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Westerwelle rechnet mit Wahlerfolgen der FDP

Jürgen Liminski: Guten Morgen, Herr Westerwelle.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Guido Westerwelle: Schönen guten Morgen.

    Liminski: Herr Westerwelle, die Umfragen stehen so la la für die FDP. Sie müssen natürlich vier Tage vor zwei interessanten Wahlen Optimismus bekunden. Was machen Sie, wenn es schief geht, wenn die Liberalen den Einzug in das Straßburger Parlament nicht schaffen und auch die Hürde für den Erfurter Landtag nicht nehmen?

    Westerwelle: Ich rechne damit, dass das glatte Gegenteil passieren wird, denn die Umfragen in Europa sehen uns zwischen fünf und sieben Prozent. Das ist eine gute Ausgangslage, wenn man bedenkt, dass wir die letzten zehn Jahre im Europaparlament nicht dabei waren. Augenscheinlich ist das auch ein Erfolg von Silvana Koch-Mehrin und der Tatsache, dass wir als einzige Partei die Bürgerinnen und Bürger zu einer Volksabstimmung über die Verfassung befragen wollen. Was Thüringen angeht, sind wir derzeit ziemlich genau auf fünf eingeschätzt, und ob die FDP es packt oder nicht packt wird darüber entscheiden, ob es Rot-Rot - vielleicht sogar mit den Grünen - in Thüringen gibt oder ob es Schwarz-Gelb geben kann.

    Liminski: Würde denn in Thüringen eine schwarz-grüne Koalition Ihre Pläne auf der bundespolitischen Ebene beeinträchtigen? Da haben Sie sich ja doch ziemlich festgelegt.

    Westerwelle: Ich sehe das sehr gelassen, wenn ich sehe, dass sowohl Frau Sager als auch Frau Kollegin Göring-Eckardt, die beiden Spitzen der Fraktion der Grünen, Schwarz-Grün immer mehr vorschlagen, dann ist das auch ein Beweis dafür, wie notwendig die FDP ist. Es gibt ja in Deutschland genügend Menschen, die wollen die Grünen in keinem Fall in der Regierung sehen. Wenn man den Herrn Trittin aus der Regierung nur herausbekommen kann, indem man FDP wählt, ist das ein gutes Argument für viele bürgerliche Wähler, die Freien Demokraten zu unterstützen. Ich glaube übrigens auch nicht daran, dass zwischen Union und den Grünen ausreichende Schnittmengen bestehen, aber bei den Grünen haben wir ja schon viel an Inhaltsvergessenheit erlebt.

    Liminski: Kommen wir noch mal zu Ihrer Partei, die 18-Prozent-Ära ist vorbei, der Ernst des politischen Lebens hat auch die FDP wieder eingeholt. Sie verlegen sich wieder stärker auf das Programmatische, und da fällt auf, dass Sie sich der Gesundheitspolitik und auch stärker der Außenpolitik annehmen. Die Hälfte Ihrer Parteitagsrede war der Außenpolitik gewidmet. Fraktionschef Gerhard sprach auch sehr lange über diese Thematik. Gibt es denn schon eine Einigung, wer im Fall des Falles welches Amt übernimmt?

    Westerwelle: Da gibt es nicht einmal Überlegungen zu, denn das Fell des Bären verteilt man nicht, bevor der Bär erlegt worden ist. Ich nehme das mit Schmunzeln zur Kenntnis, dass es vor dem Parteitag geheißen hat, die FDP habe überhaupt niemanden, der in der Außenpolitik kompetent genug sei. Nach dem Parteitag schreiben die Zeitungen, da seien zwei, die für das Amt in Frage kämen. Das kann man, glaube ich, getrost so laufen lassen; es ist ohnehin eine rein virtuelle Diskussion.

    Liminski: Warum beschäftigen Sie sich jetzt so intensiv mit der Außenpolitik?

    Westerwelle: Weil wir vor ganz wichtigen außenpolitischen Fragen in diesem Jahr stehen, wie zum Beispiel vor der Frage, wie die gemeinsame europäische Außenpolitik sein wird. Wir reden darüber, dass in diesem Monat hoffentlich noch eine Europäische Verfassung zustande kommen wird. Wir müssen klären, wie wir Europa aufstellen, auch im transatlantischen Verhältnis. Wollen wir Europa aufstellen in Gegnerschaft zu den USA oder in Partnerschaft zu den USA? Ich bin eindeutig für das Zweite, weil ich der Meinung bin, dass einige kriminelle Folterer nicht die Freundschaft der Volker zerstören dürfen. Das sind Fragen, die anstehen. Deswegen habe ich sie in meiner Rede auch so ausführlich behandelt. Dass ich über die Europapolitik so ausführlich und so intensiv gesprochen habe, dafür geworben habe, dass über die Europäische Verfassung das Volk entscheidet, auch bei uns, nicht nur in anderen europäischen Ländern, dass wir die Stabilitätskriterien in die Verfassung mit aufnehmen, damit auch der Euro eine harte Währung bleiben kann, das kann doch niemanden wundern, wenn man weiß, dass doch schließlich in wenigen Tagen Europawahl ist. Wenn eine Europawahl ansteht, wird man ja wohl auch über Europa und die Außenpolitik besonders viel und intensiv reden müssen.

    Liminski: Stichwort: Volksabstimmung. Sind Sie denn generell für mehr plebiszitäre Elemente in Deutschland?

    Westerwelle: Ich bin dagegen, dass wir quasi über jede "Klein-Klein-Entscheidung" eine Volksabstimmung herbeiführen. Aber eine Europäische Verfassung ist schon eine historische Schlüsselentscheidung, und so wie in mehr als einem Dutzend Länder in Europa das Volk zum Schluss entscheiden werden wird, wollen wir, dass auch in Deutschland das Volk befragt wird. Wenn der Bundesaußenminister sagt, das passt ihm nicht, weil er sich nicht sicher sei, wie dann die Diskussionen losgingen, wundere ich mich sehr darüber. Die Grünen haben sonst bei jeder Wand, bei jeder Mauer, bei jedem Krötentunnel Volksabstimmungen vorgeschlagen. Jetzt bei der Europäischen Verfassung wollen sie das nicht. Das überzeugt mich nicht, das ist ein Misstrauen, eine Angst vor dem Volk, das gehört sich in einer Demokratie nicht, ist auch völlig unangebracht. Unser Volk ist genauso reif für Volksabstimmungen über so eine wichtige Frage, wie die anderen europäischen Völker auch.

    Liminski: Noch mal zur Programmatik. Die Freiheitsrechte erleben im Moment eine gewisse Erosion, könnte man sagen. Vorfahrt hat auf jeden Fall immer die Sicherheit. Haben Sie sich da nicht von den Anderen etwas Butter vom Brot nehmen lassen?

    Westerwelle: Das glaube ich nicht. Aber ich mache mir - so wie Sie es auch in der Frage sorgenvoll ausdrücken - selbst meine Gedanken über manche öffentliche Diskussion. Ich will ein Beispiel nennen: Wenn ein Professor der Bundeswehr in einer Fernsehsendung öffentlich sagt, dass Folter gegen Terroristen durchaus legitim sein könne, dann mag das seine persönliche Meinung sein. Die kann ich ihm nicht nehmen, die will ich ihm nicht nehmen, und ich will ihm auch nicht verbieten, dass er diese Meinung sagt, aber er kann doch nicht länger junge Soldaten unterrichten. Diese Folterdebatte, wie sie in Deutschland stattgefunden hat - zum Teil auch mit geradezu unglaublichen intellektuellen Verrenkungen, ob man nicht ein bisschen Folter erlauben müsse - legt die Axt an die Wurzel eines liberalen Rechtsstaates. Es ist gut, dass die FDP sich dagegen gewandt hat - übrigens nicht erst seitdem alle darüber reden und darüber diskutieren. Ich habe schon vor zwei Jahren dem amerikanischen Botschafter einen offenen Brief geschrieben und gesagt, dass die Behandlung von Gefangenen in Guantanamo nach unserer Vorstellung mit der westlichen Wertegemeinschaft nicht zu vereinbaren ist. Da hat noch keiner so genau hingeguckt, und das zeigt doch, dass der Einsatz von Menschenrechten oder für Menschenrechte und für Bürgerrechte bei der FDP hervorragend aufgehoben ist, denn vom Außenminister hören Sie dazu nichts.

    Liminski: Auch als Rechstaatspartei oder bei der Wirtschaftskompetenz sieht es so aus, als ob die FDP an Ansehen verloren hätte. Wie wollen Sie das denn wiedergewinnen? Ich nehme mal das Beispiel Vodafone. Das wäre doch nun der klassische Fall, wo man Wirtschaftskompetenz zeigen könnte.

    Westerwelle: Dieser Fall Vodafone ist der beste Beweis dafür, wie notwendig das neue Steuersystem ist, das die FDP vorschlägt. Dass wir endlich das Prinzip in Deutschland einführen: Niedrigere Steuersätze, die dann aber auch tatsächlich von allen bezahlt werden müssen, auch von den großen Firmen, ohne diese ganzen steuerlichen Ausnahmetatbestände. Stattdessen haben wir im Augenblick in Deutschland hohe Steuersätze, die zu dieser geschickten Unternehmensstrategie und auch zu dem Volkssport führen: Wie kann man hohen Steuersätzen am einfachsten entgehen? International oder auch national. Wir haben doch besser in Deutschland niedrigere Steuersätze, dann aber auch für alle zu bezahlen, gleichermaßen, ohne Ausnahmen, als dass wir auf dem Papier hohe Steuersätze haben, denen man dann, wenn man groß genug ist, durch geschickte Steuerabteilungen entgehen kann. Dass wir überhaupt heute über den Fall Vodafone diskutieren müssen - und das ist ein unglaublicher Vorgang - das hat Herr Schröder, das hat Herr Eichel, das hat Herr Lafontaine persönlich zu verantworten, denn diese drei haben seinerzeit als Ministerpräsidenten 1997 die Petersberger Beschlüsse im Bundesrat blockiert, der alten Regierung Kohl, Kinkel. Wäre man damals diesen Weg gegangen - und er war ja durch den deutschen Bundestag durch - wir hätten diesen Fall Vodafone, diese empörten Gedanken gar nicht machen müssen.

    Liminski: Heute soll es zu einer Einigung bei den Studiengebühren kommen. Wer sich für solche Gebühren ausspricht, muss sich natürlich auch fragen, wie er es mit der von der Verfassung gebotenen Chancengleichheit im Bildungssystem hält. Haben Sie da konkrete Vorschläge? Eine Bafög-Erweiterung oder eine Kreditregelung oder sonst etwas?

    Westerwelle: Bildung, Ausbildung darf nicht abhängig sein vom Geldbeutel der Eltern, aber heute ist das so. Wer es sich leisten kann, sorgt zum Beispiel für Nachhilfe für den Computer. Die Anderen haben keine Computer an den Schulen und müssen mit Unterrichtsausfall zurechtkommen. Wer es sich leisten kann, der schickt seine Kinder regelmäßig zum Studieren ins Ausland, und die Anderen müssen hier bleiben und mit völlig überfüllten Universitäten zurecht kommen. Die Antwort muss sein, dass wir die Universitäten zum Beispiel in die Freiheit entlassen, das heißt, dass wir die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze beispielsweise abschaffen. Wir brauchen sie nicht, die Studenten sollen sich ihre Unis aussuchen, und die Unis sollen sich auch ihre Studenten aussuchen dürfen. Es heißt aber auch personale und finanzielle Autonomie für die Universitäten. Dementsprechend bin ich dagegen, dass ein deutschlandweites Verbot herrscht, die Studiengebühren zu erheben. Ich bin dafür, dass die Universitäten selbst darüber entscheiden können, ob sie Studiengebühren erheben, die dann eingesetzt werden zur Verbesserung der Ausbildungslage in den Universitäten.

    Liminski: Was ist mit der Eliteförderung, so wie sie jetzt von Frau Ministerin Bulmahn angeregt wird und beschlossen wird?

    Westerwelle: Man schafft keine Eliten durch staatliche Finanzierungsprogramme. Eliten entstehen durch Leistungswettbewerb, und da kann man auch einen Fünf-Jahres-Plan machen mit 50 Millionen pro Uni und was sonst noch alles vorgeschlagen und zugesagt wird. Die Vorstellung, dass zum Schluss, wenn der Staat nur lange genug einen Plan macht, eine betroffene Universität auch eine Eliteuniversität sei, ist albern, ist grotesk. Man bekommt Eliteuniversitäten dadurch, indem man dafür sorgt, dass durch Wettbewerb Leistung entsteht und dass sich dann in diesem Leistungswettbewerb die Eliteuniversitäten herauskristallisieren.

    Liminski: Das war im Deutschlandfunk der Vorsitzende der FDP Guido Westerwelle. Besten Dank für das Gespräch, Herr Westerwelle.