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"Wer seine Rechte kennt, kann sie auch einfordern"

Parteien seien gegenüber Krankenkassen oder Ärzten keine Bittsteller, sondern sollten "endlich als Partner in diesem System wahrgenommen werden", fordert Wolfgang Zöller (CSU), der Patientenbeauftragte der Bundesregierung. "Manche Krankenkassenvertreter, manche Ärzte" seien über Rechte und Pflichten nicht optimal informiert.

Wolfgang Zöller im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Thielko Grieß: In den vergangenen Wochen haben verschiedene Studien und Zahlen aufhorchen lassen: Die unabhängige Patientenberatung, der medizinische Dienst der Krankenkassen und zuletzt in dieser Woche das Bundesversicherungsamt – sie alle legen in verschiedenen Dokumenten den Schluss nahe, dass auch die gesetzlichen Krankenkassen versuchen, ihre Kosten auf unlautere Art und Weise zu senken. Auf Kosten von Patienten.

    Grieß: Und am Telefon ist jetzt Wolfgang Zöller, der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Mitglied der CDU und Bundestagsabgeordneter. Ihn erreichen wir in Oberburg in Unterfranken. Guten Morgen, Herr Zöller!

    Wolfgang Zöller: Grüß Gott, Herr Grieß!

    Grieß: Wir haben gerade von dem Fall eines Ehemanns gehört. Der beklagt, seiner krebskranken Frau sei eine Behandlungsmöglichkeit verweigert worden. Halten Sie das nur für einen extremen Einzelfall?

    Zöller: Und selbst, wenn es ein extremer Einzelfall wäre, ist so etwas nicht hinnehmbar. Und in dem Bericht ist ja auch deutlich geworden, dass sich in letzter Zeit solche Fälle gehäuft haben, dass man sich beschwert hat, dass Patienten ihnen zustehende Rechte nicht gewährt wurden. Und deshalb hoffe ich eigentlich jetzt, dass wir mit dem Patientenrechtegesetz, dass im Februar diesen Jahres in Kraft getreten ist, endlich der Patient über seine Rechte besser informiert wird, nämlich nur, wer seine Rechte kennt, kann sie auch einfordern, und dass es dann endlich damit aufhört, dass der Patient als Bittsteller bei den Kassen oder bei Ärzten auftritt, sondern dass er endlich als Partner in diesem System wahrgenommen wird.

    Grieß: Sie sprechen das Patientenrechtegesetz an und die Pflicht der Krankenkassen, ihre Versicherten zu informieren. Ist das nicht eine schwierige Konstellation? Da sollen die Kassen auf der einen Seite etwas zahlen, und andererseits aber möglichst neutral über das informieren, was möglich ist.

    Zöller: Also die Krankenkassen müssen sich mal bitte besinnen, wer sie eigentlich sind. Sie sollten ja eigentlich die Interessen der Versicherten vertreten. Und da habe ich in letzter Zeit durch viele Anrufe und Briefe, die wir bekommen haben, Zweifel, dass sich da jeder danach richtet. Nämlich, es kann ja nicht sein, den Fall, den Sie geschildert haben, dass man quasi Kopfprämien zahlt, um Junge, Gesunde anzuwerben. Wir haben genau das Gegenteil im Gesetz damit verhindern wollen, indem wir gesagt haben, damit ein fairer Wettbewerb zwischen den Kassen überhaupt stattfinden kann, müssen wir einen Risikostrukturausgleich installieren, damit mit dem Risikostrukturausgleich Krankenkassen die, ich sag mal, schwer kränkere Patienten haben, nicht einen finanziellen Nachteil haben. Und ich bin schon sehr überrascht, wenn ich höre, dass man jetzt bestimmte Patienten mit erschwerten Erkrankungen, ich sag mal, herausmobben will. Wenn gleichzeitig Krankenkassen noch vor Kurzem Briefe geschrieben haben an die Ärzte, man sollte noch mal nachschauen, ob der Patient nicht doch etwas kränker sei, nämlich, wenn er etwas kränker eingestuft würde, würde man vom Risikostrukturausgleich höhere Beträge bekommen. Das heißt für mich im Klartext, da sind Fehlanreize in dem Risikostrukturausgleich, und die müssen schnellstmöglich beseitigt werden.

    Grieß: Ich hab jetzt aber auch rausgehört, dass Sie es auch für einen Systemfehler halten, dass die Kassen die Patienten unter anderem eben auch informieren sollen. Ein Ausweg könnte ja sein, dass man sich …

    Zöller: Nein, für einen Fehler halte ich es nicht. Also wenn ich zum Beispiel Patienten vertrete, ich sag mal, eine Kasse sollte ja für ihre Patienten eintreten. Und da wäre es doch nicht mehr als fair, die Patienten auch über ihre Rechte aufzuklären. Und Sie haben recht, es ist schon ein bisschen seltsam, dass Krankenkassen – manche Krankenkassen, muss man fairerweise sagen – dieser Aufklärungspflicht wohl nicht so nachkommen.

    Grieß: Wäre es nicht auch ein gangbarer Weg, die Beratung, die unabhängige Beratung zu stärken, etwa über die Organisationen oder die Zusammenschlüsse der unabhängigen Patientenberatungen? Aber wenn Sie da anrufen, Herr Zöller, dann kommen Sie oft nicht durch, und wenn Sie durchkommen, kriegen Sie den nächsten Termin in einigen Wochen. Das kann bei Schwerkranken zu spät sein.

    Zöller: Erstens das. Dann gibt es immer noch die Möglichkeit, ich sag mal, auch im Büro des Patientenbeauftragten anzurufen. Aber das Problem, dass die unabhängige Patientenberatung Deutschlands zurzeit überlastet ist, ist ein Zeichen dafür, dass die Information nach wie vor bei den Leuten nicht richtig angekommen ist, und deshalb werden wir ja unter anderem auch dazu übergehen, dass wir häufig wiederkehrenden Fragen, die ja auch die unabhängige Patientenberatung Deutschlands täglich beantworten muss und die sich immer wiederholen, dass wir diese häufig wiederkehrenden Fragen mit den richtigen Antworten schon ins Internet stellen, um die Leute auch schon vorher zu informieren. Und dann hätte man auch bei der Unabhängige Patientenberatung Deutschlands wieder mehr Zeit für wirkliche Fälle, die der intensiveren Beratung bedürfen.

    Grieß: Sie haben gerade dazu aufgerufen, Herr Zöller, dass die Krankenkassen, die betroffenen Krankenkassen auch darüber nachdenken sollen, welche Rolle sie außerdem noch wahrnehmen neben der Kostenkontrolle. Um in der Sprache der Medizin zu bleiben: Lässt sich denn dieser Aufruf konkreter fassen, dieser Appell, lässt sich den Krankenkassen ein wenig Empathie auch verordnen?

    Zöller: Also wir wollen einen Wettbewerb um die bessere Versorgungsform, die für die Patienten von Vorteil sein sollte, bei den Krankenkassen erreichen. Und ich bin felsenfest davon überzeugt, wenn jetzt auch von Einzelfällen gesprochen wird, wir müssen hier Transparenz hineinbringen, welche Kassen, welche Mitarbeiter von welchen Kassen sich so verhalten, damit die Versicherten wissen, das ist eine patientenfreundliche Kasse oder das ist eine Kasse, die nur aufs Geld schaut.

    Grieß: Sie haben mehrmals, Herr Zöller, das Stichwort Wettbewerb genannt. Das wird von vielen Kritikern, der Wettbewerb im Gesundheitssystem wird von vielen Kritikern als eine Ursache dafür angeführt, dass die Kassen versuchen, ihre Kosten zu senken, denn eine andere Möglichkeit haben sie nicht, im Wettbewerb zu bestehen.

    Zöller: Das wäre zu einfach, wenn man das nur so sehen würde. Nämlich ein fairer Wettbewerb kann für die Patienten von großem Vorteil sein. Zum Beispiel, wenn eine Kasse hergeht und endlich den Sinn erkennt, dass Vorsorgemaßnahmen mittelfristig nicht nur dem Patienten, sondern auch den Ausgaben der Krankenkassen dienlich sind und deshalb ihren Patienten oder ihren Versicherten hier größere Angebote macht. Das ist doch ein Wettbewerb für eine bessere Versorgung. Oder wenn ich jetzt sehe, es gibt zum Beispiel Krankenkassen, die hergehen und sagen, wir machen Verträge mit Ärzten, dass unsere Leute wesentlich zeitnäher einen Termin bekommen. Es ist doch nicht hinnehmbar, dass Patienten monatelang auf einen Facharzttermin warten müssen. Das hat mit einer zeitnahen Versorgung nichts zu tun.

    Grieß: Wird dabei nicht oft oder auch zu häufig auch die Versicherung bei einer Krankenkasse verwechselt mit Leistungen, die ich als Konsument ganz normal ja oft wechseln kann, wenn mir ein – also ich geb mal ein Beispiel. Wenn mir ein Auto nicht mehr gefällt, dann kaufe ich, wenn ich das Geld habe, eben ein anderes, wo mir die Schaltung besser schaltet. Aber Krankenkassen und deren Leistungen sind doch nicht so ein Produkt, so ein Gut, das ich so einfach eben wechsle. Da funktioniert der Wettbewerb doch nicht.

    Zöller: Also der Wettbewerb funktioniert bei manchen deshalb nicht, weil viele Leute noch Angst haben, eine Krankenkasse zu wechseln. Besonders ältere Menschen sagen, ja, ich bin ja alt und bin krank, mich nimmt keine andere Kasse. Aber das ist ja gesetzlich geregelt, dass eine gesetzliche Krankenversicherung jeden, unabhängig vom Alter, unabhängig von der gesundheitlichen Vorbelastung aufnehmen muss.

    Grieß: Wir bleiben noch einmal kurz beim Stichwort Wettbewerb. Daniel Bahr hat in dieser Woche – der Gesundheitsminister von der FDP hat in dieser Woche vorgeschlagen, die privaten Kassen für alle zu öffnen, für alle, unabhängig von ihrem Einkommen. Was würde dann mit dem Wettbewerb geschehen aus Ihrer Meinung?

    Zöller: Wenn man nur diesen einen Satz jetzt hernimmt, dann wäre das eine Entsolidarisierung. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gesundheitsminister das gewollt hat. Also, wir haben ein duales System, gesetzliche Krankenversicherung und private Krankenversicherung, auch mit vielen Vorteilen für gesetzlich Krankenversicherte, dass wir eine private haben. Es gibt auch etliche Nachteile. Ich glaube, beide Versicherungsarten müssen versuchen, die Schwachstellen möglichst schnell abzuschalten, damit wir eben einen fairen Wettbewerb auch dort haben.

    Grieß: Herr Zöller, Sie scheiden jetzt im Herbst nach der Bundestagswahl aus dem Bundestag aus, weil Sie nicht mehr kandidieren nach 23 Jahren im Parlament. Wenn Sie jetzt zurückblicken oder, besser eigentlich, vorausschauen und auf das schauen, was Ihrem Nachfolger oder Ihrer Nachfolgerin als Patientenbeauftragter übrig bleibt, wenn wir beim Stichwort Wettbewerb und Patientenselektion, diesen Vorwürfen bleiben – was steht ganz oben auf der Liste?

    Zöller: Also für mich ganz oben auf der Liste steht, wir müssen unsere Patienten in verständlicher Art und Weise über ihre Rechte informieren. Und nicht nur die Patienten, sondern auch manche Krankenkassenvertreter, manche Ärzte sind über Rechte und Pflichten nicht optimal informiert. Das würde ich als oberstes Ziel sehen, nämlich, was von vielen Leuten unterschätzt wurde: Die letzten vier Jahre ist für die Patienten unwahrscheinlich viel gemacht worden. Das Letzte war jetzt das Patientenrechtegesetz, aber wenn ich vorher sehe, das geht los: Krankenhaushygienegesetz, Maßnahmen zu ergreifen, dass wir nicht noch jährlich diese 15.000 Toten einfach hinnehmen. Wenn ich sehe, Nutzenbewertungen bei den Arzneimitteln. Wenn ich sehe, Versorgungsstrukturgesetz, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass wir eine flächendeckende Versicherung bekommen. Also, Rahmenbedingungen sind jetzt gegeben, jetzt müssen die mit Leben erfüllt werden. Und dass der Patient wirklich, wie gesagt, als Partner anerkannt wird.

    Grieß: Wolfgang Zöller, der scheidende Patientenbeauftragte der Bundesregierung heute Morgen live im Interview im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Zöller!

    Zöller: Ich danke ebenfalls, einen schönen Tag noch!

    Grieß: Alles Gute, auf Wiederhören!

    Zöller: Wiederhören!

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