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Wer wird neuer Bundestrainer?

Hans-Joachim Wiese: Am Telefon begrüße ich Hans-Josef Justen, er ist Sportchef der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung in Essen. Herr Justen, dass die Griechen bis ins Endspiel kommen, damit haben wohl nicht mal die ausgewiesensten Fußballexperten gerechnet, oder?

Moderation: Hans-Joachim Wiese |
    Hans-Josef Justen: Nein, nicht einmal Otto Rehhagel selbst. Er hat sich ja nun von Spiel zu Spiel gehangelt. Allein die Teilnahme in Portugal galt ja schon als Sensation, dann der Sieg über die Portugiesen und nun diese Portugiesen wieder im Endspiel, das alles ist einmalig. Ich habe jetzt in den letzten Tagen ein paar mal mit ihm gesprochen. Irgendwie kann er es selbst nicht begreifen.

    Wiese: Irgendwie kann er es selbst nicht begreifen, ihm wird schon die griechische Staatsbürgerschaft angetragen. Wenn er die annimmt, kann er aber nicht mehr deutscher Bundestrainer werden, denke ich. Glauben Sie, dass er ein geeigneter Kandidat wäre?

    Justen: Warum soll er nicht deutscher Bundestrainer werden können? Es ist ja nicht vorgeschrieben, dass ein deutscher Bundestrainer auch Deutscher sein muss. Es sind ja jetzt in der Nachfolgeregelung um Völler auch Ausländer im Gespräch, Guus Hiddink zum Beispiel oder Arsen Wenger. Außerdem ist das ja eher ein Ehrentitel, den der Otto tragen soll in Griechenland und er hat ja wieder betont, auch in den letzten Tagen noch bei aller Freude in Griechenland, dass er drei Herzen in seiner Brust schlagen hat, zwei für Deutschland und eines für Griechenland. Er ist und bleibt ein überzeugter Deutscher.

    Wiese: Also ganz ausschließen möchten Sie nicht, dass er tatsächlich sich noch breitschlagen lässt zu kommen?

    Justen: Er hat ja nun in den letzten Tagen immer wieder gesagt, dass er seinen Vertrag in Griechenland erfüllen wird, der gilt bis 2006. Er wird zur Weltmeisterschaft nach Deutschland mit dieser Mannschaft kommen, aber auszuschließen ist im Fußball natürlich gar nichts. Der Druck auf ihn wird größer, nur er sitzt natürlich irgendwo zwischen den Stühlen. Er kennt diese Situation aus Bremen, als er da große Erfolge hatte, war er auch bei anderen Vereinen im Gespräch, nur hat er damals immer wieder gesagt, "Ich kann ja im Erfolg nicht gehen", und ähnlich ist es jetzt in Griechenland. Wie reagieren die Griechen, die ihn nun wirklich wie einen Nationalhelden oder -heiligen verehren, wenn er nun nach diesem Triumph sich verabschieden sollte, um nach Deutschland zu gehen? Und das andere ist, ob er sich einen Gefallen tut, nach Deutschland zu gehen? Denn hier erwartet ihn ganz was anderes. In Griechenland hat er eine Mannschaft aus dem Nichts geschaffen. In Deutschland ist der Erwartungsdruck erheblich größer, gerade im Hinblick auf die Meisterschaft. Nicht auszudenken, wenn die deutsche Nationalmannschaft im eigenen Lande so früh rausfliegen sollte, wie jetzt in Portugal.

    Wiese: Jeden Nachfolger erwartet ja solch ein Erwartungsdruck des Publikums, auch Ottmar Hitzfeld hat nun verzichtet. Glauben Sie, dass er deshalb verzichtet hat?

    Justen: Das kann eine Rolle spielen, aber das glaube ich nicht ganz alleine. Ich kenne natürlich nicht die Verhandlungsmodalitäten mit Meyer-Vorfelder, dem DFB-Präsidenten. Ich weiß nicht, was sich da abgespielt hat. Für meine Begriffe hat Meyer-Vorfelder viel zu lange gezögert und Ottmar Hitzfeld deshalb, aus meiner Sicht, etwas kopfscheu gemacht. Denn das ganze mit "ausgepowert" und "ausgebrannt" und er "brauche jetzt ein Jahr Erholung", das nehme ich dem guten Ottmar Hitzfeld nicht so richtig ab. Er hat vor Monaten schon, als es bei Bayern München zur Trennung kam, gesagt: "Die logische Folge in meiner Karriere wäre, Bundestrainer zu werden. Das wäre eine Ehre für mich." Da war Rudi Völler noch im Amt. Als Rudi Völler ausgeschieden ist, stand Ottmar Hitzfeld sofort parat, am nächsten Tag, und hat gesagt, "Es wäre eine Ehre für mich, Nationaltrainer zu werden. Der DFB muss mich nur anrufen. Mit Meyer-Vorfelder bin ich gut befreundet". Das hätte sich, wie ich meine, schnell regeln lassen können. Dass er nun plötzlich in einer Woche so erschöpft geworden ist, das kann ich mir einfach nicht vorstellen.

    Wiese: Also was mag dahinter gesteckt haben. Sie haben DFB-Präsident Meyer-Vorfelder erwähnt. Hat der in dieser Nachfolgediskussion versagt?

    Justen: Ja, für meine Begriffe ganz klar, weil er sich nicht eindeutig geäußert hat. Er hat dann zwar - nachdem auf ihn der Druck der Öffentlichkeit und auch der Bundesliga immer größer wurde, der Name Ottmar Hitzfeld immer wieder genannt worden ist - Verhandlungen aufgenommen, hat sich mit ihm getroffen, hat Details abgesprochen, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er mit vollem Herzen dahinter gestanden hat. Er dementiert zwar, und das muss man ihm so abnehmen, jemals Kontakt gehabt zu haben zu Christoph Daum, aber dass er zu dem immer noch eine besondere Beziehung hat, das ist einfach nicht zu leugnen. Und der Name Christoph Daum fällt jetzt mindestens so oft, wie der von Ottmar Hitzfeld oder auch der von Otto Rehhagel.

    Wiese: Angeblich gibt es ja heftigen Widerstand gegen die Wiederwahl von Meyer-Vorfelder im DFB. Was wissen Sie darüber?

    Justen: Am 23. Oktober ist der Bundestag in Osnabrück. Meyer-Vorfelder hat sich erklärt, als Kandidat wieder anzutreten. Sie wissen, wie schnell die Stimmung umschlagen kann, auch unter den Funktionären, wenn denn jetzt doch noch ein vertretbarer Kandidat für die Nationalmannschaft präsentiert werden könnte, was ich im Augenblick aber stark bezweifele, denn sie müssen sich nun wirklich unter Druck gesetzt haben, dann könnte es wirklich windig werden für Meyer-Vorfelder. Führende Funktionäre, egal ob Hackmann aus der Deutschen Fußballliga oder Leute aus der Bundesliga, von Rudi Assauer bis zu Herrn Holzhäuser von Bayer Leverkusen, die haben also nun sich schon sehr deutlich gegen Meyer-Vorfelder gestellt. Wenn er da noch mal durchkommen will, dann muss er wirklich die Ohren steif halten.

    Wiese: Aber wäre das nicht auch ein Segen für den deutschen Fußball? Der deutsche Fußball gilt als altmodisch und muss erneuert werden. Gilt das nicht auch für den DFB? Müsste dieser bürokratische, verfilzte und altmodische Verein nicht auch mal erneuert werden?

    Justen: Auf jeden Fall, aber dann ist die Frage, was die Alternativen sind? Und dann läuft es doch immer wieder auf die alten Bekannten hinaus. Immer wieder genannt wird Franz Beckenbauer, der natürlich für sämtliche Ämter auf dieser Welt sich eignen soll, aber es ist kein designierter Nachfolger da. Der Vizepräsident von Meyer-Vorfelder und einer seiner größten Kritiker, der Herr Nelle aus Niedersachsen, der jetzt auch in diesen Tagen schwer vom Leder gezogen hat gegen Meyer-Vorfelder, der ist auch schon über 70. Die ganze Riege da oben ist nicht mehr so ganz jung. Einer könnte es sein, der Theo Zwanziger, das ist der neue Schatzmeister des DFB, der ist 59 Jahre alt, also relativ jung für ein solches Amt. Einer könnte es auch sein, der Generalsekretär des Deutschen Fußballbundes, ein unglaublich fähiger und loyaler Mann, Horst R. Schmidt, der böte sich an. Aber beide sind Typen, die nicht den Hut in den Ring werfen, weil sie dann denken, vielleicht Meyer-Vorfelder in den Rücken zu fallen, obwohl Meyer-Vorfelder auf solche Dinge nie die Rücksicht genommen hat bei der Planung seiner Karriere.

    Wiese: Warten wir das also ab. Noch eine Frage zum Schluss: Wer sollte Ihrer Meinung nach nun neuer Bundestrainer werden?

    Justen: Das ist wirklich eine schwer zu beantwortende Frage. Selbst bei meinem Freund Otto Rehhagel weiß ich nun auch nicht - sie haben gerade von der Altersstruktur gesprochen - der Otto, das ist sensationell, was er leistet, aber bitte, er wird 66 im nächsten Monat. Und gegen Christoph Daum sprechen einfach die Dinge, die in der Öffentlichkeit bekannt sind. Er hat ja die Möglichkeit gehabt, sich zu rehabilitieren. Er hat wieder arbeiten können, im Ausland, ist in Österreich Meister geworden, in der Türkei Meister geworden, aber es ist etwas anderes, ob ich Vereinstrainer bin oder Bundestrainer. Bundestrainer ist einfach eine Institution in Deutschland und ob man da einen derart vorbelasteten Mann hinsetzten kann, das wage ich zu bezweifeln. Ottmar Hitzfeld wäre es unter Umständen gewesen, nun muss man sehen. Lothar Matthäus kommt ins Gespräch, aber das halte ich für fast ausgeschlossen.