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Wer war Kleopatra wirklich?

Für das moderne Europa ist sie wohl die bekannteste Frau der Antike: Kleopatra VII. Schon zu Lebzeiten wurde ihr Bild verfälscht, und ein Mythos entstand. Nun steht die letzte Königin von Ägypten im Mittelpunkt der Ausstellung "Kleopatra, die ewige Diva" in der Bundeskunsthalle in Bonn.

Von Matthias Hennies | 27.06.2013
    "Es gab in den letzten Jahren mal die Diskussion darüber, sie sei gar nicht schön gewesen, sondern im Gegenteil hässlich, übergewichtig und hätte schlechte Zähne gehabt, weil damals alle schlechte Zähne hatten, und man von ihren Vorgängern weiß, sie wären übergewichtig gewesen und weil es bei Plutarch eine Stelle gibt, die lautete:"

    Ihre Schönheit an sich fand wohl ihresgleichen und vermochte nicht, durch den bloßen Anblick zu berücken, in der Unterhaltung übte sie dagegen eine unwiderstehliche Anziehung aus.

    "Was aber im Umkehrschluss nicht heißt, dass sie hässlich war. Und auch die Münzbilder, die man manchmal herbeizieht, um zu sagen, sie sei hässlich gewesen wegen dieser Hakennase und des markanten Kinns, auch diese Belege geben nicht so viel her, weil man weiß, dass sie sich in ihren Münzbildern entweder an ihren Vater Ptolemaios oder an Marc Anton angelehnt hat, insofern können wir eigentlich gar keine Aussagen über Kleopatras Aussehen treffen."

    Dr. Diana Fragata, Ägyptologin an der Universität Mainz, bringt die aktuelle Forschung auf den Punkt: Ob man sich Kleopatra mit hohen Wangenknochen und einem Helm glatter, pechschwarzer Haare vorstellt wie Liz Taylor in dem berühmten Hollywoodfilm oder ob sie eine ebenmäßige, klassische Nase hatte, wie der Philosoph Blaise Pascal glaubte: alles Spekulation – wie so viele, mal unterhaltsame, mal verleumderische Episoden, die ihrer dramatischen Lebensgeschichte seit der Antike hinzugefügt wurden.

    Fakt ist: Kleopatra VII., wie Ägyptologen sie nennen, aus der Dynastie der Ptolemäer, war von 52 bis 30 vor Christus die letzte Königin Ägyptens. Der Mittelmeerraum war bereits weitgehend romanisiert, nur dank seines immensen Reichtums bewahrte sich das Land der Pharaonen noch eine gewisse Unabhängigkeit vom scheinbar unaufhaltsam expandierenden Imperium Romanum.

    "Ägypten war das reichste Gebiet der antiken Welt. Das Steueraufkommen Ägyptens ist vergleichbar mit dem Steueraufkommen ganz Westeuropas in der Antike."

    Der Reichtum stammte aus den regelmäßigen Überschwemmungen des Nils, erläutert der Althistoriker Manfred Clauss, Professor an der Universität Frankfurt am Main. Jahr für Jahr spülte der Strom fruchtbaren Schlamm auf die Äcker, der außergewöhnlich ergiebige Getreideernten garantierte. Über Jahrhunderte versorgten die Pharaonen damit die umliegenden Reiche – nicht zuletzt die aufstrebende Metropole Rom. Aber im letzten Jahrhundert vor Null drängten die Römer auch an den Nil, und Kleopatras Vorgänger hatten ihre Selbstständigkeit schon weitgehend eingebüßt.

    "Längst lagen Legionen in Ägypten, die Finanzverwaltung stand unter römischer Kontrolle, der Spielraum, den die Königin hatte, war schon längst eingeschränkt. Aber ich denke, dass es ihre Rolle als Frau und als Geliebte war, die Ägypten noch mal ein paar Jahre der formalen Selbstständigkeit bewahrt haben."

    Der jungen Königin blieb nichts anderes, als das Bündnis mit dem mächtigsten Politiker Roms zu suchen, mit Gaius Julius Cäsar. Und der berechnende, skrupellose Cäsar, der gerade im Begriff war, die römische Republik in eine Monarchie zu verwandeln, sicherte sich nur allzu gern einen Zugriff auf Ägyptens immense Finanzmittel.

    Aber was man sich heute kaum vorstellen kann: In ihrer Verbindung ging es tatsächlich nicht nur um eiskalte Machtpolitik, das politische Kalkül mischte sich mit erotischer Anziehung. Der Glamour dieser Beziehung regte schon in der Antike die Fantasie der Literaten an – und so entstand frühzeitig das Bild der unwiderstehlichen Kleopatra. Cassius Dio etwa, einer der eher nüchternen Autoren, schrieb:

    Sie war eine Frau von überragender Schönheit und zu dieser Zeit, in der Blüte ihrer Jugend, besonders berückend. Sie besaß auch eine bezaubernde Stimme und wusste sich jedermann gewogen zu stimmen … sogar einen liebessatten Mann, der seine besten Jahre bereits hinter sich hatte.

    Ein Jahr nach ihrem ersten Treffen in Alexandria lud Cäsar die Pharaonin nach Rom ein, an exponierter Stelle im Stadtgebiet ließ er eine goldene Statue aufstellen, die Kleopatra als Liebesgöttin Venus darstellte. Doch im März 44 vor Christus wurde der Diktator von römischen Republikanern ermordet und die Königin kehrte umgehend an den Nil zurück. Sie widmete sich erst einmal der Innenpolitik, berichtet Manfred Clauss:

    "Es gibt einige Erlasse von ihr, in denen sie darauf hingewiesen hat, dass man Arbeitskräfte nicht von ihren Feldern abziehen kann, ein Problem, das in Ägypten immer vorhanden war, weil die Beamten die Bauern in ihre eigenen Belange eingespannt haben, wir haben einige Regierungsmaßnahmen, die zeigen, dass sie den ganz normalen Regierungsapparat in Ägypten am Laufen gehalten hat."

    Die außenpolitische Lage Ägyptens blieb in der Schwebe, bis der römische Bürgerkrieg ein vorübergehendes Ende fand. Aus den Kämpfen zwischen Republikanern und Anhängern Cäsars gingen zwei Männer als Sieger hervor, die die Herrschaft über das Imperium unter sich aufteilten: Der junge, noch wenig profilierte Octavian, der spätere Kaiser Augustus, regierte den Westen einschließlich Italiens, der mächtige Feldherr Marcus Antonius übernahm den reicheren Osten des Mittelmeerraums.

    Um die Zukunft ihres Landes zu sichern, blieb Kleopatra nichts anderes, als erneut ein Bündnis mit Rom zu suchen. Und sie tat es, wenn man den antiken Quellen glauben will, mit aller Konsequenz. Als Marcus Antonius die ägyptische Königin eines Tages zu sich in sein Hauptquartier in Kleinasien bestellte, lief sie in den Hafen von Tarsos ein:

    In einem Schiff mit vergoldetem Heck, mit Segeln von Purpur. Silberne Ruder trieben es voran zur Musik von Flöten, die sich mit dem Klang von Lauten und Schalmeien mischte. Sie selbst ruhte unter einem golddurchwirkten Baldachin, so geschmückt, wie man die Venus auf Bildern malt, während junge Knaben, angetan wie Eroten, ihr Luft zufächelten.

    Der antike Geschichtsschreiber Plutarch deutete nur an, wie die Pharaonin bekleidet war, doch Manfred Clauss, graue Eminenz der Kleopatra-Forschung, kann genau erläutern, was in der Antike jeder wusste: Die Liebesgöttin Venus malte man mit einer Bekleidung nur aus Perlen: einem Collier um den Hals, einer Kette zwischen den Brüsten und einem dünnen Gürtel, den man heute "Tanga" nennen würde. Mit anderen Worten: Die ägyptische Königin kam so gut wie nackt in Tarsos an – wie sollte Marcus Antonius ihren Reizen widerstehen? Ein weiteres römisch-ägyptisches Bündnis wurde geschlossen.

    Aber darf man Plutarch trauen? In seiner farbkräftigen Schilderung stilisierte er Kleopatra zur Verkörperung eines sinnlichen, lasterhaften Orients. Obendrein behauptete er, sie, als Frau, hätte die Frechheit besessen, Marc Anton auf ihr Schiff einzuladen – das war das glatte Gegenteil dessen, was man im vorgeblich so sittenstrengen Rom unter einer tugendhaften Dame verstand! Diese einseitige Darstellung ist keine unparteiische Geschichtsschreibung, meint Christoph Schäfer, sondern deutet auf eine politische Absicht hin: Propaganda für Octavian, der den nächsten Krieg vorbereitete.

    "Es handelt sich hier offiziell um einen Krieg gegen Kleopatra, aber eigentlich ist es ein römischer Bürgerkrieg."

    Die Rivalität zwischen den beiden starken Männern des Imperiums Octavian und Marcus Antonius musste in einen neuen, blutigen Krieg führen. Doch die Bürger hatten genug von den Bruderkämpfen. Und die Elite in der Hauptstadt stand mehrheitlich auf Seiten des Marc Anton. Wollte Octavian ihre Unterstützung gewinnen, musste er verschleiern, dass erneut Römer gegen Römer kämpfen sollten. Er baute ein neues Feindbild auf: Der vernünftige, tugendhafte Westen des Reiches stand einer bedrohlichen Herrscherin aus dem Orient gegenüber, die sich den schwächlichen Marcus Antonius hörig gemacht hatte.

    Wie wir auf Gemälden sehen, dass Omphale die Keule des Herakles wegnimmt und ihm sein Löwenfell auszieht, so hat Kleopatra ihn oft entwaffnet und bezaubert und ihn überredet, große Unternehmungen und nötige Feldzüge aufzugeben und sich mit ihr zu entspannen und vergnügen.

    Plutarch schrieb die "Lebensgeschichte des Antonius" rund 150 Jahre nach den Ereignissen nieder. Die gleiche Tendenz findet sich aber in fast allen antiken Berichten über Kleopatra: bei dem Philosophen Cicero und dem Dichter Horaz, die die Akteure noch persönlich kannten, ebenso wie etwa bei Cassius Dio, der das Geschehen ebenfalls erst später schilderte. Die Ursache ist offensichtlich: Der Sieger schreibt die Geschichte - und Octavian gewann den Krieg. Als "Augustus" begründete er das römische Kaisertum und sorgte auch weiterhin dafür, dass seine Taten im besten Licht erschienen. Der Blickwinkel des unterlegenen Marc Anton und seiner ägyptischen Verbündeten aber geriet in Vergessenheit.

    Nach Erkenntnissen des Althistorikers Schäfer schlug sich Octavians Propaganda auch in den Berichten über die Seeschlacht nieder, die den Krieg entschieden haben soll. Marcus Antonius und Kleopatra waren im Jahr 31 vor Christus mit ihren Schiffen in einer Bucht bei Actium, einem kleinen Ort an der Westküste der griechischen Peloponnes, eingeschlossen worden. Die Flotte Octavians beherrschte das offene Meer. Am 2. September wagten die Verbündeten mit ihren schweren Zehnruderern den Durchbruch. Octavian versuchte, sie aufzuhalten.

    Er befahl seinen Ruderern, die Riemen im Wasser liegen zu lassen und wartete eine Weile. Dann, auf ein Signal hin, führte er beide Flügel nach vorn und bog seine Linie in einem Halbkreis, in der Hoffnung, den Gegner einkreisen zu können.

    So soll Octavian seine Flotte zum Sieg geführt haben, behauptete Cassius – doch Christoph Schäfer kommt zu einem anderen Ergebnis. Mithilfe eines elektronischen Messsystems, das ursprünglich für die Segelrennen des America's Cup entwickelt wurde, hat er die Wind- und Strömungsverhältnisse vor Actium untersucht, die sich seit der Antike kaum verändert haben.

    "Wenn wir Strömung und Wind messen, dann können wir sagen, es könnte für Antonius kaum besser sein. Gerade die Strömung sorgte dafür, dass der Gegner seine Schiffe nicht stundenlang in zwei, drei Reihen ihm gegenüber aufbauen konnte, wie so eine Auffangstellung, das ließ sich gar nicht realisieren. Man sieht, wie die antiken Autoren die Verhältnisse in Teilen sehr genau wiedergeben, aber genau das verschweigen."

    Um die widrige Strömung auszugleichen, die Schäfer vor Actium gemessen hat, mussten Octavians Schiffe immer in Bewegung bleiben. Marcus Antonius dagegen brauchte nur den Nordwestwind abzuwarten, der regelmäßig um die Mittagszeit aufkam, dann konnte er Segel setzen und mit einem guten Teil seiner Flotte die lückenhaften Reihen seines Gegners durchbrechen. Zusammen mit Kleopatra, die auch die Kriegskasse an Bord hatte, gewann er das offene Meer.

    Was nach den neuen Erkenntnissen eine erfolgreiche, durchdachte Strategie war, stellte Cassius Dio als Flucht dar – und ließ auch die bekannten Klischees über die Orientalin und ihren verweichlichten römischen Liebhaber nicht aus:

    Kleopatra, gemäß ihrer Natur als Frau und Ägypterin, litt unter der Tatenlosigkeit des endlosen Wartens und der anhaltenden, angstvollen Ungewissheit über den Ausgang. Daher wandte sie sich plötzlich zur Flucht und gab auch ihren Schiffen das Signal. Und so, als sie schnurstracks ihre Segel setzten und dank eines vorteilhaften Windes, der zufällig aufgekommen war, rasch aufs Meer hinaus fuhren … folgte ihnen Antonius.

    Die Schlacht von Actium gilt bis heute als großer Seesieg des Octavian. Tatsächlich aber hat sich Marcus Antonius aus der fatalen Umklammerung befreit und konnte den Kampf, gestützt auf Ägyptens Reichtümer, neu aufnehmen.

    Rätselhaft bleibt, warum Marc Anton den Krieg im Laufe des folgenden Jahres trotzdem ohne große Gegenwehr verlor. Nacheinander liefen die Kommandeure seiner Legionen zum Gegner über: Schäfer vermutet, dass Octavian sie insgeheim mit Verlockungen oder Drohungen auf seine Seite zog. Belege dafür fehlen aber.

    Dem Besiegten blieb nichts anderes als der Tod, zu dem sich ein vornehmer Römer verpflichtet fühlte: Marcus Antonius stürzte sich in sein Schwert. Kleopatra, nach einem letzten, diesmal vergeblichen Versuch, den neuen starken Mann Roms in einer persönlichen Begegnung für ein Bündnis zu gewinnen, tötete sich ebenfalls. Cassius Dio berichtete erstaunlich zurückhaltend über ihren Selbstmord:

    Niemand weiß genau, wie sie starb, denn die einzigen Spuren an ihrem Körper waren kleine Einstiche auf ihrem Arm. Manche meinen, sie setzte sich selbst eine Schlange an, die ihr in einem Wasserkrug gebracht worden war oder vielleicht versteckt zwischen Blumen. Andere erklären, dass sie eine Haarnadel mit einem Gift beschmiert hätte.

    Obwohl antike Autoren Zweifel äußerten, fand die Deutung, dass sich Kleopatra von einer Kobra beißen ließ, um zu sterben, rasch Eingang in den Mythos. Aktuelle Forschungen deuten jedoch in eine andere Richtung. Dieter Mebs, Professor für Rechtsmedizin an der Universität Frankfurt, hat in einer gemeinsamen Untersuchung mit Christoph Schäfer festgestellt, dass ein Kobrabiss kein sicheres und schon gar kein angenehmes Mittel ist, um aus dem Leben zu scheiden: Nur die Hälfte der Menschen, die von einer Kobra gebissen werden, stirbt. Und ihr Todeskampf ist lang und grausam.

    "Wie sie es wirklich gemacht hat, da meint Kollege Mebs, wird man eher dann eine Mischung aus Pflanzengift genommen haben, wahrscheinlich Schierling mit einer Prise Eisenhut und, weil auch da Erstickungserscheinungen und Verspannungserscheinungen auftreten, gedeckelt mit Opium, diese Dosis kann man einfach trinken, und dann gibt dieses Bild alles einen Sinn."

    Wahrscheinlich hat Kleopatra noch selbst die spektakuläre Geschichte mit der Kobra in Umlauf gebracht: Das war die Propaganda der letzten Pharaonin.

    "Denn die Schlange, die ägyptische Kobra, ist nicht nur das Symbol der Könige, sondern gilt auch als eine Wiedergeburt der Isis, und Isis ist gleichzusetzen mit Aphrodite, und Kleopatra war nun sowohl für Griechen wie für Ägypter eine Inkarnation der Isis beziehungsweise der Aphrodite. Sie setzte sich gleich damit, und wenn nun die eine Inkarnation der Isis die andere zum Tode beförderte, dann nahm sie die direkt mit unter die Götter."

    Diese Version hat sich über die Jahrhunderte gehalten. Schon Plutarch beendete damit seine oft unterhaltende, letztlich aber moralisierende Geschichte: als Exempel über die unvermeidliche Strafe für Kleopatras Leben in Überschwang und Luxus. Christliche Autoren des Mittelalters machten es ähnlich, doch allmählich verschob sich der Focus vom Belehrenden zum Frivolen, erzählt der Althistoriker Manfred Clauss:

    "Wobei dann vor allem für die Malerei entscheidend war, dass man sie sehr bald sehr nackt darstellen konnte. Also der Tod der Kleopatra ist spannend, weil in den älteren Darstellungen die Schlangen an den Armen angesetzt sind, das geht sehr bald auf die Brüste über, dann werden die Brüste immer größer, die Schlangen immer kleiner, ich denke, das ist ein zentrales Thema, und sie ist für das moderne Europa wohl die bekannteste Frau der Antike."

    Dafür sorgte schließlich auch Hollywood mit mehreren Verfilmungen ihrer Lebensgeschichte. Berühmt wurde die Version, die 1963 der ambitionierte Regisseur Joseph Mankiewicz mit Liz Taylor realisierte. Obwohl der Film für die Vermarktung deutlich gekürzt wurde, zeigt er nicht das schlechteste Portrait Kleopatras, meint die Ägyptologin Diana Fragata, weil:

    "Liz Taylors Kleopatra mit Abstand die politischste ist, die königlichste, die am meisten Würde ausstrahlt."

    Und eigentlich muss sie auch so schön gewesen sein. Obwohl das natürlich reine Spekulation ist.