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Werz: Obama hat kurze, kämpferische und politische Rede gehalten

Barack Obama hat in seiner Rede auf dem Parteitag der Demokraten die Aufgaben der nächsten vier Jahre thematisiert und sich nicht mit seinem Gegner Mitt Romney auseinandergesetzt, sagt Michael Werz. Der US-Präsident bat vor allem um mehr Zeit für die Umsetzung seiner Vorhaben, ergänzt der Politikwissenschaftler.

Dirk Müller im Gespräch mit Michael Werz | 07.09.2012
    Dirk Müller: "Yes, we can", wir können es schaffen - genau das ist jetzt aber die Frage, die sich viele Amerikaner stellen: Kann er es noch einmal versuchen, darf er es noch einmal versuchen, Barack Obama? Die Schulden sind in astronomische Höhen geschnellt, die Arbeitslosigkeit auch. Wie gut ist er also gewesen, der Mann im Weißen Haus? Im November wird gewählt, Mitt Romney oder eben der Amtsinhaber.

    Müller: Der Präsident macht sich also lustig über seinen Gegner Mitt Romney beim Thema Außenpolitik, gemeinsam mit dem Vorwurf, die Republikaner verwechseln El Kaida mit Russland. Barack Obama hat also nun den Schlussspurt im Wahlkampf eröffnet, mit seiner Rede auf dem Parteitag der Demokraten in Charlotte, North Carolina, die vor wenigen Minuten zu Ende gegangen ist.
    Barack Obama auf dem Parteitag der Demokraten - darüber sprechen wollen wir nun mit dem Politikwissenschaftler Michael Werz vom Center for American Progress, ein Think Tank, eine US-Denkfabrik in Washington D.C.. Guten Morgen!

    Michael Werz: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Werz, reden kann er. Kann er auch Politik?

    Werz: Ja, er kann auch Politik. Es ist ja ein Versuch der Republikanischen Partei, diese Wahlen zu einem Referendum der vergangenen vier Jahre zu machen, der ersten Amtszeit von Barack Obama. Dieser Herausforderung hat er sich gestellt mit einer sehr kurzen, sehr kämpferischen und auch sehr politischen Rede, die sich weniger auf die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner richtete als auf die zukünftigen Aufgaben, die noch bevorstehen. Also er hat sozusagen ein Programm vorgestellt für die nächsten vier Jahre und argumentiert, wir brauchen noch mehr Zeit, wir haben viel erreicht, aber es muss weitergehen.

    Müller: Was hat er denn zu bieten?

    Werz: Er hat einen starken Schwerpunkt gelegt auf Infrastrukturmaßnahmen, auf Investitionen in Bildung. Er hat relativ deutlich Position bezogen zu Klimawandelfragen, das ist ein sehr kontroverses Thema, weil es ja im US-Kongress eine ganze Reihe von konservativen Abgeordneten gibt, die das leugnen. Er hat also durchaus politisch auch komplizierte und schwierige Themen angesprochen und gesagt, wir können uns hier nicht zurückhalten lassen von ideologischen Verblendungen, sondern müssen in die Zukunft blicken. Und er hat etwas getan, was auch wichtig ist, nämlich noch einmal Revue passieren lassen, dass die Waffengänge im Irak und in Afghanistan nun endlich zu einem Ende kommen - ein Thema, das ja zur Überraschung vieler Mitt Romney in der vergangenen Woche auf der republikanischen Konvention überhaupt nicht angesprochen hat. Diese Lücke hat Obama genutzt und hat gesagt, 2014 wird in Afghanistan der längste Krieg in der Geschichte der Vereinigten Staaten zu Ende gehen, in New York werden neue Türme stehen und El Kaida wird geschwächt werden. Er hat also da auf seine starke außenpolitische Tradition hingewiesen, die ihn von seinem politischen Gegner stark unterscheidet.

    Müller: Wenn wir das in den vergangenen Wochen und Monaten hier in Deutschland zumindest richtig verstanden haben, Herr Werz, dann ist das wie so oft in den USA, oder dann soll es zumindest so sein, wie so oft in den USA, dass die Außenpolitik eine untergeordnete Rolle spielt. Es geht vor allem um Wirtschaftspolitik, es geht um Arbeitsmarktpolitik. Inwieweit will er aus dieser Schuldenfalle und Jobfalle herauskommen?

    Werz: Das ist natürlich das zentrale Thema, wobei man die außenpolitischen Dimensionen nicht unterschätzen darf. Auch wenn es nicht im Vorfeld und im Vordergrund des Wahlkampfes steht, so ist doch unterschwellig auch die Frage, was ist die Rolle Amerikas in der Welt, eine sehr wichtige, und die hat Barack Obama versucht zu thematisieren. Aber Sie haben natürlich recht: Die Arbeitslosigkeit und die anhaltende Wirtschaftskrise stehen im Zentrum der Diskussionen. Dazu hat Barack Obama relativ klar Stellung genommen in seiner Rede, hat argumentiert, dass große Schritte in die richtige Richtung unternommen worden sind, dass es unmöglich war - darauf hat auch Bill Clinton gestern Abend hingewiesen -, das Schlamassel, das George Bush hinterlassen hat, innerhalb von nur vier Jahren zu bewältigen. Barack Obama hat ja zu einer Zeit das Weiße Haus übernommen, als wir hier in den USA 750 bis 800.000 Arbeitsplätze monatlich verloren haben, und Barack Obamas Antwort hierauf ist eine zweiteilige: mehr Fairness in der Gesellschaft, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Infrastrukturinvestitionen, aber auch eine Verschlankung des Staates und eine Revision bestimmter Privilegien im Bereich Gesundheit und Sozialversicherung, um die exorbitanten Schulden, die sich hier aufgehäuft haben, anzugehen. Er ist da konkreter gewesen als seine republikanischen Gegner.

    Müller: Konkret heißt, er hat es konkret angekündigt. Was hat er in den vier Jahren denn in dem Punkt überhaupt geschafft?
    Insofern ist es eine gemischte politische Gemengelage und Barack Obama hat auch eingestanden in seiner Rede, dass er Fehler gemacht hat und dass er nicht mehr der gleiche, vielleicht etwas zu optimistische Kandidat von vor vier Jahren ist, sondern ein Präsident, der auch hat seine Erfahrungen sammeln müssen.

    Werz: Es war natürlich vom Tag eins, als er Ende Januar 2009 das Weiße Haus übernommen hat, eine Situation, in der sich sein gesamtes Team im Krisenreaktionsmodus befunden hat. Es gab zuerst die Immobilienkrise, dann eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise. Das heißt, die ersten großen parlamentarischen Unternehmungen waren die Versuche, die erfolgreichen Versuche, mit ungeheueren Stimuluspaketen und obszönen Mengen von Investitionen und Geld und neuen Schulden den freien Fall der amerikanischen Wirtschaft zu stoppen. Das ist gelungen. Auch auf dem Arbeitsmarkt hat eine Trendwende eingesetzt, die noch nicht stark genug ist, aber wir haben in diesem Monat - die Zahlen werden morgen früh veröffentlicht - ungefähr 200.000 neue Arbeitsplätze in den USA geschaffen. Das ist ein erster Schritt, der noch nicht ausreicht, die Arbeitslosigkeit, die zwischen acht und neun Prozent nach wie vor liegt, in großen Schritten zu senken, aber doch ein Hinweis darauf, dass sich die Jobfront stabilisiert.
    Der Blick wird natürlich auch auf Europa gerichtet, weil mit großer Sorge verfolgt wird, was in Griechenland und in den südlichen europäischen Ländern geschieht. Insofern ist es eine gemischte politische Gemengelage und Barack Obama hat auch eingestanden in seiner Rede, dass er Fehler gemacht hat und dass er nicht mehr der gleiche, vielleicht etwas zu optimistische Kandidat von vor vier Jahren ist, sondern ein Präsident, der auch hat seine Erfahrungen sammeln müssen.

    Müller: Woran liegt das denn, Herr Werz, dass viele dieses Bauchgefühl ja zumindest haben - es gibt auch Argumente selbstverständlich, die angeführt werden, die nachgeschoben werden -, dass Barack Obama eben das überhaupt nicht halten konnte, was er versprochen hat, dass diese Euphorie nicht mehr vorhanden ist und dass das Zutrauen in seine politische Fähigkeit deutlich gelitten hat?

    Werz: Das ist sicherlich richtig und hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Zum einen hat er natürlich mit der Erbschaft der vollkommen überzogenen Erwartungen zu kämpfen, die seine Kampagne und auch er selbst im Jahr 2008 geführt haben. Da war, wenn man so sagen will, sehr viel Schaum im Cappuccino und vielleicht nicht genug Kaffee. Dafür bezahlt man natürlich einen hohen Preis, wenn die Erwartungen ins Unermessliche gesteigert werden, sind sie unerfüllbar. Zum Zweiten hat er die Situation, die politische Situation in Washington falsch eingeschätzt, weil das amerikanische politische System traditionell ausgelegt ist auf eine überparteiliche Konsensbildung, wenn es um die großen Fragen wie Budget, nationale Sicherheit, Verteidigung, Wirtschaft und Bildung geht, weil diese politische Situation in Washington eine gewesen ist, die von einer ungeheueren Polarisierung geprägt wurde. Die Republikanische Partei hat sich im Prinzip auf eine Position verständigt, zu sagen, wir tun alles, was in unserer Macht steht, um Erfolge des Präsidenten zu verhindern, um dafür zu sorgen, dass er nur eine Amtszeit im Weißen Haus erleben wird, und das hat dazu geführt, dass einzelne Abgeordnete, die ja hier insbesondere im US-Senat über ungeheuere Machtfülle verfügen, wenn es darum geht, Gesetzgebungsverfahren zu blockieren, dieses Programm auch umgesetzt haben. Das heißt, wir befinden uns hier in einem etwas disnationalen politischen System in den vergangenen Jahren, und das hat hohe Kosten verursacht, auch für die politische Agenda von Barack Obama.

    Müller: Wir dürfen, Herr Werz, mit Blick auf die Uhr ein wichtiges Thema nicht vergessen: die Gesundheitsreform - sehr polarisierend, dieses Thema, in den USA, äußerst umstritten. Kann das für Barack Obama nach hinten losgehen?

    Werz: Im Moment sieht es nicht so aus. Es gibt starke Verfechter der Gesundheitsreform und ebenso lautstarke Gegner. Aber bisher scheint, die Gesundheitsreform im Wahlkampf nicht die Rolle zu spielen, die wir vermutet haben. Es geht viel stärker um Infrastrukturmaßnahmen, Arbeitslosigkeit und die allgemeine Wirtschaftssituation. Die Gesundheitsdebatte ist im Moment zur Überraschung vieler ein nachgeordnetes Thema.

    Müller: Obama hat ja auch gesagt, wir wollen weniger Washington, wir wollen weniger Staat. Das sagen auch immer die Republikaner. Hat er ein bisschen weniger Staat gemacht?

    Werz: Nein, das kann man so nicht sagen, und diese Rhetorik muss man natürlich auch in einem bestimmten amerikanischen Kontext sehen. Es ist schon in gewisser Weise ironisch, dass die Leute, die hier in Washington sitzen und regieren, immer auf Washington schimpfen. Das gehört zu einem etwas populistisch über- und untergetönten Wahlkampf hinzu. Was Barack Obama getan hat, ist, zu versuchen, die staatlichen Institutionen der USA zu modernisieren, und er hat heute im Prinzip ein sozialliberales Programm vorgeschlagen, in dem staatliches Handeln und Privatinitiative gleichberechtigt sind.

    Müller: Der Politikwissenschaftler Michael Werz vom Center for American Progress in Washington D.C.. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Werz: Vielen Dank, Herr Müller.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.