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Wera Hobhouse zum Brexit
"Es ist ein bisschen schwierig rauszuhören, was die Menschen wollen"

Die Liberaldemokratin Wera Hobhouse hat der britischen Regierung mangelnde Führung vorgeworfen. "Wenn die Regierung nicht weiß, was sie will, dann wissen die Menschen auch nicht mehr, was sie wollen", sagte die Abgeordnete im Dlf. Um einen harten Brexit zu verhindern, appellierte sie aber auch an die Verantwortung der europäischen Politiker.

Wera Hobhouse im Gespräch mit Peter Kapern | 15.06.2017
    Wera Hobhouse, gerade neu gewählte Abgeordnete im Unterhaus in London
    Wera Hobhouse, gerade neu gewählte Abgeordnete im Unterhaus in London (imago stock&people)
    Peter Kapern: Bei uns am Telefon ist nun Wera Hobhouse, gerade neu gewählte Abgeordnete im Unterhaus in London, eine Abgeordnete der Liberaldemokraten. Guten Morgen, Frau Hobhouse!
    Wera Hobhouse: Guten Morgen!
    Kapern: Selten hat Großbritannien eine so dominante Rolle in den hiesigen Nachrichtensendungen gespielt wie derzeit. Der Brexit, die Neuwahlen, die Regierungskrise, die Terroranschläge - und jetzt auch noch dieser verheerende Großbrand in London, der auch schon zum Politikum geworden ist. Frau Hobhouse, wenn ich Sie bitten würde, unseren Hörern die Gemütslage der Menschen auf der Insel zu beschreiben, wie würden Sie das dann machen?
    Hobhouse: Natürlich erst mal schockiert. Der Großbrand in London ist eine – wie in der Dritten Welt eigentlich. Solche Unglücke passieren doch auf unserem europäischen Kontinent nicht mehr in der Art und Weise. Wie viele Menschen da umgekommen sind, ist ja noch nicht mal klar. Dass so was hier überhaupt passieren kann, ist natürlich ein riesiger Schock. Die Wahl hat die Leute verwirrt. Schon während des Wahlkampfs waren die Leute sehr verwirrt, und der Ausgang der Wahl ist jetzt erst recht verwirrend für viele Menschen, die sich in ihrem eigenen Land zum Teil gar nicht wiedererkennen.
    Theresa May hat an Führungskraft verloren
    Kapern: Ist die Regierung, ist Theresa May Ihrem Eindruck nach in der Lage, in diese Verwirrung wieder Ordnung zu bringen, wieder eine gerade Linie zu bringen, an der sich die Menschen im Lande orientieren können?
    Hobhouse: Das Erstaunliche von Frau May war ja, dass sie - ihr Wahlkampf ging: "Strong and stable leadership". Und schon das zerkrümelte ja während des Wahlkampfs völlig. Ihr Manifest war ja ein Programm, was ganz unbeliebt wurde in den sechs Wochen, wo wir den Wahlkampf geführt haben. Plötzlich war sie nicht mehr strong and stable, sondern weak and wobbly. Und als Person selbst ist sie eigentlich – inzwischen hat sie an Statur verloren. Ob sie da überhaupt diese Führungskraft noch darstellen kann, fragen ich und andere sich natürlich auch. Aber sie ist relativ, ich würde mal sagen, starr jetzt doch auch und geht in ihre Richtung und versucht, den Menschen zu versichern, dass sie doch genügend Führungskraft darstellen kann. Aber das wird sich in den nächsten Wochen erst herauskristallisieren.
    Den Brexit akzeptieren
    Kapern: In der kommenden Woche sollen ja eigentlich die Verhandlungen über den Brexit beginnen, aber der Zeitplan wackelt genauso wie der Brexit-Plan der Premierministerin selbst. Theresa May will ja einen harten Brexit, also raus aus dem Binnenmarkt, raus aus der Zollunion, und jetzt melden sich Kabinettsmitglieder zu Wort und sagen, wir sollten einen weichen Brexit haben, also in der Zollunion bleiben. Das verstärkt doch eigentlich den Eindruck des politischen Chaos, dass die Regierung ein Jahr nach dem Referendum immer noch nicht weiß, was sie eigentlich damit anfangen will?
    Hobhouse: Das Interessante mit Leave und Remain ist, dass erstaunlicherweise ja jetzt sich die Leave-Position verhärtet hat in der britischen Bevölkerung. Das war ganz klar, wenn wir mit Leuten gesprochen haben. Die Menschen, die im letzten Jahr Leave gewählt haben, sind plötzlich ganz fanatisch Leave.
    Kapern: Also diejenigen, die aus der Europäischen Union raus wollen?
    Hobhouse: Genau, die Leute, die raus wollen. Während diejenigen, die in der Europäischen Union bleiben wollten, das waren ja knapp 48 Prozent oder etwas über 48 Prozent. Und das hat sich völlig aufgeweicht. Da sind jetzt inzwischen viele Leute, die sagen, wenn wir raus müssen aus der EU, dann müssen wir das eben akzeptieren. Insofern hat sich die Position derjenigen, die die Europäische Union verlassen wollen, schon irgendwie verhärtet.
    "Wenn die Regierung nicht weiß, was sie will, dann wissen es die Menschen auch nicht mehr"
    Kapern: Aber nicht die Position der Regierung, denn die weiß offenbar selbst ein Jahr nach dem Referendum noch nicht, wie sie denn aus der EU raus will. Auf die harte Art und Weise oder eher weich.
    Hobhouse: Bis vor einer Woche auf die harte Art und Weise, denn das schien ja der Wille der Menschen zu sein oder der Bevölkerung. Das war ein großes Schlagwort, das ist Demokratie, das ist, was die Menschen wollen. Wobei ja eigentlich am 23. Juni letzten Jahres gar nicht klar war, was die Leute eigentlich wollten. Aber so hat eben Theresa May und haben ihre konservativen Hard Brexiteers das interpretiert. Und inzwischen sieht man eben, dass auch der Wahlausgang doch gesagt hat, so wollte die Bevölkerung das nicht interpretieren. Ein Teil der Bevölkerung, aber wahrscheinlich doch nicht ein großer Teil der Bevölkerung. Es ist also ein bisschen schwierig im Moment, rauszuhören, was die Menschen wollen, aber natürlich muss die Regierung ja auch ein bisschen Führung darstellen. Das stimmt schon, wenn die Regierung nicht weiß, was sie will, dann wissen natürlich irgendwann die Menschen auch nicht mehr, was sie wollen. Da muss also schnell ein Programm herauskommen. Man hatte auch den Eindruck, dass in der britischen Regierung selbst die Leute gar nicht wissen, wie Europa funktioniert. Das fand ich so skandalös eigentlich, dass Politiker selbst gar nicht so genau wissen, worum es eigentlich geht.
    "Es waren ja die jungen Menschen, die in der EU bleiben wollten"
    Kapern: Nun gibt es hierzulande auch Berichte darüber, dass sich in Großbritannien mittlerweile einige Wirtschaftsdaten verschlechtern wegen des Brexit-Beschlusses. Gestern zum Beispiel kam die Nachricht über sinkende Reallöhne der Briten, weil die Importe wegen des sinkenden Pfund-Kurses immer teurer werden. Wenn das Ihre Landsleute spüren, warum sind sie dann jetzt doch, wie Sie sagen, umso entschlossener, aus der EU rauszugehen?
    Hobhouse: Die Demografie der Leute, die aus der EU raus wollten, sind ja oft Rentner und Leute, die gar nicht mehr arbeiten, und insofern das vielleicht auch gar nicht so miterleben, was eigentlich mit Löhnen und mit der Arbeitswelt passiert. Es waren ja die jungen Menschen, die in der EU bleiben wollten, während die ältere Bevölkerung, die so ein bisschen geträumt hat von einer eigentlich unrealistischen Vergangenheit - so war unser Land früher - und die so eine Rückkehr in die Vergangenheit wollten, die sind ja nicht unbedingt die Leute, die von sinkenden Arbeitslöhnen betroffen sind.
    Kein Exit vom Brexit
    Kapern: Nun hat, ich habe das eben erwähnt, Bundesaußenminister Sigmar Gabriel angedeutet, dass die Tür für einen Exit vom Brexit offen bleibt. Ähnliches hat ja auch Emmanuel Macron gesagt, als Theresa May ihn jetzt kürzlich in Paris besucht hat. Ist das eine realistische Perspektive oder ist das leeres Gerede, weil es sich die Briten definitiv nicht nochmal anders überlegen?
    Hobhouse: Ein neues Referendum gibt es sicher nicht, einen neuen Volksentscheid, und wir als Partei traten ja auch auf mit dem Versprechen, dass wir nochmal einen Volksentscheid über entweder den Deal, der ausgehandelt wird, oder doch in der EU bleiben, und wir haben zwölf Abgeordnete von 650. Also daran können Sie vielleicht schon erkennen, dass das als Angebot die Leute erst mal nicht besonders interessant fanden. Wer weiß, was in den nächsten paar Jahren passiert. Aber eine Umstimmung kann ich mir jetzt in den nächsten zwei Jahren nicht unbedingt vorstellen. Und das wäre auch nicht realistisch. Und ich glaube, auf dem Kontinent müssen Politiker auch so ein bisschen sehen, dass das hier in England passiert ist, und auch ein paar Schritte auf die englische Regierung und die englische Bevölkerung zugehen. Denn sonst wird es wirklich ein harter Brexit, dann wird es wirklich sich alles verschärfen. Ich würde sagen, es gibt auch eine Verantwortung der europäischen Politiker, weniger hart aufzutreten. Es muss von beiden Seiten eine gewisse Aufweichung da sein, um einen weicheren Brexit zu erreichen.
    Kapern: Ob es so kommen wird, das werden wir sehen, sobald die Brexit-Verhandlungen beginnen. Vielen Dank für das Gespräch! Das war Wera Hobhouse, die gerade neu gewählte Abgeordnete der britischen Liberaldemokraten im Londoner Unterhaus. Frau Hobhouse, einen schönen Tag nach London und danke, dass Sie heute früh Zeit für uns hatten.
    Hobhouse: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.