt ausgesprochen. Er hat auch für das Land viel Gutes in den Jahren getan, aber das Vertrauen ist eben im Augenblick nicht da gewesen.
Zagatta: Füllen Sie sich persönlich ein bisschen mitschuldig an dem schlechten Abschneiden der SPD?
Müntefering: Was heißt schuldig? Das ist keine Frage von Schuldkategorien. Das ist eine Frage, ob man Vertrauen in die Menschen investiert, die dort zur Wahl stehen, und das haben die Menschen in Sachsen-Anhalt nicht hinreichend gemacht. Es sind zu wenige zur Wahl gegangen. Interessant ist es, wenn man sich die absoluten Zahlen anguckt und sie mit der Bundestagswahl vergleicht, dann haben wir, die Sozialdemokraten, etwa ein Drittel der Stimmen wiederbekommen. Auch die CDU ist mit ihrem guten Ergebnis von gestern deutlich unter den absoluten Zahlen von 1998. Die Frage ist ja, was werden die Menschen bei der Bundestagswahl tun.
Zagatta: Aber dass die SPD ihren eigenen Spendenskandal ganz anders aufklären wollte als die CDU und Helmut Kohl, ist ja beim Wähler überhaupt nicht angekommen, oder sind Sie der Meinung, das Ihnen dieses Verwirrspiel um die Kölner Spendenlisten nicht geschadet hat?
Müntefering: Das kann man nicht genau beurteilen. Ich glaube, dass die Menschen schon unterscheiden können und wissen, dass Köln nicht in Sachsen-Anhalt liegt. Aber dass das allgemein auf die Stimmung drückt, dass Leute nicht zur Wahl gehen, weil sie sauer auf die politischen Parteien sind, und in diesem Augenblick in besonderer Weise auf uns, das kann durchaus sein. Aber da bin ich auch zuversichtlich, dass wir bis zur Bundestagswahl deutlich zeigen können, wir machen das schneller und konsequenter als die anderen ihre Affären aufgeräumt haben.
Zagatta: Wann werden Sie denn die Liste, die die SPD dem Berliner Untersuchungsausschuss vorgelegt hat, wann werden Sie da die geschwärzten Stellen, wo ja Namen nach wie vor verheimlicht werden, wann werden Sie das korrigieren?
Müntefering: Das werde ich nicht zu entscheiden haben. Hier wird es darauf ankommen, dass wir in Nordrhein-Westfalen Anfang Mai - und darauf sind wir vorbereitet - alle Namen vorlegen können, und dann wird geklärt sein, wer sich an den Spendenaktionen beteiligt hat.
Zagatta: In Sachsen-Anhalt war nach Ansicht der Wahlforscher mit entscheidend, dass die SPD bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mittlerweile als ziemlich inkompetent gilt. Ist das nicht auch ein entscheidender Schwachpunkt, wenn es jetzt auf die Bundestagswahl zugeht?
Müntefering: Das ist etwas, was von zu Wahl zu Wahl, in großen Schwankungen sich in Sachsen-Anhalt niedergeschlagen hat. Das ist ja nicht neu. Bei der letzten Wahl hat die CDU 12,4 Prozent verloren, sie hat jetzt umso mehr wieder aufgeholt. Es zeigt nur, dass es große Schwankungen und wenig Parteibindung gibt. Für Deutschland insgesamt aber sind zwei Dinge festzustellen: Das Vertrauen für Gerhard Schröder ist weitaus größer als das zu Stoiber. Und was die Kompetenzwerte angeht, da holen wir auf, das sind wir näher aneinander als es Regierung und Opposition 1998 gewesen sind, da stehen noch alle Chancen offen. Wir müssen uns anstrengen, ich habe da keine Illusionen. Das wird eine anstrengende Zeit, aber die Voraussetzungen dafür, dass wir den 22. September gut bestehen, sind trotz gestern Abend noch vorhanden.
Zagatta: Aber Gerhard Schröder hat ja auch gesagt, er will am Rückgang der Arbeitslosigkeit auch gemessen werden. Was passiert denn, wenn die Wähler ihm beim Wort nehmen?
Müntefering: Dann werden sie ihn wieder wählen, denn das, was wir national tun konnten, haben wir getan. Wir haben im vergangenen Jahr im Jahresdurchschnitt 427.000 weniger Arbeitslose als 1998 gehabt. Wir haben zur Zeit 1,2 Millionen mehr Beschäftigte. Das ist doch was. Und die außenwirtschaftlichen Bedingungen hätte keine Regierung im Griff behalten können, und deshalb ist nicht die Frage so sehr die Zahl der Arbeitslosen. Wir werden weit unter den 4,3 Millionen sein, die die CDU in diesem Winter fast gefeiert hat. Die Frage ist, wie ist das Vertrauen der Menschen in diejenigen, die regieren, werden sie mit den Problemen fertig, ja oder nein, und das Vertrauen in Gerhard Schröder ist groß.
Zagatta: Und da macht Ihnen das, was in Frankreich derzeit passiert, auch keine Angst. Also was sagen Sie denn zu der Entwicklung dort? Ihr Parteifreund Lionel Jospin ist da gestern schon im ersten Durchgang bei der Präsidentschaftswahl ausgeschieden. Der Sozialist hat gestern seinen Rücktritt als Premierminister angekündigt. Wie bewerten Sie das?
Müntefering: Das war für mich die eigentliche Sensation gestern Abend, das will ich gerne gestehen, darauf war ich gedanklich überhaupt nicht vorbereitet. Das ist ein Appell an uns alle, darauf zu achten, dass die Rechte, die in Europa an verschiedenen Stellen die Nase zeigt und nach vorne will, nicht weiter vorgelassen werden darf. Ich finde, wir haben in Europa nun wirklich genügend Rechts und Rechtsaußen in den entscheidenden Positionen. Das sollte für Deutschland ein zusätzlicher Anlass sein, ein offenes Land, eine lebendige Demokratie und eine offene Kultur zu bleiben, und dafür zu sorgen, dass in Deutschland die sozialdemokratische Idee vorne bleibt und auch in Berlin regieren kann.
Zagatta: Also Jospin muss gehen, aber Sie sehen keinen Fingerzeig für Gerhard Schröder?
Müntefering: Das ist nicht vergleichbar. Es geht in Deutschland um eine ganz andere Frage. Es geht um die Frage, wie sind Parlamentsmehrheiten und wer soll die Regierung führen, und da bin ich sicher, dass Gerhard Schröder deutlich vorne liegt.
Zagatta: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio